– Der Einsatz von Pyrotechnik in den Fankurven wird hart bestraft. Nun wollen 55 deutsche Ultra-Gruppierungen eine legale Lösung erstreiten – der DFB setzt sich erstmals mit ihnen an einen Tisch.
Berlin (Tsp) – Als die Glocken läuteten, fing es an zu rauchen. Und als ein paar Sekunden später die ersten Riffs des Hardrock-Klassikers „Hell’s Bells“ aus den Boxen fetzten, zog bereits dicker weißer Qualm über den Gästeblock am Hamburger Millerntor. Der weiß gefrorene Rasen erschien in einer surrealen Tönung aus Feuer, Rauch und Flutlicht.
„Wir wollten zeigen, dass es nicht gleich Schwerverletzte geben muss, wenn Bengalos abgebrannt werden“, sagt Christian von der Lauterer Ultragruppierung „Pfalz Inferno“. Die Aktion der FCK-Fans zum Spiel ihrer Mannschaft beim FC St. Pauli war nur eine von vielen der letzten Wochen – auch an diesem Wochenende in Berlin waren bei Hallenturnieren wieder Transparente pro Pyrotechnik zu sehen.
Die deutschen Ultras, jene Fans also, die sich als harter Kern der Fankurven und Zentrum des Supports sehen, machen mobil. 55 Ultragruppen aus dem ganzen Land haben die Kampagne „Pyrotechnik legalisieren – Emotionen respektieren“ ins Leben gerufen. Sie wollen künftig auf den Rängen ganz legal Bengalos und Rauchtöpfe zünden dürfen. Dafür distanzieren sie sich in ihrem offiziellen Statement von „Böllern, Kanonenschlägen und sonstigen Knallkörpern“ wie Leuchtspurmunition und stellen klar: „Pyrotechnik gehört in die Hand, auf keinen Fall in die Luft und nach Möglichkeit nicht auf den Boden.“
Über 60 Fangruppen haben sich seit Beginn solidarisiert, Drittligist Dynamo Dresden unterstützt die Bemühungen der Fans als erster Profiverein. Der Schulterschluss der Fans quer durch die Vereinsszenen hat bereits das erste Ziel erreicht und eine Diskussion um Pyrotechnik in den Stadien losgetreten. Nun hat also auch der deutsche Fußball eine Rauchdebatte. Das vielleicht Erstaunlichste: Der Deutsche Fußball-Bund (DFB) hat Gesprächsbereitschaft signalisiert. Helmut Spahn, seit Ende 2006 DFB-Sicherheitsbeauftragter und Hauptabteilungsleiter Prävention und Sicherheit, will sich in den kommenden Wochen mit den Fans an einen Tisch setzen. „Es sieht alles danach aus, dass wir uns bald treffen“, sagte Spahn. In der Vergangenheit hatte sich der Dialog zwischen Offiziellen und Fußballfans meist auf das Aussprechen von Sanktionen beschränkt. Noch Mitte September war der Chemnitzer FC am Verbandsveto gescheitert, obwohl eine geplante Pyro-Show beim Spiel gegen den VfB Lübeck von den örtlichen Behörden bereits genehmigt worden war. Der Antrag sei zu kurzfristig eingetroffen, teilte der DFB mit.
Doch nun ist Bewegung in die Sache gekommen. Die rivalisierenden Ultragruppen sind sich bei der Fandemo am 9. Oktober in Berlin näher gekommen. „Das war der erste große Schritt in Richtung Zusammenarbeit“, sagt Fossa von den „Harlekins Berlin“. Die Ultragruppe von Hertha BSC gehört zu den Erstunterzeichnern der Pyro-Erklärung – ebenso wie die „Hammerhearts“ und das „Wuhlesyndikat“ des Stadtrivalen 1. FC Union. Auf der Website der „Harlekins“ prangt ein Foto der Kaiserslauterer Westkurve mit zig brennenden Bengalos. „Für uns ein absolutes Sinnbild für die Entwicklung der Pyrotechnik in Deutschland“, sagt Fossa. „In den Neunzigern wurde auch bei praktisch jedem Hertha-Spiel gezündet.“ Bengalos und Rauchtöpfe sind für ihn „ein klassisches Stilmittel“ der Kurve.
Das ist die eine Seite. Auf der anderen Seite sind zahlreiche Vorfälle aus den letzten Jahren zu nennen, bei denen Pyrotechnik außer Kontrolle geraten ist. Bilder, die Zuschauer und Verbände empört haben, wie die vom EM-Qualifikationsspiel aus Genua, als Vermummte aus dem serbischen Block qualmende Fackeln aufs Spielfeld warfen, Bilder von gestandenen Spielern, die weinten wie kleine Kinder. Die Ultras stemmen sich auch gegen ihren eigenen Ruf, der durch die gefährlichen Zündeleien gelitten hat. Auch in Deutschland. Ende Februar 2010 beispielsweise erlitten mehrere Menschen beim Bundesligaspiel des VfL Bochum gegen den 1. FC Nürnberg schwere Verbrennungen, als im Gästeblock mit Magnesiumpulver hantiert wurde. „Das hat mit einer geilen Pyro-Show nichts zu tun, sondern ist nur extrem gefährlich“, sagt Christian vom „Pfalz Inferno“.
Doch unter den Ultras herrscht noch lange kein Konsens. Einige wichtige Gruppen beteiligen sich nicht an der Initiative; aus Frankfurt am Main etwa, wo die Szene enormen Zulauf hat, kommt keine Solidarität. „Viele Gruppen beschäftigen sich mit Nebensächlichkeiten“, kritisiert Fossa von den „Harlekins“. „Es geht nur noch um Gewalt, Außendarstellung, Posen, Selbstdarstellung, darum, wer die Härtesten oder Gefährlichsten sind.“ Das gehe am ursprünglichen Ultragedanken „weit vorbei“, demzufolge der Blick sich nur auf die eigene Kurve richten solle. Dass selbst am gemeinsamen Aktionswochenende aus einigen Kurven Kanonenschläge flogen, wirft die Frage auf: Lässt sich kontrolliertes Abbrennen überhaupt praktisch umsetzen? Und wie lässt sich verhindern, dass der mühsam erkämpfte Verhandlungserfolg – wenn er zustande kommt – mit Böllerwürfen oder Leuchtraketen wieder aufs Spiel gesetzt wird? „Eine Fankurve ist kein Puppentheater, über dem man sitzt und alle nach den Fäden tanzen lässt“, gibt Fossa zu, „nicht jeder lässt sich von der Ultragruppe was sagen.“ Es werde auch darum gehen, die Kurve zu sensibilisieren und hinter der Initiative zu versammeln. „Da wird sich die Kraft und die Stärke der aktuellen Bewegung zeigen.“ Bei Hertha bemühe sich beispielsweise der „Förderkreis Ostkurve“ um eine bessere Kommunikation zwischen den Fangruppen.
„Es wäre schade, wenn einzelne Chaoten unsere Arbeit zunichte machen“, sagt auch Christian vom „Pfalz Inferno“, der „Aufklärungsarbeit bei den anderen Fans“ fordert. Wenn Fossa von Pyrotechnik redet, fällt oft das Wort „Leidenschaft“. Auch darum werde es gehen. Denn eine allzu sterile Lösung kann man sich auf Ultraseite nicht recht vorstellen. „Leidenschaft ist definitiv nur im Block möglich“, erklärt das Mitglied der „Harlekins“. „Sich stur vor die Kurve zu stellen, ein Bengalo hochzuhalten und es dann in einen Eimer zu packen, hat wenig mit Leidenschaft zu tun.“
Beispielhaft ist die Entwicklung in Chemnitz, wo der Dialog zwischen Fans und Behörden bereits genehmigte Pyro-Aktionen möglich gemacht hat. „Die Erfahrungen sind durchweg positiv“, sagt Kay Herrmann, Leiter des Chemnitzer Fanprojekts. Schon dass die Ultras mit der Polizei zusammenarbeiteten, sieht er als gute Entwicklung. Planen die Fans des Viertligisten für ein Spiel eine Bengalo-Aktion, erstellen Fans, Verein, Polizei, Ordnungsamt, Fanprojekt und Fanbeauftragte ein Konzept. Weil die Stadien in der Bundesliga um ein Vielfaches größer sind, sieht Kay Herrmann die Lösung in einer „lokalen Genehmigungspraxis“, bei der die örtlichen Behörden entscheiden, was wo zugelassen wird.
In Österreich gibt es bereits eine landesweite Lösung. Seit dieser Saison dürfen dort in designierten Bereichen in den Kurven bengalische Feuer abgebrannt werden – das Resultat einer Faninitiative. „Das ist fast die Optimallösung, die man hier in Deutschland erreichen könnte“, sagt Fossa, der hofft, dass es von Seiten des DFB „nicht bei Lippenbekenntnissen bleibt“. Sicherheitschef Helmut Spahn gibt der Sicherheit der Zuschauer „oberste Priorität“, kündigte aber an, „ohne Vorbehalte und ergebnisoffen“ in die Diskussion gehen zu wollen. Sonst wäre es am Ende auch allzu viel Rauch um nichts gewesen.