Die Toten und die Folgen

– Waren ägyptische Ausschreitungen politisches Kalkül?

Berlin/Kairo (dapd). Zurückgeblieben ist ein Schlachtfeld: Zertrümmerte, blutverschmierte Sitze, aus den Angeln gerissene Sicherheitstore, einsame Kleidungsstücke auf der Laufbahn. Die Bilder, die internationale Fernsehsender am Tag danach aus dem Fußballstadion der ägyptischen Hafenstadt Port Said verbreiten, zeigen die erschütternde Ruhe nach der Katastrophe.

Das Spitzenspiel der ägyptischen Liga hat einen Kriegsschauplatz produziert. 74 Menschen verloren am Mittwochabend nach der Partie des heimischen Klubs Al-Masri gegen Al-Ahly Kairo ihr Leben, mehr als 200 wurden verletzt. Ägyptens erfolgreichster Fußballer formuliert am Tag danach die spontane Schlussfolgerung vieler seiner Landsleute: „Es hatte auf keinen Fall etwas mit Fußball zu tun, sagt Hany Ramzy der dapd.

Ramzy hat 125 Mal für sein Land gespielt, Al-Ahly Kairo ist sein Stammverein. „Das war vorher geplant“, sagt er am Tag danach. „Das Stadion war voll, es war ein wichtiges Spiel. Es war ein guter Anlass, etwas Schlimmes zu tun.“

Schon in der Nacht von Mittwoch auf Donnerstag war die Beileidskundgebung von Hunderten Menschen vor dem Vereinsgelände von Al-Ahly in einen lautstarken Protest gegen den regierenden Militärrat umgeschlagen.

Auch Experten führen mögliche Szenarien mit politischem Hintergrund an. Eines davon besagt, die Sicherheitskräfte hätten die Krawalle absichtlich geschehen lassen, um die Bedeutung der Polizei in der derzeit angespannten Lage hervorzuheben. Ein anderes, dass der Militärrat bewusst wenige Polizisten eingesetzt habe, um die Ultras von Al-Ahly zu provozieren und deren Glaubwürdigkeit öffentlich weiter zu diskreditieren. „Keine dieser Annahmen ist völlig an den Haaren herbei gezogen“, schreibt James M. Dorsey in einem Beitrag bei ForeignPolicy.com. Dorsey ist Universitätsprofessor in Singapur und betreibt das Blog „The Turbulent World of Middle East Soccer“.

Für Dorsey stellt die offenbar geplante Tragödie vom Mittwoch einen Wendepunkt seit dem Sturz von Präsident Husni Mubarak dar. Sie werde „militante, extrem politisierte, gewaltbereite Fangruppen weiter isolieren und die Rufe nach Recht und Ordnung verstärken“, schreibt der Experte.

Speziell die Ultras von Al-Ahly haben aus ihrer Unterstützung für die Revolution im Frühjahr 2011 keinen Hehl gemacht. In einem Interview mit dem „11Freunde“-Magazin rühmte sich ihr Sprecher, seine Gruppe sei während der Mubarak-Diktatur „die einzige wirklich existierende Opposition junger Ägypter“ gewesen. Bei den Protesten rings um den Kairoer Tahrir-Platz gingen die Ultras geschlossen und durch jahrelange Auseinandersetzungen mit der Polizei geübt gegen die Sicherheitskräfte vor. „Das war ein Krieg, und wir haben ihn gewonnen“, bilanziert der Sprecher der „Ultras Ahlawy“ in dem Interview aus dem April 2011.

Ist der tödliche Platzsturm also ein indirekter Angriff auf diese mächtige Fanbewegung gewesen, die auch nach Mubaraks Sturz für die Ziele der Revolution auf die Straße ging? Beobachter rechnen zumindest damit, dass die „Law & Order“-Befürworter nun Rückenwind bekommen – und die Fans an Einfluss verlieren.

Fest steht jedenfalls, dass der von den Ultras schon für gewonnen erklärte Krieg weitergeht – der Mittwoch war sein bislang traurigster Tag.