„Fünf Minuten Stadt“ (Tagesspiegel)
Der Weg zum Bargeld macht Frieren, bitterer Wintermorgen. Der Wind jagt die leere Torstraße in Mitte hinauf. Tür auf zum Vorraum der Bank. Hier drinnen: volles Haus, Nachtlager der Obdachlosen. Ein Mann mit St.-Pauli-Kutte sitzt auf den Steinstufen, neben ihm schläft ein anderer mit auf die Brust gesunkenem Kopf, hinter den beiden noch zwei volle Schlafsäcke. Am Automaten: eine Frau mit Perlen im Haar. Der Mann mit der Kutte, schleppende Sprache der Betrunkenen, will von ihr wissen, wo sie herkommt. Sie zögert, schweigt. Sagt dann: „Karibik! Trinidad and Tobago.“ Er nickt, wie in Zeitlupe. Die Frau dreht sich zum Automaten, dann abrupt wieder zurück.
„But why?“, fragt sie, etwas lauter als zuvor, in seine Richtung. „Warum?“ Er versteht die Frage nicht. „Why you doing this?!“ Sie klingt nun ehrlich entsetzt, schaut sich um, deutet mit der Hand zu den Schlafsäcken. Er schaut sie mit leeren Augen an. „Why you sleeping-on-this-floor?!“ Sie geht schreiend in die Knie, hämmert bei jeder Silbe ihre Fingerknöchel auf den Steinboden. Goldringe klackern. Sie lässt ihn nicht antworten, er versucht es auch kaum. „Warum kein Geld von Jobcenter?! Du! He?!“, schreit sie, gestikuliert mit der einen Hand und hämmert mit der anderen wild auf den Automaten ein, der rattert und ein paar Scheine ausspuckt. Sie hält sich den Zeigefinger quer unter die Nase. „Oh my God. You people make me sick.“ Dann stößt sie die Tür auf, weinend, und die eisige Kälte der Stadt pfeift herein.