Schenkel kneten und Wuttke suchen

– Beim 1. FC Kaiserslautern hat Heinz Bossert in 39 Jahren als Masseur und Teambetreuer viel erlebt – Diskretion Ehrensache

Kaiserslautern (dapd). (Jeder Bundesligist hat sie: Langjährige Mitarbeiter, die jeder kennt und jeder mag, die im menschlichen Miteinander des Vereins eine wichtige Rolle spielen. Jeden Donnerstag stellt dapd einen vor: Die guten Seelen der Liga. Heute: Heinz Bossert, Masseur und Teambetreuer beim 1. FC Kaiserslautern.)

Los ging das Ganze für Heinz Bossert schon mal damit, dass er für die Falschen jubelte.

Die Siebzigerjahre stehen in voller Blüte, erfolgreichen Fußball spielt Bayern München, den großen Sport aber zelebriert die Borussia aus Mönchengladbach. Als der Fohlen-Elf auf dem Betzenberg das frühe 1:0 gelingt, springt Bossert begeistert auf und klatscht Beifall. Kaiserslauterns Trainer Erich Ribbeck zieht seinen jungen Masseur mit einem Ruck wieder auf die Bank zurück, auf der sie mit den Lauterer Ersatzspielern sitzen. „Was soll das?“, zischt Ribbeck.

„Ich habe ihm erklärt, dass ich schon ein bisschen ein Gladbach-Fan war. Das war doch eine Riesenmannschaft“, sagt Bossert. Mehr als drei Jahrzehnte später sitzt der 66-Jährige in einem der Medienräume des Fritz-Walter-Stadions und kann über die Anekdote lächeln.

Bossert, groß und drahtig, Händedruck wie ein Schraubstock, erzählt in breitem Pfälzisch, 1:0 ist „ännsnull“, jedes „r“ ein kleines Donnergrollen. Ach was, Ärger eingebracht habe ihm der naive Jubel beim ersten Mal nicht, sagt er. Er sei ja trotzdem überzeugter Lauterer gewesen, wie auch nicht, wenn man aus Hochspeyer kommt, nur elf Kilometer außerhalb der Stadt. „Ich war immer schon FCK“, sagt Heinz Bossert. „Es gibt ja nix anderes hier.“

Fester Platz im Sonderheft

Vor mittlerweile 38 Jahren kam er zum 1. FC Kaiserslautern, seit 1989 ist er fest und nur noch für die Profi-Mannschaft als Masseur angestellt. Es habe ihn irgendwann halt mal der Werner Mangold gefragt, sagt Bossert. Mangold, in den 50ern Mitspieler von Fritz Walter, war später Lauterer Amateur-Trainer. Und so sahen Generationen von FCK-Fans im „kicker“-Sonderheft neben dem Mannschaftsfoto Jahr für Jahr die Zeile „Masseure Bossert, Loch“.

38 Jahre, das scheint ein krisensicherer Job zu sein. „Ich weiß nicht, ob der krisensicher ist, bei dem, was man so hört“, wiegelt Bossert ab. Heutzutage würden ja manche Trainer gleich ihr komplettes Funktionsteam mitbringen, die alten flögen dann raus. „Die wechseln ja mittlerweile schon mit Ablösesummen!“ Bossert schüttelt den Kopf, schweigt dann kurz. „Aber im Großen und Ganzen“, hebt er dann wieder an, „wenn man sich immer ein bisschen ruhig verhält, funktioniert das schon.“

Diskretion, klar, die sei mit das Wichtigste. „Die Spieler sagen einem schon einiges, das darf man nicht nach außen bringen“, sagt Bossert. Und mit den Jungs um die Häuser ziehen, das habe es bei ihm eh nicht gegeben, „da macht man sich angreifbar“. Andererseits müsse der Trainer immer Bescheid wissen über Verletzungen, selbst wenn die Profis sie gerne verheimlichen würden. „Das bringt ja nix“, sagt Bossert.

Zum Wuttke-Suchen losgeschickt

Im Laufe der Jahre hat er so manchen Schenkel geknetet und so manche Geschichte erlebt. Mit Typen wie Mario Basler („das war ein Unikum“) oder Wolfram Wuttke, dem legendären Eigenbrötler. „Ja, der Wutti, der wollte nach den Spielen nie trainieren“, sagt Bossert. Und wenn Wutti sich mal wieder krankgemeldet hatte, wurde eben der Masseur vom Trainer losgeschickt. „Einmal kam er gerade im Trainingsanzug aus dem Wald“, sagt Bossert. „Ein andermal war er Tennis spielen.“

Verlängerter Trainer-Arm, Psychologe für formschwache Akteure, und als Arbeitsplatz ein paar Quadratmeter in den Katakomben, „ganz unten im Keller. Da waren zwei Massagebänke, fünf Idealbinden oben auf der Fensterbank – und eine Flasche Öl.“ Ein Knochenjob. Noch am Abend vor jedem Spiel mussten Bossert und Kollege Heinrich Loch die komplette Mannschaft durchkneten, wie es damals eben üblich war.

Vieles hat sich seitdem geändert. Seit er 2009 mit der Massiererei aufgehört hat, mischt Bossert den Kaiserslauterer Profis die passenden Elektrolyt-Getränke für die Zeit vor, während und nach dem Training an. Eine kleine Wissenschaft für sich. Was die Spieler vor 30 Jahren beim Training getrunken hätten? „Gar nix“, sagt Bossert. „Während des Trainings durften die gar nix trinken. Die hatten oft Schaum vor dem Mund und sind richtig aggressiv geworden.“ Er schüttelt den Kopf. „Trocken trainieren“, das sei damals die Lehrmeinung gewesen.

Im Laufe der Jahre hat Heinz Bossert einiges an Auf und Ab mitgemacht. Meisterschaften, Pokalsiege, Abstiege. Insgesamt „mehr schöne als schlechte“ Zeiten, wie er betont. „Ganz schlimm war’s in Leverkusen und Wolfsburg, als wir abgestiegen sind. Erst einen Tag später merkt man, was da passiert ist.“ Auch für den Masseur war die Zweite Liga ein schwerer Gang. Es sei noch einmal rauer zugegangen auf dem Platz. „Da gab’s mehr zu tun, das war schon so.“

Das alles schweißt zusammen. „Man verliert und gewinnt miteinander“, sagt Bossert, der längst unzertrennlicher Teil der Mannschaft ist. Deshalb weiß Heinz Bossert auch noch nicht genau, wann Schluss ist. Eigentlich will er kommenden Mai aufhören. Aber nur, wenn der FCK nicht zum dritten Mal absteigt. „Dann hänge ich noch ein Jahr dran, wenn sie das wollen“, sagt Bossert. So will man ja nicht abtreten.

Der Mann, der die Bayern erschoss

Josef »Seppl« Pirrung
* 24. Juli 1949 † 11. Februar 2011

Mächtig steht er an der eigenen Strafraumgrenze, der
Bayern-Verteidiger Bulle Roth. Nimmt jetzt den kurzen Ball von Sepp
Maier an. 3:0 führt der FC Bayern auf dem Betzenberg, gleich ist
Pause. Während Roth, diese fleischgewordene turmhohe Überlegenheit,
noch grübelt, wem er die Kugel jetzt lässig zuschieben kann, hat sich
schon der kleine Spieler mit der Nummer acht auf dem Rücken von hinten
angepirscht. Zack, der Ball ist weg, Roth fällt um wie ein Baum – und
es steht 1:3. Eine Stunde später ist der größte Sieg der
Kaiserslauterer Vereinsgeschichte perfekt. 7:4 gegen die Bayern. Und
der Mann mit der Nummer acht, Josef Pirrung, den die Kaiserslauterer
Seppl rufen, hat drei Tore erzielt.

Drei rote und drei weiße Nelken bekommt er 1981 zum Abschied nach 14
Jahren. »Das war alles«, sagt Pirrung später bitter über den Affront.
Der Klub und sein 304-facher Bundesligaspieler trennen sich in
Unfrieden. Es geht um Geld, schon damals.

14 Jahre spielt der Mann aus Münchweiler im roten Trikot. 14 Jahre, in
denen sich der 1. FC Kaiserslautern vom Image der reinen Kloppertruppe
löst – und beginnt, Fußball zu spielen. Seppl Pirrung verkörpert
diesen neuen FCK: Wendig, aber auch bissig. Dribbelstark, aber auch
torgefährlich. Klein, aber nie zu unterschätzen. Wie viele von
Toppmöllers 108 Toren hat Pirrung direkt oder indirekt über die
Außenbahn eingeleitet?

Pirrung bewuselt das Spielfeld zu einer Zeit, als Künstler wie er
Freiwild sind für die Verteidiger. Sie treten ihn, schon in der
Jugend, immer wieder. Bis die Knochen brechen. Schienbein. Wadenbein.
Einmal, zweimal, dreimal. Drei Zentimeter kürzer ist sein rechtes Bein
fortan. Zeit seines Lebens plagt sich der geniale Tänzer mit den
Schmerzen, mit denen die Banausen ihn bestraft haben. Wenn er sich
wieder einmal auf dem Rasen krümmt, dann springen die Rentner auf der
Nordtribüne auf und schwenken zornig ihre Stöcke. »Seppl, Seppl«, ruft
dann das Stadion. Und der kleine Mann steht wieder auf.

1973/74, das Jahr, in dem er die Bayern erschoss, es ist sein Jahr. 13
Tore, sechs Vorlagen. Zahlen, die nur unzureichend die Begeisterung
wiedergeben, die Seppl Pirrung auf dem Betzenberg entfacht. Am Ende
jener glorreichen Spielzeit wollen ihn die Bayern kaufen. Pirrung
bleibt. Bundestrainer Helmut Schön beruft ihn in den vorläufigen Kader
für die WM im eigenen Land. Unter den 22 Auserwählten ist er nicht,
dafür unter den wenigen Lauterern, die überhaupt je ein Länderspiel
bestritten haben.

61 Tore schießt er für den 1. FC Kaiserslautern – für jedes ist ihm
nur ein Lebensjahr vergönnt. Am Tag vor dem Spiel seines Vereins gegen
Borussia Dortmund stirbt er nach langer schwerer Krankheit. Noch
einmal blinzelt sein verschmitztes Gesicht auf der Anzeigetafel. Da
oben, wo Seppl Pirrung einst die Bayern erschoss. (11FREUNDE)