Respekt am Grill und auf dem Platz

– Der Berliner Fußball-Verband müht sich um Integration – immer wieder kommt es zu Rassismus und Gewalt

Berlin (dapd). Die Frau im Kopftuch wird freudig begrüßt, kurz darauf brutzelt saftiger Sis Kebab neben goldenen Maiskolben auf dem Grill, dazu gibt es deutschen Kartoffelsalat. Und dann beginnt das Spiel, das die afrikanischen, türkischen oder deutschen Eltern der Nationalspieler vor dem Fernseher verfolgen. „Mas Integracion“, der Imagefilm des DFB war vier Jahre lang vor jedem Länderspiel zu sehen und ist sicher einer der meistgesehenen TV-Spots aller Zeiten.

Eine multikulturelle Nationalelf eines perfekt integrierten Landes – die Realität ist wie so oft ein bisschen weniger bunt und schön als der Film. So brach nach der EM eine krude Debatte über das Mitsingen der Hymne von Spielern mit Migrationshintergrund los.

In Berlin, wo am Donnerstag Bundeskanzlerin Merkel mit deutschen Fußballgrößen die Integrations-Initiative „Geh Deinen Weg“ vorstellt, sind rund 40 ethnische Fußballvereine angemeldet. Sie heißen BSV Hürtürkel, FK Srbija, SD Croatia oder SC Al-Quds. Im Liga-Alltag kommt es immer wieder zu Gewalt und Rassismus, von deutschen Vereinen gegen Migrantenklubs – oder von verfeindeten Ethnien gegeneinander. So wurden Anfang Juni ein Spieler und der Trainer von Hürtürkel nach antisemitischen Beleidigungen gegen den jüdischen Verein TuS Makkabi mit mehrmonatigen Sperren belegt, der Verein erhielt eine Geldstrafe und Punktabzug.

Alexander Sobotta leistete viereinhalb Jahre im Integrationsprogramm des Deutschen Fußball-Bund (DFB) Pionierarbeit, der 34-Jährige ist jetzt selbstständig im Bereich „Diversity Management“ tätig. Für seine Diplomarbeit besuchte er türkische Vereine in Berlin. Sein Fazit fiel „differenziert“ aus. Es gebe Klubs, die sich öffnen wollten und Sozialarbeit leisteten, sagt er, bei Türkiyemspor spielten Fußballer aus rund 20 Nationen. Aber es gebe auch Gegenbeispiele. „Gerade kleinere Vereine sind immer noch Anlaufstellen für Menschen aus der gleichen Herkunftsregion.“

Das bestätigt Bernd Schultz, der Präsident des Berliner Fußball-Verbandes (BFV). Problematisch sei vor allem, die Vereinsvertreter dazu zu bewegen, für Ämter und Gremien zu kandidieren. „Oft konzentrieren sie sich sehr auf sich. Ich sage immer, ‚Leute, bringt euch ein‘, aber sie kapseln sich ab.“ Häufig käme ein Sprachproblem dazu, obwohl Spieler und Betreuer meist schon in der dritten Generation in Deutschland lebten. „Es vermischt sich aber erfreulicherweise mehr und mehr“, sagt der 54-Jährige der dapd.

Zwtl.: Ehrenamt unter Migranten rasant ansteigend

Das ehrenamtliche Engagement unter Migranten ist im Fußballbereich derweil rasant im Anstieg. Von 2007/08 bis 2009/10 wuchs ihr Anteil an der Gesamtzahl laut „Sportentwicklungsbericht“ des DOSB von 7,2 auf 13 Prozent – fast zehn Prozent mehr als im Gesamtsport. Zum Vergleich: 19 Prozent der DFB-Mitglieder haben einen Migrationshintergrund. In Berlin sitzt der Deutsch-Türke Mehmet Matur als Integrationsbeauftragter im Verbandspräsidium. „Er kennt Gott und die Welt bei den Vereinen“, sagt Sobotta.

In der Vergangenheit war der BFV für schleppende Aufarbeitung von Gewalt- und Rassismusfällen kritisiert worden. Das harte Urteil gegen Hürtürkel in diesem Jahr soll auch Symbolwirkung entfalten. „Wir haben die Regeln erheblich verschärft. Wir erwarten Respekt voreinander auf den Plätzen“, sagt Präsident Schultz.

Dass es unter Migranten eine höhere Gewaltbereitschaft gebe, wie oft unterstellt wird, verneint er. „Wir haben das von der Uni Potsdam untersuchen lassen. Sie haben genau so viele Deutsche, die ausrasten, wie Personen mit Migrationshintergrund.“ Er betont jedoch auch, dass es sich bei Einwanderern der dritten Generation auch um Deutsche handele: „Das sind ja keine Leute aus Anatolien, sie sind hier geboren und aufgewachsen. Da hat die Gesellschaft etwas verpasst. Wir als Sport sind nicht der Reparaturbetrieb.“

Separate Ligen sind für Bernd Schultz keine Lösung. „Wir müssen in einer Weltstadt wie Berlin die vielen Kulturen und Nationen in den Vereinen unter ein Dach bekommen.“ Aber auch der Dachverband sei gefragt: „Es muss Aufgabe des DFB bleiben, sich dieser gesellschaftlichen Themen auch weiterhin anzunehmen.“ Multi-Kulti-Grillfeste sind im Berliner Verband übrigens bereits Realität, auch wenn sie bei Problempaarungen unter Umständen vom BFV verordnet werden – Integration auf Befehl sozusagen.

Polen baut

– Zu Besuch in den vier EM-Städten: Danzig, Warschau, Posen, Breslau und zurück

Kurz vor der Landung in Danzig taucht im winzigen Fenster der Propellermaschine ein gold-glänzendes Raumschiff auf, das auf halbem Weg zwischen Altstadt und Weichselmündung auf freiem Feld gelandet ist. In diesem bernsteinfarbenen Ufo wird nächsten Sommer Fußball gespielt. Die Vorboten der Fußball-Europameisterschaft sind bereits da. Was ist mit dem Rest? Die Erkundung des EM-Gastgeberlandes Polen führt in fünf Tagen durch vier Städte: Danzig, Warschau, Posen, Breslau und zurück. Polen im Schnelldurchgang.

Bereits vom Flugzeug also schaut man herab auf das riesige Bauvorhaben namens Euro 2012. Während das Danziger Stadion schon fertig ist, sind die Autobahnzubringer gut sichtbar noch aus Sand statt Asphalt, kilometerlang. Die lästige Westler-Frage nach dem Wann-denn-endlich hören die Verantwortlichen gar nicht gerne. Ja, natürlich würden die Schnellstraßenstücke fertig, sagt Andrzej Bojanowski, der Stellvertretende Bürgermeister von Danzig. „Im Frühjahr“, präzisiert er auf Nachfrage. Ebenso das neue Terminal des Flughafens. Bojanowski ist sehr stolz auf das, was ihm und seinen Landsleuten ins Haus steht, und daraus wird schnell eine ruppige Verteidigungshaltung. Schon ist er beim Fußballdorf Klagenfurt, Austragungsort der letzten EM. Bojanowski sagt: „Nichts Böses gegen Klagenfurt, aber wir wollen den Leuten zeigen, dass Danzig mit seiner tausendjährigen Tradition eben kein Klagenfurt ist.“

Damit die UEFA-Familie happy ist

Die südliche Umgehungsstraße werde die Transportfrage lösen, fügt er dann noch knapp hinzu. „Umgehungsstraße“, das ist, wie im Laufe der Reise festzustellen sein wird, das Zauberwort, das noch jeder Verantwortliche in den Mund nimmt. Manch einer hat den Zungenbrecher sogar auf Deutsch einstudiert. Die EM-Macher haben die Umgehungsstraße als Codewort für die leidige Pflichterfüllung achselzuckend akzeptiert – sie bauen sie, damit die UEFA-Familie happy ist, auch wenn es jahrzehntelang ohne sie ging.

Und bis sie fertig ist, sperrt die Polizei bei Groß-Events wie dem Länderspiel Polen-Deutschland die Arena-Umgebung einfach großflächig für den Autoverkehr ab. Was in diesem Fall zur unschönen Folge hat, dass der Bus nach der Partie für die sechs Kilometer ins Danziger Zentrum anderthalb Stunden braucht.

Westeuropäische Maßstäbe taugen nicht für dieses Land, das noch zernarbt ist vom Erbe des Sozialismus. Außerhalb der hübsch bunt sanierten Altstädte schießen direkt neben zerfallenden Plattenbauten spiegelglatte Hoteltürme in den Himmel. Die baulichen Extreme der beiden Wirtschaftssysteme leben in feindlicher Koexistenz.

Im Schlagschatten von Stalins Ruhm

Den Warschauern hat Josef Stalin seinen Ruhm in 230 Meter hohem Sandstein hinterlassen. Der Kulturpalast, um den herum im kommenden Sommer die offizielle Fanzone entstehen wird, ist der grau grüßende Orientierungspunkt für alle Ortsunkundigen. In seinem protzigen Schlagschatten steckt das Taxi im zähen Abendverkehr. Der Fahrer ist Fußballfan, am Armaturenbrett baumelt ein Anhänger von Legia Warschau. Englisch spricht er praktisch keins. Dennoch der Versuch: Freut er sich auf die EM? Um Gottes willen, sagt er, ohne Wörter zu benutzen, formt einfach seine rechte Hand zur Pistole und drückt an der Schläfe ab. Nein! Urlaub! Kreta. Ägypten. Er zeigt auf die Autoschlangen jenseits der Windschutzscheibe. Wie soll das alles nächsten Sommer werden?

Am Warschauer Stadion, das in polnisches Weiß-Rot gewandet ist, wird noch eifrig gewerkelt. Über 2000 Arbeiter sind mit der Fertigstellung beschäftigt. Mit dem Eröffnungstermin Anfang September hat es nicht geklappt. Ende November ist der neue Fixpunkt. Das Dach, eine Regenschirm-Konstruktion wie in Frankfurt (es waren die gleichen Architekten am Werk), ist schon fertig. Vergleichbares wie in Athen 2004, wo die olympischen Schwimmer schlussendlich unter freiem Himmel ihre Bahnen zogen, droht hier wohl nicht.

Auch in Posen wird rings um das Städtische Stadion im Vorort Grunwald noch mächtig gehämmert. Die nächste Straßenkreuzung ist halb gesperrt, Baulöcher klaffen im Asphalt. Im Innern der Arena, die einem gigantischen Käfer ähnelt, deuten die gastgebenden Fanvertreter auf zwei Ecken, in denen die blauen Sitzschalen noch auf provisorische Stahlrohrkonstruktionen geschraubt sind. „Unser Stadion ist fertig für die EM und nicht fertig für die EM“, sagen die Fans und zwinkern vergnügt.

Breslau wird im Eiltempo umbraust

In Breslau ist sie dann wieder mal Thema, die unvermeidliche Umgehungsstraße, jene Lösung allen Übels, Antwort auf alle Fragen. 30 Kilometer ist sie hier lang – und schon fertig, teilt die Dame von der Stadtverwaltung stolz mit. Seit einer Woche können die Breslauer ihre Stadt im Eiltempo umbrausen. Mit dem Boxkampf Klitschko-Adamek wird die örtliche Arena am Abend eingeweiht, die mit ihren engen, steilen Rängen und dem gewellten Dach von innen einer riesigen Turnhalle gleicht. Die Außenhaut wird zum Kampf mit bunten Bildern bestrahlt, was wirklich schön aussieht. Anders als die Baucontainer, die sich noch im Dreck der Stadionumgebung stapeln.

Tags darauf aber in der Altstadt, im warmen Licht des Spätnachmittags, das sich im Gold des Bierglases bricht, vergisst der Besucher allen Dreck und Schlamm und findet Polen einfach wunderschön. Ja, genau hier, denkt man sich, auf dem Breslauer Marktplatz und dem angrenzenden Blumenmarkt, wird sie dann pulsieren, die schönste aller polnischen Fanzonen. Inmitten der vielen hübschen bunten Häuser, hinter denen sich am Horizont die grauen Plattenbauten verlieren.

Und noch weiter dahinter, unweit der Umgehungsstraße, da wird dann im Sommer Fußball gespielt.

(dapd)

Go West!

– 1967 wollte Amerika den Fußball lieben lernen – und importierte für drei Monate mittelmäßige Mannschaften aus Europa (11FREUNDE Sonderheft „Die 60er“)

Als die Spieler der Washington Whips das Rollfeld des Dulles International Airport betreten, plärren die Dudelsäcke. Dutzende Schaulustige haben sich eingefunden. Es ist ein festlicher Empfang.

Der dänische Sunnyboy Jens Petersen, der erst 18-jährige Martin Buchan, der drahtige Linksverteidiger Ally Shewan – nacheinander klettert das gesamte Team an diesem sonnigen Tag Anfang Mai 1967 die Gangway hinab. Im Flugzeug sind sie noch der FC Aberdeen gewesen – ein schottisches Team von passabler Qualität, das wenige Tage zuvor das Pokalfinale gegen Celtic bestritten hat. Nun sind die 17 Männer der Stolz der amerikanischen Hauptstadt – und sollen als „Washington Whips“ in der aus dem Boden gestampften „United Soccer Association“ (USA) antreten.

Drei Jahre nachdem die Beatles bei ihrer Ankunft am John F. Kennedy Airport in New York eine Musikrevolution im Gepäck hatten, soll Amerika sich nun auch für der Europäer liebsten Sport begeistern. „Fußball spielten in den Augen der Amerikaner nur irgendwelche verrückten Ukrainer oder Ungarn“, sagt Andrei S. Markovits, Soziologieprofessor und Fußball-Publizist der University of Michigan. Doch im Frühsommer 1967 gibt es plötzlich nicht nur eine Fußball-Liga zwischen LA und New York, sondern zwei. „Eine schöne american story“, findet Markovits.

Diese amerikanische Geschichte beginnt mit dem Geld der American sports owners, millionenschweren Geschäftsmännern, die bereits erfolgreich in die amerikanischen Sportarten investiert haben: Baseball, Football, Basketball. Nun wollen sie auch mit soccer reüssieren. Lamar Hunt, Besitzer der Kansas City Chiefs, Jack Kent Cooke, Eigentümer der Los Angeles Lakers, die Betreiber des New Yorker Madison Square Garden und andere tragen ihr Interesse dem amerikanischen Verband vor. Doch nur die „United Soccer Association“ bekommt den Segensspruch des US-Verbands – und damit der FIFA. Was nur den Sportsgeist der Zurückgewiesenen entfacht. Sie formieren im Nu eine zweite Liga, die „National Professional Soccer League“, ziehen einen Fernsehvertrag mit CBS an Land – und fangen an, wie wild Spieler aus aller Herren Länder zu verpflichten.

Was wiederum die USA zum Handeln zwingt. Wegen der knappen Zeit verfallen die Eigner auf den genialen Gedanken, statt Spielern ganze Teams ins Land zu holen. 25.000 Dollar Antrittsprämie pro Mannschaft, dazu freie Kost und Logis. Schmissige amerikanische Namen, ein fesches Logo, fertig ist die Liga. „Man dachte sich: Wir haben die Shamrock Rovers aus Irland, die können wir in Boston spielen lassen, denn es gibt ja Iren in Boston“, erzählt Andrei S. Markovits. „Und in Chicago gibt’s Italiener, da lassen wir Cagliari spielen. Houston ist im Süden, also näher an Brasilien, da lassen wir Bangu starten. Total wahnsinnig!“

So wird der englische Klub Stoke City zu den Cleveland Stokers, das schottische Team Dundee United mutiert zu Dallas Tornado und die Wolverhampton Wanderers tragen ihre Spiele nun als „Los Angeles Wolves“ aus. Die New York Skyliners kommen eigentlich aus Uruguay, und im Dress der Chicago Mustangs galoppieren Roberto Boninsegna und seine Kollegen von Cagliari Calcio über den Platz. Außer Boninsegna und Englands Weltmeister-Keeper Gordon Banks spielen hauptsächlich No-Names in der Retorten-Liga. Manchester United und die anderen großen Vereine Europas haben so kurzfristig keine Lust oder Zeit für das Abenteuer USA.

Für Ally Shewan und seine Teamgefährten vom FC Aberdeen geht derweil der Traum von der großen weiten Welt in Erfüllung. „Die meisten waren Jungs vom Land, wie ich“, erzählt Shewan, „wir waren unwahrscheinlich aufgeregt“. Spieler und Trainer sind im Washingtoner Hilton Hotel untergebracht, jenem gigantischen Betonklotz an der Connecticut Avenue, erst zwei Jahre zuvor eröffnet.

Während die europäischen Spieler die neuen Eindrücke aufsaugen, bleibt die Begeisterung der Amerikaner aus. Zum ersten Heimspiel der Whips am 7. Mai kommen 8.723 Fans ins D.C. Stadium, in das über 56.000 passen. „Das war ein großer Schock für die Besitzer“, sagt Paul Gardner. „Sie hatten nicht realisiert, dass sie sich richtig strecken mussten, um die Leute ins Stadion zu bekommen.“ Gardner ist heute einer der renommiertesten Fußballschreiber Amerikas. 1967 hatte der damals 36-jährige gelernte Apotheker noch keine Zeile über den Sport verfasst. Aber er hatte eine unschlagbare Referenz: Seine Herkunft. „Diesen Leuten erschien ich wie ein verdammt großartiger Experte“, erzählt Gardner. „Ich hatte einen englischen Akzent und ich hörte mich an, als hätte ich Ahnung. Sie fragten mich, was ich über Cerro wusste – keine Ahnung, was ich ihnen erzählt habe.“ Fortan berichtet Gardner von Spielen der New York Islanders, eigentlich C.A. Cerro aus Montevideo.

Was aus England kommt, muss gut sein. Denn schließlich ist England der Weltmeister. Die zeitversetzte NBC-Übertragung des Finales von Wembley haben um 12 Uhr mittags neun Millionen Amerikaner gesehen. „Ein gutes Spiel, um das Interesse der Amerikaner zu wecken. Es hatte Dramatik, Verlängerung, ein Ausgleichstor in der letzten Minute“, sagt Paul Gardner.

Die Spiele der US-Ligen im Jahr 1967 haben nichts von alledem. Vor Geisterkulissen in den riesigen Baseballstadien liefern sich die zweitklassigen Mannschaften überharte Duelle mit vielen Fouls und wenig sportlichen Höhepunkten. „Es war typisch britischer Fußball. Es fielen sehr wenige Tore“, erinnert sich Aberdeens Verteidiger Ally Shewan. Gleiches Bild in der rivalisierenden NPSL. Der britische Coach Alan Rogers tut sich auf der Bank der Chicago Spurs vor allem durch seine Vorliebe für Kraftausdrücke hervor. „Fucking hier, cunt da. In dem leeren Stadion schien das Echo alles zu vervielfachen“, erinnert sich Paul Gardner. „Am Ende haben sie ihn gefeuert. Nie mehr von ihm gehört.“

Selbst die Südamerikaner bringen eher weniger als mehr Kultur ins Spiel. „Die Uruguayer spielten wirklich hart“, sagt Ally Shewan. „Einer von ihnen riss Davie Johnston die ganze Wade auf. Er hatte ihm die Stollen richtig ins Bein gerammt, Blut überall. Eine Rote Karte gab es nicht.“

Beim Spiel Glentoran gegen Bangu resp. Detroit Cougars gegen Houston Stars attackieren sich die Spieler gar gegenseitig mit den Eckfahnen – während die Zuschauer das Feld stürmen. Paul Gardner kann oder will sich daran nicht erinnern: „Ich bin versucht zynisch zu sein und zu sagen, es gab nie genügend Zuschauer für einen Platzsturm.“

Auch die friedlicheren Partien liefern groteske Bilder. Die Spielfelder sind in die quadratischen Baseballarenen gequetscht, vor einem der Tore befindet sich meist eine Sandlandschaft, die Male hat man nur notdürftig abgedeckt. Für die Spieler ist die Kurzsaison im Sommer eine Mischung aus Urlaub und Saisonvorbereitung mit Wettkampfcharakter – und vielen Freiheiten. „Ich habe nichts dagegen, dass ihr euch amüsiert“, sagt Aberdeens Trainer Jimmy Wilson seinen Spielern. „Aber übertreibt es nicht – und seid um sechs Uhr morgens wieder im Hotel.“ Das lassen sich die schottischen Jungs nicht zwei Mal sagen. 10 Pfund Spesen pro Tag reichen für jede Menge Spaß. In Washington haben sie schnell eine Stammkneipe, die Älteren im Team schauen sich die Shows von Ella Fitzgerald, Louis Armstrong oder Andy Williams an.

Bei einem Auswärtsspiel in Detroit treffen die Schotten sogar den bekanntesten Sportler ihrer Zeit. Bei einem Spaziergang fällt ihr Blick auf eine dunkle Masse, die sich die Straße herunterwälzt. Riesige schwarze Männer in schwarzen Lederjacken und schwarzen Sonnenbrillen. Mittendrin der Weltmeister aller Klassen. Ally Shewan wieselt hinüber und fragt höflich: „Cassius Clay, kann ich Ihr Autogramm haben?“ Die Antwort ist ein Knurren: „Muhammad Ali, Mann!“ Das Autogramm bekommt Shewan trotzdem. „Meine Leute in Schottland glaubten mir kein Wort, bis ich ihnen die Karte zeigte.“

Auch das ist Amerika 1967 – ein Land des Kriegs und des Rassismus. Nur wenige Tage vor Beginn des Spielbetriebs der USA haben die Behörden Muhammad Ali wegen Wehrdienstverweigerung seine Boxlizenz und seinen Pass entzogen. Zehntausende protestieren gegen den Vietnamkrieg. Im brandneuen Astrodome in Houston, dem „achten Weltwunder“, wo der Champion noch Anfang des Jahres gekämpft hat, treten auch die Washington Whips an. Judge Roy Hofheinz, der Besitzer der Houston Stars (aus Rio) empfängt die Mannschaft mit den Worten: „Diese Farbigen gefallen mir nicht. Warum spielt ihr Schotten nicht für mich?“

Unter all den mittelmäßigen Teams der Eastern Division der USA ragen die Whips nicht hinaus, aber sie verlieren nur zwei von zwölf Spielen. Und so stehen sie am 14. Juli im ersten und einzigen Finale ihrer wunderlichen Liga. Gegner sind die LA Wolves. 18.000 von 93.000 Plätzen im Coliseum von Los Angeles sind besetzt. Vor dem Spiel werden die Schauspieler Geraldine Chaplin und Terence Stamp präsentiert, im Rahmenprogramm spielen die „Claude Hoppers“ und die San Fernando Valley Youthband. „England gegen Schottland. Das bedeutet Action“, prophezeit das Stadionheft. Und behält Recht. Elf Tore sehen die Besucher – und ungezählte Fouls.

„Das Finale war ziemlich rau“, erinnert sich Ally Shewan. „Wir jagten uns über den ganzen Platz. Der Schiedsrichter, ein Amerikaner, bekam gar kein Gefühl für die Partie.“ Shewan werden von seinem Gegenspieler Derek Dougan im Spiel drei Finger gebrochen, schon nach einer halben Stunde verlieren die Whips einen Spieler durch Platzverweis. „Es wurde eine richtige Schlacht“, so Shewan.

Am Ende der 90 Minuten steht es 4:4, nach 30 Minuten Verlängerung 5:5. Nun wird nach „Golden Goal“-Regel weitergespielt. In der 127. Spielminute sieht Ally Shewan eine Flanke auf sich zukommen. „Der Torhüter kam heraus, konnte ihn aber nicht richtig bekommen. Einer der Manndecker versperrte mir die Sicht.“ Sekundenbruchteile später liegt der Ball im Netz der Whips. Die Wolverhampton Wanderers sind Meister der USA.

Schon am Abend ist Shewans Fauxpas vergeben und vergessen. Whips-Eigner Earl Foreman hat die 2.000 Dollar Siegprämie an die Spieler trotzdem ausgezahlt – wegen des überaus unterhaltsamen Spiels, wie er betont. „Mein Gott, das war viel Geld damals“, sagt Shewan, der den Abend mit seinen Teamgefährten im Cocoanut Grove im Ambassador Hotel verbringt, einem der angesagtesten Nachtclubs in LA. Bobby Vinton schmettert seine Hits. Zu den Klängen von „Blue Velvet“ und „Roses Are Red“ genießt der FC Aberdeen einen seiner letzten Abende in den Staaten. „Am Tag darauf gingen wir ins Disneyland“, erinnert sich Ally Shewan. „Und siehe da, wen treffen wir? Den Schiedsrichter! Der hatte Angst, dass wir ihn ins Wasser schmeißen. Aber wir waren ihm nicht böse. Wir hatten ja eine großartige Zeit.“

Die United Soccer Association dagegen überdauert das Jahr 1967 nicht. Sie schließt sich der rivalisierenden NPSL an – die North American Soccer League entsteht, die mit Pelé und Beckenbauer in den 70ern dann doch noch wirkliche Fußballbegeisterung in den USA hervorrufen wird. „Wichtig ist, dass sich Amerika und die Welt ändern“, sagt der Soziologe Markovits.

Das erste Jahr mit dem soccer – für die sports owners ist es ein finanzielles Desaster. Bill McNutt II, Miteigner des Tabellenletzten Dallas Tornado, der seine Millionen mit Fruchtkuchen gemacht hat, nimmt es sportlich. Auf die Frage, was der Misserfolg seines Teams für ihn bedeute, gibt er zurück: „Nun, wir müssen jetzt einfach verdammt viel Kuchen verkaufen.“