Neuer Messi gegen neuen Cech

– Beim Supercup begegnen sich zwei der größten Talente Belgiens: Eden Hazard und Thibaut Courtois

Monaco (dapd). Wenn Marc Wilmots am Freitagabend seinen Platz auf der Tribüne des Stade Louis II in Monaco eingenommen hat, wird sich vor dem Anpfiff des UEFA-Supercups ein zufriedenes Lächeln über sein Gesicht legen. „Zwei meiner jungen Spieler in so einem wichtigen Spiel zu sehen, das wird toll“, sagt der belgische Nationaltrainer der dapd.

Wilmots ist von Amts wegen im Fürstentum, er beobachtet zwei der größten Talente seines Landes, Offensivspieler Eden Hazard, 21 Jahre ist er alt, und Torwart Thibaut Courtois, 20. Sie stehen beim gleichen Verein unter Vertrag, dem FC Chelsea, und doch werden sie sich in Monaco als Gegner treffen. Courtois soll beim Champions-League-Sieger aus London einmal die Nachfolge von Petr Cech antreten, zuvor aber als Leihspieler bei Atletico Madrid Erfahrung sammeln.

Viel mehr noch als der 1,98 Meter große Keeper steht Hazard derzeit im Fokus, für den der FC Chelsea diesen Sommer rund 40 Millionen Euro nach Lille überwiesen hat. Wilmots hat ihm nach Amtsübernahme im Mai sofort die Nummer 10 im Nationalteam garantiert. „Er ist unser Mann für die entscheidenden Pässe, er macht den Unterschied“, sagt Wilmots. Vom „neuen Messi“ schwärmen nicht nur belgische Medien, nachdem der Techniker beim OSC Lille in Frankreich zweimal hintereinander bester Feldspieler wurde und im vergangenen Jahr in 38 Spielen 20 Tore schoss und 22 vorbereitete.

Nach den Stärken seines Zehners befragt, holt der Ex-Schalker Wilmots weit aus: „Die Ballannahme Richtung Tor, seine Technik und seine Schnelligkeit im eins gegen eins“, sagt er „außerdem ist er dribbelstark und, was ganz wichtig ist, auch torgefährlich.“ Auch beim Champions-League-Sieger macht sich das bereits bemerkbar, Hazard hat sich in drei Ligaspielen bereits an sechs Treffern beteiligt. „Es klappt schon gut mit Torres, er hat viele gute Spieler um sich wie Mata und daher viel freien Raum“, sagt Wilmots. Den weiß Hazard mit blitzschnellen Antritten und wendigen Dribblings zu nutzen, schon zwei Elfmeter hat er so provoziert.

In der Auswahl wartet Wilmots noch auf den ganz großen Durchbruch seines Jungstars, daher weist er auch die Messi-Vergleiche zurück. „So weit sind wir noch nicht“, sagt er bestimmt. „Wir dürfen nicht die Erwartungen von ganz Belgien auf ihm abladen, auf dem Jüngsten.“ Die Sache mit Messi, das sei nur etwas für Journalisten.

Über kurz oder lang wird Hazard an der Stamford Bridge Unterstützung von seinem Landsmann Courtois bekommen. Er ist seit 2011 designierter Nachfolger des Weltklasse-Torwarts Cech aus Tschechien. Zuvor aber soll sich der lange Mann in der Praxis bewähren. Das tat er im Vorjahr, absolvierte 52 Pflichtspiele und wurde in Bukarest Europa-League-Sieger mit Atletico Madrid. „Er macht große Fortschritte und hat zwei Jahre lang hervorragend gespielt“, sagt Wilmots im dapd-Gespräch.

Seine Erwartungen für das Supercup-Duell sind klar: „Ich will nur ein gutes Spiel von beiden sehen, dann bin ich glücklich“, sagt der Nationaltrainer, der schon das schwierige WM-Qualifikationsspiel gegen Kroatien am 11. September im Blick hat. Einen Favoriten hat er beim Vergleich von Chelsea gegen Atletico nicht. „Ich bin kein Fan von einer der Mannschaften, ich bin ein Fan von belgischen Spielern, die gesund und in guter Form sind.“

Iniesta, der Entscheider

– Europas bester Fußballer ist das Mastermind hinter Spaniens und Barcelonas Erfolgen

Monaco (dapd). Es war einer dieser Iniesta-Pässe, die das EM-Finale eröffneten. Eines dieser Zuspiele, die wie an der Schnur gezogen über den Rasen sausen, an zwei, drei Gegenspielern vorbei, genau der richtige Winkel, genau die richtige Geschwindigkeit, als habe der blasse Mann zuvor mit Geodreieck und Zirkel das Spielfeld vermessen. Dafür ist aber natürlich keine Zeit. In nicht mehr als Sekundenbruchteilen berechnet Andres Iniesta die nächste Aktion, die fast immer die richtige ist.

Der 28-Jährige ist das Mastermind hinter den Triumphen der spanischen Nationalelf und des FC Barcelona. Oft ist Lionel Messi Nutznießer von Iniestas Präzision, doch weil der für Argentinien spielt, war es im Endspiel gegen Italien Cesc Fabregas, der den Ball vor der Grundlinie erlief, zurück auf David Silva flankte, der das wohl schönste Tor des Turniers vollendete. Zwei Jahre zuvor war es Iniesta gewesen, der das WM-Finale gegen die zähen Niederländer in der Verlängerung entschied.

Schon da war er längst viel mehr als der farblose Antiheld, für den man ihn lange Zeit halten konnte. Das Siegtor von Johannesburg war eine Demonstration der Technik und des Willens dieses Mannes, Ball angenommen und volley abgeschlossen, eine perfekt ausgeführte Blitzentscheidung.

Ronaldo und vor allem Messi waren die Favoriten für die Wahl im Grimaldi-Forum in Monaco, sie schossen sich in der Liga und der Champions League spektakulär zu neuen Rekordmarken. Doch die Juroren kürten Iniesta zum Gewinner, man kann es eine verfrühte Auszeichnung für das Lebenswerk nennen, für unermüdliche Feldvermessung im Dienste des Fußballs.

Die Rückkehr des Königs

– Arthur Abraham ist nach überzeugender Leistung erneut Boxweltmeister

Berlin (dapd). Während der neue Weltmeister Arthur Abraham hoch oben auf den Ringseilen stolz seinen funkelnden WM-Gürtel präsentierte, mühte sich sein Promoter abseits des Geschehens um Fassung. Ja, er sei sehr nervös gewesen, nervöser noch als gewöhnlich, gestand Wilfried Sauerland mit belegter Stimme, und zwei kleine Schweißtropfen platschten ihm wie zur Bestätigung aufs Revers. „Erst ab der fünften Runde habe ich mich etwas zurückgelehnt, weil ich merkte, dass Arthur das Ding in der Tasche hat.“

Abraham, 32 Jahre alt, ist seit Samstagabend Boxweltmeister im Supermittelgewicht. Nach teils desaströsen Erfahrungen in dieser Gewichtsklasse hat der ehemalige Mittelgewichts-Champion sich selbst und sein Umfeld versöhnt. „Wir waren sehr weit unten, und heute Abend sind wir wieder ganz, ganz oben“, schwärmte Manager Kalle Sauerland, der Sohn des Promoters. „Die letzten beiden Jahre waren eine harte Zeit, ich habe viele Tiefschläge erlebt“, sagte Abraham. „Jetzt bin ich glücklich.“ Arthur Abraham hat der Last der Erwartung an diesem Abend in Berlin gegen den zähen Robert Stieglitz standgehalten und einstimmig und eindeutig nach Punkten gewonnen.

„Wenn das anders gelaufen wäre heute, ich weiß nicht, wie ich aus dem Tief wieder rausgekommen wäre“, gab sein Trainer Ulli Wegner unumwunden zu. „Arthur hat heute die taktische Linie verfolgt, die wir festgelegt hatten“, lobte der Coach. „Wenn er das macht, kann bei ihm nichts schiefgehen.“

Abraham hatte sich, Teil eins der Taktik, gleich in der ersten Runde mit mutigen Angriffen Respekt verschafft. Stieglitz versuchte mit- und zurückzuschlagen, aber er bekam zunehmend Respekt vor den wuchtigen Haken seines Gegners, er lief ihm auch zunehmend in Konter. Abraham startete außerdem, dies Teil zwei des Schlachtplans, zur Rundenmitte stets eine kleine bis mittelgroße Offensive. Zweite Rundenhälfte gewinnen, beeindruckende Schläge landen, das bedeutet bei den Ringrichtern ja meist: Ganze Runde gewonnen. „Ja, genau das haben wir trainiert“, sagte Wegner.

„Für mich haben Kleinigkeiten den Punktsieg ausgemacht“, sagte Trainer Dirk Dzemski stellvertretend für seinen Schützling, dessen tiefe Cuts nach dem Kampf noch versorgt werden mussten. „Ab der siebten Runde hat er auf dem linken Auge nichts mehr gesehen.“ Am Sieg Abrahams gebe es nichts zu rütteln, sagte er weiter.

Man konnte hinterher mutmaßen, dass Stieglitz schon beim Einmarsch klar wurde, dass der ganze Abend eine Nummer zu groß für ihn war. Die Arena stand klar auf Seite Abrahams, der Magdeburger aus dem kleinen SES-Stall wirkte nicht nur wegen des Einmarsch-Schlagers von DJ Ötzi ein wenig deplatziert in der weiten Glitzerwelt der Hauptstadt, in deren größter, modernster Halle geboxt wurde. Es muss auch dem 31-Jährigen daher früh klar geworden sein, dass das kein Abend war, der auf eine Titelverteidigung ausgelegt war, sondern auf eine Titeleroberung.

„Robert wurde auf keinen Fall deklassiert“, wollte Promoter Ulf Steinforth klargestellt wissen, als zu später Stunde um die Ausdeutung der Niederlage gefeilscht wurde. Nach einigen Zwischenkämpfen soll er ja vertragsgemäß die Revanche gegen Abraham erhalten.

Dieser wiederum soll zunächst am 15. Dezember in Nürnberg boxen. Ob der Gegner dort eventuell Felix Sturm lautet, der sich vor dem Kampf offensiv ins Spiel gebracht hatte, blieb offen. „Naja, er wird sich das heute angeschaut haben“, sagte Kalle Sauerland mit leicht hämischem Blick, „und jetzt wird er sich das sicher noch mal überlegen.“

Das große Missverständnis

– DFB und Fans entfremden sich immer mehr – neue Eskalationen drohen

Berlin (dapd). Vor einem Jahr hatten sie noch an einem Tisch gesessen, am Dienstag sprachen sie auf zwei streng getrennten Podien. Schon rein optisch wurde die Diskrepanz deutlich: Im Berliner Hotel Intercontinental saßen die Vertreter von Fußballverbänden und Politik in ihren dunklen Anzügen, kurz zuvor hatten im Hotel Palace eine Ecke weiter die kunterbunt gekleideten Fanvertreter zu einer etwas chaotischen Gegenveranstaltung geladen. Im Sommer 2011 haben sich die beiden Seiten noch scheinbar konstruktiv ausgetauscht. Im Sommer 2012 reden sie aneinander vorbei.

DFB-Präsident Wolfgang Niersbach sagte nun „Gewalt und Pyrotechnik“ auf den Rängen der deutschen Arenen den Kampf an und formulierte eine „Null-Toleranz-Politik“, die künftig beherzigt werden soll. Fanverteter, die hinterher von einem „Schlag ins Gesicht“ sprachen, hatten schon vorher kritisiert, dass sie nicht eingeladen worden waren zum Sicherheitsgipfel von DFB, Innenpolitik und den drei Profiligen. „Wir sind diejenigen, die am nächsten dran sind an der Kurve, wir erreichen diese Leute“, hieß es von der Organisation ProFans.

DFB und DFL aber setzen nach zahlreichen Vorfällen in und um die Stadien in den letzten Monaten nicht mehr auf den Dialog. Das Wort kam nur in einem Nebensatz von Ligaboss Reinhard Rauball vor, in der offiziellen Pressemitteilung versteckt es sich im allerletzten Statement. Stattdessen wird die Leine straff angezogen. Stadionverbote sollen bald wieder für fünf statt wie seit 2007 nur für drei Jahre ausgesprochen werden, „bei ganz schweren Fällen sind sogar zehn Jahre geplant“, sagte Rauball. Welche Vergehen gemeint sind, müsse noch „festgelegt werden“.

Doch werden verschärfte Sanktionen die Gewaltproblematik beheben können? Wird das strikte Verbot von Pyrotechnik, das von offizieller Seite bekräftigt wurde, die Feuer in den Kurven löschen?

Nein, findet Harald Olschok vom Bundesverband der Sicherheitswirtschaft (BDSW): Davon auszugehen, dass die Anhebung der Stadionverbotsdauer eine große Wirkung habe, sei „naiv“, sagt Olschok der dapd. „Um es populistisch zu sagen: Durch die Einführung der Todesstrafe verhindere ich keine Morde.“ Nein, findet auch Rene Lau von der AG Fananwälte. „Mit Stadionverboten bekommt man keine Befriedung hin. Das meiste passiert ohnehin außerhalb der Stadien“, sagt er der dapd. Die Fanprojekte der Klubs erhielten „keinen Cent mehr“ als bislang, stattdessen sei das eingetreten, was von Fanseite befürchtet worden sei: „Repressalien und verschärfte Bestimmungen“, sagt Lau. „Es herrscht Resignation bei den Fans, teils auch Wut.“

Diese Stimmung war schon vor der Bekanntgabe der Sicherheitsmaßnahmen greifbar gewesen. Mit auf dem Podium saß in Jannis Busse einer, der vor einem Jahr noch mit den DFB-Sicherheitsbeauftragten über Pilotprojekte zur Legalisierung von Pyrotechnik verhandelt hatte. Zu Saisonbeginn kündigte der DFB die Gespräche plötzlich auf, nach der mit wildem Bengalo-Einsatz begleiteten Randale beim Pokalspiel Dortmund-Dresden im Oktober formulierte der Verband schließlich ein klares „Nein“ zur Pyrotechnik.

„Man hat uns abgefertigt“, sagt Busse. Folge: Es brannte umso mehr auf den Rängen. Fananwalt Lau hofft, dass es nun nicht zu vermehrter Gewalt kommt. „Aber die Fans werden ihrem Ärger Luft machen, mit Transparenten und Choreografien.“

Die Zukunftsprognose zeichnet sich dunkel. Am Freitag beginnt mit dem Spiel der Traditionsklubs Arminia Bielefeld und Alemannia Aachen bereits die Drittliga-Saison. Die Stimmung auf den Stehplätzen dürfte nicht ruhiger werden. Zusätzlich zu notorisch gewaltbereiten Gruppen kommt eine wachsende Zahl verbitterter Ultras, die sich von den Verbänden vor den Kopf gestoßen fühlen.

Der DFB hat allein in den vergangenen zwei Monaten 20-mal Klubs für Bengalo-Einsatz, Platzstürme und Gewalt bestraft. Die Rekordmarke von über einer Million Euro an Strafgeldern aus dem vergangenen Jahr wird 2012 erneut übertroffen werden. Die von vielerlei Seite angemahnte „Versachlichung“ der Problematik, etwa der Differenzierung der Platzstürme in Düsseldorf und Karlsruhe, in ihrer Motivation völlig unterschiedlich, findet derweil nicht statt. Man spricht eben nicht mehr miteinander.

Die ultimative Bestrafung

– Die Glasgow Rangers sind nur noch viertklassig – auf dem Spiel steht nun auch der schottische Fußball allgemein

Berlin/Glasgow (dapd). Wenn die Spieler der ruhmreichen Glasgow Rangers am 11. August die Saison 2012/13 beginnen, wird ihnen der raue Nordseewind ins Gesicht pfeifen. Man wird vielleicht ein paar Möwen kreischen hören, denn mehr als 4.000 Zuschauer werden sich nicht einfinden können im Stadion Balmoor des FC Peterhead im 17.000-Einwohner-Nest am östlichsten Punkt des schottischen Festlands.

Zum Saisonauftakt steht für den 54-fachen schottischen Meister nicht etwa ein undankbares Pokalspiel auf dem Land an, sondern harter Liga-Alltag. Die Glasgow Rangers sind seit Freitag viertklassig.

25 der 30 Fußballklubs des Landes votierten für den Zwangsabstieg der national erfolgreichsten Mannschaft der Welt von der Scottish Premier League in die unterste Liga, die Third Division. Aus Gründen der Chancengleichheit, teils wohl auch aus Rachegelüsten gegen den in der Vergangenheit überheblich wirtschaftenden Protestantenklub, der sich in den vergangenen Jahren finanziell übernommen hat. Ein Urteil mit krassen Konsequenzen: Zum einen beraubt es die schottische Liga jeglicher Spannung, denn Erzrivale Celtic hat nun keinen ernst zu nehmenden Konkurrenten mehr. Der bislang letzte Meister, der nicht Celtic oder Rangers hieß, war der FC Aberdeen – vor 27 Jahren. Zum anderen ist unklar, wann das „Old Firm“, das älteste Derby dieses Sports, zum 400. Mal ausgetragen werden kann.

Die letzte Hiobsbotschaft des schmerzhaften Niedergangs nahmen die Vereinsverantwortlichen derweil schon mit Gleichmut hin. „Wir sind dankbar, als Mitglied der SFL aufgenommen worden zu sein und akzeptieren die Entscheidung, uns in Division drei zu wählen“, sagte Rangers-Geschäftsführer Charles Green. „Wir haben von Anfang an klar gemacht, dass wir dort spielen würden, wo man uns hinschickt. Wir wollen nun nur zum Fußballspielen zurückkehren.“

Die vergangenen Monate hatten im Schatten des Insolvenzprozesses gestanden, den Verein belasteten zuletzt noch Steuerschulden von 21 Millionen britischen Pfund, umgerechnet rund 26 Millionen Euro. Zunächst wurden den Rangers zehn Punkte in der Meisterschaft abgezogen. Ende Juni wurde der Klub dann aus der Premier League verbannt und nun nur ganz unten wieder zugelassen. „Wir haben die ultimative Bestrafung bekommen“, sagte Green, der jedoch auch betonte, es habe zuletzt ein „überwältigendes Gefühl“ innerhalb des Klubs, aber auch bei den Fans gegeben, ohne Altlasten einen Neustart zu beginnen, eine Sehnsucht nach dem „clean sheet“, der weißen Weste.

Kein Zweifel: Die Rangers mit ihrer riesigen Fanbasis und dem ehrwürdigen Ibrox Park, werden wieder hochkommen, vielleicht ist für den Verein das harte Urteil tatsächlich mehr Chance als Bestrafung – auch leise Hoffnung auf die rasche Einführung einer „Premier League 2“ mit den Rangers gibt es noch. Doch ungeachtet dessen stellt sich die Frage: Was wird aus Schottlands Fußball ohne das „Old Firm“?

„Es tauchen zweifellos finanzielle Konsequenzen am Horizont auf“, sagte Stewart Regan, der Präsident des schottischen Fußballverbandes. Rund 20 Millionen Euro im Jahr lassen sich die Rechteinhaber die TV-Übertragungen kosten – doch wie lange noch? Denn was will der Zuschauer vor allem außerhalb Schottlands außer dem Derby Celtic-Rangers eigentlich sehen? Am meisten könnte also paradoxerweise Celtic leiden, während sich die Rangers in Ruhe wieder sammeln.

Wie zum Hohn gab es Ende März noch einmal ein großes Derby im Ibrox Park. Mit einem 3:2-Sieg vermasselten die bereits abgeschlagenen Rangers dem verhassten Rivalen den vorzeitigen Gewinn des 43. Titels. Legenden wie diese werden auf dem Dorfacker von Peterhead nicht zu schmieden sein.

Cowboy ohne Sporen

– Cristiano Ronaldo scheitert erneut mit Portugal und kann seine grandiose Saison nicht krönen

Donezk (dapd). Tränen flossen diesmal nicht, ein zuckender Zusammenbruch blieb aus. Wie mechanisch drehte sich Cristiano Ronaldo stattdessen um 180 Grad, starrte hinauf in die Menge und schüttelte mit verkniffener Miene immer wieder den Kopf. „Injustica“ konnte man von seinen Lippen ablesen, immer wieder. Das ist nicht fair, wiederholte Ronaldo vorwurfsvoll, einfach nicht fair.

Cesc Fabregas hatte soeben als fünfter Strafstoßschütze Spaniens getroffen und das Aus Portugals im EM-Halbfinale von Donezk offiziell gemacht. Ronaldo wollte das alles nicht mehr mit ansehen. Er hatte es ja irgendwie auch alles schon zu oft sehen müssen. Für Cristiano Ronaldo, den besten europäischen Angreifer, der Real Madrid unlängst mit 46 Toren zum spanischen Meistertitel schoss, war das bittere Ende einer grandiosen Saison ein Deja-vu.

Zum fünften Mal bei fünf Turnierteilnahmen seit 2004 hatten die Portugiesen ambitioniert die K.o.-Runde erreicht, zum dritten Mal hatten sie unter den letzten Vier gestanden – ein Titel kam nie dabei heraus. Am nächsten war der damals erst 19-jährige Ronaldo der großen Trophäe 2004 gekommen, bei der EM-Finalniederlage im eigenen Land. Acht Jahre später wirkte er vergleichsweise gefasst. „Das alles ist einfach nur traurig und frustrierend“, sagte er nach dem 2:4 im Elfmeterschießen: „Es sind jetzt sehr schwierige Momente für mich.“

Ronaldo hatte sich – wie seine zehn Kollegen – enorm viel vorgenommen für dieses Spiel, das war schon bei der lauthals geschmetterten Hymne zu sehen gewesen. Die Haare hatte er sich für sein 95. Länderspiel glatt gestriegelt, also diesmal auf den neckisch hochgestellten Kamm verzichtet. Wie als Statement, dass Spirenzchen diesmal nicht auf der Agenda stünden. Aber natürlich kam Cristiano Ronaldo nicht ganz ohne aus. Nicht ohne die Wildwest-Posen vor den direkten Freistößen. Nicht ohne den einen oder anderen Hackentrick.

Dafür grätschten und kämpften seine Teamkameraden umso mehr, allen voran der rastlose Joao Moutinho und Chelseas Raul Meireles. Aber weil es dann am Ende nicht gut gegangen ist gegen den wenig überzeugenden, aber defensiv abgeklärten Welt- und Europameister, liegt es nahe, all die schönen spreizfüßigen Übersteiger irgendwie unpassend zu finden. Und auch all der Highnoon-Dorfstraßen-Zirkus nutzt nichts, wenn kein einziger der Freistöße aufs Tor geht. Wenn er nicht zum Schuss kommt, wie am Mittwochabend, dann ist Ronaldo mitunter ein Cowboy ohne Sporen.

„Wir waren 90 Minuten lang besser, aber wir konnten das Spiel nicht entscheiden“, haderte Trainer Paulo Bento, der die Erkenntnis, seine Elf könne „mit jedem Team bei jedem Turnier auf jedem Level“ mithalten, sicher gerne eingetauscht hätte gegen einen wie auch immer gearteten Sieg.

Alleine Ronaldo, der nach 90 Minuten ebenso viele Schüsse aufs Tor abgegeben hatte wie die gesamte spanische Mannschaft, nämlich sechs, hätte man das Siegtor zugetraut. Doch in der ersten Hälfte zielte er mit links nur Zentimeter am kurzen Pfosten vorbei, in der letzten Minute der regulären Spielzeit vergab er dann einen Konter in Überzahl.

Irgendwie passte es zu Ronaldos Abend, dass sein geplanter großer Auftritt im Elfmeterschießen vollends entfiel – und damit die Chance, den Fehlschuss mit Real im Champions-League-Halbfinale gegen die Bayern vergessen zu machen. „Ich wäre der fünfte Elfmeterschütze gewesen, aber das Schicksal hat es nicht gewollt“, sagte er. Viel hatte ja eigentlich nicht gefehlt, es hätte nur Bruno Alves 20 Zentimeter tiefer und Cesc Fabregas 20 Zentimeter weiter nach links zielen müssen – dann hätte Ronaldo zum spielentscheidenden Strafstoß anlaufen können.

So viel Konjunktiv jedoch verträgt der Fußball nicht, und so stand am Ende ein großartiger Fußballspieler im Mittelkreis und haderte kopfschüttelnd mit der Vorsehung. Sein ehemals strahlend weißes Trikot war dreckverschmiert. Denn gegrätscht und gekämpft hatte auch der Superstar. Allein, es hat nicht gereicht für Ronaldo und seine tapferen Portugiesen. Mal wieder.

Noch ein Ausraster zum Abschied

– Frankreichs Nasri sorgt nach „logischem“ Scheitern im EM-Viertelfinale für Eklat – Blancs Zukunft ungewiss

Donezk (dapd). Man hatte absehen können, dass es zum Schluss noch mal knallt. Alles andere wäre irgendwie nicht standesgemäß gewesen. Also vergaß der Franzose Samir Nasri nach dem 0:2 (0:1) im EM-Viertelfinale gegen Spanien seine Kinderstube. Statt altkluge Fragen zu stellen, solle er doch bitte seine eigene Mutter beschlafen, empfahl der 24-Jährige einem Journalisten in nicht jugendfreiem Ton. Wahlweise könne man die Angelegenheit auch an der frischen Luft klären – nach alter Väter Sitte.

Trainer Laurent Blanc kritisierte am Sonntag beim Sender TF1 Nasris Wortwahl als „bedauerlich“. Obwohl Blanc gleichzeitig die Medien für den Umgang mit seinen Spielern tadelte, war seine Einschätzung des Ausrasters eindeutig: „Für Nasris Image ist das sehr schlimm, aber auch für das der Mannschaft.“

Nach dem Ausscheiden tauchten sie dann also doch noch einmal auf, die zuletzt wieder oft zitierten Dämonen von Knysna. Der erzürnte Nasri bediente sich passenderweise exakt jener Formulierung, mit der Stürmer Nicolas Anelka bei der Skandal-WM vor zwei Jahren in Trainer Raymond Domenech in der Kabine bedacht hatte. „Ein logisches Ende“, titelte Frankreichs größtes Sportblatt „L’Equipe“.

Ganz so schlimm wie der Winter in Südafrika ist die osteuropäische Sommerreise dann aber doch nicht verlaufen. Frankreichs Equipe hat sich diesmal nicht bis auf die Knochen blamiert, sie hat sogar das von Trainer Laurent Blanc im Vorfeld ausgegebene Minimalziel erfüllt: Den ersten Sieg bei einem großen Turnier seit der WM 2006 wolle er mit seinem Team einfahren, hatte der Coach gesagt. Das gelang. Mehr aber auch nicht.

Einziges französisches Erfolgserlebnis bei der EM: Ein 2:0 gegen Gastgeber Ukraine. Davor: Ein schlaffes 1:1 gegen mauernde Engländer. Danach: Ein peinliches 0:2 gegen bereits ausgeschiedene Schweden. Und dann das 0:2 gegen Spanien, das man wahlweise als achtbar oder als verdient bezeichnen kann. Blancs Team zeigte in der Vorrunde gerade zu viel zum Sterben, im Viertelfinale bei weitem nicht genug zum Überleben.

„Wenn man verliert, fehlt es einem immer an etwas“, sagte Blanc lakonisch. „Ich weiß nicht, ob es der Ehrgeiz war oder die technische Genauigkeit.“ Das klang so, als ob er an beidem so seine Zweifel gehabt hätte. Dennoch fand der 46-Jährige, dass „meine Jungs alles gegeben haben.“ Das aber war offensichtlich nicht genug gegen eine kaum mehr als solide spanische Mannschaft, die sich mit einer für sie bescheidenen Ballbesitzquote von 55 Prozent begnügte und ansonsten das frühe 1:0 verwaltete.

Was also hat Frankreich gefehlt bei diesem Turnier – außer gelegentlich die Kinderstube im gegenseitigen Umgang? Zum einen sicher der „technische Leader“, den die Nation seit Zinedine Zidanes Rücktritt 2006 so angestrengt sucht. Weder Karim Benzema noch Nasri oder ein anderer konnten diese Rolle auch nur ansatzweise ausfüllen. Des weiteren mangelte es schlicht an genügend Spielern von internationaler Klasse.

Gegen Spanien konnte neben Bayern-Angreifer Franck Ribery und Keeper Hugo Lloris lediglich dem unermüdlichen Yohan Cabaye und nach der Pause noch Florent Malouda dieses Niveau attestiert werden. Benzema, der gegen seine spanischen Klubkollegen von Real Madrid fahrig bis übermotiviert wirkte, blieb erneut vieles schuldig. Der hochgelobte Stürmer fährt ohne EM-Tor in den Urlaub. „Wir haben gut gespielt und verloren, klar sind wir enttäuscht“, sagte der 24-Jährige: „Aber wir sind ins Viertelfinale gekommen, wo uns niemand gesehen hatte.“

Das Zusammenspiel zwischen ihm und dem erneut fleißigsten Franzosen Ribery scheiterte dennoch öfter als es klappte. „Zwei, drei Mal hätten wir sie in Schwierigkeiten bringen können, aber uns hat letztendlich die Technik gefehlt“, sagte Blanc, dessen Zukunft ungewiss ist. Am Spielabend wollte er sich nicht dazu äußern, ob er seinen nach der EM endenden Vertrag verlängern wird – oder darf. Verbandspräsident Noel Le Graet kündigte an, sich mit Blanc „in den nächsten acht Tagen“ zusammenzusetzen.

Der letzte Herrscher

– Zinedine Zidane war ein Magier am Ball mit dem Hang zum archaischen Zorn. Am Samstag wird der Franzose 40 Jahre alt

Donezk (dapd). Es war das Gesicht, das all das spiegelte, was diesen Spieler ausmachte: Die Wangenknochen, scharf geschnitten wie Freistöße, geschwungen der Mund wie seine Wege im Herzen des Spiels. Adleraugen unter tiefen Brauen. Ein fast indianischer Blick reiner Entschlossenheit. Am Faszinierendsten aber der ewige Schweißtropfen am Kinn des Zinedine Zidane. Er tropfte und tropfte, so beharrlich wie dieser stolze Mann Fußball spielte. Als wolle er für jede Minute, die er auf dem Platz stand, ein Gramm seiner selbst opfern.

Am Samstag wird Zinedine Zidane, der Magier, 40 Jahre alt. Am gleichen Tag spielt Frankreich im EM-Viertelfinale in Donezk gegen Spanien. Zidane ist heute passenderweise als Sportdirektor bei Real Madrid tätig, dem Verein, bei dem er seine Karriere beendete. Und auch wenn sein ältester Sohn Enzo mit 17 Jahren erfolgreich in Reals Jugend spielt, so ist ein neuer Zizou dennoch weit und breit nicht zu sehen – weder bei den Franzosen noch anderswo.

Den Tropfen an Zidanes Kinn konnte man am besten immer dann beobachten, wenn er sich den Ball zurechtgelegt hatte, vor einem direkten Freistoß, einem entscheidenden Elfmeter, einer Ecke. Dann konnte man Zidane tief ins Gesicht schauen, wie er kurz innehielt, einen Tropfen vielleicht, oder zwei – ehe er den Ball wieder in Umlauf brachte.

Der alte Zehner, der unumschränkte Herrscher über den Raum zwischen Abwehr und Angriff, wie Zidane einer war – er ist seit dessen Abtritt abgeschafft worden. Als hätten die Trainer ihm, dem letzten Vertreter seiner Art, die höchste Ehre erweisen wollen, so wie Basketball- und Eishockey-Teams die Rückennummern legendärer Spieler nicht mehr vergeben. Als wollte der Fußball sagen: Nach Zidane kann es keine Zehn mehr geben.

Zidane war der letzte Spielmacher der alten Generation, nicht wenige sagen: der beste. Er nahm die Bälle in Empfang, schirmte sie ab, verteilte sie unermüdlich – und sparte sich die größten Momente für die wichtigsten Spiele auf. Für das WM-Finale 1998, in dem er Frankreich doppelt ins Glück köpfte. Für das Champions-League-Finale gegen Bayer Leverkusen 2002, als ihm einer seiner großartigsten Treffer gelang. Für Spiele wie das Auftaktmatch der EM 2004 gegen England, das er mit einem grandiosen Freistoß und einem todsicheren Elfmeter ganz alleine in der Nachspielzeit drehte. Zur WM in Deutschland kehrte er dann noch einmal zurück, dominanter denn je.

Die Künstler Douglas Gordon und Philippe Parreno haben Zidane einmal bei einem Ligaspiel mit Real Madrid mit 17 Kameras aufgenommen und daraus einen Kinofilm gemacht. Ein 90-minütiges Meisterwerk, das Zidanes Eleganz und seiner Geschmeidigkeit huldigt. Doch auch hier, wie später im Finale von Berlin, dekonstruiert das Genie mit einem Platzverweis kurz vor Schluss den eigenen Mythos.

Zur Faszination Zidane gehört eben auch dieser unberechenbare Wechsel zwischen absoluter Ruhe und extremer Impulsivität. Für sein letztes Spiel im Trikot von Real Madrid ließ der Mann aus Marseille seine ganze Familie kommen: seine Brüder, seine Schwester, Frau und Kinder. Als er sie beim Verlassen des Bernabeu mit stummer Geste grüßte, weinten sie alle. Einige Wochen später beleidigte Marco Materazzi seine Schwester, und Zidane streckte ihn nieder. Hinterher bemitleidete kaum einer den Provokateur, für Zidanes brutale Reaktion hatten dagegen nicht wenige Verständnis. Selbst in diesem grotesken Moment archaischen Zorns schien er seinen Stolz, seine Würde zu wahren.

Sechs Jahre später: Frankreich gegen Spanien. Ein Sieg der Franzosen wäre ihr erster in einer K.o.-Runde seit dem WM-Halbfinale 2006. Fast unnötig zu erwähnen, dass es Zinedine Zidane war, der damals den Siegtreffer gegen Portugal schoss.

Die alten Dämonen

– Frankreich verfällt vor dem Duell mit Spanien in die schlechten Muster von einst

Donezk (dapd). Der Trainingstag des Franck Ribery dauerte nur wenige Minuten. Als einer der letzten kam er am Mittwoch mit Laufschuhen aus dem Mannschaftshotel, bereits bei den ersten Schritten verzog er das Gesicht. Als er sich zum Spielfeldrand geschleppt hatte, zuppelte sich der Angreifer des FC Bayern den linken Strumpf vom Fuß und streckte den Ärzten die gerötete Ferse hin. Die schickten ihn kurz darauf wieder zurück.

Freunde der Symbolik dürften an diesem Bild des Schmerzes Gefallen gefunden haben. Frankreichs Nationalteam steht im Viertelfinale der EM am Samstag in Donezk gegen Spanien, ja, aber Frankreich geht auch am Stock, irgendwie. Mit nur einem einzigen lasch-lustlosen Auftritt, dem 0:2 gegen Schweden, haben die französischen Fußballer die schöne Aufbruchsstimmung wieder hinfort gefegt. Und nun klopft vor dem wichtigsten Spiel der letzten Jahre die dunkle Vergangenheit an die Tür des französischen Quartiers. Am Donnerstag berichtete „L’Equipe“ groß von den Streitereien in der Kabine beim Spiel gegen Schweden. Titel des Artikels: „Nervenkrise“.

Nicht nur Samir Nasri und Alou Diarra sollen aneinandergeraten sein, sondern auch der frustrierte Rechtsaußen Hartem Ben Arfa und Trainer Laurent Blanc. Ben Arfa soll in der Hitze des Moments sogar seine Abreise vom Team angeboten haben. Blanc bestätigte, dass es in der Kabine „heiß“ gewesen sei, spielte den Vorfall aber herunter. „Das zeigt, dass es eine Reaktion gab – und ein bisschen Elektrizität.“ Mit einer „schönen Dusche“ habe man sich danach wieder abgekühlt, sagte Blanc und lächelte in die Runde. Kaum einer lächelte zurück.

Wenn auch die Vorfälle nicht im Ansatz die Brisanz des „Fiaskos von Knysna“ vor zwei Jahren in Südafrika haben (den auch „L’Equipe“ lostrat), so fürchtet sich Frankreich dennoch vor den „alten Dämonen“, wie es Florent Malouda ausdrückte. Allzu genau wollte er das dann vor den Medien lieber nicht ausführen. „Wir müssen reden und die Raketen wegschmeißen“, sagte er nur.

„Das ist nicht vergleichbar mit Knysna“, versuchte Assistenztrainer Alain Boghossian am Donnerstag die Wogen zu glätten. „Es gab ein paar Wortwechsel, aber das ist normal in einer Kabine. Das Gegenteil wäre unnormal.“ Er hoffe auf einen positiven Effekt der Auseinandersetzungen. Der wird auch nötig sein, wenn die Franzosen gegen den Ersten der Gruppe C am Samstag eine Chance haben wollen. Das spanische Uhrwerk wird nur mit einer geschlossenen Mannschaftsleistung überhaupt aus dem Rhythmus zu bringen sein.

Malouda, der nach dem Spiel gegen Schweden noch wortlos durch die Mixed Zone gerauscht war, hatte am Tag darauf immerhin seine gute Laune wiedergefunden. Lächelnd gab er den Medien seine Antworten und fand sogar etwas Positives daran, dass die Serie von 23 Spielen ohne Niederlage nun vorbei ist: „Vielleicht war es besser, dass sie am Dienstag gerissen ist. Jetzt können wir gegen Spanien eine neue starten.“ Doch die Art und Weise der Niederlage erschreckte auch Malouda: „Alles das aufzugeben, was wir uns seit zwei Jahren erarbeitet haben, war schockierend.“

Frankreichs Equipe hat die Erwartungen wieder auf Null gestellt. Nun bleibt den Spielern vor dem Duell mit den derzeit größten Namen Europas wenig übrig als trotzige Ansagen: „Wir stehen im Viertelfinale. Wir haben nichts zu verlieren“, sagte etwa Laurent Koscielny, der für den gesperrten Philippe Mexes spielen wird.

Nicht alle haben den Glauben verloren. „Ich glaube wirklich, dass Frankreich die Spanier schlagen kann“, twitterte Patrick Vieira. Der Europameister von 2000 muss es wissen.

Schwindelnd schneller Brummkreisel

– Cristiano Ronaldo spielt gegen Holland groß auf und schießt Portugal ins Viertelfinale

Charkiw (dapd). Hollands Nationalspieler schauten etwas verdutzt, als der grüne Schnellzug hinter ihnen vorbeizischte. Einige von ihnen konnten gerade noch ihre Rollkoffer vor dem Umfallen bewahren. Selbst im Gitter-Parcours der Mixed Zone waren die Portugiesen einfach zu schnell unterwegs an diesem Abend. Cristiano Ronaldo kritzelte im Vorbeieilen einem Journalisten noch fix ein Autogramm auf den Zettel, sein Kumpel Nani hielt handgestoppte dreieinhalb Sekunden für ein Erinnerungsfoto – und weg waren sie.

Zuvor hatten die beiden Flinkfüße die Niederländer nach allen Regeln der Kunst überrannt. Ronaldo traf dabei zweimal, seine Elf siegte nach Rückstand noch 2:1 (1:1) und erreichte das EM-Viertelfinale. „Wir mussten unbedingt gewinnen, daher haben wir in der zweiten Hälfte sehr offensiv gespielt. Das hätten wir normalerweise natürlich nicht gemacht“, sagte Hollands Verteidiger Joris Mathijsen. Doch der Erklärungsansatz, das verzweifelte Oranje-Team sei schlicht ausgekontert worden, mündete in eine Sackgasse.

Die mutigen Portugiesen kombinierten sich nach dem unglücklichen Rückstand nach elf Minuten durch Rafael van der Vaarts Schlenzer einfach unbeirrt nach vorne, Ronaldo schien dabei jeden einzelnen seiner Kritiker persönlich an die Wand spielen zu wollen – sehr zur Unbill des bemitleidenswerten Rechtsverteidigers Gregory van der Wiel. Er musste sich bei den ganzen Übersteigern und sonstigen Finten, die auf ihn einsausten, fühlen wie ein rostiger Brummkreisel auf einem Amsterdamer Antiquitätenmarkt. „Zwei Tore, ein Pfostenschuss – Ronaldo hat heute seinen Wert gezeigt“, sagte der Stuttgarter Khalid Boulahrouz, der sich die wilde Hatz des „CR7“ bequem aus der ersten Reihe der Ersatzbank anschauen durfte.

Ronaldos Außenpfostentreffer nur fünf Minuten nach dem Führungstor der Niederländer diente als Symbol für das, was kommen sollte. „Wir haben immer den Glauben, dass es möglich ist, Spiele zu drehen“, sagte Portugals Trainer Paulo Bento. Und genau das tat Cristiano Ronaldo mit seinen ersten beiden Treffern bei diesem Turnier. Hinterher, bei der obligaten Pokalübergabe, beschränkte sich der „Man of the Match“ auf einige Standardfloskeln und dankte „der ganzen Mannschaft, ohne die das nicht möglich gewesen wäre“.

Bentos Elf hatte in der Tat als Mannschaft überzeugt und den Gegner nicht nur spielerisch, sondern auch kämpferisch klar dominiert. „Wir hatten eine Identität, bestimmte Ideen, und die Spieler haben das umgesetzt“, sagte der zufriedene Coach.

Auch sein Kollege war beeindruckt. „Ronaldo hat so viel Kritik nach dem letzten Spiel bekommen, und jetzt ist er zurück“, sagte Bert van Marwijk. „So schnell können sich die Dinge ändern.“ Im wichtigsten Spiel dieser Gruppenphase fand der zuvor Geschmähte zu seiner Führungsrolle – und das Team hielt ihm den Rücken frei. Hollands zwei Topstürmer, Robin van Persie und Klaas-Jan Huntelaar, die erstmals zusammen von Beginn an spielen durften, kamen dagegen inmitten von Einzelkämpfern nie ins Spiel.

Während die Vize-Weltmeister nach drei Niederlagen in den verfrühten Urlaub düsen, treffen die Portugiesen am Donnerstag in Warschau im Viertelfinale auf Tschechien – als Stammgast, denn zum fünften Mal in Folge nehmen sie an der Runde der letzten Acht teil. „Leicht wird das nicht“, sagte Bento: „Wir müssen genauso gut spielen wie heute, um das Halbfinale zu erreichen.“ Die Niederländer hätten ihrerseits einiges dafür gegeben, überhaupt nach vorne blicken zu dürfen.