Das dritte Tor

– Englands WM-Held Geoff Hurst wird 70 Jahre alt

Berlin (dapd). Hurst? Wembley! Wenige Namen sind mit einem Ereignis so eng verknüpft wie der von Geoff Hurst mit dem Tor zum 3:2 im WM-Finale von 1966. Er ist der Mann, der den Ball in der 101. Minute über Hans Tilkowski an die Latte donnerte und damit die hartnäckigste Debatte der Fußball-Geschichte auslöste. Er bescherte England den einzigen großen Titel in der Sportart, die auf der Insel erfunden wurde. Und, fast nebenbei, ist der Stürmer von West Ham United bis heute der einzige, dem drei Tore in einem WM-Finale gelangen. Am Donnerstag wird Geoff Hurst 70 Jahre alt.

Zehn Minuten sind gespielt in der Verlängerung im Londoner Wembley-Stadion, die Gegner und Außenseiter Deutschland nur durch den Last-Minute-Treffer von Wolfgang Weber erreicht hat. Das Spiel wogt hin und her, beide Teams wollen die Entscheidung. Nun ein schneller Angriff der Engländer über die rechte Seite, von wo Alan Ball aus vollem Lauf scharf an den Fünfmeterraum flankt. Hurst reagiert am schnellsten, stoppt den Aufsetzer und schießt aus der Drehung – schon dass er den Ball in dieser Lage am Fünfmeterraumeck überhaupt derart gefährlich aufs Tor bekommt, ist eine Leistung für sich. Tilkowski streckt sich vergeblich – und Wembley hält den Atem an.

Weil Schiedsrichter Gottfried Dienst zögert, will jede Seite eine für sie vorteilhafte Entscheidung beschwören. „Hei! Nicht im Tor! Kein Tor!“, ruft ARD-Kommentator Rudi Michel. Und schiebt nach einer kurzen Pause ein leise zweifelndes „Oder doch?“ hinterher. „It must be a goal! I would have thought that went in!“, schickt derweil der BBC-Radiokommentator Brian Moore über den Äther. Wie wir wissen, bekommt er Recht. Dazwischengeschaltet wird vom zweifelnden Schweizer Referee der „russische“ Linienrichter, Tofik Bachramow, den die Engländer danach lieben, die Deutschen verachten.

2004 wird auch Geoff Hurst zugegen sein, wenn in der aserbaidschanischen Hauptstadt Baku, Bachramows wirklicher Heimat, eine Statue zu Ehren des Linienrichters enthüllt wird. Verständliche Dankbarkeit: Hätte Bachramow auf Diensts Frage nicht so entschlossen genickt, wer weiß, wie dieses Endspiel ausgegangen wäre, und welchen Platz Geoff Hurst heute in der englischen Sportgeschichte einnehmen würde. So aber ist sein Ruhm in der Heimat auf alle Zeiten gesichert, 1998 schlug ihn die Queen zum Sir.

Was hinter all den Kontroversen fast verblasst: Bis heute hat keiner außer Hurst drei Tore in einem Endspiel geschafft. In der ersten Halbzeit hat er Helmut Hallers 1:0 ausgeglichen, in letzter Minute macht er endgültig alles klar. Kritiker wenden ein, dass auch das 4:2, Hursts dritter Treffer mit der letzten Aktion des Spiels, zumindest kuriose Begleitumstände hat. Dienst hat die Pfeife schon im Mund, lässt dann aber doch noch den letzten englischen Angriff ausspielen. Während Hurst alleine auf Tilkowski zustürmt, tummeln sich bereits einige feiernde Fans in der deutschen Hälfte. Legendär werden die begleitenden Worte von BBC-Mann Kenneth Wolstenholme: „There are people on the pitch, they think it’s all over. (Hurst trifft.) It is now.“

Das Finale von Wembley ist dabei erst das achte Länderspiel des 24-jährigen Angreifers. Das Ende seiner Nationalmannschaftskarriere kommt sechs Jahre später, natürlich in Wembley gegen Deutschland. Die 1:3-Viertelfinal-Niederlage bei der EM 1972 ist sein letzter Auftritt für die „Three Lions“. Ein Tor gelingt ihm diesmal nicht. Nach 60 Minuten wird der WM-Held ausgewechselt.

Nach dem Ende seiner Profi-Laufbahn, die er 1976 in den USA ausklingen lässt, wird Hurst Trainer, ist aber zumeist nur in der zweiten Reihe zu finden – unter anderem als Assistent von Nationaltrainer Ron Greenwood. Dem Erfolg, den er einst mit seinem Hattrick herausschoss, läuft das englische Team seitdem hinterher. Und so steht der Name Geoff Hurst nicht nur für das Ende der langen Titellosigkeit, sondern auch für den Beginn des nächsten englischen Traumas.