Mozart findet sein Glück

– Fußball-Jahr 2011: Thomas Broich scheiterte in der Bundesliga – und blüht in Australien auf

Berlin/Brisbane (dapd). Seinen Anruf aus Australien beginnt Thomas Broich gleich mit einem lauten Lachen. „Da habt ihr ja eine tolle Warteschleife!“, sagt er. „Mozart! Extra für mich, wie?“ Über den Mozart kann Broich mittlerweile lachen. Und das, obwohl am Mozart seine Karriere in Deutschland zerbrochen ist. Vor anderthalb Jahren war Thomas Broich ganz unten. Er floh nach Australien. Und fand dort sein Fußballglück.

Ende 2011 ist Thomas Broich in seiner neuen Heimat ein gefeierter Star. Er blickt auf das erfolgreichste Jahr seiner Karriere zurück, hat kürzlich mit seinem Team australische Sportgeschichte geschrieben – 36 Spiele in Folge ungeschlagen. Viel wichtiger aber: „Er hat da unten ein Stück weit seinen Frieden gefunden.“ Sagt Filmemacher Aljoscha Pause, der die Anti-Karriere des heute 30-Jährigen begleitet und auf 120 Minuten Film konzentriert hat.

Doch bevor es um die Gegenwart gehen kann, stellt sich die Frage: Was lief schief in der Vergangenheit?

Plump gesagt hat sich Broich ein bisschen zu weit aus dem Fenster gelehnt. Als Jungprofi stilisiert er sich als „kickender Philosoph“, so beschreibt er es heute selbst, er liest in der Kabine Reclam-Heftchen, hört klassische Musik – und hat seinen Spitznamen schnell weg: Mozart. So lange es sportlich läuft, er in Gladbach als „neuer Netzer“ gefeiert wird und Köln zum Wiederaufstieg verhilft, geht die Nummer gut. In den Tiefs, die immer öfter kommen und länger werden, setzt sich dagegen eine unheilvolle Spirale in Gang.

Schon zu Beginn habe er bei Broich zwei Seiten beobachtet, sagt Pause, der in acht Jahren ein enger Freund geworden ist. Einerseits den „ganz kessen, intelligenten, eloquenten und sehr humorvollen, schelmenhaften Typen“. Andererseits einen „nachdenklichen, zurückhaltenden und vorsichtigen“ Menschen. Zwischen Naivität und Selbstüberschätzung pendelnd habe er sich selbst das Leben schwer gemacht.

Entscheidend auch die Trainer: Mit knurrigen Autoritäten wie dem Holländer Dick Advocaat kommt Broich nicht klar, unter milderen Coaches wie dem Schweizer Hanspeter Latour blüht er auf. Immer mit dabei: das Mozart-Image. Der will nur schön spielen. Der kann den Druck nicht ab. Broich kontert das, indem er sich noch mehr auf sein Selbst zurückwirft. Er zieht in eine WG, macht Musik, raucht und sumpft, macht auf unverstandenen Künstler. „Ich bin selber bereitwillig in die Falle getappt“, sagt er heute.

Im Sommer 2010, nach sieben Jahren Bundesliga, ist aus dem einstigen Hoffnungsträger auf Augenhöhe mit Lahm, Schweinsteiger, Kuranyi und Podolski ein gefrusteter Endzwanziger geworden, beim Abstiegskandidaten Nürnberg aussortiert. In den Wochen und Monaten zuvor habe er sich nur noch „bleiern und steif“ gefühlt, sagt er. „Ich war unfassbar schlecht.“

Sein Mitspieler Dario Vidosic vermittelt den Kontakt zum australischen A-League-Klub Brisbane Roar, wo dessen Vater Co-Trainer ist. Broich sagt zu. Je weiter weg von der Bundesliga, desto besser. Obwohl die Saison erst im August beginnt, fliegt der Fußball-Auswanderer schon im Mai nach Australien. „Er ist sehr intensiv in sich gegangen“, sagt Pause. Als er mit seinem Klub in die erste, kleine Krise gerät, ist Broich dennoch drauf und dran, erneut den Selbstzweifeln zu verfallen. „Bis ich gemerkt habe, der ganze Druck und die negative Art kommen von innen.“

Broich wird das Herz seiner Mannschaft, sein Trainer gibt ihm das Gefühl, unverzichtbar zu sein. Er spielt guten Fußball, vielleicht seinen besten. Mit dem befreit aufspielenden Deutschen eilt Brisbane Roar von Sieg zu Sieg, schließt die Runde als Erster ab.

Doch im „Grand Final“, dem alles entscheidenden Spiel um die Meisterschaft am 13. März, geht plötzlich nichts mehr. Das Tor der Central Coast Mariners ist wie vernagelt, 0:0 nach 90 Minuten. Und vier Minuten vor dem Ende ist der Underdog 2:0 vorne. Dann folgen Momente, die es im Fußball selten gibt – egal, wo er gespielt wird.

In der 117. Minute leitet Broich einen Querpass mit einer blitzschnellen Drehung weiter, der Brasilianer Henrique verkürzt. In letzter Minute, keiner im Stadion sitzt mehr, flattert noch einmal eine Broich-Ecke in den Sechzehner, direkt auf den Kopf des wuchtigen Erik Paartalu und von dort zum Ausgleich ins Netz. Im Elfmeterschießen gewinnt Brisbane Roar seine erste Meisterschaft und Broich den ersten Titel seiner Karriere.

„Das war ein Wunder, ganz klar“, sagt Broich rückblickend. „Es war schon alles vorbei.“ Schicksal? Broich zögert. „Ich denke eigentlich nicht so“, sagt er dann, „aber das hatte schon schicksalhafte Züge. Wir hatten es uns sowas von verdient. Es hat einfach sollen sein.“

Regisseur Pause hätte sich kein besseres Ende für seinen Film ausdenken können, der wenige Tage später in Berlin Premiere feiert. Heimkehrer Broich ist nervöser als je vor einem Fußballspiel, versinkt im Laufe der Vorstellung immer tiefer in seinem Kinosessel. „Es war schon heftig, die eine oder andere Aussage von früher zu verdauen“, sagt er. „Manchmal dachte ich: ‚Nein, das hast du nicht wirklich gesagt, oder?'“ Am Ende gibt es tosenden Applaus für „Tom meets Zizou“, benannt nach Broichs größtem Vorbild, Zinedine Zidane. Der große französische Fußballkünstler war mit 30 Welt- und Europameister und Champions-League-Sieger.

Und Thomas Broich, 30 Jahre, Australien, ist glücklich.