Der zauberhafte Doktor

– Der verstorbene Socrates, Meister der Eleganz, wird für die Brasilianer unsterblich bleiben

Berlin/Sao Paulo (dapd). Es sieht so wahnsinnig leicht aus. Mit einem Kontakt stoppt der Mann mit der Nummer acht den planlos herausgeschlagenen Ball. Mit einer zweiten Berührung und einem kleinen Hopser lässt er den ersten Gegner ins Leere grätschen, mit einer kurzen Körpertäuschung verlädt er den nächsten. Aus vollem Lauf wirbelt er dann um 90 Grad herum und, das rechte Bein federt die Lederkugel aufs Tor. Sie streicht genau unter der Querlatte ins Netz. Die Brasilianer bestürmen ihren genialen Anführer Socrates, der gerade den 1:1-Ausgleich gegen die Sowjetunion erzielt hat. Eines der schönsten Tore der WM 1982, ein Treffer, der die spielerische Eleganz, die fantastische Leichtigkeit, mit der dieser bärtige Kinderarzt aus Belem Fußball spielte, auch Jahrzehnte später noch verdeutlicht.

Socrates, Herz und Kopf der ebenso legendären wie ungekrönten brasilianischen Selecao der Achtzigerjahre, ist tot. Er hat seinen Körper zugrunde gerichtet mit Unmengen von Alkohol und Zigaretten. Er starb in einem Krankenhaus in Sao Paulo und wurde nur 57 Jahre alt.

Schon während seiner aktiven Karriere hat er getrunken und geraucht. Beides nicht in Maßen und auch nicht verhohlen. Im Sommer konnte die Welt ihm noch einmal ins Auge blicken. Auf den veröffentlichen Porträtfotos vor hellem Hintergrund schaute den Fans aus aller Welt ein Mann mit aufgequollenem Gesicht und müden Augen entgegen. Nur das charakteristische Stirnband erinnerte an bessere, an glorreiche Zeiten. Socrates war da längst ein schwerkranker Mann, im August und September kam er nach Not-Operationen noch einmal mit dem Leben davon. Am frühen Sonntagmorgen gab sich sein Körper dann geschlagen.

In der Erinnerung der Brasilianer ist er dagegen schon lange unsterblich, zusammen mit seinen kongenialen Mitspielern wie Zico, Falcao und Toninho Cerezo hat er eine Nation verzaubert, am meisten wohl bei der WM 1982. Ein Turnier, das im Finale Italien, mit drei Unentschieden gerade so in die zweite Runde gelangt, gegen das rumpelnde Deutschland gewann. Die Brasilianer dagegen scheiterten im entscheidenden Spiel der Zwischenrunde trotz wunderschöner Tore von Socrates und Falcao an der eigenen Schlampigkeit in der Abwehr und an der Cleverness des italienischen Dreifachtorschützen Paolo Rossi. 2:3 heißt es am Ende, ein 2:2 hätte für das Halbfinale gereicht.

Auch vier Jahre später gelingt der wohl spielstärksten Selecao, die es je gab, nicht der Titelgewinn. Im Viertelfinale siegt Frankreich im Elfmeterschießen. Socrates vergibt gleich den ersten Versuch. So blieb eine großartige Karriere ungekrönt.

25 Jahre nach seinem letzten Länderspiel ist das Leben eines der größten Fußballspielers zu Ende gegangen. Die Frage nach dem Warum hat er selbst vor einiger Zeit mit einem Achselzucken beantwortet. Warum die vielen Kippen, der Suff, Socrates? Es habe einfach zu gut geschmeckt, antwortete der Arzt, der den Fans des schönen Spiels unvergesslich bleiben wird.

Feinde fürs Leben

– Derbys bringen das Schlimmste und Schönste des Sports hervor – „Chaos, dazu sind sie da“

Berlin (dapd). Miroslav Klose ist unsterblich. Aus einem ganz einfachen Grund: Nicht als WM-Torschützenkönig oder Mann, der bald Gerd Müller abgelöst haben wird. Sondern als der Stürmer, der Lazio Rom zur Stadtherrschaft geschossen hat. Mit seinem Siegtor in der Nachspielzeit des Derbys gegen AS hat sich der Deutsche, den sie nun liebevoll „il panzer“ nennen, im Oktober auf ewig die Herzen der Laziali gesichert.

Fußball-Derbys befördern die Extreme dieses Sports an die Oberfläche. Bei Derbys werden Helden gemacht, doch die schönste Nebensache der Welt kann genauso schnell zur schlimmen Hauptsache werden. Bleiben wir zunächst in Rom: Im April 2010, Lazio verlor 1:2, gab es böse Ausschreitungen auf den Rängen – und nach dem Schlusspfiff auch wildes Geschubse auf dem Platz. Ein internationaler Live-Kommentator ordnete das Geschehen lakonisch ein: „Und natürlich endet das Derby im Chaos. Dafür sind sie da.“

Chaos und Gewalt, die ewigen Begleiterscheinungen dieser allzu oft als Ventil aller möglicher reellen oder längst verblichenen Feindschaften dienenden Spiele. „Knietief in Katholikenblut“ waten beispielsweise die Anhänger der Glasgow Rangers dem „Old Firm“, dem legendären Match gegen Celtic, entgegen. Diese Zeile jedenfalls schmettern die Fans des Protestanten-Klubs in der martialischen Hymne „The Billy Boys“ ihren besten Feinden in Grün-Weiß entgegen. Konfessioneller Hass, der selbst die UEFA auf den Plan rief.

In Griechenland nutzen Fans von Panathinaikos Athen und Rivalen wie Olympiakos Piräus oder AEK Athen selbst Frauen-Volleyballspiele, um aufeinander einzuhauen und zu -stechen. Im polnischen Krakau gab es erst Anfang des Jahres einen Toten bei Auseinandersetzungen zwischen Wisla und Cracovia.

Wann ist ein Derby ein Derby?

Nicht nur Zerstörungswut, auch Kreativität entsteht in diesen Extremsituationen. Das zeigt das Beispiel der Dortmunder Fans, die einst tatsächlich ein Flugzeug anmieteten, um damit ein Transparent mit der Aufschrift „Ein Leben lang keine Schale in der Hand“ durch den Himmel über der Schalker Arena zu ziehen.

Doch wann ist ein Derby ein Derby? Wichtigstes Kriterium ist zunächst die örtliche Nähe der beiden Klubs, auch wenn es hier gewichtige Ausnahmen gibt: Über 600 Kilometer fahren die Mannschaften von Real Madrid und FC Barcelona zu den Auswärtspartien des spanischen „Clasico“, der sich vor allem aus kulturellen und politischen Gegensätzen aus der Franco-Zeit speist.

Besonders nah sind sich dagegen die Teilnehmer des Merseyside-Derbys, der FC Liverpool und der FC Everton, deren Vereinsgelände weniger als eine englische Meile auseinanderliegen.

Neunzig Minuten Klassenkampf

Ebenso oft werden soziale Differenzen zwischen den Klubs bemüht. Beim „Superclasico“ von Buenos Aires zwischen den proletarischen Boca Juniors und dem reichen River Plate tobt in regelmäßigem Abstand also 90-minütiger Klassenkampf. Inwiefern dieses einmal kultivierte Bild überhaupt noch gültig ist, spielt keine Rolle. Derbys leben eben hauptsächlich von der Tradition, die Jahr um Jahr erneuert wird.

Auf dem und abseits des Spielfelds geht es daher auch um spektakuläre Aktionen, die allen unvergesslich bleiben. In diese Kategorie fällt sicherlich der geisteskranke Coup der Fans von Inter Mailand, die es 2001 zum Derby gegen den AC fertigbrachten, eine ganze Vespa in den Block zu schmuggeln und den Motorroller in den Unterrang purzeln zu lassen.

Während es an der Echtheit von Duellen wie AC gegen Inter nichts zu deuteln gibt, existieren jedoch auch Derbys, die eigentlich gar keine sind. Das Zweitligaspiel des FSV Frankfurt gegen die Eintracht Ende August (Endstand 0:4) erregte die Gemüter kaum. Die wahren Konkurrenten in der Region sehen die Eintracht-Fans dann doch eher in Offenbach oder Kaiserslautern. Die TSG Hoffenheim schließlich hat mangels Historie in den oberen Ligen überhaupt noch keine Derby-Erfahrung. Auch Feindschaft muss man sich eben erst erarbeiten.

Hiddink beschwört zum Abschied eine jugendliche Zukunft

– Der scheidende türkische Nationaltrainer schwärmt von den jungen Deutsch-Türken – Kein „Houdini-Trick“

Zagreb (dapd). Alle warten auf das, was nun kommen wird. Auf das, was kommen muss. „Schalten Sie ihre Mobiltelefone aus!“, hat der Pressesprecher des türkischen Verbandes soeben der dicht gedrängten Versammlung befohlen, und auch Guus Hiddink leistet Folge. Verstohlen steckt der Cheftrainer sein abgeschaltetes Handy in die Innentasche seines Sakkos. Das Dienstgerät ist aus, das Spiel ist es schon länger, die Türkei in den EM-Playoffs klar an Kroatien gescheitert. Hiddink wird nun tun, was alle erwarten: Seinen Rücktritt bekannt geben.

Allein, diesen Gefallen tut der Niederländer den Medienvertretern nicht, an diesem Dienstagabend in Zagreb, exakt eine Woche nach seinem 65. Geburtstag. Erst auf Nachfrage sagt er überhaupt etwas zu seiner Zukunft: „Die Möglichkeit ist groß, dass dies mein letztes Spiel mit der Türkei war“, sagt Hiddink. Später spricht er allgemein von einer „Auszeit“, die er sich nehmen wolle, „um selbst in meinem Alter darüber nachzudenken, wie meine Zukunft aussieht“. Mit feiner Ironie lässt der Niederländer im Moment des Scheiterns die türkische Presse ins Leere laufen. Erst am kommenden Tag wird sie die Nachricht bekommen, nach der es sie dürstet.

Am Dienstagabend jedoch nutzt Hiddink noch die ungeteilte Aufmerksamkeit, um seine eigene Botschaft zu platzieren. Dieses Rückspiel in Zagreb, bei dem sein Team nach dem 0:3 von Istanbul unterm Strich chancenlos geblieben ist, begreift er nicht als Ende, sondern als Anfang. „Ich denke, wir können stolz auf dieses junge Team sein, und Sie sollten es auch sein“, sagt der Coach und blickt mit wachen Augen in die Runde. Acht Neue hatte Hiddink gegenüber dem Hinspiel in die Startelf genommen, teils um die vielen Gelbgesperrten zu ersetzen, teils wohl auch, um ein klares Zeichen für die Jugend zu setzen. „Wenn Sie heute von Versagen sprechen, weiß ich nicht, ob Sie einen realistischen Blick auf den Fußball haben“, bügelt er einen türkischen Journalisten ab. Kurze Pause. „Ich bezweifele es.“

Hiddink schwärmt von den Deutsch-Türken

Besonders lobt Hiddink die Deutsch-Türken. Er bedaure, dass Nuri Sahin und Mehmet Ekici nicht hätten dabei sein können. „Ömer Toprak machte sein erstes Spiel. Gökhan Töre ist erst 19 Jahre alt. Sie haben sich sehr gut verkauft“, sagt Hiddink. Der 22-jährige Leverkusener Verteidiger hatte bei seinem ersten Einsatz für das Heimatland seiner Eltern gleich in der Startelf gestanden, HSV-Dribbler Töre war bereits nach 36 Minuten ins Spiel gekommen. „Als ich dieses Projekt angefangen habe, hatten wir einige Ziele. Hauptsächlich ging es darum, das Team jünger zu machen“, sagte Hiddink. „Wenn das mit der Qualifikation für die EM einhergegangen wäre, umso besser. Aber das war keine unmittelbare Forderung. Deshalb habe ich mir nichts vorzuwerfen.“

Nach fast 30 Jahren im Trainergeschäft ist ihm natürlich bewusst, dass solche Zielsetzungen für die Öffentlichkeit wenig taugen, und besonders wenig in der traditionell fußball-hysterischen Türkei. Seinen vielleicht letzten öffentlichen Auftritt als Nationalcoach nutzt der Holländer auch deshalb dazu, für Nachhaltigkeit zu werben. Er kritisiert die Arbeit der türkischen Vereine, lobt „Frankreich, besonders Deutschland und Holland“, wo die Vereine gezwungen seien, jungen Spielern eine Chance zu geben. „In der Türkei basiert derzeit alles auf einzelnen Erfolgen: Haben wir es geschafft oder nicht?“

Kein „Houdini“ in Zagreb

Das sei nicht der Weg, mahnt Hiddink und wird dann noch fast philosophisch: „Die Ausbildung der Jungen ist der Schlüssel. Wir dürfen uns nicht beherrschen lassen von den Emotionen des Tages.“

Vier Tage hatte Hiddink nach dem 0:3-Debakel von Istanbul Zeit, sich auf diesen Auftritt vorzubereiten. Ebenso wie seine junge Elf hatte er nichts zu verlieren. Seine Ideale hat er noch einmal vehement verteidigt. Sein Amt konnte er nicht retten. Dazu hätte es schon des von ihm nach dem Hinspiel beschworenen „Houdini-Tricks“ bedurft. An den aber hat vielleicht nur manch Abergläubischer auf den Rängen geglaubt, in dem Moment, als Selcuk Sahin kurz nach der Halbzeit seine feuerroten Handschuhe genau auf der Begrenzung des Mittelkreises liegen ließ. Eine Art Voodoo-Ritual, das die Kroaten doch noch entscheidend lähmen würde? Am Ende nur eine Vergesslichkeit beim Schuhe schnüren.

Slaven Bilic schließt Türkei-Kapitel ab

– Kroatiens Coach und Ivica Olic sind die großen Gewinner der Playoffs

Zagreb (dapd). Am Ende der eiskalten Nacht von Zagreb wurde es dann doch noch feurig. An allen vier Seiten des Stadions Maksimir sprühten die Funken des Feuerwerks, mittendrin sprangen sie im Kreis, die „Vatreni“, wie die kroatischen Fußball-Auswahlspieler genannt werden, was übersetzt passenderweise etwa „die vor Leidenschaft Brennenden“ heißt. Nach dem beherzten Auftritt von Istanbul, der in einen 3:0-Sieg gemündet war, verlief das torlose Rückspiel in der kroatischen Hauptstadt am Dienstagabend bei Temperaturen um den Gefrierpunkt auch spielerisch eher unterkühlt.

Trainer Slaven Bilic machte das nichts aus, im luftigen Anzug ohne Mantel bewältigte er die 90 Minuten, eifrig in der Coachingzone hin- und herlaufend. Auch die Lauffreude seiner Spieler stimmte erneut, jedenfalls nach zittriger Anfangsphase, weshalb sich die Kroaten völlig verdient für die EM 2012 qualifizierten. „Man hat der Mannschaft am Anfang schon angemerkt, dass wir Respekt vor einem frühen Gegentor hatten, was den Türken noch einmal Leben eingehaucht hätte“, erläuterte Bilic, „deshalb waren alle, die Spieler, ich und der Betreuerstab, sehr angespannt.“

Nach dem Spiel tat Bilic beim Tanz in den EM-Sommer eifrig mit. Der kroatische Trainer darf auch persönlich als Sieger der Neuauflage des Viertelfinales von Wien 2008 (4:2 nach Elfmeterschießen für die Türkei) gelten. „Es ist noch nicht vorbei, der Fußball ist unberechenbar“, hatte der 43-jährige ehemalige Bundesliga-Profi gleich nach dem deutlichen Hinspielsieg gemahnt. Zu früh jubeln, diesen Fehler wollte Bilic keinesfalls wiederholen. Damals, in Wien, war er nach Ivan Klasnics vermeintlichem Siegtor in der 119. Minute prompt auf die Jubeltraube seiner Spieler gesprungen. Doch dann kam Sentürks Ausgleich und das Ausscheiden im Elfmeterschießen. Und Bilic war in der Heimat plötzlich der, der die Mannschaft in ihrem gefährlich frühen Jubel unterstützt hatte.

Von Rache will Bilic nichts wissen

„Diesmal waren wir bis zum Ende konzentriert und haben nicht zugelassen, dass uns die Türkei rausschmeißt wie 2008 in Österreich“, sagte Darijo Srna. Bilic selbst wollte nach dem unfallfrei verlaufenen Rückspiel in Zagreb nichts wissen von einer besonderen Motivation. „2008 ist eine gute Geschichte für die Medien, aber wir wollten uns nur qualifizieren“, sagte der Coach, und etwas Ungeduld schwang in seiner Stimme mit. Schon wieder das leidige Thema! Das Wort „Rache“ habe im Sport keinen Platz, sagte Bilic.

„Heute ist Slaven ein König und wir sind eine Super-Mannschaft, so ist der Fußball“, fasste Bayern-Stürmer Ivica Olic augenzwinkernd die Gesetzmäßigkeiten zusammen und verwies auch auf den bevorstehenden Rauswurf von Bilics vormals hochgelobtem Gegenüber Guus Hiddink.

Großer Gewinner Olic

Neben Bilic ist Olic der große Gewinner dieser Playoffs. Vor mehr als einem Jahr hatte der Langzeitverletzte zuletzt in einer Startformation gestanden, am 9. Oktober 2010 gegen Israel. Und dann wieder in Istanbul, wo er in der zweiten Minute die Führung schoss. Er habe sich in drei Trainingseinheiten mit dem kroatischen Team richtig reingehängt, sagte Olic, und seinen Coach damit beeindruckt. „Dann hat er mir gesagt: ‚Ich muss dich bringen, es ist egal, dass du solange nicht gespielt hast.‘ Natürlich war das auch viel Vertrauen von ihm.“

Der Dauerkämpfer sorgte mit Sturmpartner Mario Mandzukic vom VfL Wolfsburg dafür, dass das türkische Spiel bereits im Aufbau ins Stocken geriet und fuhr im Hin- wie Rückspiel unermüdlich Konter. In der Winterpause wird er Bayern München wohl verlassen, um im EM-Jahr genügend Einsätze zu bekommen.

Bilic kann sich mit seiner Mannschaft nun in Ruhe auf die EM vorbereiten. Sein Stern steigt wieder. Es wird bereits spekuliert, dass er nach dem Euro-Turnier im Sommer zu einem Premier-League-Klub nach England wechselt. Der nächste logische Karriereschritt, auch finanziell. Nach der Niederlage in Griechenland Anfang Oktober, mit der die Kroaten die direkte Qualifikation verspielten, schien er als Nationaltrainer bereits erledigt.

Unbekannt ist derzeit noch, ob sein Trainer als Gitarrist mit seiner Rockband Rawbau erneut einen Turniersong einspielt. So wie 2008, als das eingängige Stück „Vatreno ludilo“ („Feuriger Wahnsinn“) zur inoffiziellen kroatischen EM-Hymne wurde. „Bilic ist ein guter Mann“, sagt der Kioskverkäufer in Zagreb, „aber der Song, naja, der war okay.“ Kritik am Trainer muss man dieser Tage in Kroatiens Hauptstadt diplomatisch formulieren.

Das Bangen der Stars

– Nicht nur Cristiano Ronaldo könnte die EM verpassen

Berlin (dapd). Wo genau Wayne Rooney den Sommer 2008 verbracht hat, ist unerheblich. Er wird irgendwo am Strand gelegen haben. Wichtig ist, wo er ihn nicht verbracht: In Österreich und der Schweiz. Für die vergangene Fußball-Europameisterschaft konnten sich die Engländer bekanntlich nicht qualifizieren. Und am Freitag und Dienstag wird sie ebenfalls wieder mit im Spiel sein, die Angst vor dem Scheitern, wenn es in den Playoff-Duellen um die letzten vier Plätze bei der EM in Polen und der Ukraine geht.

Cristiano Ronaldos Ego ist legendär, doch selbst er wird vor den schwierigen Spielen gegen Bosnien vermutlich den einen oder anderen Moment des Zweifelns durchleben. Der Gedanke wäre nur menschlich: Was, wenn es doch schiefgeht? Gerade hat Ronaldo sein 100. Pflichtspieltor für seinen Klub Real Madrid erzielt, doch in dieser Länderspielpause geht es um mehr. Einer wie er kann sich eine verpasste EM, immerhin das zweitgrößte Fußballereignis weltweit, schlicht nicht leisten – vor seinen Sponsoren nicht, vor sich selbst schon gar nicht.

Alles werden er und seine Mitstreiter also in diese 180 plus x Minuten legen, wie Ronaldos Sturmkollege Helder Postiga bestätigt: „Wir sind komplett auf Bosnien konzentriert. Wir denken nur an die beiden Spiele.“ Wie eng das alles werden kann, wissen die Portugiesen. Vor zwei Jahren mühten sie sich, ohne Ronaldo, zu zwei knappen 1:0-Siegen gegen die Bosnier und damit zur WM in Südafrika.

Portugal gegen Bosnien ist zweifellos das Topduell der großen Namen. Auf der anderen Seite will Edin Dzeko sein Land zum Europa-Turnier schießen. Die Zeichen stehen gut: Nach halbjähriger Eingewöhnungsphase trifft der 37-Millionen-Euro-Mann für Manchester City mittlerweile, wie er will. Zehn Tore in neun Spielen in der Premier League, auch in den letzten beiden Gruppenspielen der EM-Qualifikation war er zur Stelle.

Bereits nach der Playoff-Auslosung Mitte Oktober schob Dzeko die Verantwortung hinüber zum Weltstar von Real: „Jedes Team, in dem Ronaldo spielt, ist Favorit.“ Sein Trainer Safet Susic sieht die beiden Topstürmer derweil fast schon auf Augenhöhe: „Warum sollte uns also nicht eine Überraschung gelingen? Die haben Cristiano Ronaldo, wir haben Edin Dzeko.“ Die Portugiesen kämpfen derweil auch für die eigene Erfolgsserie, seit 1996 sind sie bei EM-Turnieren immer mindestens ins Viertelfinale gekommen.

Auch bei den anderen Playoff-Paarungen könnten große Namen auf der Strecke bleiben. Dzekos kroatischer Premier-League-Kollege Luka Modric muss sich in zwei erwartbar hitzigen Spielen gegen die Türkei durchsetzen, ihm zur Seite steht eine ganze Armada derzeitiger und ehemaliger Bundesliga-Profis, mit Wolfsburgs Mario Mandzukic an der Spitze. Die Türken ihrerseits verfügen seit diesem Jahr über zwei Profis von Real Madrid. Während Hamit Altintop seine Mannschaft wie gewohnt als Kapitän aufs Feld führen wird, ist Nuri Sahin nach langer Verletzung noch nicht mit dabei.

Die Tschechen Tomas Rosicky und Milan Baros sind mit ihren mittlerweile 31 und 30 Jahren schon als Altstars zu klassifizieren, ihr großer Auftritt auf Europas Bühne liegt bereits sieben Jahre zurück. Gegen Montenegro um die Italien-Profis Mirko Vucinic (Juventus) und Stevan Jovetic (Florenz) will der Halbfinalist von 2004 nach dem Vorrunden-Aus 2008 nun zunächst das Minimalziel erreichen: Die Verlosung der EM-Gruppen am 2. Dezember in Kiew. Je nach Verlauf der Playoff-Spiele dürfte dann der eine oder andere Starspieler zähneknirschend auf dem heimischen Sofa sitzen.

Mit Ailton an die Spitze

– APOEL Nikosia überrascht Europas Elite – Erster vor Zenit und Porto

Berlin/Nikosia (dapd). Zuhause sind sie schon lange eine Macht. Ihr Name hallt klangvoll wider, von Paphos bis Famagusta. 21 Mal schon haben die Fußballer von Apoel Nikosia die zyprische Meisterschaft gewonnen, und es könnte gut sein, dass im Sommer Titel Nummer 22 dazukommt. Doch vielleicht brechen sie noch ein, die Spieler von Trainer Ivan Jovanovic, denn sie leisten derzeit geradezu Unglaubliches als Gruppenerster in der Champions League und tun dies unter Umständen auch im kommenden Frühjahr noch – das wiederum wäre neu.

Am Dienstag haben sie den Europa-League-Sieger FC Porto geschlagen, auf ganz wunderbare Weise. In der 89. Minute hatte Portos Superheld Hulk per Elfmeter den lange erwarteten Ausgleich für den Favoriten erzielt. Doch dann ließen die lässigen Portugiesen die flinken Zyprer noch einmal kontern, und Gustavo Manduca vollendete einen messerscharfen Konter zum Siegtreffer. „Das ist sicherlich einer der wichtigsten Momente in der Geschichte dieses Teams“, sagte Coach Jovanovic. APOEL Nikosia ist nach vier Spielen Spitzenreiter der Gruppe G. Mit acht Punkten knapp vor Zenit St. Petersburg (7) und dem FC Porto (4). „Das ist wirklich ein historisches Resultat für den Klub“, sagte Jovanovic.

Umgeben von 22.000 Verrückten

Keiner hatte sie auf dem Zettel, natürlich nicht. Nikosia? Zypern? Wie soll man als europäisches Spitzenteam die Reise auf die ferne Insel auch ernst nehmen? Ein kurzer Trip in die Sonne, verziert mit drei Punkten und einer hübschen Prämie. Mehr nicht. Und plötzlich ist man von 22.000 Verrückten umgeben.

„Sie haben gezeigt, dass sie zu den besten Fans der Welt gehören“, schwärmte Manduca. „Sie haben uns 90 Minuten lang nach vorne getrieben, gesungen und daran geglaubt, und sie haben uns das spüren lassen.“ Nach dem Schlusspfiff tanzten die kanariengelben APOEL-Spieler dann zusammen mit ihrem treuen Anhang.

Schlüssel zum Fußballwunder Marke „Gallisches Dorf“ ist zum einen eine gesunde Selbsteinschätzung: „Wir wissen wer wir sind, wir kennen unsere Gegner, wir haben großen Respekt vor Porto, Zenit, Schachtjor“, sagte Jovanovic (was bei besagten Gegnern umgekehrt nicht unbedingt der Fall sein dürfte). „Wir haben viel Selbstvertrauen und gehen in diese Spiele, um zu zeigen, zu was wir fähig sind.“

Zum anderen ist der athletische Fußballklub der Hellenen aus Lefkosia, kurz: APOEL, auf fast erschreckende Weise effizient: Zwei Torschüsse reichten zum 2:1-Sieg gegen Porto. Vorne hilft nicht der liebe Gott, sondern einer, dessen Name für Spektakel spricht: Ailton. Der Namensvetter des ehemaligen Bundesliga-„Kugelblitzes“ ist Brasilianer, 27 Jahre alt, war vorher beim FC Kopenhagen, davor in Schweden. In diesem Jahr kommt er bislang auf sieben Tore in neun Champions-League-Einsätzen, Qualifikation mitgerechnet. „Wir haben viel geleistet, um unsere Punkte zu holen. Wir verdienen es, hier zu sein. Wir haben große Qualität als Team gezeigt“, stellte Ailton fest.

Gegen Wisla schon so gut wie draußen

Dabei schien es vorbei zu sein, bevor es anfing: Im Qualifikations-Playoff gegen Wisla Krakau waren die athletischen Hellenen nach dem 0:1 im Hinspiel und beim Stand von 2:1 im Rematch ausgeschieden, als Ailton, wer sonst, in der 87. Minute das Tor zum großen Geld aufstieß. In der Gruppenphase folgen die Ergebnisse bislang der goldenen Regel: 2:1 zuhause, 1:1 auswärts. Wenn das so weiter geht, steht dem Achtelfinale nichts mehr im Wege – es ist ohnehin nur noch ein Sieg aus den letzten beiden Spielen nötig.

Der nächste Gegner aber könnte für das Ensemble der Brasilianer, Portugiesen und Zyprer der schwerste sein. Am 23. November geht es in St. Petersburg gegen Väterchen Frost. Für das kommende Ligaspiel am Samstag sind dagegen erst einmal wohlige 20 Grad und Sonnenschein angesagt. Der Gegner heißt übrigens Nea Salamis und kommt aus Famagusta.

Der ewig Strebende feiert Jubiläum

– Cristiano Ronaldo vor seinem 100. Einsatz für Real Madrid

Berlin (dapd). Es ist eine Szene, die ein bisschen was erzählt über den Ehrgeiz dieses jungen Mannes. Völlig außer sich ist er, biegt und streckt sich wie eine wild gewordene Schraubfeder. Gestikuliert und schimpft. Reißt sich die Binde vom Arm und schmeißt sie ins Gras.

Gerade ist Cristiano Ronaldo ein großartiges Tor kaputt gemacht worden, ein Tor, vor dem er den Weltmeister Pique mit einer Körpertäuschung hat ins Leere grätschen lassen, sich den Weltmeister Xabi Alonso mit einem blitzschnellen Sohlentrick vom Leib gehalten, schließlich den Weltmeister-Torwart Iker Casillas mit einem Heber überlistet hat – das alles innerhalb von Zehntelsekunden. Und dann springt dieser Nani aus dem Abseits in den Ball und macht auf der Torlinie alles noch zunichte.

Da kann man sich schon mal aufregen.

Cristiano Ronaldo, 26 Jahre, Fußballprofi bei Real Madrid, will den Erfolg so sehr wie wenige sonst. In der Jugend lachten seine Mitspieler ihn aus wegen seines Madeira-Slangs. Vielleicht will er es ihnen allen immer noch beweisen.

Für Real bestreitet Ronaldo am Samstag sein 100. Pflichtspiel. Wenn er fünf Tore schießt gegen Betis Sevilla, was nicht ganz ausgeschlossen ist bei einem wie ihm, feiert er ein doppeltes Jubiläum. Aktuell steht er bei 95 Treffern. Das ist im modernen Fußball schlichtweg der Wahnsinn.

„Jeder, der den Fußball liebt, freut sich, wenn Cristiano Ronaldo spielt“, hat er kürzlich erst gesagt. Darüber lässt sich trefflich streiten. Nicht wenigen geht die extrovertierte, zuweilen selbstverliebte Art des Portugiesen auf die Nerven. Seine sportliche Bilanz ist jedoch über jeden Zweifel erhaben. Im Star-Team von Real bekommt er das Futter, das er braucht. Mit erwähntem Resultat.

Ronaldos Ambition ist grenzenlos. Im letzten Jahr, als die Meisterschaft längst zugunsten des FC Barcelona entschieden war, lieferte er sich ein Privatduell mit Lionel Messi um die spanische Torjägerkrone. Um gar nicht erst groß rechnen zu müssen, schoss Ronaldo in den letzten vier Spielen elf Tore. Am Ende hatte er 40 Treffer erzielt, neun mehr als Messi, der wiederum elf mehr hatte als der nächste. 40 Tore in 34 Spielen.

Die Kritiker halten ihm vor, dass er mit Portugal noch keinen Titel gewonnen hat. 2004 zum Beispiel, im EM-Finale zuhause gegen die Rumpel-Griechen. Das ist ungerecht. Wäre es nicht viel eher an einem wie Luis Figo gewesen, dem 31 Jahre alten Routinier, als an dem damals 19-jährigen Ronaldo, das Team aus der Lethargie zu reißen? Diese Woche verpassten die Portugiesen mal wieder die direkte Qualifikation für ein großes Turnier. In den Playoffs wird sie sich mal wieder auf ihn verlassen müssen, diese Landesauswahl, die an einem schlechten Tag auch mal 4:4 gegen Zypern spielt.

Nein, auch in großen Spielen fällt er nicht ab, der Mann, der Real Madrid im April in der Verlängerung zum ersten Pokalsieg seit 18 Jahren köpfte.

In Wahrheit gibt es wohl wenige, die so hart an sich und ihrer Form arbeiten wie Ronaldo – man muss sich nur mal diesen Oberkörper anschauen. Und selbst im Bett macht er ja noch fleißig Rumpfübungen, nach allem was man so hört.

Bleibt zu gratulieren zum Hundertsten, mehr als ein Zwischenschritt ist es nicht für den ewig Strebenden. Sie werden ihn gebührend feiern am Samstag im Estadio Santiago Bernabeu. Vielleicht sogar für ein doppeltes Jubiläum. Auszuschließen ist es, wie gesagt, nicht.

Hellblau ist die Hoffnung

– Miroslav Klose will beim Römer Derby am Sonntag unbedingt spielen – Bei Lazio ist er aufgeblüht

Berlin (dapd). Dabei sein ist alles. Wie gut das passt. Die Gründer von Lazio Rom schenkten Miroslav Kloses Klub vor 111 Jahren das Hellblau der griechischen Nationalflagge, als Referenz an die olympische Bewegung. Dabei sein ist alles, auch für Klose, der seinen Knieproblemen zum Trotz am Sonntag unbedingt Fußball spielen will. Dann trifft Lazio auf den ewigen Stadtrivalen AS. Für den deutschen Nationalstürmer wäre es das erste ganz große Highlight seit seiner Alpenüberquerung im Sommer.

Klose will dabei sein. Immer. „Für mich war es wichtig, in einer Mannschaft gebraucht zu werden“, sagte er unlängst als Erklärung für seinen Wechsel von Bayern München in die Serie A der „Rheinpfalz“, die dort erscheint, wo sie Klose immer noch am liebsten haben, den Pfälzer Bub aus Kusel.

Bei Lazio Rom wird Klose gebraucht. Immer. Trainer Edoardo Reja hat ihn bislang stets von Anfang an gebracht. Der Deutsche dankt es ihm. Drei von sieben Lazio-Toren hat Klose in der Liga erzielt – und auch in der Europa League bislang bei jedem Einsatz getroffen. Fünf Pflichtspieltreffer – dafür brauchte er bei den Bayern zuletzt ein ganzes Jahr. Weil man ihm dort das Gefühl gab, nicht gebraucht zu werden. Eingewechselt wurde er, irgendwo in der Grauzone zwischen 63. und 83. Minute. Nichts für einen wie Klose.

Denn bloß dabei zu sein, reicht ihm natürlich nicht. Er will laufen, kämpfen, treffen, den sprichwörtlichen Unterschied machen. Wenn man sieht, wie sich Klose im hellblauen Jersey über den Platz bewegt, aufrecht, explosiv, gefährlich, und das vergleicht mit dem gebeugten, schon abwesenden Klose, der in seinem vorerst letzten Bundesliga-Spiel das leere Tor aus Meterweite verfehlte – dann will man nicht glauben, dass das derselbe Fußballspieler ist.

„Das Spiel des Jahres für die Stadt“

An der Seite von Sturmpartner Djibril Cisse blüht Klose auf, aber auch ohne ihn, wie im Europa-League-Spiel bei Sporting Lissabon, als er zur Halbzeit plangemäß für den Franzosen ausgewechselt wurde, vorher aber schnell noch sein Törchen machte.

Nun also das Römer Derby. Die weinrote Roma hat die letzten fünf gewonnen. „Es ist das Spiel des Jahres für die Stadt“, sagt Thomas Berthold, AS-Spieler von 1989 bis 1991. „Mit einem Derbysieg kannst du alles wieder gut machen, du kannst mit einem Spiel die ganze Saison retten.“

Zu retten gilt es für die zwei Erzfeinde neben der Herrschaft über die Stadt einstweilen auch den Kontakt nach oben. Beide Klubs stehen nach durchwachsenem Start drei Punkte hinter Tabellenführer Juventus.

Berthold weiß, dass nichts die Gemüter der Römer so bewegt wie dieses Spiel. Er hat es selbst erfahren, am intensivsten kurz vor der Fußball-WM 1990. Die Roma gewann damals das Derby mit 1:0, Lazio beendete die Partie mit acht Feldspielern. Schon während des Spiels, für das man ausnahmsweise ins Stadio Flaminio auswich, weil das Olympiastadion umgebaut wurde, hätten die Anhänger die riesigen Plexiglasscheiben zwischen den Blocks mit Steinen und anderem Werkzeug abgetragen, erinnert sich Berthold: „So schnell wie wir war wahrscheinlich noch nie eine Mannschaft nach dem Schlusspfiff vom Platz.“

„Er hat super eingeschlagen“

Die Serie A verfolgt Berthold noch immer genau – wie auch Kloses Werdegang in Italien: „Er hat super eingeschlagen, ich freue mich sehr für ihn. Er ist ein toller Stürmer, ein toller Profi, Rom wird ihm generell guttun, das mildere Klima, die fantastische Lebensqualität.“ Kein Zweifel: Der 33 Jahre alte Klose hat diese Luftveränderung gebraucht.

Und wenn es mit einem Einsatz am Sonntag klappt, dann ist nicht auszuschließen, dass ein Deutscher mal wieder ein Römer Derby entscheidet. So wie vor 21 Jahren, als in der 30. Minute ein gewisser Rudi Völler den Siegtreffer für die Roma erzielte.

Wem die Stunde mehrfach schlägt

– Deutsche U21 siegt locker mit 8:0 in San Marino und übt sich in Understatement

Berlin/Serravalle (dapd). Die Glocken läuteten so schön am Montagabend gegen zehn nach acht in der stolzen Republik San Marino. Ihr klarer Klang schallte durch das Stadio Olimpico von Serravalle, das mit 7.000 Plätzen wohl das kleinste Olympiastadion der Welt ist. Noch dauerte das mehrstimmige Konzert an, da klingelte es auch schon anderweitig.

Die deutsche U21-Nationalmannschaft ließ sich vom Gebimmel nicht beirren: Peniel Mlapa von der TSG Hoffenheim hatte mit zwei schnellen Treffern bereits nach fünf Minuten die Vorentscheidung in dieser Partie herausgeschossen, als die Glocken verstummten und sich eine gespenstische Stille über Serravalle legte. „So einen Start hatte ich noch in einem Wettbewerbsspiel“, wunderte sich der eifrige Torschütze, der später noch ein drittes Erfolgserlebnis feiern durfte.

Schwer als Pflichtspiel zu erkennen

Nun war dieser Kick in der fortan stillen Nacht von San Marino für Uneingeweihte auch schwer als Pflichtspiel zu erkennen. Rund 500 Zuschauer verloren sich auf den Rängen, die Geräuschkulisse glich ebenso wie das Geschehen auf dem Rasen einem Vergleich zu Testzwecken zwischen, sagen wir: einem Bundesligisten und einer Regionalliga-Mannschaft.

„San Marino hat sich ausschließlich auf die Defensive konzentriert“, stellte DFB-Kapitän Tony Jantschke korrekt fest. Mit nicht immer fairen Mitteln versuchten die Fußball-Amateure aus dem Zwergenstaat, wenigstens das größte Unheil zu verhindern. Und so durften sie sich nach 90 Minuten zumindest über einen kleinen Erfolg freuen: Einen neuen Rekordsieg feierte die Elf von Rainer Adrion beim 8:0 (5:0) nicht – dazu fehlten vier Treffer.

Adrion wusste das Gesehene dann auch richtig einzuordnen: „Die Tabelle sieht zwar gut aus, aber wir haben als einzige Mannschaft schon zwei Mal gegen San Marino gespielt“, sagte er und verwies auf größere Prüfungen in den Auswärtsspielen in Griechenland und auf Zypern.

„Weiter Weg bis zur EM“

Nun sollten auch diese Spiele für die technisch und körperlich sehr gut ausgebildete deutsche Nachwuchs-Auswahl machbar sein, schließlich ist sie mit fünf Siegen aus fünf Spielen sowie 23:1 Toren bislang nur so durch die Qualifikation für die EM 2013 gepflügt. Eine ähnlich souveräne Bilanz bislang wie das „große“ Team von Joachim Löw. Und selbst das Understatement sitzt schon: „Wir wissen auch, dass es noch ein weiter Weg bis zur EM ist“, sagte etwa Mlapa. Doch auch er wird wissen, dass alles andere als der Gruppensieg bei dieser Ausgangslage nicht mehr vermittelbar ist.

Sehr zufrieden über die 90-minütige Trainingseinheit vom Montag dürften auch die Vereinstrainer sein. Mlapa (noch kein Saisontor für Hoffenheim) nutzte ebenso wie Doppeltorschütze Alexander Esswein, der für den 1. FC Nürnberg bisher einmal traf, die Gelegenheit, ihr Gespür für Pflichtspieltore zu üben. Und auch der achtfach überwundene Torwart Mattia Manzaroli freut sich wohl auf die Rückkehr zu seinem Klub. Für den AC Juvenes/Dogana musste er zuletzt nur einmal den Ball aus dem Netz holen.

Die Großen bleiben zuhause

– Nigeria und Südafrika verpassen wie Ägypten und Kamerun die Afrika-Cup-Qualifikation

Berlin/Johannesburg (dapd). Stellen wir uns die Fußball-Europameisterschaft im kommenden Jahr ohne Deutschland, Spanien und die Niederlande vor. Unmöglich? Anderswo nicht: Beim Afrika-Cup im Januar und Februar 2012 werden die großen Namen des Kontinents vor dem Fernseher sitzen. Nach Ägypten und Kamerun schafften es auch Nigeria und WM-Gastgeber Südafrika am Samstag nicht, sich für das Turnier in Gabun und Äquatorialguinea zu qualifizieren.

Mit 14 Titeln geht mehr als die Hälfte aller bisher vergebenen auf das Konto dieses Quartetts. Auch das stolze Algerien, 1990 Kontinental-Sieger und vor einem Jahr WM-Teilnehmer, hat vor dem abschließenden Spiel am Sonntagabend keine Chancen mehr auf die Teilnahme. Mit dem siebenmaligen Champion Ägypten fehlt der Dauersieger der letzten Jahre, die Nordafrikaner haben die letzten drei Turniere allesamt gewonnen. Ihre Serie von 19 Turnierspielen ohne Niederlage werden sie vorerst nicht weiterführen können.

Schalke-Erlebnis für die „Bafana Bafana“

Besonders bitter verlief der Samstagabend für die Südafrikaner. In Nelspruit spielten sich Szenen ab, die man hierzulande in ähnlicher Form im Mai 2001 im Gelsenkirchener Parkstadion gesehen hat.

Die Spieler der „Bafana Bafana“ tanzten nach dem 0:0 gegen Sierra Leone schon mit den Fans und setzten zur Ehrenrunde an, als die Nachricht durchsickerte, dass statt des WM-Gastgebers das punktgleiche Team aus Niger trotz der schlechten Tordifferenz qualifiziert war. Selbst Coach Pitso Mosimane konnte das Reglement nicht durchdringen: „Haben wir uns qualifiziert? Was meint ihr?“, fragte er in die Runde. „Wenn wir uns qualifiziert haben, bin ich sehr glücklich. Ich weiß es nicht.“ Nein, Südafrika wird nicht dabei sein. Niger dagegen ist zum ersten Mal qualifiziert – dank des gewonnenen direkten Vergleichs.

Ultimatum für Nigeria-Coach

Nigeria, zweimaliger Afrika-Cup-Gewinner, kam gegen Guinea nicht über ein 2:2 hinaus – und schaffte zum ersten Mal seit 1986 die sportliche Qualifikation nicht. Trainer Samson Siasia ereilte der geballte Zorn des Verbands: Er bekam 48 Stunden Zeit, „die schwache Vorstellung der Super Eagles in den Qualifikationsspielen zu erklären“, wie der Verband am Sonntag mitteilte. Am Ende des Ultimatums dürfte wohl die Entlassung des Mannes stehen, der 1994 noch als Spieler den Cup in sein Heimatland holte.

Doch es gab auch gute Nachrichten für Afrikas Große: Ghana (2:0 im Sudan) und Tunesien (2:0 gegen Togo), die ebenfalls noch um die Teilnahme bangten, gewannen ihre Schicksalsspiele. Ihre Gegner Anfang kommenden Jahres lauten unter anderem: Botswana, Burkina Faso, Mali, Guinea, Sambia, Niger, Angola, Gabun und Äquatorialguinea.