Der Tag, an dem der FC Bayern starb

– Rückblick: Finale dahoam (11FREUNDE.de)

Der Tag, an dem der FC Bayern starb, war traumhaft schön. Kaum ein Wölkchen trübte den tiefblauen Himmel über dem Englischen Garten, die Menschen saßen auf Bänken in der Sonne, sie redeten, und bisweilen sangen sie auch. Bierkrüge klirrten, die grünen Blätter der Bäume rauschten sanft im Wind. Weißbierwetter.

Nur der Flaschensammler störte kurz die Idylle, ein abgerissener Afrikaner mit Dreadlocks und kaputter Hose, einen riesigen Müllsack auf dem Buckel. »Drogba!«, murmelte er vor sich hin. »Yes, yes. Watch Drogba!« Wie bitte, was? »He’s dangerous! Yes, yes, he is!« Kaum einer nahm Notiz von dem Mann, nur hin und wieder drehte sich jemand um, mit einem müden Lächeln, mit dem man einem kleinen Kind begegnet, das gerade behauptet hat, es werde später Astronaut, ein Lächeln für Betrunkene und Geisteskranke.

Der Flaschensammler hatte sie offenkundig nicht mehr alle. Drogba? Chelsea? Nein, die Engländer waren in diesem superhappy Sommerfest nur geduldete Gäste, sie waren die bunten Wimpelchen am Zaun, die eifrigen Kellner, die den bierseligen Bayern den schäumenden Krug direkt an den Tisch servierten. Chelsea, der Treppenwitz dieses Endspiels. Im Viertelfinale schon draußen, im Halbfinale auf groteske Art siegreich gegen den großen FC Barcelona. Statt Messi, Iniesta und Xavi war also eine bessere Altherrentruppe nach München gereist. Perfekt, danke, läuft. Dachte ich, dachten alle.

München feierte rein in dieses Champions-League-Finale, ab mittags. Brezen, Sonne, mia san Bier. Und ich, der die Bayern nie gemocht hatte, tauchte ein in die allgemeine Glückseligkeit, bestellte mir eine Halbe, strich mir den Schaum aus dem Bart und freute mich auf das, was da kommen mochte. Nur auf dem Weg hinunter in die U-Bahn, Station »Universität«, kam er mir noch einmal in den Sinn, nur ganz kurz, der gemeine Satz: Was wäre wenn?

»My time is now«, stand da, auf der Werbetafel neben einer Abbildung von Didier Drogba.

Stunden später. Ecke für Chelsea. Die erste. Für Bayern hat Kroos schon gefühlt 20 reingebracht, ungefährlich allesamt, aber was soll’s? Es steht 1:0 für die Bayern, 1:0 für München, für die Party.

And now goal. Was David Luiz im Vorbeilaufen dem völlig fertigen Bastian Schweinsteiger steckte, war bei uns auf der Tribüne nur ein bitterböses Unken. Und dann: Goal. Kopfball. Drogba. So absurd und gleichzeitig so folgerichtig, dass mir in dem Moment nicht mal der Flaschensammler einfiel. Mir fiel, wie allen, in diesem Moment überhaupt nichts mehr ein. Außer Schweinsteiger. Der war schon in der 65., 70. Minute mit pumpendem Oberkörper an der Seitenlinie gewesen, hatte gierig getrunken, der Körper völlig kaputt, der Wille machte ihn funktionieren. Was macht Schweinsteiger? Er kämpft. Mit sich, gegen sich.

Dann Verlängerung. Dann Elfmeter. Drogba foult, Robben schießt. Schweinsteiger sieht nicht hin. Die falsche Seite der Arena jubelt. Schweinsteiger wird von seinem Torwart hochgerissen, er scheint lange zu brauchen, bis der Wille wieder stärker ist als der Körper. Ich beobachte jetzt nur noch ihn. Und Drogba. Ringkampf der verlorenen Seelen. Drogba stolziert in den Pausen auf und ab, vor sich hin murmelnd, wie ein Voodoopriester, wie in Trance. Und Schweinsteiger spielt eine grandiose zweite Verlängerungshälfte, dies hier ist sein größtes Spiel, zweifellos. Dann kommt das Elfmeterschießen. Und Schweinsteiger. Und Drogba. Und dann ist es vorbei, das Spiel, das Bastian Schweinsteiger dreimal verlieren und Didier Drogba dreimal gewinnen musste, ehe es endlich entschieden war.

Die Stimmung in der Stadt zu beschreiben, danach, ist unmöglich. Beerdigungen sind schöner. Später, schon weit nach Mitternacht, eine winzige, traurige Kneipe an der Schleißheimer Straße. Erbarmungswürdige Gesellschaft. Gramgebeugte Bayern-Trikots am Tresen. Trotz Musik und Geplauder: Totenstille. Und ich, der Bayern-Hasser, der sich 1999 noch gefreut hatte, dass die Bayern einen drauf bekommen hatten, wollte am liebsten hingehen und sie trösten und ihnen sagen: Es tut mir Leid, für heute – und für damals. Das habt ihr nicht verdient. Sowas hat keiner verdient.

Aber in Momenten wie diesem gibt es nichts zu sagen.

Ich zahlte mein Bier und ging langsam nach Hause.

Hurra, der ganze Park ist da!

– Dänemarks Sensationsmeister FC Nordsjaelland tritt gegen Champion FC Chelsea an

Berlin (dapd). Zum Glück zieht Dänemarks Meister, der FC Nordsjaelland, für seine Spiele in der Champions League in die Metropole um, in den Parken von Kopenhagen. Ein Trip ins Nördliche Seeland, in die Kommune Farum, wäre den edlen Stars des FC Chelsea wohl auch nicht zuzumuten gewesen. Was hätten sie sich am Vorabend des Spiels anschauen sollen? Die kleine Backsteinkirche aus dem 12. Jahrhundert? Und hinter dem 10.000-Besucher-Stadion, dem Farum Park, kommen ja nur noch zwei kleine Familienhaussiedlungen, und dann kommt schon das freie, grüne Land.

Es ist ein etwas groteskes Duell, das die UEFA für den Dienstag (20.45 Uhr) angesetzt hat, eine Partie wie aus den Urzeiten des Wettbewerbs, als sich Europas Große in den ersten Runden mit Champions der Winzligen herumschlagen mussten.

Hier: Der Sensationsmeister aus der Kleinstadt, 18.400 Einwohner, von denen jeder also noch locker einen Gast von außerhalb mitnehmen könnte, um das Ausweichstadion zu füllen. Dort: Der Champions-League-Sieger aus der Olympiastadt, unterwegs im stolzen Auftrag des Milliardärs Roman Abramowitsch.

Man hatte zuletzt geglaubt, dessen Spendierfreude habe sich beruhigt, doch der größte europäische Vereinstitel hat sie wohl eher noch einmal befeuert. 100 Millionen Euro hat Abramowitsch bekanntermaßen im Sommer in Umlauf gebracht, im Winter will er sich laut britischen Medienberichten noch einmal für 56 Millionen Euro den kolumbianischen Angreifer Radamel Falcao angeln.

Der dänische Meister hat sich, das nur zum Vergleich, auf zwei Transfers der genügsameren Kategorie beschränkt, und nicht mehr als 400.000 Euro in die Hand genommen. Man setzt auf Jugendarbeit, sogar Michael Laudrup schickte seinen Sohn Andreas nach der Akademie von Real Madrid auf die Jugendschule Nordsjaellands. Nun steht er im Profikader. „Wir kaufen keine Stars, aber wir tun unser Bestes, welche zu entwickeln“, sagt Sportdirektor Jan Laursen. Das gelingt immer öfter, mit allen üblichen Folgen: Nach der besten Saison der Vereinsgeschichte hat der erst seit 2003 unter diesem Namen spielende FC Nordsjaelland drei Spieler zum dänischen EM-Team entsandt, nur der 20 Jahre alte Verteidiger Jores Okore ist zurückgekehrt. Für Andreas Bjelland (Twente Enschede) und Tobias Mikkelsen (Greuther Fürth) haben sie immerhin gut drei Millionen Ablöse erhalten. Dazu die 20 Millionen für die Champions-League-Teilnahme, ein Quantensprung für den sich seit Jahren in kleinen Schritten entwickelnden Verein.

Nach dänischen Medienberichten überweist Klubbesitzer Allan K. Pedersen einigen Spieler im Nordsjaelland-Kader nur 5.500 Euro pro Monat, ein Betrag, für den sich Chelsea-Stürmer Fernando Torres, der überlieferte 250.000 Euro die Woche einstreicht, wohl nicht einmal einen halben Stutzen anziehen würde.

Nein, der Vergleich mit Chelsea ist keiner, den Nordsjaelland gewinnen kann – dass es ihn am Dienstagabend überhaupt gibt, ist der Erfolg. Trainer Kasper Hjulmand wird seine Spieler dennoch wieder ihr Spiel spielen lassen, dänisches „Tiki-Taka“ nennen sie das stolz, selbst beim 0:2 bei Schachtjor Donezk vor zwei Wochen hatten sie 56 Prozent Ballbesitz und fast 200 Pässe mehr zum Mann gebracht.

Wie es mit dem Überraschungsteam mittelfristig weitergeht, ist derweil unklar. Der boxernasige Pedersen steht ab Januar vor Gericht. Er verkaufte sich selbst vor vier Jahren 93,6 Prozent der Klub-Anteile zum „Freundschaftspreis“ von 67.000 Euro. Nur wenige Wochen später ging sein Unternehmen bankrott, das ihn nun verklagt. Verliert er, muss sich der FCN auch einen neuen Eigner suchen.

Doch das wird all die Jesper Hansens und Sören Christensens am Dienstagabend nicht so recht interessieren. Der FC Chelsea ist zu Gast – wenn auch nicht in der heimischen Kommune, dann immerhin an der Stätte guter Erfahrungen: der Pokalsiege 2010 und 2011.

Tiger im Vollmond

– Falcao schießt Atletico zum Supercup-Sieg und stiehlt Torres die Show

Monte Carlo (dapd). Viel war geredet worden vor dem UEFA-Supercup in Monaco, am meisten über den Spanier Fernando Torres, der als Stürmer des FC Chelsea gegen seinen Heimatverein Atletico Madrid antreten musste. Wie und ob er ein Tor bejubeln würde, wollten beispielsweise alle wissen, und was ihm dabei durch den Kopf gehen würde. Dabei hätte man auch auf die nächstliegende Geschichte kommen können: Radamel Falcao, Angreifer von Atletico, macht den Abend zu seiner Show.

Während Torres in 93 Minuten Bruttospielzeit nicht einen Schuss aufs Tor brachte, hatte Falcao, genannt ‚El Tigre‘, der Tiger, beim 4:1 (3:0)-Triumph des Europa-League-Siegers zur Halbzeit sein Beutesoll schon übererfüllt. Drei Tore erzielte er allein in der ersten Hälfte. Der kolumbianische Tiger hatte Chelseas verdatterte Abwehr mit seinen Teamkollegen schlichtweg überrannt, mit ebenso geschmeidigen wie kraftvollen Attacken. „Wir sind nie ins Spiel gekommen, das war das Enttäuschendste“, sagte der Coach der Londoner, Roberto Di Matteo. Sein Kollege Diego Simeone war im positiven Sinne „sprachlos“ angesichts der nächsten grandiosen Leistung des 26-jährigen Kolumbianers in einem Endspiel.

„Was Radamel macht, ist unbeschreiblich“, sagte Simeone. „Je höher man die Latte legt, desto höher kommt er. Aus all dem Druck bezieht er seine ganze Stärke.“ Di Matteo seufzte nur, als die obligatorische Frage nach Falcaos Leistung kam: „Ach, das wussten wir doch vorher. Wir haben davor gewarnt. Und dann macht er wieder solch ein Spiel.“

Nahe liegend war diese Story übrigens deshalb, weil Falcao eine Art südamerikanische Deluxe-Version von dem früheren Karlsruher Europapokal-Helden Edgar „Euro-Eddy“ Schmitt ist. Er ist Mr. Europacup, oder besser: Mr. Europacup-Endspiel. 2011 schoss er den FC Porto mit dem Rekord von 17 Toren zum Europa-League-Sieg, im Finale erzielte er das einzige Tor. In diesem Jahr dann Atleticos Triumph in Bukarest mit Falcaos Wettbewerbstoren elf und zwölf, von denen er das erste, einen wunderbaren Schlenzer, nun quasi als glänzende Kopie unter dem Vollmond von Monaco noch einmal vorlegte. Es war dennoch schwierig zu entscheiden, welches das schönste Tor des Abends war, denn Falcaos Führungstreffer war ein nicht weniger sehenswerter Lupfer an den Innenpfosten.

„Zum Glück haben wir am 31. gespielt und nicht am 25.“, sagte Simeone. Er meinte: Sonst hätte ihm doch noch jemand seinen besten Mann weggekauft vor Schluss der Transferperiode. An Interessenten hat es nicht gemangelt, auch aus England. „Atletico Madrid hat viel Aufwand betrieben, mich im Kader zu halten“, sagte Falcao. „Mal sehen, was in der Zukunft passiert, aber jetzt gebe ich all meine Energie für Atletico“, sagte Falcao am Freitag. Er kennt die Regeln des Geschäfts.

Bis zum Winter aber wird er definitiv bleiben in der spanischen Hauptstadt, von der auch Torres einst auszog auf die große Fußball-Insel. Eines Tages steht vielleicht auch Radamel Falcao seinem alten Klub im fremden Leibchen gegenüber. Dann wird er bei der Begrüßung sicher einen ebenso herzlichen Applaus von den Atletico-Fans bekommen wie Torres am Freitag. Denn der Anhang weiß: Der Tiger hat schon mehr als genug Beute gemacht.

Neuer Messi gegen neuen Cech

– Beim Supercup begegnen sich zwei der größten Talente Belgiens: Eden Hazard und Thibaut Courtois

Monaco (dapd). Wenn Marc Wilmots am Freitagabend seinen Platz auf der Tribüne des Stade Louis II in Monaco eingenommen hat, wird sich vor dem Anpfiff des UEFA-Supercups ein zufriedenes Lächeln über sein Gesicht legen. „Zwei meiner jungen Spieler in so einem wichtigen Spiel zu sehen, das wird toll“, sagt der belgische Nationaltrainer der dapd.

Wilmots ist von Amts wegen im Fürstentum, er beobachtet zwei der größten Talente seines Landes, Offensivspieler Eden Hazard, 21 Jahre ist er alt, und Torwart Thibaut Courtois, 20. Sie stehen beim gleichen Verein unter Vertrag, dem FC Chelsea, und doch werden sie sich in Monaco als Gegner treffen. Courtois soll beim Champions-League-Sieger aus London einmal die Nachfolge von Petr Cech antreten, zuvor aber als Leihspieler bei Atletico Madrid Erfahrung sammeln.

Viel mehr noch als der 1,98 Meter große Keeper steht Hazard derzeit im Fokus, für den der FC Chelsea diesen Sommer rund 40 Millionen Euro nach Lille überwiesen hat. Wilmots hat ihm nach Amtsübernahme im Mai sofort die Nummer 10 im Nationalteam garantiert. „Er ist unser Mann für die entscheidenden Pässe, er macht den Unterschied“, sagt Wilmots. Vom „neuen Messi“ schwärmen nicht nur belgische Medien, nachdem der Techniker beim OSC Lille in Frankreich zweimal hintereinander bester Feldspieler wurde und im vergangenen Jahr in 38 Spielen 20 Tore schoss und 22 vorbereitete.

Nach den Stärken seines Zehners befragt, holt der Ex-Schalker Wilmots weit aus: „Die Ballannahme Richtung Tor, seine Technik und seine Schnelligkeit im eins gegen eins“, sagt er „außerdem ist er dribbelstark und, was ganz wichtig ist, auch torgefährlich.“ Auch beim Champions-League-Sieger macht sich das bereits bemerkbar, Hazard hat sich in drei Ligaspielen bereits an sechs Treffern beteiligt. „Es klappt schon gut mit Torres, er hat viele gute Spieler um sich wie Mata und daher viel freien Raum“, sagt Wilmots. Den weiß Hazard mit blitzschnellen Antritten und wendigen Dribblings zu nutzen, schon zwei Elfmeter hat er so provoziert.

In der Auswahl wartet Wilmots noch auf den ganz großen Durchbruch seines Jungstars, daher weist er auch die Messi-Vergleiche zurück. „So weit sind wir noch nicht“, sagt er bestimmt. „Wir dürfen nicht die Erwartungen von ganz Belgien auf ihm abladen, auf dem Jüngsten.“ Die Sache mit Messi, das sei nur etwas für Journalisten.

Über kurz oder lang wird Hazard an der Stamford Bridge Unterstützung von seinem Landsmann Courtois bekommen. Er ist seit 2011 designierter Nachfolger des Weltklasse-Torwarts Cech aus Tschechien. Zuvor aber soll sich der lange Mann in der Praxis bewähren. Das tat er im Vorjahr, absolvierte 52 Pflichtspiele und wurde in Bukarest Europa-League-Sieger mit Atletico Madrid. „Er macht große Fortschritte und hat zwei Jahre lang hervorragend gespielt“, sagt Wilmots im dapd-Gespräch.

Seine Erwartungen für das Supercup-Duell sind klar: „Ich will nur ein gutes Spiel von beiden sehen, dann bin ich glücklich“, sagt der Nationaltrainer, der schon das schwierige WM-Qualifikationsspiel gegen Kroatien am 11. September im Blick hat. Einen Favoriten hat er beim Vergleich von Chelsea gegen Atletico nicht. „Ich bin kein Fan von einer der Mannschaften, ich bin ein Fan von belgischen Spielern, die gesund und in guter Form sind.“

Blau im Herzen

– Unter Roberto Di Matteo hat Chelsea tatsächlich die Champions League gewonnen – ob er bleibt, ist unklar

München (dapd). Roberto Di Matteo sieht eigentlich immer aus, als würde er lächeln. Das muss wohl an der Form seiner Mundwinkel liegen. Selbst nach Thomas Müllers vermeintlichem Siegtor für den FC Bayern sah Di Matteo nicht verdrossen aus. Vielleicht glaubte er ja immer noch dran. Wie dem auch sei: Viel später in dieser Samstagnacht, im Pressesaal der Münchner Arena, da strahlte der Interimstrainer des FC Chelsea über das ganze Gesicht.

„Es fühlt sich wirklich großartig an, das muss ich sagen“, sagte Di Matteo und schaute in die Runde. Der in der Schweiz aufgewachsene Italiener hat mit dem neuen Champions-League-Sieger FC Chelsea eine ungewöhnliche Reise hinter sich. Als er Anfang März den Job seines entlassenen Chefs Andre Villas-Boas übernahm, waren die Londoner in der Champions League so gut wie draußen – nach einem 1:3 beim SSC Neapel, das auch ein 0:5 oder 0:6 hätte sein können. Weil Ashley Cole aber auf der Linie klärte (für Di Matteo und auch Didier Drogba der Wendepunkt der Saison), gab es immerhin noch eine kleine Chance im Rückspiel. Chelsea gewann in einer dramatischen Begegnung 4:1 nach Verlängerung. Dann kam Barcelona, zwei Abwehrschlachten, die Chelsea irgendwie überstand, dann München. „Der Fußball und das Leben sind manchmal unvorhersehbar und verrückt. Kein Mensch hätte das vor drei Monaten vorhergesagt“, sagte Di Matteo.

Das Herz dieses Mannes ist blau. Sechs Jahre, von 1996 bis 2002, spielte er an der Stamford Bridge, gewann zweimal den FA-Cup und 1998 den Europapokal der Pokalsieger. Auch danach hörte Di Matteo nie auf, sich als Teil des Ganzen zu fühlen. „Vor vier Jahren haben wir eine sehr schmerzhafte Erfahrung gemacht“, erzählt er über das verlorene Champions-League-Finale von Moskau. Nur war er da gar nicht dabei, sondern saß zu Hause vor dem Fernseher, als Fan.

Vielleicht brauchte es einen wie ihn, um die alte Garde wiederzubeleben. Lampard, Terry und Drogba, denen man viel vorwerfen kann, aber nicht, dass sie sich nicht für das blaue Trikot zerreißen. Unter Di Matteo blühten sie noch einmal auf, spät und unverhofft, vielleicht weil der junge Coach sie anders als sein Vorgänger einfach machen ließ und spielen ließ, wann und wie sie wollten. „Das Herz und die Leidenschaft, die diese Spieler gerade in diesem Wettbewerb an den Tag gelegt haben, waren immens“, lobte Di Matteo artig – ebenso wie er Villas-Boas lobte, der „das Fundament gebaut“ habe. Aber natürlich war nach dessen Abgang alles anders.

Zum Beispiel die Taktik. Di Matteo ließ wieder einen Stil zu, der nicht schön war, aber den auf Ballbesitz orientierten Teams wie Barca und auch Bayern den letzten Nerv raubte. Teils zu zehnt im eigenen Strafraum, bei so gut wie jedem Schuss der Münchner mit einem Fuß oder anderem Körperteil dazwischen. Kritik an seiner Mauertaktik wischte er auch nach dem Endspiel in München vom Tisch: „Man muss immer versuchen, das Beste aus dem zu machen, was man hat.“ Das immerhin hat Roberto Di Matteo eindrucksvoll geschafft.

Wie es nun aber weitergeht mit dem lächelnden Coach, ist trotz des Titelgewinns völlig unklar. Er selbst will sich partout nicht äußern: „Was auch immer der Verein entscheidet, werde ich respektieren.“ Di Matteo weiß, dass es nur einen gibt, der darüber befinden kann: Roman Abramowitsch, Klubeigner, Geldgeber, Mr. Chelsea. Und was der nun vorhat, wird abzuwarten sein. Jetzt, da der Heilige Gral geborgen ist, am Ende einer der seltsamsten Reisen, die der Fußball seit langem gesehen hat.

Drei Schritte ins Glück

– In seinem wohl letzten Spiel verhilft Didier Drogba seiner Chelsea-Generation doch noch zum größten Titel

München (dapd). Drei Schritte nahm Didier Drogba Anlauf zum Glück, penibel genau abgezählt, wie immer. Drei entschlossene Schritte nach hinten, zwei minimale Tippelschritte zur Seite. Dann wurde Drogba ganz ruhig, ganz langsam hob er den Blick, während Manuel Neuer vor diesem entscheidenden Elfmeter auf der Linie auf und ab hüpfte, als sei er ein betrunkener Clown. Mit einem Ruck unterband Drogba diese Ablenkungen, lief an und schoss den Ball über das linke Standbein hinweg unhaltbar ins Netz – wie einen Trainingsschuss.

Didier Drogba, Stürmer des FC Chelsea seit acht Jahren, hatte in diesem Moment seine Mission erfüllt. In seinem möglicherweise letzten Spiel hatte er dem Klub aus London den ersten, so heiß ersehnten und lange verfolgten Champions-League-Sieg beschert. Und so einfach in Richtung China – wie spekuliert wird – wollen die Klubverantwortlichen den Stürmer, dessen Vertrag Ende dieses Monats ausläuft, nicht ziehen lassen. Chelseas Vorstandsvorsitzender Bruce Buck kündigte an, Vertragsgespräche mit Drogba „lieber früher als später“ aufzunehmen. Noch in der kommenden Woche, erklärte Buck weiter, werde man sich mit dem Berater von Drogba zusammensetzen.

Der Triumph im Elfmeterschießen gegen den FC Bayern hat eine Milliarde Euro von Klubeigner Roman Abramowitsch gekostet – und die ganze Willenskraft von Didier Drogba. „Ich bin seit acht Jahren hier. Wir waren immer so dicht dran und doch so weit davon entfernt“, sagte Drogba weit nach Mitternacht vor den verbliebenen Journalisten. „Jetzt haben wir diesen Pokal. Er geht an die Stamford Bridge.“

Mit 34 Jahren hat Didier Drogba es doch noch geschafft – und mit ihm die alten Gefährten Frank Lampard und John Terry. „Frank, JT oder Carlo Cudicini – sie haben uns gezeigt, wie man ein Chelsea-Spieler wird“, sagte Drogba rückblickend. Dreimal hatte Drogbas Generation seit seiner Ankunft in London 2004 im Halbfinale gestanden, München war ihr zweites Finale. 2008 waren sie an einem Elfmeter des diesmal zum Zuschauen verdammten Terry gescheitert, diesmal scheiterten die Bayern.

„Moskau war eine sehr schwierige Erfahrung, aber heute haben wir es geschafft, sie zu verändern“, sagte Drogba. Wie schon in den Halbfinalspielen gegen den FC Barcelona war der einzige Stürmer in Chelseas Riegelsystem schier omnipräsent. Er musste es sein bei der bayrischen Dominanz. So klärte er zahlreiche der zahlreichen Bayern-Ecken am Fünfmeterraum, warf sich mit unzähmbarer Willenskraft in jedes noch so aussichtslose Luftduell. Selbst Thomas Müllers spätes Führungstor in der 83. Minute konnte Drogbas Mission nicht erschüttern. Fünf Minuten später wuchtete er acht Jahre enttäuschte Hoffnung in die Eckstoßflanke von Juan Mata – die erste und einzige des Spiels.

„Ich wollte, dass Chelsea lacht“, sagte Drogba hinterher schlicht, doch beinahe hätte er die Spieler und Fans in Blau zum Weinen gebracht. Weil aber Arjen Robben die Hauptrolle des Abends nach Drogbas übereifrigem Foul an Franck Ribery nicht übernehmen konnte, weil Petr Cech dessen Elfmeter hielt – daher liefen die Dinge weiterhin in die Richtung des Mannes mit der Nummer 11.

In den immer kürzer werdenden Pausen zwischen den Spielabschnitten lief der, statt sich massieren zu lassen, auf und ab, kaum behelligt von seinen Teamkollegen, sprach sich selbst sichtbar Mut zu, sah immer wieder ehrfurchtsvoll hinauf, am Dach der Arena vorbei in die Unendlichkeit.

Dann kam das Elfmeterschießen, in dem Olic und Schweinsteiger zu ihrem Unglück dafür sorgten, dass Drogba den Schlusspunkt setzen konnte. „Oh, mein Gott“, schien er noch zu sagen, bevor ihn seine Mitspieler umrissen und unter sich begruben.

„Ich war zuversichtlich, bevor ich ihn schoss“, sagte Drogba. „Aber ich hatte auch im Kopf, was beim Afrika-Cup passiert war.“ Drogba kennt die andere Seite, er hat zweimal dort gestanden, im Dunkel: Im Februar vergab er den Titel gegen Außenseiter Sambia vom Punkt, 2006 verschoss er seinen Elfmeter im Endspiel gegen Ägypten.

Nicht lange nach seinem wohl letzten erfolgreichen Torschuss für Chelsea schritt Didier Drogba also zu den Bayern in den Mittelkreis, er umarmte Schweinsteiger und Ribery, sprach ihnen etwas Trost zu. Am längsten hielt er Arjen Robben im Arm, den Untröstlichen, der bitterlich an seiner Schulter weinte.

Effizienz im Londoner Regen

– Didier Drogba und der FC Chelsea hebeln das System Barcelona aus

Berlin/London (dapd). Man muss die Feste feiern, wie sie fallen. Die vielen strahlenden Gesichter, herzlichen Umarmungen und in die Luft gereckten Jubelfäuste am späten Mittwoch an der Londoner Stamford Bridge waren nur allzu verständlich. Denn: Der FC Chelsea hat den FC Barcelona in der Champions League geschlagen. Das hat, auch wenn es nur das Halbfinal-Hinspiel war, für sich genommen fast historischen Wert. Der FC Barcelona verliert nämlich wirklich nicht allzu häufig. Es war dies im 57. Pflichtspiel der Saison die erst dritte Niederlage für die Mannschaft von Pep Guardiola, die eine schier beängstigende Aura der Effizienz umschwebt.

13 von 16 möglichen Titeln haben sich die katalanischen Nimmersatts zuletzt einverleibt. Doch weil an diesem wunderbar verregneten Fußballabend der FC Chelsea eine ganz andere Art von Effizienz zur Schau stellte und in Person von Didier Drogba aus der einzig wahren Chance einen 1:0-Sieg formte, ist nun die Titelverteidigung in Europa für Barca zumindest ein bisschen in Gefahr.

Torwart Petr Cech konnte die Zutaten der kleinen Sensation fix benennen: „mentale Stärke, etwas Glück – und auch ein paar Paraden des Torhüters.“ Wobei er die wichtigste Ingredienz völlig unterschlug: Einen Stürmer vom Format Drogba. Der bullige Angreifer füllte im 9-0-1-System von Roberto Di Matteo die Rolle des Alleinunterhalters im Angriff in Perfektion aus, ruderte zu Dutzenden Kopfbällen hoch in den Regenschleier, wetzte allen langen Bällen hinterher, und hatte er den Ball einmal am Fuß, war er meist nur mit dem Mittel zu stoppen, das Guardiola seinen Spieler eigentlich verboten hat: Dem Foul. Bei allen Gelegenheiten verschleppte Drogba zudem das mörderische Barca-Tempo, wie ein in die Jahre gekommener Boxer, der immer wieder klammert.

„Drogba war vorne ganz alleine, wir haben alle großartig gearbeitet“, sagte John Terry. „Wir wussten, dass wir unsere Chance bekommen würden, und Didier war zur richtigen Zeit am richtigen Ort“, sagte Di Matteo. In der Nachspielzeit der ersten Hälfte schob der Mann von der Elfenbeinküste den einzigen nennenswerten Gegenstoß der Londoner eiskalt ein.

Barcelona auf der anderen Seite scheiterte trotz guter bis sehr guter Möglichkeiten am Grundkonzept des Fußballs, dem Toreschießen. Wie schon im Hinspiel beim AC Mailand wollte der ersehnte Auswärtstreffer nicht fallen, auch nicht in der dritten Minute der Nachspielzeit, als Pedros Flachschuss nur den Pfosten küsste. Betrachter mit Sinn für geschichtliche Quervergleiche argumentierten alsbald, dies sei die ausgleichende Gerechtigkeit für den späten und äußerst glücklichen Ausgleichstreffer durch Andres Iniesta an gleicher Stelle vor drei Jahren gewesen. Wegen dieses Treffers war der FC Chelsea damals im Halbfinale gescheitert.

Diesmal musste Guardiola dem FC Chelsea gratulieren, zum Teilerfolg. „Wir hatten mehr Ballbesitz, aber das bedeutet nichts, damit gewinnst du keine Spiele. Sie waren uns heute in der Luft überlegen und waren physisch stärker.“ Manchmal reichen für einen Sieg also: 28 Prozent Ballbesitz, ein Torschuss und 100 Prozent britischer Kampfgeist.

Die Arithmetik fürs Rückspiel im Camp Nou fiel den Beteiligten nicht ganz so leicht. „Fifty-fifty“, wog Cech die Chancen ab, korrigierte diese Prognose nach wenigen Sekunden aber auf „60:40 für Barcelona, weil sie zu Hause spielen“. Dort haben die Mannen von Guardiola in den vergangenen beiden Champions-League-Spielen immerhin zehn Tore zustande gebracht. Chelsea braucht also kommenden Dienstag gleich das nächste mittelgroße Fußballwunder für die Endspielteilnahme.

Die atemlose Nacht von London

– Das Duell zwischen Chelsea und Neapel hat einen Sieger: den Fußball

Berlin/London (dapd). Ezequiel Lavezzi spannte seinen Körper, er ging ins Hohlkreuz, reckte und streckte seinen Kopf so weit wie möglich nach oben. Dennoch sauste die scharfe Flanke ein paar Zentimeter über seine Haarwurzel hinweg und ins Aus. Der SSC Neapel und nicht der FC Chelsea hätte im Viertelfinale der Champions League gestanden, hätte, ja hätte nur der Argentinier in dieser 87. Minute das 2:3 aus Sicht seines Teams geköpft. Allein, einen Vorwurf konnte man ihm wirklich nicht machen. Ezequiel Lavezzi misst nur 1,73 Meter.

Der SSC Neapel wollte wie Lavezzi über sich hinaus wachsen bei dieser 1:4-Niederlage nach Verlängerung an der Stamford Bridge. Das Problem war nur, das taten die Gastgeber auch. Dabei heraus kam ein unvergesslicher Europapokalabend, mit allem, was diesen Wettbewerb und diesen Sport ausmacht.

Es war ein Spiel, das den Zuschauern zunehmend den Atem nahm, weil es einer Dramaturgie folgte, die sich immer rasanter beschleunigte. „Einige der Spieler konnten am Ende nicht mal mehr rennen, weil sie Krämpfe hatten“, sagte Chelseas Interimstrainer Roberto Di Matteo, der seine Bilanz auf drei Siege aus drei Spielen erhöhte. „Aber sie haben einfach weitergekämpft. Alle waren unglaublich.“ Auch sein Kollege Walter Mazzarri war „stolz“ auf seine Spieler. Wer kann das nach einer 1:4-Niederlage schon sagen?

Aber der Endstand gab nur unzureichend wider, was da auf dem Platz abgelaufen war. Zunächst einmal machten die Gäste genau da weiter, wo sie beim fulminanten 3:1-Heimsieg vor drei Wochen aufgehört hatten. Als die Anfangsviertelstunde beendet war, hatte Chelseas Torhüter Petr Cech bereits dreimal retten müssen, und Edinson Cavani hatte wütend die Bande malträtiert, nachdem er aus spitzem Winkel nur das Außennetz traf. „Wir hatten wahrscheinlich heute mehr Chancen als im Hinspiel“, sagte Mazzarri, „wir haben nur nicht so oft getroffen“.

Nach überstandenem Schrecken der Anfangsphase erinnerte sich der FC Chelsea daran, was er ist: ein englischer Fußballklub. Schließlich ging es darum, als letzter Landesvertreter im Wettbewerb zu bleiben. Chelsea kämpfte sich also zurück ins Spiel. Didier Drogba wuchtete in der 28. Minute eine Ramires-Flanke aus dem Halbfeld zum 1:0 ins Netz und entblößte erstmals Neapels fatale Schwäche bei hohen Bällen. Chelsea machte nun das Spiel, Neapel konterte.

Die Anfangsviertelstunde der zweiten Hälfte war wie die der ersten, nur noch atemloser. Diesmal war es Terry, der einen hohen Ball mit dem Kopf zum 2:0 für die Gastgeber ins Tor hämmerte. Damit wäre Chelsea im Viertelfinale gewesen. Bis acht Minuten später Gökhan Inler seinerseits alle Kraft zusammennahm und ein wunderschönes Dropkick-Tor aus 17 Metern erzielte und Neapel wieder ins Rennen brachte. Chelsea brauchte nun plötzlich ein Tor, Neapels zu Tausenden angereiste Fans sangen und hüpften schon mal. Bis Frank Lampard, der dritte der alten Londoner Garde, vom Elfmeterpunkt das 3:1 gelang. Mit einem hammerharten Schuss, natürlich. Damit war das Hinspiel-Ergebnis egalisiert.

Beide Mannschaften warfen nun alles hinein. Das nächste Tor würde entscheiden, und jeder wollte der sein, der es erzielt. Jede Taktik wurde aufgegeben. Neapels Mittelstürmer Cavani lief Chelseas Mittelstürmer Fernando Torres am eigenen Sechzehner ab. Abwehrspieler David Luiz schnappte sich den Ball vor dem eigenen Tor mit tollkühner Grätsche, lief und lief bis vors gegnerische Tor, wo ihm ein Neapolitaner mit einer tollkühnen Grätsche wieder den Ball wegnahm. Es spielten nun also diese 20 Feldspieler etwas, das dem Konzept des „totalen Fußballs“ ziemlich nahe kam. Jeder machte alles.

Und der deutsche Schiedsrichter Felix Brych machte genau das richtige: Er vergaß seine Herkunft und ließ diese Fußballschlacht einfach laufen. Böses oder grob Unfaires war ohnehin kaum dabei.

Der entscheidende Treffer in der Verlängerung gelang dann dem FC Chelsea – durch Branislav Ivanovic, einem Verteidiger. Wenn ihn zuvor der kleine Lavezzi mit dem Kopf erzielt hätte, mal ehrlich, wen hätte das an diesem Abend eigentlich noch verwundert?