Zwischen den Kulturen

– Erdal Keser sichtet deutsch-türkische Nachwuchsspieler für den türkischen Verband

Berlin (dapd). Der Mann aus Hagen hat klare Vorstellungen. „Wir suchen derzeit vor allem Abwehrspieler und defensive Mittelfeldspieler“, sagt Erdal Keser. „Spielmacher haben wir in der Türkei mehr als genug.“ Keser, 50 Jahre alt, in Deutschland aufgewachsen, ehemaliger Bundesligaspieler für Borussia Dortmund, leitet das Europa-Büro des türkischen Fußballverbands in Köln. Keser ist die Schnittstelle zwischen den Kulturen. Wer in Europa jung ist, ambitioniert Fußball spielt und türkische Wurzeln hat, der wird früher oder später mit ihm Bekanntschaft machen. Eher früher.

Natürlich habe er auch schon bei den WM-Stars der deutschen U17 angeklopft, sagt Keser. Die haben im Juli sogar die Ballkünstler aus Brasilien ausgezaubert, sind in Mexiko auf begeisternde Art Dritter geworden. Die Protagonisten hießen unter anderem: Samed Yesil, Robin Yalcin, Okan Aydin, Levent Aycicek oder Emre Can. Insgesamt acht Kinder türkischer Eltern kombinierten sich durch die Abwehrreihen, erzielten Traumtor auf Traumtor. Eine goldene Generation.

„Lagebesprechung“ mit den Familien

Keser ist natürlich schon viel früher auf sie aufmerksam geworden als die deutsche Öffentlichkeit – und auch auf sie zugegangen. Ein Jahr vor dem Turnier etwa war das, sagt er. „Ich nehme dann den Kontakt zu dem Spieler selber auf oder zur Familie, wir treffen uns zu einer Art erster Lagebesprechung“, erklärt Keser mit ruhiger Stimme und leichtem Ruhrgebiets-Einschlag. In diesem Fall sei es dabei geblieben: „Sie haben gesagt, dass sie zurzeit glücklich sind. Ich habe ihnen dann noch viel Glück gewünscht, das war’s.“

Doch ganz so harmlos verläuft die Hatz nach den Talenten nicht immer. Im Sommer gerieten Keser und DFB-Sportdirektor Matthias Sammer öffentlich aneinander, nachdem Keser angekündigt hatte, dass einige der U17-Spieler schon für die Türkei zugesagt hätten. Namen nannte er keine. Kapitän Can und Yesil bekannten sich nach dem Turnier dazu, ihren Weg beim DFB gehen zu wollen.

Für die Spieler ist es auch eine strategische Entscheidung. Der Weg in die türkische Auswahl ist tendenziell der leichtere. Und verpokert hat man sich schnell. Serdar Tasci etwa spielt in Joachim Löws Planungen keine Rolle mehr, kann aber, selbst wenn er wollte, nicht mehr zum türkischen Verband wechseln, weil er bereits im deutschen Trikot Pflichtspiel-Einsätze absolviert hat.

Die hohe Konkurrenz auf der deutschen Innenverteidigerposition mag auch in den Überlegungen von Ömer Toprak eine Rolle gespielt haben, der sich als bislang letzter Deutsch-Türke für das Heimatland seiner Eltern entschieden hat und am Freitag sein Debüt geben könnte. Nuri Sahin, die Altintop-Brüder, Mehmet Ekici, Gökhan Töre, Tunay Torun, Hakan Balta – die Reihe der in Deutschland ausgebildeten Nationalspieler, die mit Stern und Halbmond auf der Brust auflaufen, ist lang und wird länger.

Die Eltern bevorzugen meist die Türkei

Dass die Mehrzahl der 25 ihm unterstellten Europa-Scouts in Deutschland nach Talenten sucht, verhehlt Keser nicht, schließlich leben hier 2,5 Millionen Menschen mit türkischen Wurzeln. „Benelux, Österreich, Schweiz“, dies seien die Länder, die danach folgten, sagt Keser.

Die Eltern, die meist noch starke Bindungen in ihre alte Heimat haben, würden die türkische Lösung in der Regel bevorzugen. Doch das sei oft nicht entscheidend. „Wissen Sie, das sind ja alles mündige Jugendliche mittlerweile“, sagt Keser. „Da sagen die Eltern schon ab 14, 15, dass ich das mit ihrem Sohn selber abmachen soll.“

Größere Eingewöhnungsschwierigkeiten hätten die in Deutschland geborenen und aufgewachsenen türkischen Nationalspieler nicht, sagt Keser: „Wenn sie kein Türkisch sprechen, was wir auch schon hatten, dann wird eben Englisch oder Deutsch gesprochen.“

Und wenn Keser weiterhin erfolgreich arbeitet, könnte Deutsch schon bald die inoffizielle Amtssprache der türkischen Nationalelf werden.

Der akribische Träumer

– Nationaltrainer Österreichs: Marcel Koller macht nach der Bundesliga den nächsten Schritt

Berlin (dapd). Wenn man der Webseite des Schweizer Fußballtrainers Marcel Koller glauben darf, ist sein größter Wunsch schon vor acht Jahren Realität geworden. „Der Traum meiner Trainerkarriere erfüllte sich“, schreibt Koller dort über seinen erstes Engagement in der Bundesliga, das im November 2003 beim 1. FC Köln begann. Nun macht Koller den nächsten Schritt, weg vom Vereinsfußball: Er wird Österreichs neuer Nationaltrainer. Ein Schritt über die Grenze, hin zum Nachbarn Österreich. Das Image des akribischen, uneitlen Fußball-Sachverständigen, das den 50-Jährigen begleitet, entspricht dabei dem Klischee, das manch einer von seiner Heimat hat.

Koller setzte auf einen gewissen Podolski

Marcel Koller kam als Spieler mehr als 400 Mal für die Grasshoppers Zürich zum Einsatz, 1999 war er „Trainer des Jahres“ in seiner Heimat. In Köln, der Stadt seiner Träume, war Koller im Jahr 2003/04 sportlich gesehen nicht erfolgreich. Doch setzte er als erster regelmäßig einen 18-jährigen Nachwuchsspieler namens Lukas Podolski ein. Der erzielte ab November in 19 Spielen zehn Tore. Am Ende war der FC trotzdem abgestiegen, Koller musste gehen – und sah der weiterhin rasant verlaufenden Entwicklung des bald unter „Prinz Poldi“ firmierenden Shooting-Stars aus der Ferne zu.

Bochum, die nächste Station ab 2005, darf als Kollers erfolgreichste Trainerstation gelten. Beachtliche 1,36 Punkte holte er im Schnitt in 152 Ligaspielen, brachte die ehemals „Unabsteigbaren“, die gerade mal wieder abgestiegen waren, sofort wieder zurück nach oben und schaffte im ersten Jahr in der Bundesliga den achten Platz. In den beiden folgenden Jahren wurde der Abstand zur Abstiegszone immer knapper, das Bochumer Fußballspiel nach Meinung der Anhänger dazu im trister. Im Herbst 2009, Bochum war nach sechs Spieltagen Vorletzter, musste Koller gehen.

Fußball ohne Eigenschaften

Das Ende nach gut vier Jahren bekam eine Note, die Koller nicht verdient hatte. Den Rauswurf nach einer 2:3-Heimniederlage gegen den FSV Mainz 05 verkündete der Verein auf seiner Homepage versehentlich mehrere Stunden zu früh. Volkes Stimmung hatte sich in den letzten Wochen seiner Amtszeit zunehmend gegen den Schweizer Coach gekehrt, immer mehr blieben zuhause. Und die, die immer noch kamen, waren erzürnt. Fußball ohne Eigenschaften, das wurde Koller im Kern vorgeworfen. Mehrere Hundert Bochumer Fans forderten schließlich seinen Rauswurf. Der Schweizer war auch Opfer der Gegebenheiten geworden, hatte immer wieder die Abgänge von Leistungsträgern wie Zvjezdan Misimovic oder Jaroslaw Drobny zu verkraften.

Das Problem der chronischen Abgänge wird Marcel Koller bei seinem nächsten Job immerhin nicht haben. Und wer weiß, vielleicht geht für den Schweizer im Dienste des Nachbarn ja tatsächlich der eine oder andere kleinere Fußballtraum in Erfüllung.

Der Tiroler Weg

– Hierzulande stocken die Verhandlungen um Pyrotechnik – bei Wacker Innsbruck dürfen die Fans schön länger legal zündeln

Berlin (dapd). Die Problembeziehung steht vor dem Aus: Im Juli noch saßen Fanvertreter und Deutscher Fußball-Bund an einem Tisch und verhandelten über eine „Roadmap“ in Sachen Pyrotechnik. Nun werfen die Fans dem DFB Wortbruch vor. Der wiederum hat erklärt, „zu keinem Zeitpunkt Zusagen“ für eine mögliche Legalisierung gemacht zu haben und monierte „21 registrierte Verstöße“ während des „Waffenstillstands“ zu Saisonbeginn. Vermehrte Vorfälle in den letzten Wochen mit teils Schwerverletzten haben die Initiative weiter zurückgeworfen. Es scheint ausgeschlossen, dass die angestrebten Pilotprojekte das OK des Verbands erhalten werden.

Das Nachbarland Österreich hat eine ähnliche Geschichte bereits hinter sich, mit Annäherung, enttäuschten Erwartungen und erneuter Entfremdung. Doch findet sich hier auch ein Gegenbeispiel für die These, dass kontrolliertes Abbrennen in einem vollen Block nicht möglich sei: Beim Bundesligisten Wacker Innsbruck dürfen die Fans bereits in Absprache mit den lokalen Behörden Pyrotechnik benutzen.

Clemens Schotola ist Journalist beim österreichischen Fußballmagazin „ballesterer“ und Szenekenner bei Wacker Innsbruck. Der 32-Jährige bestätigt, dass bei Wacker schon seit rund fünf Jahren eine lokale Ausnahmegenehmigung Anwendung findet. „Am Tivoli darf auf der Nordtribüne Pyrotechnik gezündet werden, unter bestimmten Voraussetzungen“, sagt er.

Die Bengalischen Feuer müssen ein CE-Kennzeichen haben, wie im österreichischen Pyrogesetz festgelegt. Außerdem dürfen die Innsbrucker Fans ihre Fackeln nur im möglichst zuschauerfreien Raum mit genügend Sicherheitsabstand anwenden, konkret unten am Zaun. „Das ist ohnehin da, wo man sie als Ultra zünden will“, sagt Schotola. Die Behörden sind im Vorfeld genau informiert über die Anzahl der Fackeln und nehmen diese ab, im Gegenzug dürfen die Fans auch während des Spiels zünden. Feuerwehr und Security stehen mit Sandkübeln für den Notfall bereit.

Seit Einführung dieser lokalen Praxis habe es nur einen Verstoß bei Wacker gegeben, sagt der Szenekenner. In der Saison 2004/05 warf ein Fan eine Fackel unkontrolliert in den Innenraum. „Er wurde von der Fanszene rausgefischt und rausgeworfen“, sagt Schotola und nennt das die „Selbstreinigungskräfte der Kurve“. Sie hat auch Eintracht Frankfurts Klubchef Heribert Bruchhagen in dieser Woche angemahnt, nachdem Fans beim Spiel in Dresden wilde Zündelei beklatscht hatten. Dass unabhängig von Verboten bei mehreren Tausend Besuchern immer eine gewisse Gefahr besteht, betonen auch die deutschen Ultras. „Passieren kann immer etwas“, sagt etwa Jannis Busse von der deutschen Initiative. Der DFB betont seinerseits, dass die Sicherheit der Besucher höchste Priorität habe.

Der Wille zur Zusammenarbeit sei entscheidend, sagt Wacker-Fan Schotola: „Der Verein muss wollen, die lokalen Behörden müssen wollen. Und die Fans müssen wollen.“ Auch in Österreich hatte sich eine landesweite Fan-Initiative formiert, nachdem im Januar 2010 ein verschärftes Pyrotechnikgesetz in Kraft getreten war. Nach anfangs erfolgversprechenden Verhandlungen mit Liga und Verband seien die Fans an die Behörden verwiesen worden. „Im Endeffekt ist es an den Auflagen gescheitert“, sagt Schotola. Dazu habe ein Drei-Meter-Sicherheitsabstand gehört, den die Ultras als „unrealistisch“ zurückwiesen. „Heute wird vor allem auswärts wieder viel wild gezündet“, sagt Schotola. Was per se eine größere Gefährdung der Umstehenden mit sich bringe als kontrolliertes Abbrennen, da der Zündler die Fackel möglichst schnell wieder loswerden wolle, um unerkannt zu bleiben.

Ähnlich wie nun in Deutschland hat sich die Lage auch in Österreich nach dem Scheitern der Verhandlungen wieder verschärft. Beim Wiener Derby im Mai bewarfen Rapid-Fans, die das Spielfeld gestürmt hatten, den Austria-Block mit Bengalos, mindestens zwei Fans wurden verletzt. Unter dem Vorfall litt erwartungsgemäß der Ruf des harten Fankerns generell, so auch der Ultras. „Wenn du eine sichtbare Gruppe bist, wirst du immer Ziel von Pauschalisierungen“, sagt Schotola. Er selbst wurde angeklagt, weil zwei Wacker-Fans beim Spiel bei Austria Wien im August 2010 Knallkörper geworfen hatten und Schotola als einziger Ansprechpartner und Verantwortlicher bei den Behörden registriert war. Erst in zweiter Instanz wurde er freigesprochen.

In Deutschland hat die Zahl der gefährlichen Vorfälle in den letzten Wochen wieder zugenommen. Besonders der Knallkörperwurf beim Derby Osnabrück-Münster sorgte für Wirbel, 24 Personen wurden verletzt, einige von ihnen schwer. Mitgereiste Rostocker produzierten beim Spiel in Frankfurt ebenfalls reichlich Negativ-Schlagzeilen durch Raketenabschüsse. Ein Zuschauerausschluss für zwei Auswärtsspiele war in beiden Fällen die Folge, veranlasst durch den DFB.

In Österreich liegen die Gespräche zwischen Offiziellen und Fans – genau wie hierzulande – auf Eis. Außerhalb von Innsbruck ist die Lage oft ähnlich wie vor Formierung der Initiative. Eine Fortsetzung der Problembeziehung unter schlechten Vorzeichen droht auch in Deutschland.

37 Sekunden Ruhm

– Mateja Kezman, einst Europas größtes Talent, kehrt zurück auf die große Bühne

Berlin (dapd). Der Junge mit der Nummer 20 steht an der Kreidelinie, die Hände in die Hüfte gestemmt. Er soll jetzt kommen, für den großen Predrag Mijatovic, der sich gerade eben mit einem Hackentrick von diesem Spiel verabschiedet hat. Jetzt sprintet der hibbelige 21-Jährige hinauf aufs Feld, das die Welt bedeutet, für ihn und Millionen kleiner Jungs wie ihn. Norwegen gegen Jugoslawien, Europameisterschaft, und er darf mitmachen. Keine Minute später schleicht Mateja Kezman vom Platz, mit einem Rekord, der ihn zum Gespött der Leute machen wird.

15 Minuten lang wird jeder von uns weltberühmt sein, prophezeite Andy Warhol. Mateja Kezman nahm sich nicht so viel Zeit. 37 Sekunden nur, überspitzt formuliert, dauerte seine Weltkarriere. 37 Sekunden, das sind: Ein Ballgewinn, ein Sprint, eine verunglückte Flanke, ein weiterer Sprint und dann diese beidbeinige Grätsche gegen Erik Mykland, genau vor Schiedsrichter Hugh Dallas. Mykland schreit, dass man es bis oben auf die Tribüne hört. Und Dallas zieht sofort Rot.

Für 14 Millionen zu PSV

Seitdem kennen alle Statistik-Freaks Kezmans Namen: Schnellster Platzverweis bei einer EM-Endrunde. Aus heutiger Sicht wirkt der Blackout des blassen Jungen wie ein Mahnruf. Wie ein Vorzeichen auf die unerfüllten Versprechen seiner Karriere. Doch natürlich ist das Unsinn. Der Stern des Jungen aus Belgrad geht in diesem Sommer vor elf Jahren gerade auf. Nach dem Turnier in Belgien und Holland wechselt er für 14 Millionen Euro von Partizan zum PSV Eindhoven. „Wir waren schon lange an ihm dran. Er ist schnell, agil, stark am Ball, schließt gut ab und legt für andere auf“, rechnet Coach Eric Gerets die Vorzüge seines Neuzugangs vor.

PSV, das Sprungbrett der grandiosen Stümer: Romario, Ronaldo, van Nistelrooy. Und jetzt Kezman. Das Sternchen wird hier zum Kometen. Wie sie alle wird er Torschützenkönig, in vier Jahren drei Mal, Kezman schießt in der Ehrendivision in 122 Spielen sagenhafte 105 Tore. Und klopft sagenhaft große Sprüche. „Ich bin Kezman“, sagt er, „nicht Romario oder van Nistelrooy“. Die Vergleiche mit der Vergangenheit seien ihm lästig, sagt er. „In zwei Jahren“, fügt er hinzu, „will ich in Italien sein“. In der Tat wollen ihn bald die ganz Großen. Mateja Kezman entscheidet sich 2004 schließlich für England, für den FC Chelsea.

Und dann fängt er an abzublättern, der Ruhm des Mateja Kezman, Stück um Stück. Bei den Londonern kommt er nicht an Didier Drogba und Eidur Gudjohnsen vorbei, erzielt in der Liga nur vier Tore. Nach einem Jahr geht er nach Spanien, zu Atletico Madrid. Nur ein weiteres Jahr später zu Fenerbahce in die Türkei. Tore schießt er kaum noch. Es geht abwärts, die Namen werden kleiner. Es kommen die Leihen, Kezman wird zur Fußball-Ware: Fenerbahce leiht ihn nach zwei durchwachsenen Jahren nach Paris aus, von PSG wird er wiederum zu Zenit St. Petersburg ausgeliehen, und im November 2010 ist Mateja Kezman, 31 Jahre alt, vertragslos. Strandgut des Fußballs.

Deja-vu auf Schalke

Einmal noch hat er sein Land, das mittlerweile Serbien heißt, in der Zwischenzeit verzückt: Im Oktober 2005 hat er die Serben zur WM in Deutschland geschossen, mit seinem 1:0 gegen Bosnien-Herzegowina. Doch die WM endet tragisch, mit einem Deja-vu. Es ist das zweite Gruppenspiel, Schalke der Schauplatz, Argentinien der Gegner. In der 65. Minute, es steht 0:3, rauscht Kezman im Mittelfeld mit einem brutalen Scherenschlag in Javier Mascherano, der Ball längst weg, das Spiel noch länger entschieden. Der Schiedsrichter heißt diesmal Roberto Rosetti, und wie Dallas sechs Jahre zuvor zögert er keine Sekunde. Rot. Als die Zuschauer Kezman mit Pfiffen vom Feld geleiten, klatscht der ironisch Beifall. Hilflose Geste des Trotzigen. Bis heute bestreitet er kein weiteres Länderspiel.

Bei den Weißrussen von BATE Borissow steht Mateja Kezman, mittlerweile 32 Jahre alt, nach einem viermonatigen Zwischenspiel in Hongkong nun unter Vertrag. Und kehrt mit dem Spiel gegen Titelverteidiger FC Barcelona, seinem 48. Champions-League-Einsatz, am Mittwoch zurück auf Europas ganz große Bühne. Er freue sich sehr, wird Kezman auf der UEFA-Webseite zitiert. „Es wird extrem interessant, gegen die Meister aus Spanien, Italien und der Tschechischen Republik zu spielen.“ Die neue Demut eines Mannes, dem einst der Vergleich mit den Größten lästig war. Ich bin Kezman, sagte er, überzeugt, mehr als 37 Sekunden Ruhm erteilt bekommen zu haben.

Polen baut

– Zu Besuch in den vier EM-Städten: Danzig, Warschau, Posen, Breslau und zurück

Kurz vor der Landung in Danzig taucht im winzigen Fenster der Propellermaschine ein gold-glänzendes Raumschiff auf, das auf halbem Weg zwischen Altstadt und Weichselmündung auf freiem Feld gelandet ist. In diesem bernsteinfarbenen Ufo wird nächsten Sommer Fußball gespielt. Die Vorboten der Fußball-Europameisterschaft sind bereits da. Was ist mit dem Rest? Die Erkundung des EM-Gastgeberlandes Polen führt in fünf Tagen durch vier Städte: Danzig, Warschau, Posen, Breslau und zurück. Polen im Schnelldurchgang.

Bereits vom Flugzeug also schaut man herab auf das riesige Bauvorhaben namens Euro 2012. Während das Danziger Stadion schon fertig ist, sind die Autobahnzubringer gut sichtbar noch aus Sand statt Asphalt, kilometerlang. Die lästige Westler-Frage nach dem Wann-denn-endlich hören die Verantwortlichen gar nicht gerne. Ja, natürlich würden die Schnellstraßenstücke fertig, sagt Andrzej Bojanowski, der Stellvertretende Bürgermeister von Danzig. „Im Frühjahr“, präzisiert er auf Nachfrage. Ebenso das neue Terminal des Flughafens. Bojanowski ist sehr stolz auf das, was ihm und seinen Landsleuten ins Haus steht, und daraus wird schnell eine ruppige Verteidigungshaltung. Schon ist er beim Fußballdorf Klagenfurt, Austragungsort der letzten EM. Bojanowski sagt: „Nichts Böses gegen Klagenfurt, aber wir wollen den Leuten zeigen, dass Danzig mit seiner tausendjährigen Tradition eben kein Klagenfurt ist.“

Damit die UEFA-Familie happy ist

Die südliche Umgehungsstraße werde die Transportfrage lösen, fügt er dann noch knapp hinzu. „Umgehungsstraße“, das ist, wie im Laufe der Reise festzustellen sein wird, das Zauberwort, das noch jeder Verantwortliche in den Mund nimmt. Manch einer hat den Zungenbrecher sogar auf Deutsch einstudiert. Die EM-Macher haben die Umgehungsstraße als Codewort für die leidige Pflichterfüllung achselzuckend akzeptiert – sie bauen sie, damit die UEFA-Familie happy ist, auch wenn es jahrzehntelang ohne sie ging.

Und bis sie fertig ist, sperrt die Polizei bei Groß-Events wie dem Länderspiel Polen-Deutschland die Arena-Umgebung einfach großflächig für den Autoverkehr ab. Was in diesem Fall zur unschönen Folge hat, dass der Bus nach der Partie für die sechs Kilometer ins Danziger Zentrum anderthalb Stunden braucht.

Westeuropäische Maßstäbe taugen nicht für dieses Land, das noch zernarbt ist vom Erbe des Sozialismus. Außerhalb der hübsch bunt sanierten Altstädte schießen direkt neben zerfallenden Plattenbauten spiegelglatte Hoteltürme in den Himmel. Die baulichen Extreme der beiden Wirtschaftssysteme leben in feindlicher Koexistenz.

Im Schlagschatten von Stalins Ruhm

Den Warschauern hat Josef Stalin seinen Ruhm in 230 Meter hohem Sandstein hinterlassen. Der Kulturpalast, um den herum im kommenden Sommer die offizielle Fanzone entstehen wird, ist der grau grüßende Orientierungspunkt für alle Ortsunkundigen. In seinem protzigen Schlagschatten steckt das Taxi im zähen Abendverkehr. Der Fahrer ist Fußballfan, am Armaturenbrett baumelt ein Anhänger von Legia Warschau. Englisch spricht er praktisch keins. Dennoch der Versuch: Freut er sich auf die EM? Um Gottes willen, sagt er, ohne Wörter zu benutzen, formt einfach seine rechte Hand zur Pistole und drückt an der Schläfe ab. Nein! Urlaub! Kreta. Ägypten. Er zeigt auf die Autoschlangen jenseits der Windschutzscheibe. Wie soll das alles nächsten Sommer werden?

Am Warschauer Stadion, das in polnisches Weiß-Rot gewandet ist, wird noch eifrig gewerkelt. Über 2000 Arbeiter sind mit der Fertigstellung beschäftigt. Mit dem Eröffnungstermin Anfang September hat es nicht geklappt. Ende November ist der neue Fixpunkt. Das Dach, eine Regenschirm-Konstruktion wie in Frankfurt (es waren die gleichen Architekten am Werk), ist schon fertig. Vergleichbares wie in Athen 2004, wo die olympischen Schwimmer schlussendlich unter freiem Himmel ihre Bahnen zogen, droht hier wohl nicht.

Auch in Posen wird rings um das Städtische Stadion im Vorort Grunwald noch mächtig gehämmert. Die nächste Straßenkreuzung ist halb gesperrt, Baulöcher klaffen im Asphalt. Im Innern der Arena, die einem gigantischen Käfer ähnelt, deuten die gastgebenden Fanvertreter auf zwei Ecken, in denen die blauen Sitzschalen noch auf provisorische Stahlrohrkonstruktionen geschraubt sind. „Unser Stadion ist fertig für die EM und nicht fertig für die EM“, sagen die Fans und zwinkern vergnügt.

Breslau wird im Eiltempo umbraust

In Breslau ist sie dann wieder mal Thema, die unvermeidliche Umgehungsstraße, jene Lösung allen Übels, Antwort auf alle Fragen. 30 Kilometer ist sie hier lang – und schon fertig, teilt die Dame von der Stadtverwaltung stolz mit. Seit einer Woche können die Breslauer ihre Stadt im Eiltempo umbrausen. Mit dem Boxkampf Klitschko-Adamek wird die örtliche Arena am Abend eingeweiht, die mit ihren engen, steilen Rängen und dem gewellten Dach von innen einer riesigen Turnhalle gleicht. Die Außenhaut wird zum Kampf mit bunten Bildern bestrahlt, was wirklich schön aussieht. Anders als die Baucontainer, die sich noch im Dreck der Stadionumgebung stapeln.

Tags darauf aber in der Altstadt, im warmen Licht des Spätnachmittags, das sich im Gold des Bierglases bricht, vergisst der Besucher allen Dreck und Schlamm und findet Polen einfach wunderschön. Ja, genau hier, denkt man sich, auf dem Breslauer Marktplatz und dem angrenzenden Blumenmarkt, wird sie dann pulsieren, die schönste aller polnischen Fanzonen. Inmitten der vielen hübschen bunten Häuser, hinter denen sich am Horizont die grauen Plattenbauten verlieren.

Und noch weiter dahinter, unweit der Umgehungsstraße, da wird dann im Sommer Fußball gespielt.

(dapd)

Groß frisst klein

– Witali Klitschko entledigt sich in Tomasz Adamek eines weiteren Herausforderers

Breslau (dapd). Hinterher war es fast noch am beschwerlichsten. Als sein Bruder Wladimir gerade behände über die Ringseile sprang, ging der Ältere der Klitschko-Brüder der Fron des Siegers nach: Noch ein Interview musste gegeben, für weitere Fotos posiert werden. Vielleicht wirkte das Bohei danach für die Außenstehenden auch deshalb so anstrengend, weil vorher alles so leicht dahergekommen war. Das Resultat: Witali Klitschko ist weiterhin Schwergewichtsweltmeister nach Version des World Boxing Council (WBC). Auch Tomasz Adamek, der tapfere, aber schlussendlich chancenlose Herausforderer aus Polen, konnte die Dominanz der Gebrüder aus Kiew nicht ansatzweise gefährden.

In der zehnten Runde eines sehr einseitigen Kampfes hatte der Ringrichter den Liebling der im brandneuen Breslauer EM-Stadion anwesenden Massen mit einem energischen Armwischen aus dem Gefecht genommen. Genug war genug.

„Ich war überrascht über sein starkes Kinn“, sagte Klitschko, und das war anerkennend gemeint. In der Tat war die wichtigste und für den Polen beste Nachricht des Abends : Tomasz Adamek ging es nach knapp dreißig mitunter recht schmerzvollen Minuten gut, rein gesundheitlich betrachtet. „Ich bin ein Krieger, ich wollte bis zum Ende kämpfen“, sagte der stolze Pole nach dem Fight. „Ich muss meinen Stolz herunterschlucken.“ Er fühle sich gut, abgesehen von den Schwellungen und Fleischwunden: „Ich werde leben und gesund sein.“

Weggewischt wie eine lästige Fliege

Welch Kontrast bot dennoch der gepeinigte Herausforderer zu dem frisch geduscht und unbeleckt auftretenden Klitschko. „Guten Morgen zusammen“, flötete der alte und neue Champion am frühestmöglichen Sonntag der Presse entgegen. Witali Klitschko trat auf in der selbstbewusst-fröhlichen Art eines Kämpfers, der zuvor einen weiteren vermeintlichen Konkurrenten weggewischt hatte wie eine lästige Fliege. Klitschko hatte weite Strecken des Kampfes so bestritten, wie es einem jeder Boxtrainer von der ersten Stunde an auszureden versucht: Die Handschuhe unter Hüfthöhe pendelnd, Angriffe des Gegners lieber mit Reflexen statt mit deckenden Händen abwehrend.

Es war dies genug des Aufwands, weil der 34-jährige Ex-Weltmeister im Halbschwer- und Cruisergewicht, zwölf Kilo leichter, zwölf Zentimeter weniger Reichweite, schlicht nicht die körperlichen Voraussetzungen mitbrachte, um den Koloss von Kiew zu gefährden. „Es reicht eben nicht, zu viel zu essen“, sagte Klitschko, und das war wohl väterlich, vielleicht sogar gut gemeint. „Tomasz ist der beste Boxer der Welt, nur nicht im Schwergewicht. Es war ein Fehler von ihm, ins Schwergewicht zu wechseln.“

Dass jedoch das Falsche das Richtige sein kann, wenn man haushoch überlegen ist, bestätigte der Coach des Champions: „Es war Witalis bester Kampf seit seinem Comeback“, sagte Klitschkos Trainer Fritz Sdunek, der die gute Beinarbeit und Schnelligkeit seines Schützlings herausstellte.

Die Großen verspeisen die Kleinen

Nur einmal witterten die 44.000 Weiß-Roten rings um den Ring die Sensation, als nämlich Klitschko in der achten Runde plötzlich zu Boden ging. „Ich bin Tomasz auf den Fuß getreten, deshalb habe ich die Balance verloren“, erklärte der 40 Jahre alte Weltmeister. Ringrichter Massimo Barrovecchio aus Italien zählte ihn folgerichtig nicht an. Die polnischen Fans aber setzten zu einem letzten Ausbruch der Euphorie an. Und auch wenn Trainer Sdunek hinterher beteuerte, er sei für einen Moment geschockt gewesen, und auch wenn das Stadion in diesem Moment der Unachtsamkeit etwas witterte, was nie in der Luft lag, entwickelte sich der Kampf doch nach dem altbekannten Gesetz, wonach die Großen die Kleinen verspeisen. Kurz nach Klitschkos Tauchgang gellten Pfiffe durch die Arena, weil Adamek wehrlos in den Seilen hing und Barrovecchio den rechten Zeitpunkt für einen Abbruch zu verpassen drohte.

„Keiner weiß, was im Ring passiert“, sagte Klitschko zwar. „In jeder Runde kann einer den Fight mit einem Schlag beenden.“ Am Samstagabend jedoch gab es nur einen, der Entscheidendes zu leisten imstande war. Und das war nicht Tomasz Adamek.

Und so hatte am Ende Lukas Podolski Recht behalten. Der kölnisch-polnische Fußballprofi und erklärte Adamek-Fan hatte sich im offiziellen Begleitheft des Kampfes mit einem seiner eigenen, unvergessenen Bonmots zitieren lassen, das da lautete: „Manchmal gewinnt der Bessere.“

Mit Verbrechern und Verrätern

– Polens Fußball debattiert über die Zusammensetzung der Nationalmannschaft

Berlin (dapd). Polens Fußballer schnuppern dieser Tage schon mal ein bisschen EM-Atmosphäre. Vor der Partie gegen Deutschland haben sie sich im edlen Fünf-Sterne-Hotel Dwor Oliwski 15 Autominuten außerhalb des Danziger Stadtzentrums einquartiert, der offiziellen Mannschaftsherberge des DFB für das Europa-Turnier im kommenden Jahr. Auch wenn es eigentlich um nichts geht, ist das Länderspiel der polnischen Elf gegen Deutschland am Dienstag (20.45 Uhr) schon ein bisschen die Probe für den Ernstfall, ein Dreivierteljahr vor der EM im eigenen Land.

Die Zahlen machen erst einmal keinen großen Mut. Platz 65 der FIFA-Weltrangliste belegt Deutschlands östlicher Nachbar. Und wie jeder Gastgeber haben die automatisch gesetzten Polen das Problem einer aufgeblähten Phase von Testspielen. Wegen der deutlich verpassten Qualifikation für die WM in Südafrika hat diese bereits im Herbst 2009 begonnen. In diesem Jahr stehen bislang knappe Siege unter anderem gegen Norwegen und Georgien Niederlagen in Litauen und Frankreich gegenüber. Im Juni immerhin schlug die „Kadra“ das große Argentinien – allerdings nur eine B-Elf. Am Freitag gab es in Warschau ein 1:1 gegen Mexiko.

Wer darf die Weiß-Roten repräsentieren?

Gegenstand einer hitzigen Debatte unter den 38 Millionen Nationaltrainern ist aber vielmehr die Frage, wer die Weiß-Roten vor den Augen Europas repräsentieren soll und darf. Lukas Piszczek ist bis zur EURO ziemlich sicher wieder mit dabei, die Sperre des Dortmunders wegen angeblicher Verstrickung in einen Bestechungsfall läuft Ende des Jahres aus. Zusammen mit seinen Teamkollegen Jakub Blaszczykowski und Robert Lewandowski sowie dem Top-Keeper Wojciech Szczesny vom FC Arsenal bildet er das Korsett jener Mannschaft, die ihr stolzes Land im Sommer nach Möglichkeit nicht blamieren soll.

Die Abwehr gilt seit langem als Schwachstelle. Großer Hoffnungsträger ist Sebastian Boenisch von Werder Bremen. Seine ersten beiden Spiele vor einem Jahr begeisterten die Polen, doch seitdem fällt er verletzt aus. Im August gegen Georgien debütierte dann Eugen Polanski von Mainz 05 – große Euphorie löste das nicht aus. Polanskis Aussagen, er fühle sich eher als Deutscher denn als Pole und er könne die Nationalhymne nicht mitsingen, wurden von den polnischen Medien genüsslich ausgeschlachtet. Unabhängig davon wirft man dem gegen Deutschland verletzt fehlenden Polanski Opportunismus vor, weil der langjährige deutsche U-Nationalspieler es nicht in Joachim Löws Auswahl geschafft hat. Nicht eben förderlich für den Ton der Diskussion waren die Äußerungen des ehemaligen Nationaltorwarts Jan Tomaszewski, die Landesauswahl würde bald nur noch aus „Verbrechern und Verrätern“ bestehen.

Deutsche und Kolumbianer als Hoffnungsträger

Nationaltrainer Franciszek Smuda aber würde zusätzlich gerne Manuel Arboleda in die Nationalelf berufen. Anders als Boenisch und Polanski hat der 32 Jahre alte kolumbianische Innenverteidiger keine polnischen Vorfahren. Und anders als der ehemalige Nationalspieler Emmanuel Olisadebe, der eine Polin heiratete und schnell Staatsbürger wurde, zeigt der Mann von Lech Posen nach Ansicht vieler Polen wenig Interesse am Land, in dem er seit fünf Jahren Fußball spielt.

Jacek Purski von der polnischen Organisation gegen Neofaschismus „Nigdy Wiecej“ („Nie wieder“) beschreibt die feinen Unterschiede: „Die Kritik an den Deutschen hält sich in Grenzen, die Leute schätzen ihre Qualität. Manch einer sagt sogar, okay, wir haben Klose und Podolski verloren, jetzt bekommen wir eben ein paar aus Deutschland zurück. Im Fall von Arboleda wird die Debatte auch teilweise rassistisch.“

Unabhängig von Ressentiments wegen seiner Herkunft ist der verschlagene Verteidiger, vom Image her eine Art Maik Franz Polens, bei den Gegenspielern in der Liga und damit auch im Kreis der Nationalspieler ziemlich unbeliebt. Was die Sache nicht eben einfacher macht.

Grzegorz Lato, WM-Dritter mit Polen 1974 und heute Präsident des polnischen Fußballverbands PZPN fasste diese Woche im Gespräch mit der „Mittelbayerischen Zeitung“ den Status quo zusammen: „Unsere Legionäre helfen uns natürlich, aber es ist ein langer Weg, bis Polen wieder das Niveau der siebziger Jahre erreichen kann.“

Wie ein Hurrikan

– „Booster“-Skandal um Miamis Football-Team erschüttert amerikanischen College-Sport

Berlin/Miami (dapd). Exzessiver Luxus, Nachtclubs, Prostitution und Abtreibung – schon für sich alleine genommen verspricht jedes dieser Schlagworte in den USA eine interessante Debatte. Wenn sie alle zusammen in einem Enthüllungsartikel auftauchen, dazu noch in Verbindung mit dem College-Sport, dem heißgeliebten Darling von „Average Joe“, dem amerikanischen Durchschnittsbürger – nun, dann bricht ein wahrer Wirbelsturm los.

Im Auge dieses Orkans befinden sich passenderweise die Hurricanes, so nennt sich das Football-Team der Universität von Miami, fünffacher nationaler Champion. Losgebrochen ist er am Dienstag, als die Webseite „Yahoo! Sports“ einen umfassenden Artikel veröffentlichte, der offenlegt, dass ein „booster“, also ein wohlhabender Gönner und Spender der Sportprogramme der Uni, über Jahre hinweg Athleten, die offiziell Amateurstatus haben, mit Luxus-Geschenken und umfangreichen Prämienzahlungen überhäuft hat. Das verstößt massiv gegen die Ethik-Grundsätze des College-Sports.

72 Footballer will Shapiro bespaßt haben

Nevin Shapiro, so der Name des schwerreichen Übeltäters, sitzt derzeit im Gefängnis, weil er ein Schneeballsystem mit einem Gesamtwert von knapp einer Milliarde Dollar betrieben haben soll. Hinter Gittern packte der „booster“ aus. Auf Basis von 100 Interviewstunden und elf Monaten Recherche hat „Yahoo! Sports“ in dieser Woche Shapiros Zuwendungen an die Sportler, vornehmlich Football-Spieler, aufgelistet: „Bargeld, Prostituierte, Vergnügungen in seinen Multi-Millionen-Dollar-Häusern und auf seiner Yacht, Besuche in Restaurants und Nachtclubs der Oberklasse, Schmuck, Auflaufprämien (sowie Prämien für Verletzungen von Gegenspielern), Reisen und, bei einer Gelegenheit, eine Abtreibung.“

72 Footballer will Shapiro zwischen 2002 und 2010 derart bespaßt haben. Sechs Trainer waren nach seiner Aussage eingeweiht. Die öffentliche Entrüstung der Amerikaner ist riesig, befeuert auch von den zahlreichen, ebenfalls veröffentlichten Party-Fotos von Shapiro mit College-Sportlern. Nicht wenige US-Sportfans schätzen die unter dem Schirm der National Collegiate Athletic Association (NCAA) organisierten College-Ligen als ehrlichen und bodenständigen Gegenentwurf zu den Milliarden-Unternehmen der Profiligen. Doch nach etlichen Regelbrüchen in der jüngeren Vergangenheit ist der Shapiro-Skandal nun der endgültige Beweis, dass dieses Bild weit weg ist von der Realität.

Miami als Wiederholungstäter

„Wenn uns der Skandal rings um Miami irgendetwas lehrt, dann dass die NCAA schon längst das leiseste Anzeichen von Kontrolle verloren hat über ihre Herde und dass ihr Regelwerk besser dazu benutzt würde, um damit Hamsterkäfige auszulegen“, schreibt Lynn Zinser in einem Kommentar für die „New York Times“.

Weil die Universität von Miami nach einem Skandal um das Baseball-Team Ende der 90er Jahre als Wiederholungstäter gilt und von 2003 bis 2005 unter Bewährung stand, macht nun sogar schon das böse Wort von der „Death Penalty“ die Runde. Gemeint ist die Zerschlagung des betroffenen Teams, die es in der Geschichte erst einmal bei einem College-Football-Team gegeben hat.

NCAA-Präsident Mark Emmert sagte der Zeitung „USA Today“, er würde sich nicht gegen diese drakonischste aller Strafen stemmen: „Wir brauchen Strafen, die als effektive Abschreckung wirken. Diejenigen, die Risiken und Vorteile gegeneinander abwägen, sollen wissen, was sie erwartet, wenn sie erwischt werden“, sagte Emmert.

„Kann nichts Schlechtes über ihn sagen“

Die Fans aus Miami sind entsetzt. „Wenn die NCAA das Team killt, werden sich ziemlich viele Leute die Kehle durchschneiden“, sagte Luther Campbell, Rapper und großer Hurricanes-Fan dem „Miami Herald“. Leichtere Strafen sähen unter anderem den Verlust einiger Sportstipendien vor, mit denen die Universitäten die besten High-School-Sportler ködern – oder den Ausschluss auf Zeit von den lukrativen „Bowls“, in denen die besten Football-Mannschaften gegeneinander antreten.

Auch andere Hochschulen sollen betroffen sein. Die namentlich genannten Sportler bestreiten die Vorwürfe. Bernard Thomas, ehemaliger Defensivspieler der Universität von Nebraska, der auf einem Foto mit Shapiro auf einer Yacht posiert, sagte der „Huffington Post“: „Er war cool. Er war ein netter Typ. Ich kann nichts Schlechtes über ihn sagen.“ Und als das Foto aufgenommen wurde, sei er gar nicht mehr auf dem College gewesen. Andre Johnson, Wide Receiver der Houston Texans, sagte knapp: „Der Typ hat Probleme und versucht alle mit runterzuziehen.“ Doch so einfach wird der Wirbelsturm der Entrüstung wohl nicht abflauen.

Hochfrequenz in Hoffenheim

– Fan-Beschallung gegen BVB: Polizei und Ordnungsdienst offenbar eingeweiht – Apparat war schon Anfang 2011 viermal aufgebaut

Berlin/Sinsheim (dapd). Der idyllische Kraichgau soll ja eigentlich einer der ruhigeren Landstriche Deutschlands sein. Doch seit Anfang der Woche ist es mit der Ruhe in und um Sinsheim erst einmal vorbei. Grund: Seltsamer Lärm bis an die Schmerzgrenze im Gästeblock bei der Bundesligapartie zwischen der TSG Hoffenheim und Borussia Dortmund am vergangenen Samstag. Dieser kam allerdings nicht nur von den zahlreichen Dortmunder Fans, sondern auch aus einer seltsam anmutenden Apparatur, die sich unterhalb deren Tribünenbereich befand. Wenn der BVB-Anhang den Hoffenheimer Mäzen Dietmar Hopp in Sprechchören oder Gesängen mit Schmähungen bedachte, erklang ein schriller Signalton.

Die TSG Hoffenheim hatte am Montag mitgeteilt, ein Mitarbeiter habe „eine entsprechende Apparatur eigenmächtig zum Einsatz gebracht“, als „Gegenmittel“ gegen die Anti-Hopp-Gesänge. Alle Klubverantwortlichen distanzierten sich in der Pressemitteilung ausdrücklich von der Aktion und entschuldigten sich bei den Dortmunder Fans.

Die Heidelberger Polizei hat Ermittlungen wegen Körperverletzung eingeleitet. Bis zum frühen Dienstagnachmittag seien fünf Anzeigen und fünf weitere Hinweise per E-Mail von betroffenen Fans eingelaufen, sagte Sprecher Harald Kurzer auf dapd-Anfrage. Der Hoffenheimer Angestellte habe die Apparatur am Dienstag auf die Dienststelle gebracht. Es handele sich um „zwei über einen Verstärker betriebene Druckkammer-Lautsprecher“.

Am Dienstag aktualisierte der Klub auch sein Statement: Der Mitarbeiter habe die Apparatur bereits bei vier Spielen der Saison 2010/11 aufgebaut, „wohl aber nicht immer zum Einsatz gebracht“. Es handele sich um die Heimspiele gegen Köln (19. Februar), Mainz (26. Februar), Dortmund (12. März) und Frankfurt (16. April).

Frankfurter Fans beschreiben ähnlichen Vorfall

Axel Hoffmann befand sich im April im Frankfurter Block: „Als die üblichen Gesänge kamen, gab es kurzzeitig einen merkwürdigen Ton im Stadion, der für uns in dem Moment gar nicht greifbar war. Ich habe es zuerst mit dem Gepfeife der Einheimischen assoziiert, aber es war klar, dass es das nicht ist“, sagte er der dapd.

Die Beschreibung der Störquelle durch einen User in einem Fanforum auf eintracht.de deckt sich mit dem hochauflösenden Foto der Lautsprecher-Vorrichtung, aufgenommen am Samstag, das die Dortmunder Fanseite schwatzgelb.de der dapd zur Verfügung gestellt hat. Neben der Apparatur sind drei Personen zu erkennen, zwei von ihnen sitzen auf einer Bierbank.

BVB-Fanprojekt: „Die Polizei wusste davon“

Aussagen von Beobachtern am Samstag lassen Zweifel an der vom Klub verbreiteten Einzeltäter-Version aufkommen. Auf der BVB-Seite hat man ein koordiniertes Vorgehen mehrerer Personen beobachtet. Thilo Danielsmeyer vom Dortmunder Fanprojekt stand am Samstag unmittelbar vor dem Gästeblock. Er sagt, dass mehrere umstehende Personen über Sinn und Zweck des Beschallungsapparats im Bilde waren. „Die Polizei wusste davon. Der Ordnungsdienst hat es auch gewusst“, sagte Danielsmeyer der Nachrichtenagentur dapd.

Ein Verantwortlicher habe ihm das System sogar erklärt. „Er dachte sich gar nichts dabei. Er sagte: Hinter dem Tor sitzt einer und macht ein Zeichen, sobald Schmährufe ertönen“, sagte Danielsmeyer. Dann habe jemand den Signalton ausgelöst: „Das Gerät wurde definitiv von weiter weg bedient.“

Die Polizei bestätigte am Dienstag, die Apparatur sei von der gegenüberliegenden Stadionseite über ein rund 60 Meter langes Kabel betrieben worden. Der Beschuldigte habe ausgesagt, die Anlage mit einem Bekannten gebaut und eigenverantwortlich betrieben zu haben.

Dass Polizisten die Lärmquelle wahrgenommen haben, hält Sprecher Kurzer für gut möglich. „Ich gehe schon davon aus, dass Beamte, die im Bereich der Gästefanbetreuung tätig waren, dieses Gerät und seine Funktionsweise wahrgenommen haben“, sagte Kurzer der dapd. Für die Einsatzleitung könne er dies jedoch ausschließen. „Von uns wusste keiner etwas“, sagte Kurzer, der darauf hinwies, dass die Polizei innerhalb des Stadions „gar keine Funktion“ habe, außer bei Schlägereien und sonstigen Notfällen.

Danielsmeyer geht davon aus, dass „auch Entscheidungsträger“ von dem Lärmmacher wussten: „Der Bereich vor dem Gästeblock ist der sensibelste Bereich, den es im Stadion gibt. Normalerweise wird da selbst das kleinste Fitzelchen, das auf dem Boden liegt, weggemacht. Bei uns in Dortmund wüsste das zumindest ein Vorstandsmitglied.“

„Soundcheck“ in der Arena vor dem Einlass

Dass es beleidigende Schmähungen gegen den in einigen Fankreisen massiv abgelehnten Klub-Mäzen Hopp gegeben hat, ist unstrittig. „Es waren Beleidigungen unter der Gürtellinie, darüber müssen wir nicht streiten“, sagte Nicolai Mäurer von schwatzgelb.de der dapd.

Mäurer bestätigt Augenzeugenberichte, wonach es bereits vor dem offiziellen Einlass Stunden vor der Partie am Samstag einen gut hörbaren „Soundcheck“ mit dem durchdringenden Signalton in der Arena gegeben haben soll. „Es haben Leute gesagt, dass sie das Geräusch schon vor dem Einlass hören konnten“, sagte Mäurer.

Es könnte noch eine Weile dauern, bis wieder Ruhe einkehrt im schönen Kraichgau nach den Störgeräuschen, die am Samstag aufhorchen ließen. Derzeit breitet sich die Schallwelle noch aus.

Rauchzeichen in der Kurve

– Ultras und DFB verhandeln um Legalisierung von Pyrotechnik – derzeit gibt es einen Waffenstillstand

Berlin (dapd). Die Grafiker der Kampagne haben für das Logo jenes Farbschema ausgewählt, in das sich die Ultra-Bewegung gezwängt sieht: schwarz und weiß. Drei junge Männer, Kappe, Kapuze, Fanschal, halten drei Fackeln in die Höhe, deren Flammen sich zu einem gemeinsamen, großen Feuer umschlingen. Darunter das Motto: „Pyrotechnik legalisieren, Emotionen respektieren.“

Vereinstreue, Choreografien, Dauersupport auf der guten Seite, Gewaltbereitschaft, Kritikunfähigkeit und eben auch gefährliche Zündelei auf der anderen. Das sind die Attribute, die in der Bewertung dieser bis ins Extreme treuen Fans meist gegeneinander gestellt werden. Die Zwischentöne sind kompliziert.

Die deutschen Ultras haben sich für den komplizierten Weg entschieden. 56 der notorisch rivalisierenden Fangruppen sind gemeinsam losmarschiert im Herbst 2010. Auf der „Fandemo“ in Berlin im Oktober hatten sie sich schon ein bisschen beschnuppert, danach formierte sich das Bündnis, das sich vorgenommen hat, die Verwendung von Bengalischen Feuern aus der kriminellen Ecke zu holen.

Erster Bundesligaspieler hat sich solidarisiert

Über 100 Fanvereinigungen haben sich bereits solidarisiert, auch sechs Fußballklubs unterstützen die Aktion, darunter Zweitligist Dynamo Dresden. In der vergangenen Woche bekannte sich Mathias Abel vom 1. FC Kaiserslautern als erster Profi zur Initiative. „Pyrotechnik beflügelt die Mannschaft und die einzelnen Spieler. Kontrolliert kann es eine sinnvolle Sache sein“, sagte Abel.

Die Ultras haben es bis an den Verhandlungstisch mit dem DFB geschafft, schon das darf als Erfolg gelten. Denn der Verband vertrat in den letzten Jahren eine Politik der geringen Toleranz gegenüber Zündlern, denen im schlimmsten Fall Stadionverbote und Zivilklagen drohten. „Dass wir so schnell mit dem DFB zusammensitzen würden, hätten wir ehrlich gesagt nicht erwartet“, sagt Jannis Busse, ein Sprecher der Initiative von den Ultras Hannover, der dapd Nachrichtenagentur.

Zwei Treffen fanden nach dapd-Informationen bereits statt, beide in der DFB-Zentrale in Frankfurt am Main, das erste kurz vor dem Ende der vergangenen Saison, das zweite Anfang Juli. Zunächst ging es um gegenseitiges Beschnuppern, dann um einen konkreten Fahrplan.

Heraus kam zunächst ein Waffenstillstand. An den ersten drei Spieltagen verzichten die Ultras auf Pyro-Aktionen – als Zeichen des guten Willens. „Noch ist nichts erreicht, im Gegenzug haben wir dem DFB natürlich noch nicht die Freigabe von Pyrotechnik abgerungen“, sagt Jannis Busse. Doch die Ultras hoffen, dass der Verband, wenn die Kurven tatsächlich rauch- und böllerfrei bleiben, grünes Licht für den nächsten Schritt gibt. Der könnte so aussehen, dass Verein, Ordnungsamt und Fans eine „lokale Genehmigungspraxis“ erarbeiten. Es geht darum, wann und wo Pyrotechnik erlaubt wird, zum Beispiel in bestimmten Bereichen der Kurve vor dem Spiel.

„Paar Sturköppe, die von nichts abrücken“

Es wäre eine kleine Revolution in der Fankurve. „Nach jahrelangem Nicht-Verhältnis und Missverständnissen zwischen DFB und Ultras ist das jetzt ein Schritt in die richtige Richtung“, sagt Busse.

Der Ende August scheidende DFB-Sicherheitsbeauftragte Helmut Spahn war auf dapd-Anfrage in dieser Woche nicht zu erreichen. Auf Fanseite bekam man den Eindruck, dass der DFB von der geschickten Verhandlungsführung bei den beiden Treffen überrascht war. „Sie dachten wohl, da kommen ein paar Sturköppe, die von nichts abrücken wollen“, sagt ein Gesprächsteilnehmer.

Doch es gibt Entgegenkommen von den Fans: „Schluss mit Böllern, Kanonenschlägen und sonstigen Knallkörpern“, sagen sie. Vor den Gesprächen hatte Spahn unmissverständlich klargemacht, dass die Sicherheit der Zuschauer „oberste Priorität“ hat. Denn der weite Begriff der Pyrotechnik umfasst nicht nur schön und bunt qualmenden Rauch. Einige verstehen darunter auch das Detonieren von hochgefährlichen „Polenböllern“, im Ausland gefertigter Feuerwerkskörper mit höchster Sprengkraft.

Dass sich die „Initiative Pyrotechnik“ von diesen Krachern distanziert, ändert nichts an der latenten Gefahr. „Ganz unabhängig von einer Legalisierung kann immer etwas passieren“, sagt Jannis Busse. Erst am 34. Spieltag der vergangenen Saison schmiss ein Fan in der Kaiserslauterer Westkurve einen Böller in die Menge, es gab mehrere Verletzte.

Eine Fankurve sei kein Puppentheater, sagt einer der Unterstützer der Kampagne. Nicht jeder lasse sich von den Ultras was sagen. Alle Beteiligten wissen: Passieren kann immer was. Denn neben guten Vorsätzen gibt es auch bösen Willen.