– In Wembley erklingt sie zum 21. Mal vor einem Finale: Die Champions-League-Hymne. Komponiert hat sie einst der Engländer Tony Britten. Ein Gespräch über die Kraft der Klassik, schwierige Textfindung und die Angst des Stefan Effenberg (11FREUNDE #139)
Tony Britten, 1992 beauftragte die UEFA Sie damit, eine Hymne für einen neuen, sonderbaren Wettbewerb namens Champions League zu komponieren. Hatten Sie mit Fußball damals überhaupt was am Hut?
Nicht wirklich. Ich war wenn überhaupt eher an Rugby interessiert. Über die Jahre habe ich dann aber doch einige Spiele gesehen, vor allem natürlich in der Champions League. Und was soll ich sagen: Sie sind die Besten. (lacht)
Welche Anforderungen stellte die UEFA an Sie?
Sie wollten definitiv etwas Klassisches. Etwas, das genügend Schwere hat. Und keinen Solisten. Damals waren die »Drei Tenöre« gerade sehr angesagt. Es war also schnell klar, dass es eine Art Choral werden würde. Aber es sollte auch nicht so klassisch sein, dass ein Massenpublikum wie beim Fußball abgeschreckt wird.
Die Basis für die Hymne bildete schließlich Georg Friedrich Händels Stück „Zadok the Priest“ von 1727.
Von Händel habe ich nur die aufsteigenden Streicher zu Beginn genommen – anders als das einige böse Zungen später behauptet haben. Mit den hohen Trompeten, die dann einsetzen, gab ich dem Stück einen ganz eigenen Sound. Die Musik war ziemlich schnell fertig, das ist eigentlich immer ein gutes Zeichen.
Und der Text?
Der dauerte etwas länger. Am Anfang hatten wir nur die Kernbotschaft: Es ging um die Besten der Besten. Eine Liga für sich. Also erstellte ich eine endlos lange Liste mit Superlativen, die ging über mehrere Seiten! (lacht) Die einzelnen Phrasen ließ ich mir wörtlich in die anderen UEFA-Sprachen übersetzen, ins Deutsche und Französische. Daraus bastelte ich dann den Text.
Einige Passagen, speziell die beiden Strophen, klingen für Muttersprachler ziemlich hölzern. Beispielsweise wenn es um »eine große sportliche Veranstaltung« geht.
Das haben mir damals schon die Übersetzer gesagt. Mir war das bewusst. Am Ende ist die musikalische Funktion der Worte aber mindestens genau so wichtig wie ihre Bedeutung. Am Ende musste ich die Musik entscheiden lassen.
Wie lange dauerte es von der ersten Idee bis zur Fertigstellung?
Nicht sehr lange, das war eine Sache von Wochen, höchstens ein paar Monaten. Die meiste Zeit haben wir dafür gebraucht, all die verschiedenen Versionen vorzubereiten. Vor 20 Jahren forderte noch fast jeder Fernsehsender eine andere Tontechnik. Die einen wollten Dolby, die anderen Stereo, die Russen wollten sogar noch Mono haben. Ich musste einen Mitarbeiter nur dafür einstellen, am Schluss stapelten sich im Studio meterhoch die Kassetten.
Händels Originalstück ist bis heute fester Bestandteil jeder englischen Krönungszeremonie. Gibt es da Parallelen zu einem Champions-League-Endspiel?
Die offensichtliche Ähnlichkeit ist: Es sind beides sehr strikt organisierte Feiern. Das erfordert Monate der Vorbereitung, egal ob bei einer Krönung oder einem Finale. Die Musik muss stimmen, jedes Element muss stimmen. Und es muss am Ende mühelos wirken.
Sie sind auch studierter Dirigent. Haben Sie Ihre Hymne je live aufführen können?
Oh ja. Unvergesslich war das Finale von Bayern gegen Valencia, im San Siro. Wir bekamen nach endlosen, typisch italienischen Verhandlungen die Erlaubnis, mit dem Chor der Mailänder Scala zu arbeiten. Das Stadion war brechend voll. Die UEFA-Offiziellen hatten große Angst, dass uns keiner zuhören würde. Ich stand mitten auf dem Rasen, die Spieler waren schon da. Direkt neben mir stand… Wer war nochmal Bayerns großer Raufbold damals? Stefan…
… Effenberg?
Genau der. Er stand vielleicht anderthalb Meter von mir entfernt. Und wissen Sie was: Selbst der sah richtig ängstlich aus, ganz blass. Als das Orchester-Playback begann, konnte ich überhaupt nichts hören, so laut war es. Gottseidank fiel das auch den Tonleuten auf, die drehten die Musik noch ein bisschen lauter. Der Chor musste einen halben Takt überspringen und wir bekamen gerade noch den Einsatz.
Ein Auftritt vor 75.000 Zuschauern. Einer ihrer größten Momente als Musiker?
Ja. Es war so wild und verrückt und großartig. Das Erlebnis für all die Fans im Stadion und die Millionen am Fernseher noch steigern zu können, war wirklich ein sehr schönes Gefühl.
Wenn Sie Ihre Hymne mit drei Adjektiven beschreiben müssten, welche wären das?
Das ist schwer. Mal sehen… Also: Erhebend. (kurze Pause) Zugänglich. Und… (längere Pause) sagen wir: inspirierend. Ich will nicht vermessen klingen, aber diesen Zweck soll sie erfüllen.
Warum funktioniert klassische Musik in diesem Fall besser als ein moderner Jingle?
Weil sie zeitlos ist. Sie ist eine Sprache, die die Leute verstehen. Wenn Sie einen zeitgenössischen Song schreiben, Pop, Rock, House, dann wird der in einem Jahr veraltet sein. Als die Champions League überall bekannt geworden war, forderten die Sender moderne Versionen der Hymne. Wir gingen also wieder ins Studio und nahmen eine Rock-and-Roll-Version auf, eine Funk-Version und eine Disco-Version. Da waren gute Sachen dabei. Aber keiner wollte sie am Ende haben. Alle entschieden sich für die Urfassung.
Haben Sie mal Beschwerden von Verfechtern der Hochkultur bekommen, weil Sie Händel missbraucht haben?
Wenn es sie gab, dann nicht direkt an mich. Ich finde auch, dass man aufpassen muss, Klassik nicht billiger zu machen, durch schlechte Sänger etwa. Aber ich habe überhaupt keinen Zweifel, dass Georg Friedrich Händel gesagt hätte: Oh, gut für dich, mein Junge!
Erhalten Sie eigentlich auch im 21. Jahr noch Tantiemen, wenn die Hymne gespielt wird?
Ja, von der UEFA. Die übertragenden Sender bezahlen ja horrende Summen. Das bisschen, das für mich abfällt, nehme ich also keinem weg. Ich bin kein Millionär, doch es geht mir gut. Aber von dem, was die Fußballprofis kriegen, kann ich nur träumen.