Für die Wand

– Union Berlin wirbt bei seinen Fans für die neue Stadionanleihe

Berlin (dapd). Das erwartungsvolle Raunen endet abrupt, als die Profi-Mannschaft des 1. FC Union Berlin pünktlich um 13.30 Uhr den Raum betritt. Es brandet nun lauter Applaus auf, der in rhythmische, stehende Ovationen mündet. Dabei stehen diesmal gar nicht die Spieler des Fußball-Zweitligisten im Mittelpunkt. Sie sitzen in den folgenden Stunden in Reihe zwei und drei, teils mehr, teils weniger gelangweilt. Union feiert sich selbst an diesem Sonntagmittag, sich und seine Ideale. Die Vereinsführung präsentiert den über 2.000 erschienenen Mitgliedern das Konzept, ihnen die Mehrheit des Stadions An der Alten Försterei in Aktienform anzubieten.

Zeitgleich will Union mit einer neuen Tribüne bis Sommer 2013 endlich zum modernen Fußball aufschließen. Schon als die Fans, die sich stolz „Unioner“ nennen, draußen noch Schlange gestanden haben, war drinnen, an den Wänden der Ballsporthalle Hämmerlingstraße, die Animation der geplanten neuen Haupttribüne an die Wand geworfen. Einen Steinwurf weiter soll sie dann mal stehen: Ein schicker dreistöckiger Backsteinbau mit aufragenden Dachträgern, der die drei bereits sanierten Tribünen verbindet. Die 3D-Ansicht erinnert ein bisschen an die Stadionausbau-Option früher Fußball-Manager-Computerspiele. Da konnte der Spieler selbst das Stadion formen, wie er wollte.

Völlig abseits der Köpenicker Realität ist das nicht. Die Fans haben hier schließlich bereits drei Viertel des Stadions weitgehend eigenhändig runderneuert. 140.000 ehrenamtliche Arbeitsstunden kamen in der Saison 2008/09 zusammen. Ein Beispiel mit großer Außenwirkung.

Zingler sagt, was den Fans gefällt

Präsident Dirk Zingler weiß das, weshalb er auch gleich zu Beginn die Verbindung herstellt. Das Tortenstück der derzeit 57 Prozent an Vereinsanteilen am Stadion kommentiert er so: „Hier steckt die Leistung der Stadionbauer drin, hier sind eure 140.000 Stunden drin. Dafür müssen wir noch lange Dankeschön sagen.“ Nun soll jeder Fan sich also ein Stück Alte Försterei zu Hause an die Wand hängen können. In Form einer Aktie. Eine lohnende Geldanlage dürfte sie dagegen für die wenigsten werden. Aber darum soll es auch gar nicht gehen.

Zingler ist verkabelt wie ein Fernsehmoderator, er trägt seriösen grauen Zwirn über dunklem Hemd und Krawatte. Zingler spricht Schlagworte aus, die den Fans gefallen. Sie lauten „Unabhängigkeit“, „Mitbestimmung“ und „Teilhabe“. Er kann sich Seitenhiebe nicht verkneifen gegen die „Kommerz-Vereine“, das Stichwort „Red Bull“ fällt, auch „Event-Stimmung“. Die Unioner raunen. In einem Werbe-Clip für die Aktie weist Zingler eine Stadionumbenennung in „Hakle-feucht-Arena“ entnervt zurück. Die Unioner johlen.

„Wir haben uns gefragt, wem gehört das Stadion An der Alten Försterei“, ruft Zingler schließlich in den Raum, und eine Frau aus dem Publikum ruft prompt zurück: „Uns!“ Genau darum gehe es, sagt Zingler. Jeder Unioner soll sich seinen Kleinstanteil an der persönlichen Pilgerstätte sichern können. Eine Treppenstufe wäre das vielleicht, oder ein halber Wellenbrecher. Keiner darf mehr als zehn Aktien besitzen. „Eine Fremdübernahme ist unmöglich“, ruft Zingler auf Nachfrage. Kritik vonseiten der Fans gibt es kaum am Sonntag.

Fünf Millionen Euro sollen sich durch die Zeichnung von 10.000 Aktien in die Kassen des Zweitligisten ergießen. Und damit laut Zingler auch die finanzielle Unabhängigkeit beim Neubau der Haupttribüne erhöhen. Sie soll 15 Millionen Euro kosten.

Runter von der Hühnerleiter

Für die aktuelle Miniatur-Tribüne und die angrenzenden Örtlichkeiten ist das Wort provisorisch noch untertrieben. VIPs werden in angrenzenden Zelten abgespeist, Pressevertreter sitzen auf einer Hühnerleiter unterm Dach und nach dem Spiel steigt aus den Fensterschlitzen der Umkleide-Container der Dampf der Duschen in die Mixed Zone. Wenn man sich auf die Zehenspitzen stellte, könnte man wohl Kapitän Torsten Mattuschka beim Einseifen zuschauen. „Es wird deutlich bessere Bedingungen geben, als man es jetzt gewohnt ist“, sagt Dirk Thieme, der Vorstandsvorsitzende der Stadiongesellschaft.

Während diese Form von Fanaktien in Deutschland Seltenheitswert hat, sind Stadionanleihen nichts Neues. Erst am Donnerstag begann die Zeichnungsfrist bei Unions Zweitligakonkurrenten FC St. Pauli. Anteile im Wert von 1,8 Millionen Euro kauften die Fans bis Sonntagnachmittag. Die kreative Geldbeschaffung (hier in Anteilen von 100, 500 oder 1910 Euro) soll in Hamburg vor allem dem Ausbau des Trainingszentrums dienen. Vor sieben Jahren hatten Paulianer Fans den Verein mit Retter-T-Shirts, Retter-Aktionen und Retter-Spenden vor der Insolvenz bewahrt.

Dass auch Union für seine Fans eine echte Herzensangelegenheit ist, zeigt sich auf der sonntäglichen Versammlung während der zwischenzeitlichen Fragerunde. „Hallo, ick bin Smiley“, meldet sich ein Fan mit Käppi und Schal zu Wort und präsentiert den Vereinsverantwortlichen statt einer Nachfrage einfach einen Strauß Rote Rosen. Näher kommt man sich an diesem Nachmittag nicht mehr.

Union Berlin: Wir gegen alle

– Der Köpenicker Klub antwortet auf die Vorwürfe gegen Präsident Zingler mit einem Gegenangriff

Berlin (dapd). Ihren Trotz haben sie sich kultiviert in Berlin-Köpenick. „Scheißegal, scheißegal“, sangen die Fans des 1. FC Union voller Inbrunst nach der herben 0:4-Niederlage am zweiten Spieltag der 2. Liga gegen Greuther Fürth. Union und seine Fans, das ist eine ganz besonders verschworene Gemeinschaft.

Wir gegen alle anderen: Seit den Zeiten, als die Unioner sich über die Ablehnung gegen den „Stasi-Klub“ BFC Dynamo definierten, sehen sie sich jenem „ungleichen Kampf“ verschrieben, der im pathetischen Intro zu Nina Hagens Vereinshymne thematisiert wird.

Seit nun die „Berliner Zeitung“ am vergangenen Dienstag veröffentlicht hat, dass Union-Präsident Dirk Zingler bei einem dem Ministerium für Staatssicherheit unterstellten Wachregiment seinen Wehrdienst abgeleistet hat, zieht sich der Verein in die Verteidigungsstellung zurück – und hat in Person von Pressesprecher Christian Arbeit vor dem Heimspiel am Samstag den verantwortlichen Journalisten auch persönlich kritisiert.

Die Union-Familie ist ganz bei sich

Arbeit, Presse- und Stadionsprecher in Personalunion, lief mit dem Mikrofon über den Rasen und holte vor 15.000 Anwesenden gegen den in der Bundesrepublik geborenen Autor des Enthüllungsartikels aus: „Ich glaube, dass wir uns die Dinge nicht erklären lassen müssen von Leuten, die damals gar nicht hier waren und dann irgendwann nach Berlin gekommen sind.“

Ein begeistertes, dreifaches „Eisern Union!“ schloss sich an – die Union-Familie war wieder ganz bei sich, vereint in der Skepsis gegenüber all jenen, die ohnehin die Seele dieses gallischen Dorfes unter den deutschen Profiklubs nie begreifen würden.

Arbeit hat damit das Thema erneut aufgegriffen und die Frontstellung zementiert: Hier Union. Da die Journalisten. Wir gegen euch. „Wir können ja nicht so tun, als wäre nichts passiert, wenn die ganze Woche über jede Zeitung in Berlin praktisch täglich über das Thema berichtet hat“, sagt Arbeit auf dapd-Nachfrage.

Ihn störe die „Interpretation“ von Zinglers Armeezeit. Genauer: „Dass die Wehrdienstableistung von Dirk Zingler im Wachregiment Feliks Dzierzynski quasi als Stasi-Tätigkeit bezeichnet wird, obwohl zum Beispiel die ‚Berliner Zeitung‘ bei einem eigenen Mitarbeiter mit juristischen Mitteln gegen genau diese Gleichsetzung vorgegangen ist.“ Dass der angesprochene Zusammenhang in dem Artikel gar nicht explizit hergestellt wird, ändert für ihn nichts: „Je weiter sie aus Berlin weggehen, in München oder anderswo, bleibt als Zitat in den Zeitungen dann nur noch ‚Zingler war Stasi-Mann‘ übrig“, sagt Arbeit.

Auch über die „Art und Weise des Umgangs“ empört sich Arbeit: „Der Autor des ersten Artikels zu diesem Thema wusste genau, dass Dirk Zingler gerade im Urlaub war, als der Beitrag veröffentlicht wurde.“

Zingler weilt noch im Urlaub

Der offizielle Standpunkt des 1. FC Union ist, dass Zingler bei seiner Wahl zum Präsidenten im Jahre 2004 den Aufsichtsrat über seinen Wehrdienst in Kenntnis gesetzt hat – und das Gremium diesen nicht als ehrenrührig empfunden hat. Zingler weilt noch im Urlaub und hat sich noch nicht erklärt.

Vielleicht haben sich bis zu seiner Rückkehr die Wogen etwas geglättet. Festzuhalten bleibt: Dass Union beim Schlagwort „Stasi“ empfindlich reagiert, mag in der Klubgeschichte begründet liegen. Dass aber der Pressesprecher eines Vereins im vollen Stadion einen kritischen Journalisten attackiert, ist eine zumindest ungewöhnliche Praxis. Die Spieler jedenfalls wollen sich nur aufs Sportliche konzentrieren. Auf die Frage, ob die Debatte die Leistung auf dem Feld beeinträchtige, sagte Patrick Kohlmann: „Ich hoffe nicht.“