Mit Herz und Seele ins Endspiel

– Manchesters Klubs City und United spielen den Titel aus – das wichtigste Derby seit langem

Berlin/Manchester (dapd). Um zu begreifen, was dieses Spiel bedeutet, genügt eine Zahl: 1968. In diesem Jahr nämlich ging es bei einem Manchester-Derby letztmals für beide Klubs um die Meisterschaft. Damals gewann Manchester City 3:1 bei United und holte am Ende den Titel in England. Torschützenkönig wurde dafür United-Profi George Best. Der legendäre Best, Held des Rasens und der Trinkhallen, ist lange tot. Und Manchester City träumt seit 44 Jahren von der nächsten Meisterschaft.

„Es ist das bedeutsamste Derby seit Jahrzehnten“, sagt Uwe Rösler. „Die Spannung kann nicht übertroffen werden, in der Stadt und in England.“ Rösler, ehemaliger Bundesliga-Profi, der von 1994 bis 1998 als Stürmer bei City Kultstatus erworben hat, siedelt dieses Aufeinandertreffen selbst höher an als den spanischen Clasico. „Hier kämpfen zwei Mannschaften aus der gleichen Stadt drei Spiele vor Schluss um die Meisterschaft“, sagt er der dapd. „Das gibt es wohl sonst nirgends auf der Welt. Mehr geht nicht.“

Tatsächlich kommt die Begegnung, die am Montag (21.00 Uhr) im Etihad Stadium von City stattfindet, einem Endspiel um die englische Meisterschaft gleich. Nur zwei Spieltage verbleiben danach. Mit einem Sieg kann City den alten Rivalen aufgrund der besseren Tordifferenz überholen. Die lange gehegte Sehnsucht nach dem Titel wäre dann ganz kurz vor der Erfüllung.

Die Fieberkurve, die zu Röslers Zeiten Ende der Neunzigerjahre, als City erst in die zweite, dann in die dritte Liga abstieg und United die beste Mannschaft Europas war, so eklatant auseinandergeklafft war, nähert sich seit 2008 wieder rasant an. Damals übernahm die Abu Dhabi United Group City für 250 Millionen Euro – und holte für jede Menge Geld jede Menge schillernde Stars wie Sergio Aguero, Carlos Tevez und Mario Balotelli. Der FA-Cup-Sieg im vergangenen Jahr war erster Lohn für die horrenden Ausgaben.

In dieser Saison schien zunächst City der Meisterschaft sicher entgegenzusteuern, 6:1 gewann das Team von Roberto Mancini im Oktober das Hinspiel im Old Trafford. Das Geld der Scheichs schoss viele Tore. Dann kam United wieder groß auf, schien schon so gut wie durch – und verschenkte in den letzten drei Spielen plötzlich fünf Punkte. „Nach unserer Niederlage gegen Arsenal war ich schon davon ausgegangen, dass alles vorbei ist“, sagte City-Verteidiger Pablo Zabaleta, der vor seinem 150. Einsatz für seinen Klub steht.

„Wir haben City die Initiative übergeben, keine Frage“, erklärte Alex Ferguson vor seinem 45. Manchester-Derby als Coach von United. Die Partie sei nun ein „Entscheidungsspiel um den Titel“. Sein Kollege Roberto Mancini, der Balotelli wohl fürs Derby begnadigen wird, wiegelte dagegen ab. Für die Fans sei es vielleicht das Match des Jahres. „Aber für uns ist es nur ein weiteres Spiel. Und danach kommen noch zwei weitere, harte Partien.“

Konter Ferguson: „Roberto will den Druck von seinen Spielern nehmen. Das wird uns nicht beeinflussen.“ Auf Unentschieden wolle man jedenfalls nicht spielen. Schon alleine um die Schmach des Hinspiels wiedergutzumachen, der schlimmsten Niederlage von Fergusons 26-jähriger Amtszeit. Derby-Niederlagen taten dem ehrgeizigen Schotten immer schon besonders weh. In seiner Frühzeit als United-Coach kam er 1989 mit 1:5 bei City unter die Räder. Zuhause marschierte er direkt ins Bett. Seiner Frau, so erzählte er, konnte er vor Schock und Schmerz kaum erklären, was passiert war.

Michael Owens Treffer zum 4:3 in der Nachspielzeit 2009, Wayne Rooneys Fallrückzieher im vergangenen Jahr – auch diesmal wird das Manchester-Derby wieder seine Geschichten erzählen. Alles hat sich schließlich nicht geändert mit der Ankunft der reichen Herren aus der Wüste. „Manchester City ist Manchester City. Es ist ein Verein der arbeitenden Bevölkerung“, sagt Uwe Rösler. Der Verein sei zwar nun zum Global Player aufgestiegen. „Aber ‚heart and soul‘, die Stadt, die Fans, das ist alles geblieben.“

Das dritte Tor

– Englands WM-Held Geoff Hurst wird 70 Jahre alt

Berlin (dapd). Hurst? Wembley! Wenige Namen sind mit einem Ereignis so eng verknüpft wie der von Geoff Hurst mit dem Tor zum 3:2 im WM-Finale von 1966. Er ist der Mann, der den Ball in der 101. Minute über Hans Tilkowski an die Latte donnerte und damit die hartnäckigste Debatte der Fußball-Geschichte auslöste. Er bescherte England den einzigen großen Titel in der Sportart, die auf der Insel erfunden wurde. Und, fast nebenbei, ist der Stürmer von West Ham United bis heute der einzige, dem drei Tore in einem WM-Finale gelangen. Am Donnerstag wird Geoff Hurst 70 Jahre alt.

Zehn Minuten sind gespielt in der Verlängerung im Londoner Wembley-Stadion, die Gegner und Außenseiter Deutschland nur durch den Last-Minute-Treffer von Wolfgang Weber erreicht hat. Das Spiel wogt hin und her, beide Teams wollen die Entscheidung. Nun ein schneller Angriff der Engländer über die rechte Seite, von wo Alan Ball aus vollem Lauf scharf an den Fünfmeterraum flankt. Hurst reagiert am schnellsten, stoppt den Aufsetzer und schießt aus der Drehung – schon dass er den Ball in dieser Lage am Fünfmeterraumeck überhaupt derart gefährlich aufs Tor bekommt, ist eine Leistung für sich. Tilkowski streckt sich vergeblich – und Wembley hält den Atem an.

Weil Schiedsrichter Gottfried Dienst zögert, will jede Seite eine für sie vorteilhafte Entscheidung beschwören. „Hei! Nicht im Tor! Kein Tor!“, ruft ARD-Kommentator Rudi Michel. Und schiebt nach einer kurzen Pause ein leise zweifelndes „Oder doch?“ hinterher. „It must be a goal! I would have thought that went in!“, schickt derweil der BBC-Radiokommentator Brian Moore über den Äther. Wie wir wissen, bekommt er Recht. Dazwischengeschaltet wird vom zweifelnden Schweizer Referee der „russische“ Linienrichter, Tofik Bachramow, den die Engländer danach lieben, die Deutschen verachten.

2004 wird auch Geoff Hurst zugegen sein, wenn in der aserbaidschanischen Hauptstadt Baku, Bachramows wirklicher Heimat, eine Statue zu Ehren des Linienrichters enthüllt wird. Verständliche Dankbarkeit: Hätte Bachramow auf Diensts Frage nicht so entschlossen genickt, wer weiß, wie dieses Endspiel ausgegangen wäre, und welchen Platz Geoff Hurst heute in der englischen Sportgeschichte einnehmen würde. So aber ist sein Ruhm in der Heimat auf alle Zeiten gesichert, 1998 schlug ihn die Queen zum Sir.

Was hinter all den Kontroversen fast verblasst: Bis heute hat keiner außer Hurst drei Tore in einem Endspiel geschafft. In der ersten Halbzeit hat er Helmut Hallers 1:0 ausgeglichen, in letzter Minute macht er endgültig alles klar. Kritiker wenden ein, dass auch das 4:2, Hursts dritter Treffer mit der letzten Aktion des Spiels, zumindest kuriose Begleitumstände hat. Dienst hat die Pfeife schon im Mund, lässt dann aber doch noch den letzten englischen Angriff ausspielen. Während Hurst alleine auf Tilkowski zustürmt, tummeln sich bereits einige feiernde Fans in der deutschen Hälfte. Legendär werden die begleitenden Worte von BBC-Mann Kenneth Wolstenholme: „There are people on the pitch, they think it’s all over. (Hurst trifft.) It is now.“

Das Finale von Wembley ist dabei erst das achte Länderspiel des 24-jährigen Angreifers. Das Ende seiner Nationalmannschaftskarriere kommt sechs Jahre später, natürlich in Wembley gegen Deutschland. Die 1:3-Viertelfinal-Niederlage bei der EM 1972 ist sein letzter Auftritt für die „Three Lions“. Ein Tor gelingt ihm diesmal nicht. Nach 60 Minuten wird der WM-Held ausgewechselt.

Nach dem Ende seiner Profi-Laufbahn, die er 1976 in den USA ausklingen lässt, wird Hurst Trainer, ist aber zumeist nur in der zweiten Reihe zu finden – unter anderem als Assistent von Nationaltrainer Ron Greenwood. Dem Erfolg, den er einst mit seinem Hattrick herausschoss, läuft das englische Team seitdem hinterher. Und so steht der Name Geoff Hurst nicht nur für das Ende der langen Titellosigkeit, sondern auch für den Beginn des nächsten englischen Traumas.