– Johan Cruyff zum 65. Geburtstag
Berlin (dapd). Wenn ein Fußballspieler in einem -ismus verewigt wird, dann muss er mehr sein als ein Fußballspieler. In Katalonien haben sie lange schon den „cruyffismo“ ausgerufen, an seiner Spitze der Namensgeber Johan Cruyff, König. Keinem Staat steht er vor, sondern vielmehr einer revolutionären Philosophie für das schöne Spiel, einer Geisteshaltung, die den FC Barcelona seit Cruyffs Ankunft vor knapp vier Jahrzehnten in aller Welt bekannt gemacht hat. Ihr Begründer wird am Mittwoch 65 Jahre alt.
„Mach den Ball zu deinem Freund. Die Leute sollen mit einem Lächeln nach Hause gehen.“ In diesen cruyffschen Grundsätzen steckt der Kern seines Systems.
Johan Cruyff, eigentlich: Johan Cruijff, wächst mit Ajax Amsterdam auf. Sein Bruder arbeitet auf dem Vereinsgelände, mit 17 debütiert Johan in der Profi-Auswahl. Als Mittzwanziger hat er bereits alles erreicht, was mit einem Vereinsteam möglich ist. Er hat Ajax dreimal zum Europapokal der Landesmeister geführt. Ganz oben ist er nun, der blasse Junge aus dem Betondorf, so heißt die Siedlung, in der er aufgewachsen ist. Beton! Aber an ihm, diesem schmächtigen Knaben, der erst in der B-Jugend überhaupt eine Ecke bis vors Tor schlagen kann, ist nichts Beton. Er windet sich durch die Gegner wie ein Schlangenmensch, mit beiden Füßen stellt er Unglaubliches an. Cruyff regiert das Spiel wie kein zweiter Europäer, 2000 wird er zum „Jahrhundertfußballer“ gekürt, vor Beckenbauer, dem Weltmeister.
Auf dem Gipfel seines Erfolges, 1973, verlässt Cruyff seine Heimat. Er wechselt zum FC Barcelona. Es locken: Sein Mentor Rinus Michels, der große Ruhm und das ganz große Geld. Für Barca der Glücksgriff der Vereinsgeschichte. Erzrivale Real Madrid hat im gleichen Sommer Günter Netzer verpflichtet. Cruyff wird ihn in den Schatten stellen.
Die Katalanen macht sich König Johan Untertan, er, der königliche Spielmacher, im Februar 1974. Mit 5:0 schlägt Cruyff mit Barca den Erzrivalen Real Madrid in dessen eigenem Stadion. Er macht seinen Trainer Michels, der den „totalen Fußball“ entwickelt hat, stolz: Der Mann mit der 9 ist der totale Fußballer an diesem Abend, wie an vielen Abenden. Er macht einfach alles: dribbeln, passen, rennen, grätschen. Er erkämpft sich die Bälle, treibt sie übers Feld. Und erzielt das 2:0 nach unmöglichem Dribbling.
Eine Demütigung, und ein Sieg des holländisch-katalanischen Freigeistes über die Franco-Diktatur, deren Aushängeschild Real ist. Der Franquismus stirbt 1977 mit dem Diktator, der Cruyffismus überlebt.
1992 schafft Cruyff als Trainer des FC Barcelona dann das, was ihm als Spieler in Katalonien versagt geblieben war: Er gewinnt den Landesmeister-Cup, den ersten für den Klub. Als Trainer krempelt er den Klub nach seinem Gusto um. In der Jugendschmiede „La Masia“ wird fortan alles der Technikschulung untergeordnet. Alle Teams spielen das Cruyffsche 4-3-3, das Ajax-System mit zwei dribbelstarken Außenstürmern. Technik, die Kraft besiegt. Fußball als Herrschaft über Ball und Gegner.
„Ohne Cruyff würde ich nicht auf diesem Stuhl sitzen“, sagt Pep Guardiola 2009 dem „Spiegel“. Ohne Cruyff ist der FC Barcelona des 21. Jahrhunderts schlicht nicht vorstellbar.
Nur Weltmeister wird Cruyff nie. 1974 spielt er mit den Holländern alle in Grund und Boden. Doch im Finale unterliegen sie den effizienten Deutschen. „Wir waren großartig. Wir vergaßen nur zu gewinnen“, sagte Cruyffs Mitstreiter Johnny Rep. 1978, als Holland erneut WM-Zweiter wird, ist Cruyff bereits zurückgetreten. Die Gründe liegen im Dunklen. Streitbar ist er bis heute geblieben, erst in diesem Frühjahr liefert er sich eine wochenlange Schlammschlacht im Aufsichtsrat von Ajax, weil er die Neueinstellung von Louis van Gaal verhindern will.
Das Kettenrauchen schließlich, die 80 filterlosen Camel täglich, die ihm kein Trainer je austreiben konnte, gibt er erst Anfang der Neunziger nach einem Herzinfarkt auf. Aber was wäre Johan Cruyff für ein unvollkommenes Genie gewesen, ohne diese Widersprüche?