„Welchen Grund hat man, Menschen zu töten?“

– Hany Ramzy über die Ausschreitungen in Port Said: „Es hatte auf keinen Fall etwas mit Fußball zu tun.“

Berlin/Kairo (dapd). Der ehemalige ägyptische Nationalmannschaftskapitän Hany Ramzy geht nach den Ausschreitungen in Port Said mit 74 Toten von einer vorbereiteten Aktion aus. „Das Spiel ging 3:1 für Al-Masri aus. Welchen Grund hat man, nach einem Sieg aufs Feld zu rennen und Menschen zu töten?“, sagte der ehemalige Bundesliga-Profi der Nachrichtenagentur dapd in einem Telefongespräch. „Das war vorher geplant. Das Stadion war voll, es war ein wichtiges Spiel. Es war ein guter Anlass, etwas Schlimmes zu tun“, sagte Ramzy weiter.

Augenzeugen hatten nach der Gewalt am Mittwochabend kritisiert, die im Stadion anwesenden Sicherheitskräfte hätten nicht entschlossen eingegriffen. Ultras von Al-Ahly waren zahlreich und gut organisiert an den Demonstrationen und Straßenschlachten rings um den Kairoer Tahrir-Platz Anfang 2011 beteiligt gewesen.

Ramzy sagte, er wisse nicht, wer für die schlimmen Ausschreitungen am Mittwoch verantwortlich gewesen sei. „Ich weiß nur: Es hatte auf keinen Fall etwas mit Fußball zu tun. Aber wer hat das getan? Das ist das große Fragezeichen“, sagte Ramzy, der das Spiel in Kairo am Fernseher verfolgte. „Die Atmosphäre ist sehr seltsam. Jeder spricht über das, was gestern Abend passiert ist.“ Ramzy zeigte sich fassungslos über das junge Alter der 74 Menschen, die bei den Ausschreitungen ihr Leben ließen: „Die Toten sind fast alle zwischen 15 und 20 Jahre alt. 90 Prozent sind unter 20 Jahre alt. Wer wird dafür bezahlen?“, sagte Ramzy der dapd.

Ursprünglich habe er das Spiel zwischen Al-Masri und Al-Ahly am Mittwochabend im Stadion von Port Said verfolgen wollen, sagte der 44 Jahre alte Ex-Profi, der derzeit die ägyptische U23-Mannschaft als Trainer auf Olympia in London vorbereitet. Nur wegen einer Erkrankung seines Sohnes sei er in Kairo geblieben. Vier seiner Spieler hätten im Kader der beiden Teams gestanden, drei beim Gastgeber Al-Masri, einer bei Al-Ahly. Erst nach Stunden habe er sie telefonisch erreicht. „Die Spieler von Al-Ahly waren drei Stunden nach dem Spiel in der Kabine eingesperrt. Es gab Panik. Dann kam ein Militärflugzeug und hat sie zurück nach Kairo geflogen.“

Wie es sportpolitisch weitergehe, sei unklar, sagte Ramzy. Denkbar sei, dass die gesamte restliche Fußballsaison der ägyptischen Liga wegen der schlechten Sicherheitslage abgesagt werde. „Das wäre ein großes Problem für unsere Olympia-Vorbereitung“, sagte Ramzy.

Ramzy, der zwischen 1994 und 2005 insgesamt 228 Bundesligaspiele für Bremen und Kaiserslautern absolvierte, spielte als Jugendlicher und als Jungprofi bei Al-Ahly Kairo.

„Ich hatte große Angst“

– Der frühere Bundesligaprofi Hany Ramzy über den Umsturz in Ägypten und Hoffnung durch Fußball

Hany Ramzy, Ägypten ist seit Tagen im Ausnahmezustand. Wie haben Sie die Proteste erlebt?

Die letzte Woche war sehr schwierig, für jeden hier. Wir wussten nicht, was der nächste Tag bringen würde. Die Armee war auf den Straßen, Häftlinge sind aus den Gefängnissen entkommen. Als das alles losging, habe ich meiner Frau und meinen Kindern ein Flugticket nach Italien gekauft. Seitdem sind sie da.

Wie sah der Alltag in Kairo aus?

Jede Nacht, von sechs Uhr abends bis fünf Uhr morgens, war ich mit den Nachbarn draußen auf der Straße, um auf meine Familie und mein Haus aufzupassen. Es gab ja keine Polizei, keine Sicherheit.

Jeder hatte eine Art Waffe in der Hand, um Diebe abzuschrecken. Eine kleine Pistole, einen Knüppel oder ein Messer.

Was hatten Sie dabei?

Ich hatte so einen elektrischen Stab. (lacht). Naja, es ging vor allem darum, dass man sich selbst sicherer fühlte. Wir mussten ja die Arbeit der Polizei übernehmen, wir hielten Autos an und kontrollierten Ausweise. Meine Mutter und meine Schwester waren oben im Haus und konnten nicht schlafen, weil sie Angst hatten, dass mir etwas passiert. Auch ich hatte große Angst.

Gab es Probleme in Ihrer Nachbarschaft?

Bei uns blieb es zum Glück ruhig, es gab keine Schießereien wie anderswo. Ich lebe nahe dem Flughafen, das ist ein gutes Stück vom Tahrir-Platz entfernt.

Sie sind Trainer der ägyptischen U-23-Auswahl. Konnten Sie tagsüber überhaupt mit Ihren Spielern trainieren?

Die Liga pausiert – wahrscheinlich bis Ende Februar. Erst seit einer knappen Woche trainieren die Klubs überhaupt wieder einmal am Tag. Ich spreche jeden Tag mit den Trainern und meinen Spielern, ich frage, wie es ihnen geht, wie die Bedingungen sind. An ein Trainingslager war bislang nicht zu denken. Hoffentlich geht das nächste Woche, denn wir haben am 25. März unser erstes wichtiges Qualifikationsspiel für die Olympischen Spiele 2012 – in Kairo gegen Botswana.

Nun ist Mubarak zurückgetreten. Wie hat das die Atmosphäre im Land verändert?

Als der Präsident am Freitag seinen Rücktritt bekannt geben ließ, sind alle auf die Straßen geströmt und haben angefangen zu feiern. Es ist eine Stimmung, als hätten wir den Afrika-Cup gewonnen. Aber es geht auch um die Zukunft. Sie liegt jetzt in den Händen der Armee.

Haben Sie Hoffnung oder Sorge für die Zukunft?

Ich bin Optimist, deswegen habe ich Hoffnung. Ägypten braucht Demokratie und Freiheit. Wir sind kein Armeestaat, deshalb muss die Macht schnell an eine neue Kraft übergehen. Jetzt geht es um eine ruhige Zukunft. Auch für den Fußball. Wir wollen unbedingt zu den Olympischen Spielen. Das ist ein großer Traum. Das letzte Mal waren wir 1992 dabei.

Kann der Fußball den Ägyptern helfen, in den Alltag zurückzukehren?

Die Leute wollen Normalität, sie wollen wieder jeden Tag zur Arbeit gehen. Und sie wollen Fußball schauen. Fußball ist sehr, sehr wichtig für die Ägypter. Das Interesse besonders an der Nationalmannschaft ist riesig. In den letzten sechs Jahren haben wir ja drei Mal den Afrika-Cup gewonnen. Wenn Ägypten spielt, sind immer mindestens 70 000 im Stadion.