Am Anfang steht direkt eines dieser klassischen Berliner Probleme. Den ausgemachten Treffpunkt, das „Süße Café“ in der Grüntaler Straße, gibt es nicht mehr. „Vor sechs Wochen bin ich noch dran vorbeigelaufen“, sagt Steffen Greschner. Kurzes Achselzucken und der schnelle Alternativvorschlag: Die Eckkneipe „Zum Dicken“, 50 Meter weiter. Dort angekommen sagt Greschner: „Genau darum bin ich gerne in Berlin.“ Anfang Januar hat er zusammen mit seiner Mitstreiterin Anja Prüfer das Blog „Unnützes Berlinwissen“ ins Leben gerufen. Die Seite macht sich gut, bei Facebook hat sie nach drei Wochen bereits mehr als 300 „Gefällt mir“-Angaben.
Besucher können sich an kleineren und größeren Geschichten über die Stadt erfreuen, sie lernen zum Beispiel, dass Berlins kleinstes Haus in der Kreuzberger Oranienstraße steht und das Vorbild für das Brandenburger Tor in Athen.
Und dass die Berliner Ortszeit eigentlich 6:22 Minuten hinter der Mitteleuropäischen Zeit hinterherhinkt. Offizielle Selbstbeschreibung der Seite: „Die große Stadt und die vergessenen Geschichten dahinter. Skurriles und Geschichtsträchtiges. Blödsinn und Erstaunliches. Zeug, das keiner wissen wissen muss. Unnütz vielleicht. Berlin eben.“
„Die kleinen, teils amüsanten Geschichten im historischen Kontext“, so fasst Greschner das zusammen, amüsante Zitate sind auch mit dabei. Wie das des Schriftstellers Jean Paul, wonach Berlin „mehr ein Weltteil als eine Stadt“ sei. Am besten beschreiben ließe sich der Inhalt der Seite, sagt Greschner, unter dem Label Kneipenwissen. Das „Wusstest-du-eigentlich?“, wie es tagtäglich auch hier im „Dicken“ im Dunst der Zigaretten ausgetauscht wird.
Das Team steht dabei für die Dualität der Großstadt. Prüfer, 29, ist die Alteingesessene, in Weißensee aufgewachsen, nun Weddingerin. Und Greschner, nun, der kommt ursprünglich aus Stuttgart, was natürlich sofort auch Thema ist. Weil es immer Thema ist. „Es ist nicht böse gemeint“, sagt der 32-Jährige und verdreht die Augen, „aber es nervt, wenn jedes Mal ein Spruch oder ein Witz über die Schwaben kommt.“
Auch aus diesem Grund: Das Blog. „Es ist auch ein Bildungsprojekt“, sagt er. Denn das Attribut „unnütz“ ist natürlich teils ironisiert, wie das in der Generation der beiden unerlässlich ist, damit sich überhaupt jemand dafür interessiert. „Das ist wohl auch so eine Facebook-Sache“, sagt Greschner. „Das leicht Provozierende spricht und zieht die Leute eher an.“
Provozierend scheint auch die Anwesenheit der kleinen Gruppe aus Bloggern, Reporter und Fotograf zu wirken, einer der Stammgäste ruft dazwischen: „Euch Touristen kann er ja knipsen! Aber ich will nicht auf Seite eins landen.“ Wenn das so weitergeht, qualifiziert sich der ältere Herr gleich noch für die Kategorie „Jeplapper“, die den beiden besonders ans Herz gewachsen ist. Dort finden sich typische Altberliner Sprüche. So wie: „Ick find mir hübsch, ick könnt mir dauernd küssen“ oder auch „Lieb mir oder ick zerhack dir die Kommode“. Unwiderlegbar überdies die Weisheit: „Säufste – stirbste. Säufste nich – stirbste ooch. Also säufste.“
Vieles davon stammt aus der lebenslangen Berlin-Erfahrung der Frau im Team, die sagt: „Ich bin ja hier groß geworden, im Spreewasser getauft und so weiter, das meiste kenne ich also selbst.“ Greschner ist in dieser Rubrik eher seliger Empfänger: „Das meiste ist mir neu und ich könnte mich wegpacken.“
Die Berlinerin und der Schwabe, sie ergänzen sich ganz gut. „Er ist immer so korrekt“, flüstert sie, als er von dem Impressum des Blogs erzählt. „Ja, und ich achte auch darauf, dass jedes Foto lizenzfrei ist“, sagt er. Eine Abmahnung über ein paar Hundert Euro könne schließlich schnell das Ende des Spaßprojekts bedeuten. Sicher, irgendwann mal ein paar Euro zu verdienen mit dem „Berlinwissen“, sei keine schlechte Sache. „Vielleicht ein Freitagabend-Kneipentipp für 20 Euro oder einen Abend Bier oder was auch immer“, sagt Greschner.
Doch das alles hat Zeit und die wollen sie ihrer Seite auch geben. „Lieber an den kleinen Punkten genauer hinschauen“, sagt Greschner. „Sonst kommt nur etwas Hektisches heraus. So eine Kneipe wie hier, die sehe ich ja gar nicht, wenn ich nur vorbei hetze zur Haltestelle, zur nächsten Gästeliste.“
Quasi im Vorbeischlendern also stoßen die beiden auf die skurrilsten Fakten. Dass in Reinickendorf Europas größte Fabrik für Fertigpizzen steht, eine halbe Milliarde Euro Jahresumsatz. Und dass Joseph Goebbels und Walter Ulbricht mal gemeinsam auf einer Rednerbühne standen, 1932, beim BVG-Streik, zu dem NSDAP und KPD aufgerufen hatten.
„Schon der Wikipedia-Eintrag über die Kastanienallee gibt drei, vier schöne kleine Geschichten her“, sagt Greschner. „Dass dort beispielsweise die ersten Filmaufnahmen Deutschlands gemacht wurden, weiß wahrscheinlich niemand.“
Am Schluss noch ein Praxistest für die Macher. Klassische Berliner Schule. Wie nützlich ist es zu wissen, an welcher Seite des U-Bahnhofs man aussteigen muss? Prüfer sagt schnell: „Ist doch egal, ob man den Weg vorher oder hinterher läuft.“ Greschner widerspricht: „Wenn ich nach Hause fahre, lauf ich immer vorher schon dorthin, wo ich raus muss.“ Verblüffend: Der Schwabe als besserer Berliner, wer hätte das gedacht! (Tagesspiegel)