Dehämm ist jetzt woanders

– Miroslav Kloses Wechsel ist seine erste persönliche Niederlage – Großes Ziel EM 2012

Diejenigen, die bei Miroslav Kloses letztem Auftritt im Trikot des FC Bayern symbolträchtigen Szenen auf der Spur waren, mussten nicht lange suchen. Blumen gab es schon mal keine. Weil zu diesem Zeitpunkt offiziell noch nicht feststand, ob Klose den Verein verlassen oder doch noch ein Jahr bei den Bayern dranhängen würde, wurde der Nationalspieler im Gegensatz zu Thomas Kraft, Andreas Ottl und Hamit Altintop vor dem Bundesligaspiel gegen den VfB Stuttgart nicht mit einem Dankes-Sträußchen verabschiedet. Und auch ein versöhnliches Ende seiner schlimmen Saison war Klose nicht vergönnt. In einem fast absurden Torversuch schaffte er es, den Ball aus kürzester Distanz über den Kasten zu heben.

Nun nimmt Klose durch die Hintertür Abschied. Irgendwie passt das zu dem Mann, der immer schon die leisen Töne bevorzugte. Passend auch deswegen, weil Verein und Fans in den vier Jahren nie richtig warm geworden sind mit Klose. Und Klose umgekehrt auch nicht mit dem FC Bayern. Nach zwei passablen ersten Jahren in München hat Klose die Erwartungen seines Arbeitgebers seit der EM 2008 im Grunde durchgehend enttäuscht. Seit Oktober 2010 stand er nur noch drei Mal in der Bayern-Startelf, in 45 Einsätzen seit der EURO traf er nur vier Mal.

Nun gehören schwache Phasen zu Kloses Karriere wie der Salto, den er sich zu Jugendzeiten für eine Wette mit einem Teamkollegen selbst beibrachte. Immer wieder zählten die Experten mit wachsender Häme die Minuten, die seit dem letzten Klose-Tor schon wieder vergangen waren. Und diesmal hat sich Klose wohl zu lange auf einen seiner größten Vorzüge verlassen: Dass er es entgegen allen Kritikern noch einmal schaffen würde. So wie bei der WM 2010, bei der Klose es fertigbrachte, mit vier Toren tatsächlich eins mehr zu erzielen als in der gesamten Bundesliga-Saison zuvor. Und wie bereits im September 2008, als Klose nach längerer Krise plötzlich drei Mal gegen Finnland traf. „Ich weiß, was ich kann“, pflegt Klose immer dann zu sagen, wenn die negativen Schlagzeilen wieder einmal über ihm hereinbrechen. „Ich weiß, was ich kann.“ Immer wieder. Und am Ende hatte er damit immer Recht behalten.

Doch bei den Bayern konnte Klose noch so fest daran glauben, was er konnte, Louis van Gaals Geduld war deutlich begrenzter als die des Bundestrainers. Was zur Folge hatte, dass Klose im WM-Jahr 2010 bei zwölf Länderspielen, aber nur zehn Bundesligaspielen in der Startelf stand. Zehn Toren im Nationalmannschaftstrikot standen nur drei Liga-Treffer für die Bayern gegenüber. Der Abschied vom FC Bayern ist, wenn man so will, die erste wirkliche Niederlage für den unverwüstlichen Klose.

Klose hat stets betont, dass sein letztes großes Ziel der Titel bei der EM 2012 ist, die in seinem Geburtsland Polen stattfindet. Dass sein großer Rivale Mario Gomez zumindest in der Nationalmannschaft keine Konkurrenz für ihn war, darauf hatte sich Klose lange Zeit verlassen können. Doch Gomez hat nicht nur 28 Bundesliga-Tore erzielt, er hat auch seit der WM in acht Länderspielen sieben Mal getroffen – und sein ganz persönliches Nationalmannschafts-Trauma beim Spiel in Wien am vergangenen Freitag auch symbolisch weggeküsst.

Klose muss aber in der Saison 2011/12 bei einem Verein mit möglichst gutem Namen spielen und regelmäßig treffen, um seinen großen Traum von der EURO 2012 in seinem Geburtsland nicht nur von der DFB-Ersatzbank zu erleben. Seit zwei Jahren wird Klose in jeder Transferperiode ein Vereinswechsel nahegelegt. Doch erst jetzt sind der 109-fache Nationalspieler und sein Berater zu der Erkenntnis gelangt, dass Klose in München nicht mehr glücklich wird.

Nun also Italien, der Traum der Deutschen. Den Fürther Ludwig Janda zog es 1949 als ersten deutschen Fußballer über die Alpen. Der Stürmer wechselte für 50.000 Mark zum AC Florenz. Schnellinger, Haller, Briegel, Matthäus, Brehme, Klinsmann, Völler – die Liste der Deutschen in der Serie A ist lang. Der erfolgreichste unter ihnen, DFB-Manager Oliver Bierhoff, der zwischen 1991 und 2003 in 220 Spielen in den ersten beiden Ligen Italiens in 320 Spielen 150 Tore schoss, hatte in dieser Woche noch einmal deutlich gemacht, dass der DFB bei der EM nur auf Spieler setze, die in ihren Vereinen regelmäßig spielen. Ein unmissverständliches Zeichen an Klose, dem die Bayern nur noch einen sehr leistungsbezogenen Vertrag angeboten hatten.

Und so geht der „Pfälzer Bub“ auf seine alten Profi-Tage doch noch mal ins Ausland. Wer ihn im „Sommermärchen“ beim Friseurbesuch verschüchtert Englisch hat sprechen hören, mag kaum glauben, dass sich der Mann aus dem 5000-Seelen-Städtchen Kusel in so fremder Umgebung wohlfühlen wird. Doch für sein großes Ziel, Polska 2012, wird Klose nun sogar seinem großen Idol Fritz Walter untreu. „Dehämm“ ist für Klose jetzt in Rom.

Jeder Tag zählt

– Ein Jahr vor dem EM-Start hat Veranstalter Polen noch viele Aufgaben vor sich – Probleme beim Stadionbau und mit Fan-Gewalt

Berlin (dapd). Die guten Vorsätze gibt es seit über vier Jahren. „Wir werden bereit sein“, hatte der polnische Verbandspräsident Michal Listkiewicz im April 2007 gesagt, unmittelbar nachdem UEFA-Präsident Michel Platini einen Zettel hochgehalten hatte, auf dem die Ausrichter der Fußball-Europameisterschaft 2012 geschrieben waren: „Ukraine and Poland“.

„Wir schaffen das“, sagte am Dienstag auch Tomasz Zahorski, ein Vertreter des Managements im Büro „PL 2012“, das die EM 2012 vorbereitet. Auf einer Pressekonferenz in Berlin versicherte Zahorsky, der Stand der Planungen und Baumaßnahmen sei nicht so bedrohlich, wie öffentlich dargestellt: „Ich bin überzeugt, dass ein Jahr vor dem Turnier die Situation von Polen wirklich gut ist – auch im Vergleich zu anderen Turnieren in der Vergangenheit.“ Doch daran zweifeln immer mehr Beobachter. Von den vier polnischen EM-Stadien ist zwölf Monate vor dem Eröffnungsspiel nur das Stadion Miejski in Posen fertiggestellt – die anderen Arenen konnten die Organisatoren nur per Computer-Animation im fertigen Zustand an die Wand werfen.

„Wir lassen uns nicht erpressen“

In Danzig musste das für diesen Donnerstag geplante Eröffnungsspiel der EM-Arena zwischen Polen und Frankreich abgesagt werden. Es wird nun in Warschau stattfinden, allerdings nicht im neuen Nationalstadion, das ebenfalls noch nicht bezugsfertig ist. Zahorsky gab sich betont kämpferisch: „Wir lassen uns nicht vom Termindruck erpressen. Wir wollen sichere Stadien bauen und müssen auch die öffentlichen Finanzen im Auge behalten.“

Ob das Länderspiel Polen-Deutschland am 6. September im neuen Warschauer Nationalstadion stattfinden kann, ist ebenfalls fraglich, nachdem fehlerhafte Treppenstufen entdeckt wurden. „In Warschau haben wir noch einige Probleme“, sagte UEFA-Cheforganisator Martin Kallen der dapd Nachrichtenagentur. „Wie lange die Fertigstellung da verzögert wird, ist noch unklar“.

Laut Zeitplan der UEFA sollten ein Jahr vor Beginn der Endrunde eigentlich alle Stadien bereits fertiggestellt sein. Problematisch ist vor allem, dass nun deutlich weniger Zeit für Sicherheitstests und weitere Vorbereitungen in den Stadien bleibt. „Die Luft wird ein bisschen dünner, das Ganze zu testen und operativ auf seine Qualität hin zu untersuchen“, sagte Kallen.

Veranstalter bestreiten „Plan B“

Einen „Plan B“ gibt es nach übereinstimmenden Angaben von polnischen Organisatoren und UEFA nicht. „Die EM-Stadien werden schon fertig, es geht nur um das wann genau“, sagte Kallen. „Es gibt keine Notlösung, keine Alternative mehr so kurz vor dem Turnier“, bestätigte Zahorsky.

Bei der Veranstaltung in einem Berliner Hotel ging es den Beteiligten vor allem darum, gute Miene zu den bösen Verzögerungen zu machen, die neben den Stadien auch die Infrastruktur von Deutschlands Nachbarland betreffen, wo zur EURO 2012 rund eine Million Fußball-Touristen erwartet werden. „Rund 80 Prozent der über 200 Investitionen werden nach Plan realisiert“, sagte Zahorsky. Doch die Lage ist ernst. Vergangene Woche hatte sogar Polens Premierminister Donald Tusk, ein begeisterter Fußball-Fan und Freizeit-Kicker, Druck auf unzuverlässige Baufirmen ausgeübt.

„Gewisse Teilabschnitte werden nicht fertig werden“, gab UEFA-Organisator Martin Kallen zu. Dennoch würden auch die gebauten Abschnitte bereits „große Fortschritte“ bringen. Konkret zur stockenden Autobahn A2 zwischen Berlin und Warschau befragt, sagte der polnische Planer Tomasz Zahorski: „Das ist keine Investition, von der der Erfolg der EM abhängt. Im Dezember 2011 wissen wir, wer wo spielt. Dann können wir, wenn nötig, alternative Verkehrspläne ausarbeiten.“

Problem Hooligans

Ein weiteres Problem ist die Gewaltbereitschaft eines Teils der polnischen Fußball-Zuschauer – ganz entgegen dem für die EM ausgerufenen Slogan „freundliches Polen“. Erst Anfang Mai hatten nach dem polnischen Pokalfinale zwischen Lech Posen und Legia Warschau Hooligans beider Vereine den Rasen des Stadions in Bydgoszcz gestürmt. Im März randalierten polnische Fans im litauischen Kaunas. „Wir stehen unter dem Eindruck der beiden Vorfälle“, sagte Piotr Golos, Öffentlichkeitsbeauftragter des polnischen Fußballverbandes. Sie seien allerdings in älteren, teils maroden Stadien passiert. „In modernen Stadien verhalten sich die Menschen anders“, so Golos weiter.

Die jüngsten Ausschreitungen hätten eine „übermenschliche Mobilisierung aller Behörden“ in Polen zur Folge gehabt. Vergangene Woche verabschiedete die polnische Regierung ein Gesetz, in dem unter anderem Stadionverbote und Sammelverfahren sowie Geldstrafen für bewaffnete und vermummte Fußball-Fans verankert sind. Wie effektiv die längst überfälligen Maßnahmen sein werden, bleibt abzuwarten.

Die Verzögerungen beim Stadionbau bleiben dagegen das größte Problem. Von der UEFA gibt es verhaltenen Optimismus: „Wir glauben, dass wir das Turnier durchführen können“, sagte OK-Chef Martin Kallen. „Aber es gibt jeden Tag noch sehr viel zu tun. Wir können uns nicht auf irgendwelchen Lorbeeren ausruhen.“

Sieg gegen die Kritiker

– Dirk Nowitzki ist auch im Finale in den entscheidenden Situationen dominant – Nur der NBA-Titel zählt

Berlin/Miami (dapd). Mit weit aufgerissenen Augen und offenem Mund stand er auf dem Parkett, fast teilnahmslos nahm er die Glückwünsche der Kollegen entgegen. Sie boxten ihm auf die Brust, patschten ihm mit der flachen Hand gegen die erhobene Rechte. Sie jubelten und riefen wild durcheinander. Doch Dirk Nowitzki, schwer atmend noch von den letzten Sekunden des Spiels, starrte nur durch sie hindurch – und dann noch einmal hoch zur Anzeigetafel.

95:93 stand da. Die Punkte 87 bis 95, die da auf Seite der Gäste aufleuchteten, hatte Dirk Nowitzki selbst erzielt. Mit einem Sprungwurf und einem Korbleger hatte der 32-Jährige das Spiel 57,6 Sekunden vor dem Ende ausgeglichen, mit einem Dreier schließlich sein Team 26,7 Sekunden vor dem Schluss in Führung gebracht.

Nach zwischenzeitlich 15 Punkten Rückstand war Dallas auf einmal wieder da. Und auch der mit einen Sehnenabriss im linken Mittelfinger spielende Nowitzki hatte nach drei mehr als bescheidenen Vierteln im Schlussabschnitt doch noch zu seiner vertrauten Wurfstärke gefunden. „Sie haben unsere Offensive sehr gut im Griff gehabt, wir haben nicht viel hinbekommen. Erst im letzten Viertel haben wir dann endlich die Lücken gefunden“, sagte Nowitzki, der mit einer Schiene am lädierten Finger spielte.

„Wir hatten eine gute Position“

Beim Zurücklaufen nach seinem erfolgreichen Dreier zum 93:90 gönnte sich der Deutsche eine Jubelgeste, formte mit Daumen und Zeigefinger einen Kreis, die restlichen drei Finger abgespreizt. Im Gegenzug aber ließ Jason Terry aber Mario Chalmers völlig frei an der Linie stehen, der zum Ausgleich traf. „Wir hatten immer noch eine gute Position“, sagte Nowitzki, der Terry auf dem Feld noch lautstark die Meinung gesagt hatte.

Die Mavericks also noch einmal im Angriff: Jason Kidd ließ zunächst die Uhr herunterlaufen und bediente dann Nowitzki. Der fintierte gegen Chris Bosh, drehte sich um ihn herum, zog zum Korb und warf den Ball in Bedrängnis mit der verletzten linken Hand zum Sieg durchs Netz.

2006 hatten die Mavericks im Finale gegen Miami eine 2:0-Führung noch aus der Hand gegeben. Nun könnte die Dynamik der Serie nach dem Ausgleich und dem Umzug nach Dallas zugunsten der Texaner kippen. „So sehr 2006 noch bei mir und Jet (Jason Terry) im Kopf ist, während des Spiels denkt man nicht daran“, sagte Nowitzki. „Man nimmt jeden Ballbesitz so, als wäre es der letzte in den Finals. Man denkt an nichts anderes als daran, diesen Sieg zu holen.“

Nowitzki hat ausgeglichen – gegen die Kritiker

Ganz egal wie die Final-Serie ausgehen wird, einen Sieger hat sie bereits jetzt. Nicht nur im Duell Dallas gegen Miami steht es nun 1:1. Auch Dirk Nowitzki hat ausgeglichen – gegen seine Kritiker. Gegen die, die ihm seit Jahren vorwerfen, er würde sich in den wichtigen Spielen, den entscheidenden Szenen verstecken. „No-winski“ haben sie ihn getauft, und mit jeder frühen Playoff-Niederlage seit 2006 sahen sie sich bestätigt. Drei Mal schied Nowitzki mit den Mavs schon in der ersten Runde, ein Mal in der zweiten. Auch weil seine Mitspieler sich gerne hinter dem Superstar aus Germany versteckten. Doch Nowitzki, seit 2002 immer All-Star, bester Europäer aller Zeiten, war für viele der Mann, der es unter Druck nicht brachte.

Auch in diesem Jahr unkten sie schon wieder, als die Mavericks das vierte Spiel gegen die Portland Trail Blazers im Schlussviertel aus der Hand gaben und den Ausgleich nach 2:0-Führung hinnehmen mussten. In Spiel fünf und sechs jedoch führte Nowitzki sein Team zum Sieg. Und mit dem 4:0 gegen den Vorjahresmeister Los Angeles Lakers machten die Texaner endgültig klar, dass sie Großes leisten können. Dass für ihn nur noch der Titel zählt, hatte Nowitzki bereits vor der Saison formuliert und noch einmal vor den Playoffs wiederholt.

21 von 21 Freiwürfen gegen Oklahoma

Den Beweis seiner Willenskraft trat der Würzburger im ersten Spiel gegen die Oklahoma City Thunder an, als unter seinen 48 Punkten auch 21 Freiwürfe waren – bei 21 Versuchen, ein NBA-Rekord. Vielleicht auch deshalb scheute Nowitzkis Gegenspieler Bosh in der entscheidenden Szene am Donnerstagabend (Ortszeit) das Foul gegen den Deutschen.

Selbst Nowitzki konnte sich hinterher nicht erklären, warum die Heat nicht schon früher foulten. Aber allzu viele Worte wollte er ohnehin nicht über die Szene des Spiels verlieren. Drei kleine englische Wörtchen sagte der 2,13-Mann ins TV-Mikrofon: „That was big.“ Dann bedankte er sich artig und entschwand in die Katakomben. Dirk Nowitzki hat noch etwas vor.

Go West!

– 1967 wollte Amerika den Fußball lieben lernen – und importierte für drei Monate mittelmäßige Mannschaften aus Europa (11FREUNDE Sonderheft „Die 60er“)

Als die Spieler der Washington Whips das Rollfeld des Dulles International Airport betreten, plärren die Dudelsäcke. Dutzende Schaulustige haben sich eingefunden. Es ist ein festlicher Empfang.

Der dänische Sunnyboy Jens Petersen, der erst 18-jährige Martin Buchan, der drahtige Linksverteidiger Ally Shewan – nacheinander klettert das gesamte Team an diesem sonnigen Tag Anfang Mai 1967 die Gangway hinab. Im Flugzeug sind sie noch der FC Aberdeen gewesen – ein schottisches Team von passabler Qualität, das wenige Tage zuvor das Pokalfinale gegen Celtic bestritten hat. Nun sind die 17 Männer der Stolz der amerikanischen Hauptstadt – und sollen als „Washington Whips“ in der aus dem Boden gestampften „United Soccer Association“ (USA) antreten.

Drei Jahre nachdem die Beatles bei ihrer Ankunft am John F. Kennedy Airport in New York eine Musikrevolution im Gepäck hatten, soll Amerika sich nun auch für der Europäer liebsten Sport begeistern. „Fußball spielten in den Augen der Amerikaner nur irgendwelche verrückten Ukrainer oder Ungarn“, sagt Andrei S. Markovits, Soziologieprofessor und Fußball-Publizist der University of Michigan. Doch im Frühsommer 1967 gibt es plötzlich nicht nur eine Fußball-Liga zwischen LA und New York, sondern zwei. „Eine schöne american story“, findet Markovits.

Diese amerikanische Geschichte beginnt mit dem Geld der American sports owners, millionenschweren Geschäftsmännern, die bereits erfolgreich in die amerikanischen Sportarten investiert haben: Baseball, Football, Basketball. Nun wollen sie auch mit soccer reüssieren. Lamar Hunt, Besitzer der Kansas City Chiefs, Jack Kent Cooke, Eigentümer der Los Angeles Lakers, die Betreiber des New Yorker Madison Square Garden und andere tragen ihr Interesse dem amerikanischen Verband vor. Doch nur die „United Soccer Association“ bekommt den Segensspruch des US-Verbands – und damit der FIFA. Was nur den Sportsgeist der Zurückgewiesenen entfacht. Sie formieren im Nu eine zweite Liga, die „National Professional Soccer League“, ziehen einen Fernsehvertrag mit CBS an Land – und fangen an, wie wild Spieler aus aller Herren Länder zu verpflichten.

Was wiederum die USA zum Handeln zwingt. Wegen der knappen Zeit verfallen die Eigner auf den genialen Gedanken, statt Spielern ganze Teams ins Land zu holen. 25.000 Dollar Antrittsprämie pro Mannschaft, dazu freie Kost und Logis. Schmissige amerikanische Namen, ein fesches Logo, fertig ist die Liga. „Man dachte sich: Wir haben die Shamrock Rovers aus Irland, die können wir in Boston spielen lassen, denn es gibt ja Iren in Boston“, erzählt Andrei S. Markovits. „Und in Chicago gibt’s Italiener, da lassen wir Cagliari spielen. Houston ist im Süden, also näher an Brasilien, da lassen wir Bangu starten. Total wahnsinnig!“

So wird der englische Klub Stoke City zu den Cleveland Stokers, das schottische Team Dundee United mutiert zu Dallas Tornado und die Wolverhampton Wanderers tragen ihre Spiele nun als „Los Angeles Wolves“ aus. Die New York Skyliners kommen eigentlich aus Uruguay, und im Dress der Chicago Mustangs galoppieren Roberto Boninsegna und seine Kollegen von Cagliari Calcio über den Platz. Außer Boninsegna und Englands Weltmeister-Keeper Gordon Banks spielen hauptsächlich No-Names in der Retorten-Liga. Manchester United und die anderen großen Vereine Europas haben so kurzfristig keine Lust oder Zeit für das Abenteuer USA.

Für Ally Shewan und seine Teamgefährten vom FC Aberdeen geht derweil der Traum von der großen weiten Welt in Erfüllung. „Die meisten waren Jungs vom Land, wie ich“, erzählt Shewan, „wir waren unwahrscheinlich aufgeregt“. Spieler und Trainer sind im Washingtoner Hilton Hotel untergebracht, jenem gigantischen Betonklotz an der Connecticut Avenue, erst zwei Jahre zuvor eröffnet.

Während die europäischen Spieler die neuen Eindrücke aufsaugen, bleibt die Begeisterung der Amerikaner aus. Zum ersten Heimspiel der Whips am 7. Mai kommen 8.723 Fans ins D.C. Stadium, in das über 56.000 passen. „Das war ein großer Schock für die Besitzer“, sagt Paul Gardner. „Sie hatten nicht realisiert, dass sie sich richtig strecken mussten, um die Leute ins Stadion zu bekommen.“ Gardner ist heute einer der renommiertesten Fußballschreiber Amerikas. 1967 hatte der damals 36-jährige gelernte Apotheker noch keine Zeile über den Sport verfasst. Aber er hatte eine unschlagbare Referenz: Seine Herkunft. „Diesen Leuten erschien ich wie ein verdammt großartiger Experte“, erzählt Gardner. „Ich hatte einen englischen Akzent und ich hörte mich an, als hätte ich Ahnung. Sie fragten mich, was ich über Cerro wusste – keine Ahnung, was ich ihnen erzählt habe.“ Fortan berichtet Gardner von Spielen der New York Islanders, eigentlich C.A. Cerro aus Montevideo.

Was aus England kommt, muss gut sein. Denn schließlich ist England der Weltmeister. Die zeitversetzte NBC-Übertragung des Finales von Wembley haben um 12 Uhr mittags neun Millionen Amerikaner gesehen. „Ein gutes Spiel, um das Interesse der Amerikaner zu wecken. Es hatte Dramatik, Verlängerung, ein Ausgleichstor in der letzten Minute“, sagt Paul Gardner.

Die Spiele der US-Ligen im Jahr 1967 haben nichts von alledem. Vor Geisterkulissen in den riesigen Baseballstadien liefern sich die zweitklassigen Mannschaften überharte Duelle mit vielen Fouls und wenig sportlichen Höhepunkten. „Es war typisch britischer Fußball. Es fielen sehr wenige Tore“, erinnert sich Aberdeens Verteidiger Ally Shewan. Gleiches Bild in der rivalisierenden NPSL. Der britische Coach Alan Rogers tut sich auf der Bank der Chicago Spurs vor allem durch seine Vorliebe für Kraftausdrücke hervor. „Fucking hier, cunt da. In dem leeren Stadion schien das Echo alles zu vervielfachen“, erinnert sich Paul Gardner. „Am Ende haben sie ihn gefeuert. Nie mehr von ihm gehört.“

Selbst die Südamerikaner bringen eher weniger als mehr Kultur ins Spiel. „Die Uruguayer spielten wirklich hart“, sagt Ally Shewan. „Einer von ihnen riss Davie Johnston die ganze Wade auf. Er hatte ihm die Stollen richtig ins Bein gerammt, Blut überall. Eine Rote Karte gab es nicht.“

Beim Spiel Glentoran gegen Bangu resp. Detroit Cougars gegen Houston Stars attackieren sich die Spieler gar gegenseitig mit den Eckfahnen – während die Zuschauer das Feld stürmen. Paul Gardner kann oder will sich daran nicht erinnern: „Ich bin versucht zynisch zu sein und zu sagen, es gab nie genügend Zuschauer für einen Platzsturm.“

Auch die friedlicheren Partien liefern groteske Bilder. Die Spielfelder sind in die quadratischen Baseballarenen gequetscht, vor einem der Tore befindet sich meist eine Sandlandschaft, die Male hat man nur notdürftig abgedeckt. Für die Spieler ist die Kurzsaison im Sommer eine Mischung aus Urlaub und Saisonvorbereitung mit Wettkampfcharakter – und vielen Freiheiten. „Ich habe nichts dagegen, dass ihr euch amüsiert“, sagt Aberdeens Trainer Jimmy Wilson seinen Spielern. „Aber übertreibt es nicht – und seid um sechs Uhr morgens wieder im Hotel.“ Das lassen sich die schottischen Jungs nicht zwei Mal sagen. 10 Pfund Spesen pro Tag reichen für jede Menge Spaß. In Washington haben sie schnell eine Stammkneipe, die Älteren im Team schauen sich die Shows von Ella Fitzgerald, Louis Armstrong oder Andy Williams an.

Bei einem Auswärtsspiel in Detroit treffen die Schotten sogar den bekanntesten Sportler ihrer Zeit. Bei einem Spaziergang fällt ihr Blick auf eine dunkle Masse, die sich die Straße herunterwälzt. Riesige schwarze Männer in schwarzen Lederjacken und schwarzen Sonnenbrillen. Mittendrin der Weltmeister aller Klassen. Ally Shewan wieselt hinüber und fragt höflich: „Cassius Clay, kann ich Ihr Autogramm haben?“ Die Antwort ist ein Knurren: „Muhammad Ali, Mann!“ Das Autogramm bekommt Shewan trotzdem. „Meine Leute in Schottland glaubten mir kein Wort, bis ich ihnen die Karte zeigte.“

Auch das ist Amerika 1967 – ein Land des Kriegs und des Rassismus. Nur wenige Tage vor Beginn des Spielbetriebs der USA haben die Behörden Muhammad Ali wegen Wehrdienstverweigerung seine Boxlizenz und seinen Pass entzogen. Zehntausende protestieren gegen den Vietnamkrieg. Im brandneuen Astrodome in Houston, dem „achten Weltwunder“, wo der Champion noch Anfang des Jahres gekämpft hat, treten auch die Washington Whips an. Judge Roy Hofheinz, der Besitzer der Houston Stars (aus Rio) empfängt die Mannschaft mit den Worten: „Diese Farbigen gefallen mir nicht. Warum spielt ihr Schotten nicht für mich?“

Unter all den mittelmäßigen Teams der Eastern Division der USA ragen die Whips nicht hinaus, aber sie verlieren nur zwei von zwölf Spielen. Und so stehen sie am 14. Juli im ersten und einzigen Finale ihrer wunderlichen Liga. Gegner sind die LA Wolves. 18.000 von 93.000 Plätzen im Coliseum von Los Angeles sind besetzt. Vor dem Spiel werden die Schauspieler Geraldine Chaplin und Terence Stamp präsentiert, im Rahmenprogramm spielen die „Claude Hoppers“ und die San Fernando Valley Youthband. „England gegen Schottland. Das bedeutet Action“, prophezeit das Stadionheft. Und behält Recht. Elf Tore sehen die Besucher – und ungezählte Fouls.

„Das Finale war ziemlich rau“, erinnert sich Ally Shewan. „Wir jagten uns über den ganzen Platz. Der Schiedsrichter, ein Amerikaner, bekam gar kein Gefühl für die Partie.“ Shewan werden von seinem Gegenspieler Derek Dougan im Spiel drei Finger gebrochen, schon nach einer halben Stunde verlieren die Whips einen Spieler durch Platzverweis. „Es wurde eine richtige Schlacht“, so Shewan.

Am Ende der 90 Minuten steht es 4:4, nach 30 Minuten Verlängerung 5:5. Nun wird nach „Golden Goal“-Regel weitergespielt. In der 127. Spielminute sieht Ally Shewan eine Flanke auf sich zukommen. „Der Torhüter kam heraus, konnte ihn aber nicht richtig bekommen. Einer der Manndecker versperrte mir die Sicht.“ Sekundenbruchteile später liegt der Ball im Netz der Whips. Die Wolverhampton Wanderers sind Meister der USA.

Schon am Abend ist Shewans Fauxpas vergeben und vergessen. Whips-Eigner Earl Foreman hat die 2.000 Dollar Siegprämie an die Spieler trotzdem ausgezahlt – wegen des überaus unterhaltsamen Spiels, wie er betont. „Mein Gott, das war viel Geld damals“, sagt Shewan, der den Abend mit seinen Teamgefährten im Cocoanut Grove im Ambassador Hotel verbringt, einem der angesagtesten Nachtclubs in LA. Bobby Vinton schmettert seine Hits. Zu den Klängen von „Blue Velvet“ und „Roses Are Red“ genießt der FC Aberdeen einen seiner letzten Abende in den Staaten. „Am Tag darauf gingen wir ins Disneyland“, erinnert sich Ally Shewan. „Und siehe da, wen treffen wir? Den Schiedsrichter! Der hatte Angst, dass wir ihn ins Wasser schmeißen. Aber wir waren ihm nicht böse. Wir hatten ja eine großartige Zeit.“

Die United Soccer Association dagegen überdauert das Jahr 1967 nicht. Sie schließt sich der rivalisierenden NPSL an – die North American Soccer League entsteht, die mit Pelé und Beckenbauer in den 70ern dann doch noch wirkliche Fußballbegeisterung in den USA hervorrufen wird. „Wichtig ist, dass sich Amerika und die Welt ändern“, sagt der Soziologe Markovits.

Das erste Jahr mit dem soccer – für die sports owners ist es ein finanzielles Desaster. Bill McNutt II, Miteigner des Tabellenletzten Dallas Tornado, der seine Millionen mit Fruchtkuchen gemacht hat, nimmt es sportlich. Auf die Frage, was der Misserfolg seines Teams für ihn bedeute, gibt er zurück: „Nun, wir müssen jetzt einfach verdammt viel Kuchen verkaufen.“

Der Mann, der die Bayern erschoss

Josef »Seppl« Pirrung
* 24. Juli 1949 † 11. Februar 2011

Mächtig steht er an der eigenen Strafraumgrenze, der
Bayern-Verteidiger Bulle Roth. Nimmt jetzt den kurzen Ball von Sepp
Maier an. 3:0 führt der FC Bayern auf dem Betzenberg, gleich ist
Pause. Während Roth, diese fleischgewordene turmhohe Überlegenheit,
noch grübelt, wem er die Kugel jetzt lässig zuschieben kann, hat sich
schon der kleine Spieler mit der Nummer acht auf dem Rücken von hinten
angepirscht. Zack, der Ball ist weg, Roth fällt um wie ein Baum – und
es steht 1:3. Eine Stunde später ist der größte Sieg der
Kaiserslauterer Vereinsgeschichte perfekt. 7:4 gegen die Bayern. Und
der Mann mit der Nummer acht, Josef Pirrung, den die Kaiserslauterer
Seppl rufen, hat drei Tore erzielt.

Drei rote und drei weiße Nelken bekommt er 1981 zum Abschied nach 14
Jahren. »Das war alles«, sagt Pirrung später bitter über den Affront.
Der Klub und sein 304-facher Bundesligaspieler trennen sich in
Unfrieden. Es geht um Geld, schon damals.

14 Jahre spielt der Mann aus Münchweiler im roten Trikot. 14 Jahre, in
denen sich der 1. FC Kaiserslautern vom Image der reinen Kloppertruppe
löst – und beginnt, Fußball zu spielen. Seppl Pirrung verkörpert
diesen neuen FCK: Wendig, aber auch bissig. Dribbelstark, aber auch
torgefährlich. Klein, aber nie zu unterschätzen. Wie viele von
Toppmöllers 108 Toren hat Pirrung direkt oder indirekt über die
Außenbahn eingeleitet?

Pirrung bewuselt das Spielfeld zu einer Zeit, als Künstler wie er
Freiwild sind für die Verteidiger. Sie treten ihn, schon in der
Jugend, immer wieder. Bis die Knochen brechen. Schienbein. Wadenbein.
Einmal, zweimal, dreimal. Drei Zentimeter kürzer ist sein rechtes Bein
fortan. Zeit seines Lebens plagt sich der geniale Tänzer mit den
Schmerzen, mit denen die Banausen ihn bestraft haben. Wenn er sich
wieder einmal auf dem Rasen krümmt, dann springen die Rentner auf der
Nordtribüne auf und schwenken zornig ihre Stöcke. »Seppl, Seppl«, ruft
dann das Stadion. Und der kleine Mann steht wieder auf.

1973/74, das Jahr, in dem er die Bayern erschoss, es ist sein Jahr. 13
Tore, sechs Vorlagen. Zahlen, die nur unzureichend die Begeisterung
wiedergeben, die Seppl Pirrung auf dem Betzenberg entfacht. Am Ende
jener glorreichen Spielzeit wollen ihn die Bayern kaufen. Pirrung
bleibt. Bundestrainer Helmut Schön beruft ihn in den vorläufigen Kader
für die WM im eigenen Land. Unter den 22 Auserwählten ist er nicht,
dafür unter den wenigen Lauterern, die überhaupt je ein Länderspiel
bestritten haben.

61 Tore schießt er für den 1. FC Kaiserslautern – für jedes ist ihm
nur ein Lebensjahr vergönnt. Am Tag vor dem Spiel seines Vereins gegen
Borussia Dortmund stirbt er nach langer schwerer Krankheit. Noch
einmal blinzelt sein verschmitztes Gesicht auf der Anzeigetafel. Da
oben, wo Seppl Pirrung einst die Bayern erschoss. (11FREUNDE)

„Ich hatte große Angst“

– Der frühere Bundesligaprofi Hany Ramzy über den Umsturz in Ägypten und Hoffnung durch Fußball

Hany Ramzy, Ägypten ist seit Tagen im Ausnahmezustand. Wie haben Sie die Proteste erlebt?

Die letzte Woche war sehr schwierig, für jeden hier. Wir wussten nicht, was der nächste Tag bringen würde. Die Armee war auf den Straßen, Häftlinge sind aus den Gefängnissen entkommen. Als das alles losging, habe ich meiner Frau und meinen Kindern ein Flugticket nach Italien gekauft. Seitdem sind sie da.

Wie sah der Alltag in Kairo aus?

Jede Nacht, von sechs Uhr abends bis fünf Uhr morgens, war ich mit den Nachbarn draußen auf der Straße, um auf meine Familie und mein Haus aufzupassen. Es gab ja keine Polizei, keine Sicherheit.

Jeder hatte eine Art Waffe in der Hand, um Diebe abzuschrecken. Eine kleine Pistole, einen Knüppel oder ein Messer.

Was hatten Sie dabei?

Ich hatte so einen elektrischen Stab. (lacht). Naja, es ging vor allem darum, dass man sich selbst sicherer fühlte. Wir mussten ja die Arbeit der Polizei übernehmen, wir hielten Autos an und kontrollierten Ausweise. Meine Mutter und meine Schwester waren oben im Haus und konnten nicht schlafen, weil sie Angst hatten, dass mir etwas passiert. Auch ich hatte große Angst.

Gab es Probleme in Ihrer Nachbarschaft?

Bei uns blieb es zum Glück ruhig, es gab keine Schießereien wie anderswo. Ich lebe nahe dem Flughafen, das ist ein gutes Stück vom Tahrir-Platz entfernt.

Sie sind Trainer der ägyptischen U-23-Auswahl. Konnten Sie tagsüber überhaupt mit Ihren Spielern trainieren?

Die Liga pausiert – wahrscheinlich bis Ende Februar. Erst seit einer knappen Woche trainieren die Klubs überhaupt wieder einmal am Tag. Ich spreche jeden Tag mit den Trainern und meinen Spielern, ich frage, wie es ihnen geht, wie die Bedingungen sind. An ein Trainingslager war bislang nicht zu denken. Hoffentlich geht das nächste Woche, denn wir haben am 25. März unser erstes wichtiges Qualifikationsspiel für die Olympischen Spiele 2012 – in Kairo gegen Botswana.

Nun ist Mubarak zurückgetreten. Wie hat das die Atmosphäre im Land verändert?

Als der Präsident am Freitag seinen Rücktritt bekannt geben ließ, sind alle auf die Straßen geströmt und haben angefangen zu feiern. Es ist eine Stimmung, als hätten wir den Afrika-Cup gewonnen. Aber es geht auch um die Zukunft. Sie liegt jetzt in den Händen der Armee.

Haben Sie Hoffnung oder Sorge für die Zukunft?

Ich bin Optimist, deswegen habe ich Hoffnung. Ägypten braucht Demokratie und Freiheit. Wir sind kein Armeestaat, deshalb muss die Macht schnell an eine neue Kraft übergehen. Jetzt geht es um eine ruhige Zukunft. Auch für den Fußball. Wir wollen unbedingt zu den Olympischen Spielen. Das ist ein großer Traum. Das letzte Mal waren wir 1992 dabei.

Kann der Fußball den Ägyptern helfen, in den Alltag zurückzukehren?

Die Leute wollen Normalität, sie wollen wieder jeden Tag zur Arbeit gehen. Und sie wollen Fußball schauen. Fußball ist sehr, sehr wichtig für die Ägypter. Das Interesse besonders an der Nationalmannschaft ist riesig. In den letzten sechs Jahren haben wir ja drei Mal den Afrika-Cup gewonnen. Wenn Ägypten spielt, sind immer mindestens 70 000 im Stadion.

Kuschelrock bei Hertha

– Der Punkrocker Campino von den Toten Hosen gönnt Hertha heute gegen seine Düsseldorfer einen Punkt – er ist mit Trainer Babbel eng befreundet.

Berlin (Tsp) – Einen solchen Anruf bekommt man nicht alle Tage. Selbst als Frontmann der Toten Hosen nicht. „Hier ist der Babbel-Markus“, hörte Campino die Stimme auf seinem Anrufbeantworter sagen, „ich habe ja bisher bei den Bayern gespielt, das hat dir bestimmt nicht so gefallen.“ Campino wurde neugierig. Was kam jetzt? „Naja, nun bin ich bei deinem Lieblingsverein. Wenn du magst, komm mich doch mal besuchen!“ Ende der Nachricht.

„Er hatte meine Nummer von Thomas Linke bekommen“, erklärt Campino die Kontaktaufnahme des damaligen Fußballprofis, der gerade zum FC Liverpool gewechselt war – seit jeher der erklärte Lieblingsverein des Düsseldorfer Punkrockers.

Er rief zurück, die beiden verabredeten sich in Liverpool. „Es ist eine wirkliche Freundschaft daraus geworden, wir haben uns auf Anhieb verstanden“, sagt Campino. „Mich hat unheimlich beeindruckt, wie geradeheraus Markus ist. Mir war sofort klar, warum er in England so beliebt war.“

Ehrliche Fußballer mögen sie auf der Insel. Und Ehrlichkeit schätzen der Musiker und der Fußballspieler auch aneinander. Über die Zeit, als Babbel an einer schweren Nervenkrankheit litt, sagt Campino: „Das ist in Freundschaften ein guter Moment, sich zu zeigen, dass es um mehr geht als um oberflächliches Geplänkel.“ Ansonsten verbinde die beiden eine „völlig normale Freundschaft“, man redet natürlich auch viel über Musik und Fußball, „das sind ja unsere Spezialthemen“. Wobei, sagt Campino, dessen Zweitverein Fortuna Düsseldorf ist, „wir sind uns bei der Musik in vielen Dingen näher als in manchen Fußballfragen“.

Womit wir beim Thema wären. Heute (13.30 Uhr) trifft Hertha BSC nämlich auf Fortuna Düsseldorf. Für Campino ist das „die schwierigste Begegnung der Saison“. Zum einen, weil er nicht selbst im Stadion sein kann, sondern im Tonstudio festsitzt. Zum anderen, weil sich der 48-Jährige eigentlich zweiteilen müsste. „Für mich ist völlig klar, dass ich mit dem Verein sympathisiere, bei dem Markus beschäftigt ist“, sagt er.

Doch das läuft natürlich auch gegen die eigene Liebe zur Fortuna aus seiner Heimatstadt. Campino versucht es mit einem Verweis auf das Hinspiel, das Hertha am zweiten Spieltag 2:1 in Düsseldorf gewann: „Fortuna hat alles getan, um Hertha einen guten Start zu ermöglichen. In Düsseldorf sähe man das als Zeichen des Respekts, wenn Hertha jetzt etwas zurückgeben würde.“

Einfach ist das alles aber nicht. Das Interesse für die Hertha ist bei dem Rheinländer, der in Berlin eine Wohnung hat und dessen Sohn in der Hauptstadt lebt, sprunghaft gestiegen, seit sein Freund Babbel im vergangenen Sommer den Vertrag als Cheftrainer beim Bundesliga-Absteiger unterschrieb. „Man kann den Verein als Fan ja nicht wechseln“, sagt Campino. „Aber das ändert nichts daran, dass ich nicht genauso mitfiebere und leide mit den Jungs.“ Herthas Auswärtsspiele verfolge er vor dem Liveticker, sagt er. Seinen Sohn nimmt er mittlerweile ins Olympiastadion mit. „Das ist ein helles Kerlchen“, sagt der Vater, „er ist völlig ohne meinen Einfluss überzeugter Liverpool-Fan und Hertha-Sympathisant.“ Das sei ohnehin kein großes Dilemma, fügt er lachend hinzu, weil die beiden Klubs ja auf absehbare Zeit erst einmal nicht mehr gegeneinander spielen würden.

Bei aller derzeitigen Sympathie für die Blau-Weißen ist aber klar: Eine neue Hertha-Hymne wird es aus der Feder des Toten-Hosen-Sängers nicht geben. „Das kann niemand von mir verlangen“, sagt er mit Verweis auf seine Treue zum FC Liverpool. „Nur für die würde ich was schreiben – aber die haben ja schon genug gute Lieder.“

Mit Markus Babbel trifft er sich, wann immer es der volle Terminplan der beiden eben zulässt. Ursprünglich wollte Campino dem Neu-Berliner auch das Nachtleben der Stadt näher bringen. Daraus ist bislang nicht viel geworden. „Ich erlebe den Markus hier in Berlin als sehr, sehr konzentriert auf seinen Job“, sagt der Musiker. „Alles, was mit einer großen Sause zu tun hat, müssen wir auf den Zeitpunkt verschieben, wenn der Aufstieg gesichert ist.“ Das liege auch daran, dass bei den Berliner Medien „die Lunte kurz“ sei. „Es herrscht ein unwahrscheinlicher Druck auf allen Beschäftigten. Ich finde das eher hinderlich.“

Vor dem Heimspiel gegen Düsseldorf lastet der Druck aber nicht nur auf Babbel und seiner Mannschaft. Für eine der beiden Seiten will sich Fortuna-Fan Campino aber nicht entscheiden. „Mit einem Unentschieden könnte ich ganz gut leben“, sagt er ausweichend, „wenn dadurch das Thema Aufstieg für Hertha nicht negativ beeinflusst wird.“ Sein Tipp? „Ein 2:2 oder 3:3 wäre für die Leute natürlich super.“ Sein gutes Verhältnis zu Herthas Trainer aber, das steht fest, wird unter dem Ergebnis sicher nicht leiden. „Eine Freundschaft ist eine intensivere Sache“, sagt Campino, „das hat mit einem Verein gar nichts zu tun.“

Rauchzeichen in der Kurve

– Der Einsatz von Pyrotechnik in den Fankurven wird hart bestraft. Nun wollen 55 deutsche Ultra-Gruppierungen eine legale Lösung erstreiten – der DFB setzt sich erstmals mit ihnen an einen Tisch.

Berlin (Tsp) – Als die Glocken läuteten, fing es an zu rauchen. Und als ein paar Sekunden später die ersten Riffs des Hardrock-Klassikers „Hell’s Bells“ aus den Boxen fetzten, zog bereits dicker weißer Qualm über den Gästeblock am Hamburger Millerntor. Der weiß gefrorene Rasen erschien in einer surrealen Tönung aus Feuer, Rauch und Flutlicht.

„Wir wollten zeigen, dass es nicht gleich Schwerverletzte geben muss, wenn Bengalos abgebrannt werden“, sagt Christian von der Lauterer Ultragruppierung „Pfalz Inferno“. Die Aktion der FCK-Fans zum Spiel ihrer Mannschaft beim FC St. Pauli war nur eine von vielen der letzten Wochen – auch an diesem Wochenende in Berlin waren bei Hallenturnieren wieder Transparente pro Pyrotechnik zu sehen.

Die deutschen Ultras, jene Fans also, die sich als harter Kern der Fankurven und Zentrum des Supports sehen, machen mobil. 55 Ultragruppen aus dem ganzen Land haben die Kampagne „Pyrotechnik legalisieren – Emotionen respektieren“ ins Leben gerufen. Sie wollen künftig auf den Rängen ganz legal Bengalos und Rauchtöpfe zünden dürfen. Dafür distanzieren sie sich in ihrem offiziellen Statement von „Böllern, Kanonenschlägen und sonstigen Knallkörpern“ wie Leuchtspurmunition und stellen klar: „Pyrotechnik gehört in die Hand, auf keinen Fall in die Luft und nach Möglichkeit nicht auf den Boden.“

Über 60 Fangruppen haben sich seit Beginn solidarisiert, Drittligist Dynamo Dresden unterstützt die Bemühungen der Fans als erster Profiverein. Der Schulterschluss der Fans quer durch die Vereinsszenen hat bereits das erste Ziel erreicht und eine Diskussion um Pyrotechnik in den Stadien losgetreten. Nun hat also auch der deutsche Fußball eine Rauchdebatte. Das vielleicht Erstaunlichste: Der Deutsche Fußball-Bund (DFB) hat Gesprächsbereitschaft signalisiert. Helmut Spahn, seit Ende 2006 DFB-Sicherheitsbeauftragter und Hauptabteilungsleiter Prävention und Sicherheit, will sich in den kommenden Wochen mit den Fans an einen Tisch setzen. „Es sieht alles danach aus, dass wir uns bald treffen“, sagte Spahn. In der Vergangenheit hatte sich der Dialog zwischen Offiziellen und Fußballfans meist auf das Aussprechen von Sanktionen beschränkt. Noch Mitte September war der Chemnitzer FC am Verbandsveto gescheitert, obwohl eine geplante Pyro-Show beim Spiel gegen den VfB Lübeck von den örtlichen Behörden bereits genehmigt worden war. Der Antrag sei zu kurzfristig eingetroffen, teilte der DFB mit.

Doch nun ist Bewegung in die Sache gekommen. Die rivalisierenden Ultragruppen sind sich bei der Fandemo am 9. Oktober in Berlin näher gekommen. „Das war der erste große Schritt in Richtung Zusammenarbeit“, sagt Fossa von den „Harlekins Berlin“. Die Ultragruppe von Hertha BSC gehört zu den Erstunterzeichnern der Pyro-Erklärung – ebenso wie die „Hammerhearts“ und das „Wuhlesyndikat“ des Stadtrivalen 1. FC Union. Auf der Website der „Harlekins“ prangt ein Foto der Kaiserslauterer Westkurve mit zig brennenden Bengalos. „Für uns ein absolutes Sinnbild für die Entwicklung der Pyrotechnik in Deutschland“, sagt Fossa. „In den Neunzigern wurde auch bei praktisch jedem Hertha-Spiel gezündet.“ Bengalos und Rauchtöpfe sind für ihn „ein klassisches Stilmittel“ der Kurve.

Das ist die eine Seite. Auf der anderen Seite sind zahlreiche Vorfälle aus den letzten Jahren zu nennen, bei denen Pyrotechnik außer Kontrolle geraten ist. Bilder, die Zuschauer und Verbände empört haben, wie die vom EM-Qualifikationsspiel aus Genua, als Vermummte aus dem serbischen Block qualmende Fackeln aufs Spielfeld warfen, Bilder von gestandenen Spielern, die weinten wie kleine Kinder. Die Ultras stemmen sich auch gegen ihren eigenen Ruf, der durch die gefährlichen Zündeleien gelitten hat. Auch in Deutschland. Ende Februar 2010 beispielsweise erlitten mehrere Menschen beim Bundesligaspiel des VfL Bochum gegen den 1. FC Nürnberg schwere Verbrennungen, als im Gästeblock mit Magnesiumpulver hantiert wurde. „Das hat mit einer geilen Pyro-Show nichts zu tun, sondern ist nur extrem gefährlich“, sagt Christian vom „Pfalz Inferno“.

Doch unter den Ultras herrscht noch lange kein Konsens. Einige wichtige Gruppen beteiligen sich nicht an der Initiative; aus Frankfurt am Main etwa, wo die Szene enormen Zulauf hat, kommt keine Solidarität. „Viele Gruppen beschäftigen sich mit Nebensächlichkeiten“, kritisiert Fossa von den „Harlekins“. „Es geht nur noch um Gewalt, Außendarstellung, Posen, Selbstdarstellung, darum, wer die Härtesten oder Gefährlichsten sind.“ Das gehe am ursprünglichen Ultragedanken „weit vorbei“, demzufolge der Blick sich nur auf die eigene Kurve richten solle. Dass selbst am gemeinsamen Aktionswochenende aus einigen Kurven Kanonenschläge flogen, wirft die Frage auf: Lässt sich kontrolliertes Abbrennen überhaupt praktisch umsetzen? Und wie lässt sich verhindern, dass der mühsam erkämpfte Verhandlungserfolg – wenn er zustande kommt – mit Böllerwürfen oder Leuchtraketen wieder aufs Spiel gesetzt wird? „Eine Fankurve ist kein Puppentheater, über dem man sitzt und alle nach den Fäden tanzen lässt“, gibt Fossa zu, „nicht jeder lässt sich von der Ultragruppe was sagen.“ Es werde auch darum gehen, die Kurve zu sensibilisieren und hinter der Initiative zu versammeln. „Da wird sich die Kraft und die Stärke der aktuellen Bewegung zeigen.“ Bei Hertha bemühe sich beispielsweise der „Förderkreis Ostkurve“ um eine bessere Kommunikation zwischen den Fangruppen.

„Es wäre schade, wenn einzelne Chaoten unsere Arbeit zunichte machen“, sagt auch Christian vom „Pfalz Inferno“, der „Aufklärungsarbeit bei den anderen Fans“ fordert. Wenn Fossa von Pyrotechnik redet, fällt oft das Wort „Leidenschaft“. Auch darum werde es gehen. Denn eine allzu sterile Lösung kann man sich auf Ultraseite nicht recht vorstellen. „Leidenschaft ist definitiv nur im Block möglich“, erklärt das Mitglied der „Harlekins“. „Sich stur vor die Kurve zu stellen, ein Bengalo hochzuhalten und es dann in einen Eimer zu packen, hat wenig mit Leidenschaft zu tun.“

Beispielhaft ist die Entwicklung in Chemnitz, wo der Dialog zwischen Fans und Behörden bereits genehmigte Pyro-Aktionen möglich gemacht hat. „Die Erfahrungen sind durchweg positiv“, sagt Kay Herrmann, Leiter des Chemnitzer Fanprojekts. Schon dass die Ultras mit der Polizei zusammenarbeiteten, sieht er als gute Entwicklung. Planen die Fans des Viertligisten für ein Spiel eine Bengalo-Aktion, erstellen Fans, Verein, Polizei, Ordnungsamt, Fanprojekt und Fanbeauftragte ein Konzept. Weil die Stadien in der Bundesliga um ein Vielfaches größer sind, sieht Kay Herrmann die Lösung in einer „lokalen Genehmigungspraxis“, bei der die örtlichen Behörden entscheiden, was wo zugelassen wird.

In Österreich gibt es bereits eine landesweite Lösung. Seit dieser Saison dürfen dort in designierten Bereichen in den Kurven bengalische Feuer abgebrannt werden – das Resultat einer Faninitiative. „Das ist fast die Optimallösung, die man hier in Deutschland erreichen könnte“, sagt Fossa, der hofft, dass es von Seiten des DFB „nicht bei Lippenbekenntnissen bleibt“. Sicherheitschef Helmut Spahn gibt der Sicherheit der Zuschauer „oberste Priorität“, kündigte aber an, „ohne Vorbehalte und ergebnisoffen“ in die Diskussion gehen zu wollen. Sonst wäre es am Ende auch allzu viel Rauch um nichts gewesen.

Im Ring der Ehre

– Vor dem Boxkampf Marco Huck gegen Denis Lebedjew

Berlin (Tsp) – Der Mann mit der Mütze sagt nur zwei Sätze. „Ich bin nicht besonders gesprächig. Alles, was ich kann, werdet ihr am Samstag im Ring sehen.“ Denis Lebedjew hinterlässt einen klaren Eindruck vor seinem Kampf gegen Marco Huck heute Abend (22.15 Uhr, live in der ARD). Der 31-jährige Russe ist nach Berlin gekommen, um zu boxen. Den Rest überlässt er seinem Gegner.

Es geht um den WM-Gürtel im Cruisergewicht nach Version der WBO. Der liegt einen Meter links von Lebedjew, sorgsam für die Kameras drapiert, genau vor Huck. Der Champion ist im Gegensatz zu Lebedjew vor allem deshalb gekommen, um zu provozieren. Noch bevor die Veranstaltung beginnt, überreicht er dem Herausforderer einen Plastikgürtel, „damit du am Samstag auch einen hast“, sagt er und lacht Lebedjew herausfordernd an.

Der verzieht keine Miene. „Es ist für uns eine sportliche Veranstaltung“, sagt sein Manager Wlad Hrunow mit ruhiger Stimme.

Während Huck in seinem schwarzen Anzug mit dem pinken Schlips eine Art Klassenclown gibt („Auf den Fotos war er nicht so hässlich!“), schweigt Lebedjew in seinen dunklen Trainingsklamotten – und starrt. Mal in Richtung seiner Übersetzerin, mal hinüber zu Huck, mal ins Publikum. Starrt und schweigt. Nur einmal kommt ein Hauch von Emotion über den blassen Boxer mit dem markanten Profil. „Wir haben vor niemandem Angst“, hat sein Trainer Waleri Below gerade gesagt, da deutet Lebedjew mit den Händen Applaus an und nickt zustimmend, der Schirm seiner schwarzen Baseballmütze wippt zwei-, dreimal schnell auf und ab. Dann starrt er wieder.

Hucks Leute fühlen sich bei dieser Rollenverteilung sichtlich unwohl – und versuchen ihren Boxer ins rechte Licht zu rücken. „Er meint, das gehört dazu. Er ist da unbelehrbar“, sagt sein Promoter Wilfried Sauerland zu den Mätzchen. Auf ihn kommt ein Kampf zu, den Promoter hassen, einer, „bei dem man nicht weiß, wer sich am Ende durchsetzen wird“. Sollte Huck seinen Titel verlieren, bleiben dem Sauerland-Stall noch weniger Helden. Sauerland weiß das, auch wenn er die besondere Bedeutung herunterspielt. „Jeder Kampf ist ein wichtiger Kampf. Egal wie es läuft, es wird bei uns hinterher kein Desaster ausbrechen.“

Doch natürlich ist es ein besonderer Kampf. Vor allem wegen Helsinki. Es ist das Wort, das die Gesichter der Leute von „Sauerland Event“ dieser Tage schlagartig verdüstert. „Wo immer ich hingehe, werde ich darauf angesprochen“, erzählt der Promoter, der in die „Hall of Fame“ des Boxens aufgenommen wurde: „Alle fragen sich, warum er nicht wenigstens gekämpft hat?“ Arthur Abraham, der für Helsinki verantwortlich ist, hat mit seiner verheerenden Niederlage im Super-Six-Turnier gegen Carl Froch Fassungslosigkeit in seinem Umfeld ausgelöst. Deshalb sagt sein Trainer Ulli Wegner, der auch Huck coacht, vor dem letzten Kampf des Jahres einen Satz besonders laut: „Es geht um meine Ehre.“ Die Worte bleiben für einen Moment im Raum stehen, heiser, bitter.

Fast 40 Jahre ist Wegner im Geschäft, etwas wie vor drei Wochen in Finnland hat er noch nie erlebt. Er will nicht mehr darüber reden, und lernen könne Huck von Abrahams Auftritt schon mal „überhaupt nichts“. Nicht mal die DVD desKampfes hat er sich hinterher angeschaut. „Die liegt noch auf meinem Küchentisch.“ Nun hofft er, genau wie Sauerland, dass Huck den seltsamen Schweiger aus dem Osten besiegt.

„Er darf sich nicht provozieren lassen und in einen Konter laufen“, sagt Wilfried Sauerland: „Wenn Marco konzentriert durchboxt, gewinnt er den Kampf klar.“ Vor Lebedjew hat er großen Respekt. „Ich habe ihn schon oft boxen sehen. Da steckt schon was dahinter“, sagt Sauerland. „Man bekommt schon das Kribbeln, wenn er in den Ring kommt.“ Denn dann trägt Denis Lebedjew, dieser schweigsame Fighter, ungeschlagen in 21 Kämpfen, immer eine Fallschirmspringeruniform.

Formel Eis

– Formel-1-Champion Sebastian Vettel fuhr auf der Straße des 17. Juni eine Ehrenrunde. Trotz Bibberwetters waren einige Tausend Zuschauer gekommen

Der Weltmeister macht seine Hausaufgaben. Prüfend bewegt er die Sohle seines rechten Schuhs über das rutschignasse Pflaster, geht auf die Knie, um mit der flachen Hand den angrenzenden Asphalt zu inspizieren. Dann weicht Sebastian Vettels kritischer Blick einem Grinsen. „Gut, dass kein Schnee liegt, Spikes haben wir nicht dabei“, sagt er und lacht sein Vettel-Lachen. Um die schnellste Rundenzeit geht es nicht an diesem Novembermittag.

„Sebastian Vettels Ehrenrunde durch Berlin“, so ist die Veranstaltung auf der Straße des 17. Juni angekündigt worden. Rein meteorologisch ist der Empfang, den die Stadt dem neuen Formel-1-Champion bereitet, äußerst frostig, dennoch sind einige Tausend Berliner gekommen.

Als der Moderator um 12:50 Uhr feierlich erklärt, von Vettels Dienstwagen würden gerade die Heizdecken entfernt, hätte wohl mancher gerne mit den vier Pneus getauscht, die wohlgewärmt die kurze Fahrt vom Brandenburger Tor zur Yitzhak-Rabin-Straße und zurück antreten. Doch schon rollt der Champion mit seinem RB6-Boliden, den er selbst nur „Randy Mandy“ nennt, aus der Garage.

Ein Auftritt auf der Fanmeile, genau wie die Fußballer 2006 und 2008 – mit dem Unterschied, dass Vettel tatsächlich den Titel im Gepäck hat. Die kurze Berlin-Rundfahrt findet in improvisierter Umgebung statt. Direkt neben der Strecke türmt sich ein Erdhaufen. Entlang der Fahrbahn hat man provisorische Leitplanken gezogen, an den Wendekreisen keine Reifenstapel, sondern weiße Sandsäcke.

Vettel beschleunigt, ein bisschen. Vorbei geht es am Sowjetischen Ehrenmal, in gemächlichem Tempo, wegen des doch sehr holprigen Belags. „Das ist ja hier eine Baustelle“, sagt der 23-Jährige hinterher und lacht wieder sein Vettel-Lachen. Nein, nein, es sei „schon kein schlechtes Gefühl, auf die Siegessäule zuzufahren“. An den Scheitelpunkten der engen Strecke ist dann auch Platz für Spaß. Vettel lässt den Motor aufheulen und dreht sich mit qualmenden Reifen mehrfach um die eigene Achse. Die Fans jubeln. Dann geht es zurück. Durch die kahlen Bäume des Tiergartens meint man, eher einen trompetenden Elefanten als ein Rennauto näherkommen zu hören. Der Reifenqualm ist noch nicht verzogen, da entsteigt Vettel schon wieder seinem glänzenden Gefährt.

„Janz jut“ sei das gewesen, findet Dietmar aus Reinickendorf nach der Show. Er ist dem Anlass entsprechend gekleidet, trägt Motorradjacke und ein rotes Käppi mit dem Namen eines Reifenherstellers. Er sei ja „eigentlich Schumi-Fan“, gibt er zu. „Aber ich bin hier, um als Formel-1-Fan Vettel meine Ehre zu erweisen.“ Nur der Klang sei wenig authentisch. „Der konnte ja überhaupt nicht ausfahren. Wenn bei einem richtigen Rennen mehrere Wagen mit Topspeed an einem vorbeirauschen, dann wackelt die Bauchdecke.“ Auch bei Eftychios Latinakis blieben die mitgebrachten Ohrenschützer ungenutzt. Der Deutsch-Grieche und sein Sohn Filimon hatten dennoch Spaß. Der Junior beschreibt, warum Vettel sein Liebling ist: „Er ist ein richtig guter Fahrer. Und er macht oft Scherze.“

Mit der Currywurst aber meint es Vettel dann doch ernst. „Die muss ab und zu sein, besonders in Berlin“, sagt er und beschreibt noch schnell den Weg zu seinem Lieblingsimbiss: „Da hinten links,unter der S-Bahn am Bahnhof Friedrichstraße“.