„Viele mit meinen Anlagen gab es nicht“

– Yildiray Bastürk entschied sich, für die Türkei zu spielen – auch weil der DFB sich nicht für ihn interessierte

Berlin (dapd). Yildiray Bastürk, 1978 im westfälischen Herne geboren, absolvierte insgesamt 49 Länderspiele für die Türkei und wurde mit dem Heimatland seiner Eltern WM-Dritter 2002. Im Gespräch mit dapd-Korrespondent Johannes Ehrmann erklärt der 249-malige Bundesligaspieler, warum er nie für Deutschland auflief und spricht über die Unterschiede zwischen der Situation vor zehn Jahren und heute.

dapd: Der türkische Europa-Scout Erdal Keser betont immer wieder, dass die Entscheidung für eine Nationalmannschaft eine Herzensangelegenheit sein sollte. War es das für Sie damals?

Bastürk: Zu meiner Zeit war alles ja noch ein bisschen anders als heute, Spieler mit Migrationshintergrund gab es ja praktisch gar keine. Außerdem habe ich sehr früh, nämlich bei der U16, angefangen, für die Türkei zu spielen. Dann noch den Verband zu wechseln, war damals schwieriger als heute.

dapd: Hat sich der DFB nicht für Sie interessiert?

Bastürk: Erst anderthalb Jahre später, als ich 18 war. Ich spielte in der Westfalen-Auswahl und wurde rings um ein Länderspiel in Duisburg gefragt, ob ich Lust hätte, für Deutschland zu spielen.

dapd: Aber Sie hatten keine?

Bastürk: Ich hatte einfach schon einige Turniere mit den türkischen Spielern zusammen gespielt und viel Spaß mit der türkischen Mannschaft gehabt, von daher war die Sache schon erledigt für mich.

dapd: Wie war denn der erste Kontakt zum türkischen Verband zustande gekommen?

Bastürk: Das ging von mir aus. Ich habe meinen Jugendleiter bei Wattenscheid 09 gefragt, ob es die Möglichkeit gibt, den Kontakt zum türkischen Verband herzustellen. Zufällig war nur eine Woche später ein Sichtungslehrgang für 14- bis 17-Jährige in München. Der Jugendleiter fuhr mich und einen Mitspieler hin. Ich habe zwei Spiele gemacht, am Ende wurden vier oder fünf von sechzig Teilnehmern ausgewählt. Ich war dabei.

dapd: Kaum zu glauben, dass Ihre Nationalmannschaftskarriere auf eine persönliche Initiative zurückging.

Bastürk: Damals waren die Türkei aber auch Deutschland noch bei weitem nicht auf dem Stand wie heute, was die Sichtung betrifft.

dapd: Welchen Einfluss haben Ihre Eltern genommen?

Bastürk: Die haben sich eigentlich völlig rausgehalten, weil sie auch gar nichts von Fußball verstehen. Mein Bruder hatte Einfluss, aber es war meine eigene Entscheidung.

dapd: Das erste Länderspiel bestritten Sie als 19-Jähriger 1998 gegen Albanien, dann aber hatten Sie drei Jahre keinen Einsatz mehr für die A-Auswahl.

Bastürk: Ja, das stimmt. In der Türkei dachte man sich wohl, komm, den laden wir ein, dann haben wir ihn auf der sicheren Seite. Mustafa Denizli hat mich damals berufen, ich habe aber, glaube ich, nur zwei oder drei Minuten gespielt. Danach wurde ich dann zwei, drei Jahre lang in der türkischen U21 eingesetzt.

dapd: Hätten Sie sich auch eine Karriere im DFB-Trikot zugetraut?

Bastürk: Auf jeden Fall. Sehen Sie, ich habe ja mit 22 schon mit Bayer Leverkusen in der Champions League gespielt, mit 23 habe ich an der WM teilgenommen. Ich denke schon, dass ich auch in Deutschland meine Chance gehabt hätte, so viele Spieler mit meinen Anlagen gab es ja damals nicht.

dapd: Vor zehn Jahren herrschte in Deutschland im Gegensatz zu heute ein großer Mangel an kreativen Mittelfeldspielern.

Bastürk: Jürgen Klinsmann sagte später einmal, dass ein Mann wie ich der deutschen Mannschaft gut getan hätte. Aber die Zeiten waren eben andere, wie ich schon sagte. Spieler mit Migrationshintergrund gab es kaum im deutschen Team. Das fing ja gerade erst an, mit Gerald Asamoah zum Beispiel.

dapd: Rückblickend haben Sie vieles richtig gemacht mit Ihrer Entscheidung. 2002 wurden Sie sensationell WM-Dritter mit der Türkei. Ihre schönste Erinnerung der Karriere?

Bastürk: Das Jahr 2002 allgemein, die Saison mit Leverkusen und dann die WM mit der Türkei. Schon als wir uns nach fast 50 Jahren das erste Mal wieder qualifiziert hatten, war die Euphorie sehr groß. Die WM war ein großartiges Turnier mit einer großartigen Mannschaft: Hakan Sükür, Ilhan Mansiz, Bülent Korkmaz. Wenn Sie heute durch die Türkei fahren und die Leute nach der besten türkischen Mannschaft fragen, werden sehr viele das Team von 2002 nennen. Vergleichbar war die Begeisterung nur noch 2008 während der EM.

dapd: Da schied die Türkei erst im Halbfinale aus – gegen Deutschland. Sie waren nicht dabei, weil Fatih Terim Sie vor dem Turnier aus dem Kader strich.

Bastürk: Das war eine negative Erfahrung, die mich sehr lange begleitet hat und mich manchmal immer noch belastet. Das war der tiefste Punkt meiner Karriere, eine große Enttäuschung. Ich konnte die Entscheidung wie viele andere nicht nachvollziehen. Aber so ist der Fußball, man kann nicht nur Höhen haben.

dapd: Nuri Sahin, die Altintops, jetzt Ömer Toprak – nach Ihnen haben sich zahlreiche Deutsch-Türken für die türkische Auswahl entschieden. Manche sagen, das sei unfair gegenüber dem deutschen Verband und den Klubs, die sie für viel Geld ausgebildet haben.

Bastürk: Ich kann das verstehen, wenn man so viel in einen Spieler investiert hat. Aber auch die andere Seite ist für mich nachvollziehbar. Ich weiß nicht, ob Ömer Toprak eine Perspektive in der deutschen Nationalmannschaft gehabt hätte oder nicht. Das kann ich nicht beurteilen. Jeder Spieler ist selbst verantwortlich für seine Entscheidung. Wie gesagt, ich verstehe beide Seiten.

Zwischen den Kulturen

– Erdal Keser sichtet deutsch-türkische Nachwuchsspieler für den türkischen Verband

Berlin (dapd). Der Mann aus Hagen hat klare Vorstellungen. „Wir suchen derzeit vor allem Abwehrspieler und defensive Mittelfeldspieler“, sagt Erdal Keser. „Spielmacher haben wir in der Türkei mehr als genug.“ Keser, 50 Jahre alt, in Deutschland aufgewachsen, ehemaliger Bundesligaspieler für Borussia Dortmund, leitet das Europa-Büro des türkischen Fußballverbands in Köln. Keser ist die Schnittstelle zwischen den Kulturen. Wer in Europa jung ist, ambitioniert Fußball spielt und türkische Wurzeln hat, der wird früher oder später mit ihm Bekanntschaft machen. Eher früher.

Natürlich habe er auch schon bei den WM-Stars der deutschen U17 angeklopft, sagt Keser. Die haben im Juli sogar die Ballkünstler aus Brasilien ausgezaubert, sind in Mexiko auf begeisternde Art Dritter geworden. Die Protagonisten hießen unter anderem: Samed Yesil, Robin Yalcin, Okan Aydin, Levent Aycicek oder Emre Can. Insgesamt acht Kinder türkischer Eltern kombinierten sich durch die Abwehrreihen, erzielten Traumtor auf Traumtor. Eine goldene Generation.

„Lagebesprechung“ mit den Familien

Keser ist natürlich schon viel früher auf sie aufmerksam geworden als die deutsche Öffentlichkeit – und auch auf sie zugegangen. Ein Jahr vor dem Turnier etwa war das, sagt er. „Ich nehme dann den Kontakt zu dem Spieler selber auf oder zur Familie, wir treffen uns zu einer Art erster Lagebesprechung“, erklärt Keser mit ruhiger Stimme und leichtem Ruhrgebiets-Einschlag. In diesem Fall sei es dabei geblieben: „Sie haben gesagt, dass sie zurzeit glücklich sind. Ich habe ihnen dann noch viel Glück gewünscht, das war’s.“

Doch ganz so harmlos verläuft die Hatz nach den Talenten nicht immer. Im Sommer gerieten Keser und DFB-Sportdirektor Matthias Sammer öffentlich aneinander, nachdem Keser angekündigt hatte, dass einige der U17-Spieler schon für die Türkei zugesagt hätten. Namen nannte er keine. Kapitän Can und Yesil bekannten sich nach dem Turnier dazu, ihren Weg beim DFB gehen zu wollen.

Für die Spieler ist es auch eine strategische Entscheidung. Der Weg in die türkische Auswahl ist tendenziell der leichtere. Und verpokert hat man sich schnell. Serdar Tasci etwa spielt in Joachim Löws Planungen keine Rolle mehr, kann aber, selbst wenn er wollte, nicht mehr zum türkischen Verband wechseln, weil er bereits im deutschen Trikot Pflichtspiel-Einsätze absolviert hat.

Die hohe Konkurrenz auf der deutschen Innenverteidigerposition mag auch in den Überlegungen von Ömer Toprak eine Rolle gespielt haben, der sich als bislang letzter Deutsch-Türke für das Heimatland seiner Eltern entschieden hat und am Freitag sein Debüt geben könnte. Nuri Sahin, die Altintop-Brüder, Mehmet Ekici, Gökhan Töre, Tunay Torun, Hakan Balta – die Reihe der in Deutschland ausgebildeten Nationalspieler, die mit Stern und Halbmond auf der Brust auflaufen, ist lang und wird länger.

Die Eltern bevorzugen meist die Türkei

Dass die Mehrzahl der 25 ihm unterstellten Europa-Scouts in Deutschland nach Talenten sucht, verhehlt Keser nicht, schließlich leben hier 2,5 Millionen Menschen mit türkischen Wurzeln. „Benelux, Österreich, Schweiz“, dies seien die Länder, die danach folgten, sagt Keser.

Die Eltern, die meist noch starke Bindungen in ihre alte Heimat haben, würden die türkische Lösung in der Regel bevorzugen. Doch das sei oft nicht entscheidend. „Wissen Sie, das sind ja alles mündige Jugendliche mittlerweile“, sagt Keser. „Da sagen die Eltern schon ab 14, 15, dass ich das mit ihrem Sohn selber abmachen soll.“

Größere Eingewöhnungsschwierigkeiten hätten die in Deutschland geborenen und aufgewachsenen türkischen Nationalspieler nicht, sagt Keser: „Wenn sie kein Türkisch sprechen, was wir auch schon hatten, dann wird eben Englisch oder Deutsch gesprochen.“

Und wenn Keser weiterhin erfolgreich arbeitet, könnte Deutsch schon bald die inoffizielle Amtssprache der türkischen Nationalelf werden.

Der akribische Träumer

– Nationaltrainer Österreichs: Marcel Koller macht nach der Bundesliga den nächsten Schritt

Berlin (dapd). Wenn man der Webseite des Schweizer Fußballtrainers Marcel Koller glauben darf, ist sein größter Wunsch schon vor acht Jahren Realität geworden. „Der Traum meiner Trainerkarriere erfüllte sich“, schreibt Koller dort über seinen erstes Engagement in der Bundesliga, das im November 2003 beim 1. FC Köln begann. Nun macht Koller den nächsten Schritt, weg vom Vereinsfußball: Er wird Österreichs neuer Nationaltrainer. Ein Schritt über die Grenze, hin zum Nachbarn Österreich. Das Image des akribischen, uneitlen Fußball-Sachverständigen, das den 50-Jährigen begleitet, entspricht dabei dem Klischee, das manch einer von seiner Heimat hat.

Koller setzte auf einen gewissen Podolski

Marcel Koller kam als Spieler mehr als 400 Mal für die Grasshoppers Zürich zum Einsatz, 1999 war er „Trainer des Jahres“ in seiner Heimat. In Köln, der Stadt seiner Träume, war Koller im Jahr 2003/04 sportlich gesehen nicht erfolgreich. Doch setzte er als erster regelmäßig einen 18-jährigen Nachwuchsspieler namens Lukas Podolski ein. Der erzielte ab November in 19 Spielen zehn Tore. Am Ende war der FC trotzdem abgestiegen, Koller musste gehen – und sah der weiterhin rasant verlaufenden Entwicklung des bald unter „Prinz Poldi“ firmierenden Shooting-Stars aus der Ferne zu.

Bochum, die nächste Station ab 2005, darf als Kollers erfolgreichste Trainerstation gelten. Beachtliche 1,36 Punkte holte er im Schnitt in 152 Ligaspielen, brachte die ehemals „Unabsteigbaren“, die gerade mal wieder abgestiegen waren, sofort wieder zurück nach oben und schaffte im ersten Jahr in der Bundesliga den achten Platz. In den beiden folgenden Jahren wurde der Abstand zur Abstiegszone immer knapper, das Bochumer Fußballspiel nach Meinung der Anhänger dazu im trister. Im Herbst 2009, Bochum war nach sechs Spieltagen Vorletzter, musste Koller gehen.

Fußball ohne Eigenschaften

Das Ende nach gut vier Jahren bekam eine Note, die Koller nicht verdient hatte. Den Rauswurf nach einer 2:3-Heimniederlage gegen den FSV Mainz 05 verkündete der Verein auf seiner Homepage versehentlich mehrere Stunden zu früh. Volkes Stimmung hatte sich in den letzten Wochen seiner Amtszeit zunehmend gegen den Schweizer Coach gekehrt, immer mehr blieben zuhause. Und die, die immer noch kamen, waren erzürnt. Fußball ohne Eigenschaften, das wurde Koller im Kern vorgeworfen. Mehrere Hundert Bochumer Fans forderten schließlich seinen Rauswurf. Der Schweizer war auch Opfer der Gegebenheiten geworden, hatte immer wieder die Abgänge von Leistungsträgern wie Zvjezdan Misimovic oder Jaroslaw Drobny zu verkraften.

Das Problem der chronischen Abgänge wird Marcel Koller bei seinem nächsten Job immerhin nicht haben. Und wer weiß, vielleicht geht für den Schweizer im Dienste des Nachbarn ja tatsächlich der eine oder andere kleinere Fußballtraum in Erfüllung.

37 Sekunden Ruhm

– Mateja Kezman, einst Europas größtes Talent, kehrt zurück auf die große Bühne

Berlin (dapd). Der Junge mit der Nummer 20 steht an der Kreidelinie, die Hände in die Hüfte gestemmt. Er soll jetzt kommen, für den großen Predrag Mijatovic, der sich gerade eben mit einem Hackentrick von diesem Spiel verabschiedet hat. Jetzt sprintet der hibbelige 21-Jährige hinauf aufs Feld, das die Welt bedeutet, für ihn und Millionen kleiner Jungs wie ihn. Norwegen gegen Jugoslawien, Europameisterschaft, und er darf mitmachen. Keine Minute später schleicht Mateja Kezman vom Platz, mit einem Rekord, der ihn zum Gespött der Leute machen wird.

15 Minuten lang wird jeder von uns weltberühmt sein, prophezeite Andy Warhol. Mateja Kezman nahm sich nicht so viel Zeit. 37 Sekunden nur, überspitzt formuliert, dauerte seine Weltkarriere. 37 Sekunden, das sind: Ein Ballgewinn, ein Sprint, eine verunglückte Flanke, ein weiterer Sprint und dann diese beidbeinige Grätsche gegen Erik Mykland, genau vor Schiedsrichter Hugh Dallas. Mykland schreit, dass man es bis oben auf die Tribüne hört. Und Dallas zieht sofort Rot.

Für 14 Millionen zu PSV

Seitdem kennen alle Statistik-Freaks Kezmans Namen: Schnellster Platzverweis bei einer EM-Endrunde. Aus heutiger Sicht wirkt der Blackout des blassen Jungen wie ein Mahnruf. Wie ein Vorzeichen auf die unerfüllten Versprechen seiner Karriere. Doch natürlich ist das Unsinn. Der Stern des Jungen aus Belgrad geht in diesem Sommer vor elf Jahren gerade auf. Nach dem Turnier in Belgien und Holland wechselt er für 14 Millionen Euro von Partizan zum PSV Eindhoven. „Wir waren schon lange an ihm dran. Er ist schnell, agil, stark am Ball, schließt gut ab und legt für andere auf“, rechnet Coach Eric Gerets die Vorzüge seines Neuzugangs vor.

PSV, das Sprungbrett der grandiosen Stümer: Romario, Ronaldo, van Nistelrooy. Und jetzt Kezman. Das Sternchen wird hier zum Kometen. Wie sie alle wird er Torschützenkönig, in vier Jahren drei Mal, Kezman schießt in der Ehrendivision in 122 Spielen sagenhafte 105 Tore. Und klopft sagenhaft große Sprüche. „Ich bin Kezman“, sagt er, „nicht Romario oder van Nistelrooy“. Die Vergleiche mit der Vergangenheit seien ihm lästig, sagt er. „In zwei Jahren“, fügt er hinzu, „will ich in Italien sein“. In der Tat wollen ihn bald die ganz Großen. Mateja Kezman entscheidet sich 2004 schließlich für England, für den FC Chelsea.

Und dann fängt er an abzublättern, der Ruhm des Mateja Kezman, Stück um Stück. Bei den Londonern kommt er nicht an Didier Drogba und Eidur Gudjohnsen vorbei, erzielt in der Liga nur vier Tore. Nach einem Jahr geht er nach Spanien, zu Atletico Madrid. Nur ein weiteres Jahr später zu Fenerbahce in die Türkei. Tore schießt er kaum noch. Es geht abwärts, die Namen werden kleiner. Es kommen die Leihen, Kezman wird zur Fußball-Ware: Fenerbahce leiht ihn nach zwei durchwachsenen Jahren nach Paris aus, von PSG wird er wiederum zu Zenit St. Petersburg ausgeliehen, und im November 2010 ist Mateja Kezman, 31 Jahre alt, vertragslos. Strandgut des Fußballs.

Deja-vu auf Schalke

Einmal noch hat er sein Land, das mittlerweile Serbien heißt, in der Zwischenzeit verzückt: Im Oktober 2005 hat er die Serben zur WM in Deutschland geschossen, mit seinem 1:0 gegen Bosnien-Herzegowina. Doch die WM endet tragisch, mit einem Deja-vu. Es ist das zweite Gruppenspiel, Schalke der Schauplatz, Argentinien der Gegner. In der 65. Minute, es steht 0:3, rauscht Kezman im Mittelfeld mit einem brutalen Scherenschlag in Javier Mascherano, der Ball längst weg, das Spiel noch länger entschieden. Der Schiedsrichter heißt diesmal Roberto Rosetti, und wie Dallas sechs Jahre zuvor zögert er keine Sekunde. Rot. Als die Zuschauer Kezman mit Pfiffen vom Feld geleiten, klatscht der ironisch Beifall. Hilflose Geste des Trotzigen. Bis heute bestreitet er kein weiteres Länderspiel.

Bei den Weißrussen von BATE Borissow steht Mateja Kezman, mittlerweile 32 Jahre alt, nach einem viermonatigen Zwischenspiel in Hongkong nun unter Vertrag. Und kehrt mit dem Spiel gegen Titelverteidiger FC Barcelona, seinem 48. Champions-League-Einsatz, am Mittwoch zurück auf Europas ganz große Bühne. Er freue sich sehr, wird Kezman auf der UEFA-Webseite zitiert. „Es wird extrem interessant, gegen die Meister aus Spanien, Italien und der Tschechischen Republik zu spielen.“ Die neue Demut eines Mannes, dem einst der Vergleich mit den Größten lästig war. Ich bin Kezman, sagte er, überzeugt, mehr als 37 Sekunden Ruhm erteilt bekommen zu haben.

Mit Verbrechern und Verrätern

– Polens Fußball debattiert über die Zusammensetzung der Nationalmannschaft

Berlin (dapd). Polens Fußballer schnuppern dieser Tage schon mal ein bisschen EM-Atmosphäre. Vor der Partie gegen Deutschland haben sie sich im edlen Fünf-Sterne-Hotel Dwor Oliwski 15 Autominuten außerhalb des Danziger Stadtzentrums einquartiert, der offiziellen Mannschaftsherberge des DFB für das Europa-Turnier im kommenden Jahr. Auch wenn es eigentlich um nichts geht, ist das Länderspiel der polnischen Elf gegen Deutschland am Dienstag (20.45 Uhr) schon ein bisschen die Probe für den Ernstfall, ein Dreivierteljahr vor der EM im eigenen Land.

Die Zahlen machen erst einmal keinen großen Mut. Platz 65 der FIFA-Weltrangliste belegt Deutschlands östlicher Nachbar. Und wie jeder Gastgeber haben die automatisch gesetzten Polen das Problem einer aufgeblähten Phase von Testspielen. Wegen der deutlich verpassten Qualifikation für die WM in Südafrika hat diese bereits im Herbst 2009 begonnen. In diesem Jahr stehen bislang knappe Siege unter anderem gegen Norwegen und Georgien Niederlagen in Litauen und Frankreich gegenüber. Im Juni immerhin schlug die „Kadra“ das große Argentinien – allerdings nur eine B-Elf. Am Freitag gab es in Warschau ein 1:1 gegen Mexiko.

Wer darf die Weiß-Roten repräsentieren?

Gegenstand einer hitzigen Debatte unter den 38 Millionen Nationaltrainern ist aber vielmehr die Frage, wer die Weiß-Roten vor den Augen Europas repräsentieren soll und darf. Lukas Piszczek ist bis zur EURO ziemlich sicher wieder mit dabei, die Sperre des Dortmunders wegen angeblicher Verstrickung in einen Bestechungsfall läuft Ende des Jahres aus. Zusammen mit seinen Teamkollegen Jakub Blaszczykowski und Robert Lewandowski sowie dem Top-Keeper Wojciech Szczesny vom FC Arsenal bildet er das Korsett jener Mannschaft, die ihr stolzes Land im Sommer nach Möglichkeit nicht blamieren soll.

Die Abwehr gilt seit langem als Schwachstelle. Großer Hoffnungsträger ist Sebastian Boenisch von Werder Bremen. Seine ersten beiden Spiele vor einem Jahr begeisterten die Polen, doch seitdem fällt er verletzt aus. Im August gegen Georgien debütierte dann Eugen Polanski von Mainz 05 – große Euphorie löste das nicht aus. Polanskis Aussagen, er fühle sich eher als Deutscher denn als Pole und er könne die Nationalhymne nicht mitsingen, wurden von den polnischen Medien genüsslich ausgeschlachtet. Unabhängig davon wirft man dem gegen Deutschland verletzt fehlenden Polanski Opportunismus vor, weil der langjährige deutsche U-Nationalspieler es nicht in Joachim Löws Auswahl geschafft hat. Nicht eben förderlich für den Ton der Diskussion waren die Äußerungen des ehemaligen Nationaltorwarts Jan Tomaszewski, die Landesauswahl würde bald nur noch aus „Verbrechern und Verrätern“ bestehen.

Deutsche und Kolumbianer als Hoffnungsträger

Nationaltrainer Franciszek Smuda aber würde zusätzlich gerne Manuel Arboleda in die Nationalelf berufen. Anders als Boenisch und Polanski hat der 32 Jahre alte kolumbianische Innenverteidiger keine polnischen Vorfahren. Und anders als der ehemalige Nationalspieler Emmanuel Olisadebe, der eine Polin heiratete und schnell Staatsbürger wurde, zeigt der Mann von Lech Posen nach Ansicht vieler Polen wenig Interesse am Land, in dem er seit fünf Jahren Fußball spielt.

Jacek Purski von der polnischen Organisation gegen Neofaschismus „Nigdy Wiecej“ („Nie wieder“) beschreibt die feinen Unterschiede: „Die Kritik an den Deutschen hält sich in Grenzen, die Leute schätzen ihre Qualität. Manch einer sagt sogar, okay, wir haben Klose und Podolski verloren, jetzt bekommen wir eben ein paar aus Deutschland zurück. Im Fall von Arboleda wird die Debatte auch teilweise rassistisch.“

Unabhängig von Ressentiments wegen seiner Herkunft ist der verschlagene Verteidiger, vom Image her eine Art Maik Franz Polens, bei den Gegenspielern in der Liga und damit auch im Kreis der Nationalspieler ziemlich unbeliebt. Was die Sache nicht eben einfacher macht.

Grzegorz Lato, WM-Dritter mit Polen 1974 und heute Präsident des polnischen Fußballverbands PZPN fasste diese Woche im Gespräch mit der „Mittelbayerischen Zeitung“ den Status quo zusammen: „Unsere Legionäre helfen uns natürlich, aber es ist ein langer Weg, bis Polen wieder das Niveau der siebziger Jahre erreichen kann.“

Dehämm ist jetzt woanders

– Miroslav Kloses Wechsel ist seine erste persönliche Niederlage – Großes Ziel EM 2012

Diejenigen, die bei Miroslav Kloses letztem Auftritt im Trikot des FC Bayern symbolträchtigen Szenen auf der Spur waren, mussten nicht lange suchen. Blumen gab es schon mal keine. Weil zu diesem Zeitpunkt offiziell noch nicht feststand, ob Klose den Verein verlassen oder doch noch ein Jahr bei den Bayern dranhängen würde, wurde der Nationalspieler im Gegensatz zu Thomas Kraft, Andreas Ottl und Hamit Altintop vor dem Bundesligaspiel gegen den VfB Stuttgart nicht mit einem Dankes-Sträußchen verabschiedet. Und auch ein versöhnliches Ende seiner schlimmen Saison war Klose nicht vergönnt. In einem fast absurden Torversuch schaffte er es, den Ball aus kürzester Distanz über den Kasten zu heben.

Nun nimmt Klose durch die Hintertür Abschied. Irgendwie passt das zu dem Mann, der immer schon die leisen Töne bevorzugte. Passend auch deswegen, weil Verein und Fans in den vier Jahren nie richtig warm geworden sind mit Klose. Und Klose umgekehrt auch nicht mit dem FC Bayern. Nach zwei passablen ersten Jahren in München hat Klose die Erwartungen seines Arbeitgebers seit der EM 2008 im Grunde durchgehend enttäuscht. Seit Oktober 2010 stand er nur noch drei Mal in der Bayern-Startelf, in 45 Einsätzen seit der EURO traf er nur vier Mal.

Nun gehören schwache Phasen zu Kloses Karriere wie der Salto, den er sich zu Jugendzeiten für eine Wette mit einem Teamkollegen selbst beibrachte. Immer wieder zählten die Experten mit wachsender Häme die Minuten, die seit dem letzten Klose-Tor schon wieder vergangen waren. Und diesmal hat sich Klose wohl zu lange auf einen seiner größten Vorzüge verlassen: Dass er es entgegen allen Kritikern noch einmal schaffen würde. So wie bei der WM 2010, bei der Klose es fertigbrachte, mit vier Toren tatsächlich eins mehr zu erzielen als in der gesamten Bundesliga-Saison zuvor. Und wie bereits im September 2008, als Klose nach längerer Krise plötzlich drei Mal gegen Finnland traf. „Ich weiß, was ich kann“, pflegt Klose immer dann zu sagen, wenn die negativen Schlagzeilen wieder einmal über ihm hereinbrechen. „Ich weiß, was ich kann.“ Immer wieder. Und am Ende hatte er damit immer Recht behalten.

Doch bei den Bayern konnte Klose noch so fest daran glauben, was er konnte, Louis van Gaals Geduld war deutlich begrenzter als die des Bundestrainers. Was zur Folge hatte, dass Klose im WM-Jahr 2010 bei zwölf Länderspielen, aber nur zehn Bundesligaspielen in der Startelf stand. Zehn Toren im Nationalmannschaftstrikot standen nur drei Liga-Treffer für die Bayern gegenüber. Der Abschied vom FC Bayern ist, wenn man so will, die erste wirkliche Niederlage für den unverwüstlichen Klose.

Klose hat stets betont, dass sein letztes großes Ziel der Titel bei der EM 2012 ist, die in seinem Geburtsland Polen stattfindet. Dass sein großer Rivale Mario Gomez zumindest in der Nationalmannschaft keine Konkurrenz für ihn war, darauf hatte sich Klose lange Zeit verlassen können. Doch Gomez hat nicht nur 28 Bundesliga-Tore erzielt, er hat auch seit der WM in acht Länderspielen sieben Mal getroffen – und sein ganz persönliches Nationalmannschafts-Trauma beim Spiel in Wien am vergangenen Freitag auch symbolisch weggeküsst.

Klose muss aber in der Saison 2011/12 bei einem Verein mit möglichst gutem Namen spielen und regelmäßig treffen, um seinen großen Traum von der EURO 2012 in seinem Geburtsland nicht nur von der DFB-Ersatzbank zu erleben. Seit zwei Jahren wird Klose in jeder Transferperiode ein Vereinswechsel nahegelegt. Doch erst jetzt sind der 109-fache Nationalspieler und sein Berater zu der Erkenntnis gelangt, dass Klose in München nicht mehr glücklich wird.

Nun also Italien, der Traum der Deutschen. Den Fürther Ludwig Janda zog es 1949 als ersten deutschen Fußballer über die Alpen. Der Stürmer wechselte für 50.000 Mark zum AC Florenz. Schnellinger, Haller, Briegel, Matthäus, Brehme, Klinsmann, Völler – die Liste der Deutschen in der Serie A ist lang. Der erfolgreichste unter ihnen, DFB-Manager Oliver Bierhoff, der zwischen 1991 und 2003 in 220 Spielen in den ersten beiden Ligen Italiens in 320 Spielen 150 Tore schoss, hatte in dieser Woche noch einmal deutlich gemacht, dass der DFB bei der EM nur auf Spieler setze, die in ihren Vereinen regelmäßig spielen. Ein unmissverständliches Zeichen an Klose, dem die Bayern nur noch einen sehr leistungsbezogenen Vertrag angeboten hatten.

Und so geht der „Pfälzer Bub“ auf seine alten Profi-Tage doch noch mal ins Ausland. Wer ihn im „Sommermärchen“ beim Friseurbesuch verschüchtert Englisch hat sprechen hören, mag kaum glauben, dass sich der Mann aus dem 5000-Seelen-Städtchen Kusel in so fremder Umgebung wohlfühlen wird. Doch für sein großes Ziel, Polska 2012, wird Klose nun sogar seinem großen Idol Fritz Walter untreu. „Dehämm“ ist für Klose jetzt in Rom.

Go West!

– 1967 wollte Amerika den Fußball lieben lernen – und importierte für drei Monate mittelmäßige Mannschaften aus Europa (11FREUNDE Sonderheft „Die 60er“)

Als die Spieler der Washington Whips das Rollfeld des Dulles International Airport betreten, plärren die Dudelsäcke. Dutzende Schaulustige haben sich eingefunden. Es ist ein festlicher Empfang.

Der dänische Sunnyboy Jens Petersen, der erst 18-jährige Martin Buchan, der drahtige Linksverteidiger Ally Shewan – nacheinander klettert das gesamte Team an diesem sonnigen Tag Anfang Mai 1967 die Gangway hinab. Im Flugzeug sind sie noch der FC Aberdeen gewesen – ein schottisches Team von passabler Qualität, das wenige Tage zuvor das Pokalfinale gegen Celtic bestritten hat. Nun sind die 17 Männer der Stolz der amerikanischen Hauptstadt – und sollen als „Washington Whips“ in der aus dem Boden gestampften „United Soccer Association“ (USA) antreten.

Drei Jahre nachdem die Beatles bei ihrer Ankunft am John F. Kennedy Airport in New York eine Musikrevolution im Gepäck hatten, soll Amerika sich nun auch für der Europäer liebsten Sport begeistern. „Fußball spielten in den Augen der Amerikaner nur irgendwelche verrückten Ukrainer oder Ungarn“, sagt Andrei S. Markovits, Soziologieprofessor und Fußball-Publizist der University of Michigan. Doch im Frühsommer 1967 gibt es plötzlich nicht nur eine Fußball-Liga zwischen LA und New York, sondern zwei. „Eine schöne american story“, findet Markovits.

Diese amerikanische Geschichte beginnt mit dem Geld der American sports owners, millionenschweren Geschäftsmännern, die bereits erfolgreich in die amerikanischen Sportarten investiert haben: Baseball, Football, Basketball. Nun wollen sie auch mit soccer reüssieren. Lamar Hunt, Besitzer der Kansas City Chiefs, Jack Kent Cooke, Eigentümer der Los Angeles Lakers, die Betreiber des New Yorker Madison Square Garden und andere tragen ihr Interesse dem amerikanischen Verband vor. Doch nur die „United Soccer Association“ bekommt den Segensspruch des US-Verbands – und damit der FIFA. Was nur den Sportsgeist der Zurückgewiesenen entfacht. Sie formieren im Nu eine zweite Liga, die „National Professional Soccer League“, ziehen einen Fernsehvertrag mit CBS an Land – und fangen an, wie wild Spieler aus aller Herren Länder zu verpflichten.

Was wiederum die USA zum Handeln zwingt. Wegen der knappen Zeit verfallen die Eigner auf den genialen Gedanken, statt Spielern ganze Teams ins Land zu holen. 25.000 Dollar Antrittsprämie pro Mannschaft, dazu freie Kost und Logis. Schmissige amerikanische Namen, ein fesches Logo, fertig ist die Liga. „Man dachte sich: Wir haben die Shamrock Rovers aus Irland, die können wir in Boston spielen lassen, denn es gibt ja Iren in Boston“, erzählt Andrei S. Markovits. „Und in Chicago gibt’s Italiener, da lassen wir Cagliari spielen. Houston ist im Süden, also näher an Brasilien, da lassen wir Bangu starten. Total wahnsinnig!“

So wird der englische Klub Stoke City zu den Cleveland Stokers, das schottische Team Dundee United mutiert zu Dallas Tornado und die Wolverhampton Wanderers tragen ihre Spiele nun als „Los Angeles Wolves“ aus. Die New York Skyliners kommen eigentlich aus Uruguay, und im Dress der Chicago Mustangs galoppieren Roberto Boninsegna und seine Kollegen von Cagliari Calcio über den Platz. Außer Boninsegna und Englands Weltmeister-Keeper Gordon Banks spielen hauptsächlich No-Names in der Retorten-Liga. Manchester United und die anderen großen Vereine Europas haben so kurzfristig keine Lust oder Zeit für das Abenteuer USA.

Für Ally Shewan und seine Teamgefährten vom FC Aberdeen geht derweil der Traum von der großen weiten Welt in Erfüllung. „Die meisten waren Jungs vom Land, wie ich“, erzählt Shewan, „wir waren unwahrscheinlich aufgeregt“. Spieler und Trainer sind im Washingtoner Hilton Hotel untergebracht, jenem gigantischen Betonklotz an der Connecticut Avenue, erst zwei Jahre zuvor eröffnet.

Während die europäischen Spieler die neuen Eindrücke aufsaugen, bleibt die Begeisterung der Amerikaner aus. Zum ersten Heimspiel der Whips am 7. Mai kommen 8.723 Fans ins D.C. Stadium, in das über 56.000 passen. „Das war ein großer Schock für die Besitzer“, sagt Paul Gardner. „Sie hatten nicht realisiert, dass sie sich richtig strecken mussten, um die Leute ins Stadion zu bekommen.“ Gardner ist heute einer der renommiertesten Fußballschreiber Amerikas. 1967 hatte der damals 36-jährige gelernte Apotheker noch keine Zeile über den Sport verfasst. Aber er hatte eine unschlagbare Referenz: Seine Herkunft. „Diesen Leuten erschien ich wie ein verdammt großartiger Experte“, erzählt Gardner. „Ich hatte einen englischen Akzent und ich hörte mich an, als hätte ich Ahnung. Sie fragten mich, was ich über Cerro wusste – keine Ahnung, was ich ihnen erzählt habe.“ Fortan berichtet Gardner von Spielen der New York Islanders, eigentlich C.A. Cerro aus Montevideo.

Was aus England kommt, muss gut sein. Denn schließlich ist England der Weltmeister. Die zeitversetzte NBC-Übertragung des Finales von Wembley haben um 12 Uhr mittags neun Millionen Amerikaner gesehen. „Ein gutes Spiel, um das Interesse der Amerikaner zu wecken. Es hatte Dramatik, Verlängerung, ein Ausgleichstor in der letzten Minute“, sagt Paul Gardner.

Die Spiele der US-Ligen im Jahr 1967 haben nichts von alledem. Vor Geisterkulissen in den riesigen Baseballstadien liefern sich die zweitklassigen Mannschaften überharte Duelle mit vielen Fouls und wenig sportlichen Höhepunkten. „Es war typisch britischer Fußball. Es fielen sehr wenige Tore“, erinnert sich Aberdeens Verteidiger Ally Shewan. Gleiches Bild in der rivalisierenden NPSL. Der britische Coach Alan Rogers tut sich auf der Bank der Chicago Spurs vor allem durch seine Vorliebe für Kraftausdrücke hervor. „Fucking hier, cunt da. In dem leeren Stadion schien das Echo alles zu vervielfachen“, erinnert sich Paul Gardner. „Am Ende haben sie ihn gefeuert. Nie mehr von ihm gehört.“

Selbst die Südamerikaner bringen eher weniger als mehr Kultur ins Spiel. „Die Uruguayer spielten wirklich hart“, sagt Ally Shewan. „Einer von ihnen riss Davie Johnston die ganze Wade auf. Er hatte ihm die Stollen richtig ins Bein gerammt, Blut überall. Eine Rote Karte gab es nicht.“

Beim Spiel Glentoran gegen Bangu resp. Detroit Cougars gegen Houston Stars attackieren sich die Spieler gar gegenseitig mit den Eckfahnen – während die Zuschauer das Feld stürmen. Paul Gardner kann oder will sich daran nicht erinnern: „Ich bin versucht zynisch zu sein und zu sagen, es gab nie genügend Zuschauer für einen Platzsturm.“

Auch die friedlicheren Partien liefern groteske Bilder. Die Spielfelder sind in die quadratischen Baseballarenen gequetscht, vor einem der Tore befindet sich meist eine Sandlandschaft, die Male hat man nur notdürftig abgedeckt. Für die Spieler ist die Kurzsaison im Sommer eine Mischung aus Urlaub und Saisonvorbereitung mit Wettkampfcharakter – und vielen Freiheiten. „Ich habe nichts dagegen, dass ihr euch amüsiert“, sagt Aberdeens Trainer Jimmy Wilson seinen Spielern. „Aber übertreibt es nicht – und seid um sechs Uhr morgens wieder im Hotel.“ Das lassen sich die schottischen Jungs nicht zwei Mal sagen. 10 Pfund Spesen pro Tag reichen für jede Menge Spaß. In Washington haben sie schnell eine Stammkneipe, die Älteren im Team schauen sich die Shows von Ella Fitzgerald, Louis Armstrong oder Andy Williams an.

Bei einem Auswärtsspiel in Detroit treffen die Schotten sogar den bekanntesten Sportler ihrer Zeit. Bei einem Spaziergang fällt ihr Blick auf eine dunkle Masse, die sich die Straße herunterwälzt. Riesige schwarze Männer in schwarzen Lederjacken und schwarzen Sonnenbrillen. Mittendrin der Weltmeister aller Klassen. Ally Shewan wieselt hinüber und fragt höflich: „Cassius Clay, kann ich Ihr Autogramm haben?“ Die Antwort ist ein Knurren: „Muhammad Ali, Mann!“ Das Autogramm bekommt Shewan trotzdem. „Meine Leute in Schottland glaubten mir kein Wort, bis ich ihnen die Karte zeigte.“

Auch das ist Amerika 1967 – ein Land des Kriegs und des Rassismus. Nur wenige Tage vor Beginn des Spielbetriebs der USA haben die Behörden Muhammad Ali wegen Wehrdienstverweigerung seine Boxlizenz und seinen Pass entzogen. Zehntausende protestieren gegen den Vietnamkrieg. Im brandneuen Astrodome in Houston, dem „achten Weltwunder“, wo der Champion noch Anfang des Jahres gekämpft hat, treten auch die Washington Whips an. Judge Roy Hofheinz, der Besitzer der Houston Stars (aus Rio) empfängt die Mannschaft mit den Worten: „Diese Farbigen gefallen mir nicht. Warum spielt ihr Schotten nicht für mich?“

Unter all den mittelmäßigen Teams der Eastern Division der USA ragen die Whips nicht hinaus, aber sie verlieren nur zwei von zwölf Spielen. Und so stehen sie am 14. Juli im ersten und einzigen Finale ihrer wunderlichen Liga. Gegner sind die LA Wolves. 18.000 von 93.000 Plätzen im Coliseum von Los Angeles sind besetzt. Vor dem Spiel werden die Schauspieler Geraldine Chaplin und Terence Stamp präsentiert, im Rahmenprogramm spielen die „Claude Hoppers“ und die San Fernando Valley Youthband. „England gegen Schottland. Das bedeutet Action“, prophezeit das Stadionheft. Und behält Recht. Elf Tore sehen die Besucher – und ungezählte Fouls.

„Das Finale war ziemlich rau“, erinnert sich Ally Shewan. „Wir jagten uns über den ganzen Platz. Der Schiedsrichter, ein Amerikaner, bekam gar kein Gefühl für die Partie.“ Shewan werden von seinem Gegenspieler Derek Dougan im Spiel drei Finger gebrochen, schon nach einer halben Stunde verlieren die Whips einen Spieler durch Platzverweis. „Es wurde eine richtige Schlacht“, so Shewan.

Am Ende der 90 Minuten steht es 4:4, nach 30 Minuten Verlängerung 5:5. Nun wird nach „Golden Goal“-Regel weitergespielt. In der 127. Spielminute sieht Ally Shewan eine Flanke auf sich zukommen. „Der Torhüter kam heraus, konnte ihn aber nicht richtig bekommen. Einer der Manndecker versperrte mir die Sicht.“ Sekundenbruchteile später liegt der Ball im Netz der Whips. Die Wolverhampton Wanderers sind Meister der USA.

Schon am Abend ist Shewans Fauxpas vergeben und vergessen. Whips-Eigner Earl Foreman hat die 2.000 Dollar Siegprämie an die Spieler trotzdem ausgezahlt – wegen des überaus unterhaltsamen Spiels, wie er betont. „Mein Gott, das war viel Geld damals“, sagt Shewan, der den Abend mit seinen Teamgefährten im Cocoanut Grove im Ambassador Hotel verbringt, einem der angesagtesten Nachtclubs in LA. Bobby Vinton schmettert seine Hits. Zu den Klängen von „Blue Velvet“ und „Roses Are Red“ genießt der FC Aberdeen einen seiner letzten Abende in den Staaten. „Am Tag darauf gingen wir ins Disneyland“, erinnert sich Ally Shewan. „Und siehe da, wen treffen wir? Den Schiedsrichter! Der hatte Angst, dass wir ihn ins Wasser schmeißen. Aber wir waren ihm nicht böse. Wir hatten ja eine großartige Zeit.“

Die United Soccer Association dagegen überdauert das Jahr 1967 nicht. Sie schließt sich der rivalisierenden NPSL an – die North American Soccer League entsteht, die mit Pelé und Beckenbauer in den 70ern dann doch noch wirkliche Fußballbegeisterung in den USA hervorrufen wird. „Wichtig ist, dass sich Amerika und die Welt ändern“, sagt der Soziologe Markovits.

Das erste Jahr mit dem soccer – für die sports owners ist es ein finanzielles Desaster. Bill McNutt II, Miteigner des Tabellenletzten Dallas Tornado, der seine Millionen mit Fruchtkuchen gemacht hat, nimmt es sportlich. Auf die Frage, was der Misserfolg seines Teams für ihn bedeute, gibt er zurück: „Nun, wir müssen jetzt einfach verdammt viel Kuchen verkaufen.“

„Ich hatte große Angst“

– Der frühere Bundesligaprofi Hany Ramzy über den Umsturz in Ägypten und Hoffnung durch Fußball

Hany Ramzy, Ägypten ist seit Tagen im Ausnahmezustand. Wie haben Sie die Proteste erlebt?

Die letzte Woche war sehr schwierig, für jeden hier. Wir wussten nicht, was der nächste Tag bringen würde. Die Armee war auf den Straßen, Häftlinge sind aus den Gefängnissen entkommen. Als das alles losging, habe ich meiner Frau und meinen Kindern ein Flugticket nach Italien gekauft. Seitdem sind sie da.

Wie sah der Alltag in Kairo aus?

Jede Nacht, von sechs Uhr abends bis fünf Uhr morgens, war ich mit den Nachbarn draußen auf der Straße, um auf meine Familie und mein Haus aufzupassen. Es gab ja keine Polizei, keine Sicherheit.

Jeder hatte eine Art Waffe in der Hand, um Diebe abzuschrecken. Eine kleine Pistole, einen Knüppel oder ein Messer.

Was hatten Sie dabei?

Ich hatte so einen elektrischen Stab. (lacht). Naja, es ging vor allem darum, dass man sich selbst sicherer fühlte. Wir mussten ja die Arbeit der Polizei übernehmen, wir hielten Autos an und kontrollierten Ausweise. Meine Mutter und meine Schwester waren oben im Haus und konnten nicht schlafen, weil sie Angst hatten, dass mir etwas passiert. Auch ich hatte große Angst.

Gab es Probleme in Ihrer Nachbarschaft?

Bei uns blieb es zum Glück ruhig, es gab keine Schießereien wie anderswo. Ich lebe nahe dem Flughafen, das ist ein gutes Stück vom Tahrir-Platz entfernt.

Sie sind Trainer der ägyptischen U-23-Auswahl. Konnten Sie tagsüber überhaupt mit Ihren Spielern trainieren?

Die Liga pausiert – wahrscheinlich bis Ende Februar. Erst seit einer knappen Woche trainieren die Klubs überhaupt wieder einmal am Tag. Ich spreche jeden Tag mit den Trainern und meinen Spielern, ich frage, wie es ihnen geht, wie die Bedingungen sind. An ein Trainingslager war bislang nicht zu denken. Hoffentlich geht das nächste Woche, denn wir haben am 25. März unser erstes wichtiges Qualifikationsspiel für die Olympischen Spiele 2012 – in Kairo gegen Botswana.

Nun ist Mubarak zurückgetreten. Wie hat das die Atmosphäre im Land verändert?

Als der Präsident am Freitag seinen Rücktritt bekannt geben ließ, sind alle auf die Straßen geströmt und haben angefangen zu feiern. Es ist eine Stimmung, als hätten wir den Afrika-Cup gewonnen. Aber es geht auch um die Zukunft. Sie liegt jetzt in den Händen der Armee.

Haben Sie Hoffnung oder Sorge für die Zukunft?

Ich bin Optimist, deswegen habe ich Hoffnung. Ägypten braucht Demokratie und Freiheit. Wir sind kein Armeestaat, deshalb muss die Macht schnell an eine neue Kraft übergehen. Jetzt geht es um eine ruhige Zukunft. Auch für den Fußball. Wir wollen unbedingt zu den Olympischen Spielen. Das ist ein großer Traum. Das letzte Mal waren wir 1992 dabei.

Kann der Fußball den Ägyptern helfen, in den Alltag zurückzukehren?

Die Leute wollen Normalität, sie wollen wieder jeden Tag zur Arbeit gehen. Und sie wollen Fußball schauen. Fußball ist sehr, sehr wichtig für die Ägypter. Das Interesse besonders an der Nationalmannschaft ist riesig. In den letzten sechs Jahren haben wir ja drei Mal den Afrika-Cup gewonnen. Wenn Ägypten spielt, sind immer mindestens 70 000 im Stadion.