Kosova! Kampion!

Sechs Jahre gibt es das Kosovo, doch die Anerkennung des kleinen Landes verläuft schleppend. Das erste offizielle Länderspiel geriet deswegen zum Volksfest. Auch wenn der Gegner nur Haiti hieß. (11FREUNDE, April 2014)

Eine Haiti-Flagge, ruft Alban, wäre es nicht großartig, wenn wir jetzt eine Haiti-Flagge hätten?

Mit breiten Schritten geht er durch die Innenstadt von Mitrovica, der Regen kommt in feinen Fäden herunter, vor dem alten Kaufhaus trommeln und singen sie schon, und Alban Muja freut sich über seinen Einfall. Haiti, klar, ohne Gegner kannst du kein Fußballspiel machen, und noch gibt es auf der Welt nicht viele, die mit dem Kosovo spielen wollen. Haiti aber will, als Gegner, also eigentlich: Verbündeter, und hat damit das erste offizielle FIFA-Länderspiel des kleinen Balkanlandes ermöglicht, seit sechs Jahren erklärtermaßen unabhängig, aber noch kein Mitglied der internationalen Gemeinschaft, auch nicht im Fußball.

Ein erster Schritt ist das, dank Beschluss des Weltverbands. Da muss man dabei sein.

Willkommen in meiner Heimatstadt, Mann, hat Alban nach dem Aussteigen gesagt, die Arme so weit, als müsste die ganze Welt hineinpassen. Ein glücklicher Kosovare mit Schiebermütze, Vollbart und buntem Halstüchlein. Vorher war er in seinem klapprigen Fiat Punto die 50 Kilometer von der Hauptstadt Pristina nach Mitrovica gefahren, mit kreischenden Scheibenwischern, in der rechten Hand eine qualmende Lucky, in der linken meist das Telefon, alle fünf Minuten rief jemand an, wo treffen wir uns, seid ihr schon unterwegs, auf der Ablage über dem Handschuhfach die Sportzeitung mit den großen Lettern auf dem Titelblatt: Auf geht’s, Kosovo!

Es ist nicht nur ein Fußballspiel, sagt Alban, für uns ist das ein historisches Datum. Für mich sowieso, ich kenne das Stadion, ich habe dort ja selbst gespielt.

Es regnet also, am Morgen des historischen Tages, aber das Wetter muss ja nicht immer ein Zeichen sein für irgendwas. Braune Bäche laufen quer über die abschüssigen Straßen, die Scheiben beschlagen von innen. Der Uni hat Alban heute abgesagt, nicht zum ersten Mal fällt sein Seminar aus, aber zum ersten Mal, wenn er im Land ist und nicht in Berlin, New York oder Ljubljana, er ist viel gereist in den letzten Jahren.

Alban Muja, geboren am 10. September 1980 in Kosovska Mitrovica, ist einer der bekanntesten jungen Künstler seines jungen Landes, im Mai vergangenen Jahres hat ihm die Nationalgalerie in Pristina eine Einzelausstellung gewidmet, sein Name stand auf Plakaten in der ganzen Stadt. Nicht dass ihn nicht auch vorher schon jeder gekannt hätte. Geht er durch die Straßen der Hauptstadt, vergehen kaum je fünf Minuten, bevor er kurz anhalten muss, hallo, wie geht’s, si jeni? A jeni mirë?

Alban Mujas Kunst erzählt viel vom Kosovo: Er hat die neun Jungen fotografiert, die alle den gleichen Vornamen tragen, Tonibler, benannt nach Großbritanniens ehemaligem Premier, albanische Version, Tony Blair wird hier als Retter verehrt, genau wie Bill Clinton, dem sie gleich ein Denkmal gebaut haben in Pristina. Alban hat die junge Frau interviewt, deren Vater sie Palestina genannt hat. Und eines seiner Werke zeigt auch die Ibar-Brücke seiner Heimatstadt, über die niemand mehr gehen will. »Museum of Contemporary History«, so hat Alban das Bild genannt. »Sie verbindet nicht«, sagt er, »sie trennt.«

Die Brücke mit dem aufgeschütteten Erdwall mitten auf der Fahrbahn ist das Symbol geworden für Mitrovica, den Spielort, geteilt zwischen Albanern im Süden und Serben im Norden, und für den langen Weg, den das Kosovo noch vor sich hat. Serbien erkennt die Unabhängigkeit seiner alten Provinz nicht an, Serbien hat Russland im Rücken, und Russland ist UN-Veto-Macht. FIFA-Mitglied werden kann aber nur, wer Mitglied in einer Konföderation ist. Und UEFA-Mitglied werden kann nur, wer UNO-Mitglied ist. So sind die Statuten.

Deswegen wehen auch nur drei Flaggen an den vier Masten des alten Trepca-Stadions, die rote von Haiti, die blaue der FIFA und das gelbe Fair-Play-Banner. Der linke Mast aber bleibt kahl, die blaue Fahne mit dem gelben Umriss des Kosovo nicht aufzuhängen, das war der Kompromiss. »Aber ich habe eine«, ruft Alban und schwenkt sein kleines Papierfähnchen, das sie an alle verteilt haben, die eins wollten. Und dann geht das Feuerwerk los, blau und gelb schießt das Pulver hinter der Tribüne hervor, untermalt von lauten Krachern, und die Leute zücken ihre Handys. Kaum ist der letzte Kanonenschlag verhallt, kommen die beiden Mannschaften auf den matschigen Platz gelaufen, die elf Kosovaren ganz in Weiß, das sieht schön aus im Grau des Tages.

»Es fühlt sich so an«, sagt Enis Alushi, »als würden nicht wir elf Fußball spielen, sondern die ganze Nation.« Der Tag vor dem Spiel: Alushi, 28 Jahre alter Mittelfeldspieler des 1. FC Kaiserslautern, sitzt am Kopfende eines Betts im Hotel Emerald, wo das Team Kosovo untergebracht ist, 15 Kilometer außerhalb von Pristina, direkt an der Ausfallstraße, hinter einer Tankstelle. »Wir machen das auf dem Zimmer«, hat er gesagt. »Eigentlich sollen wir zwischen den Einheiten keine Interviews geben.«

Das Treffen hat also ein bisschen was Konspiratives, Alushi zuppelt noch schnell die Tagesdecke über das Bett, über dem Fußhocker liegen zwei Stutzen zum Trocknen. Es ist eigentlich das Zimmer von Albert Bunjaku, ebenfalls 1.  FCK. Der kommt nach ein paar Minuten hereingeschlendert, Kaffeetasse in der Hand, auch er in weißer Trainingsjacke. »Kosova« steht auf dem Rücken.

Eine knappe Stunde, inklusive Fotos, dann ist Mittagessen. Nicht viel Zeit. Ohnehin nicht ganz leicht, mit professionellen Fußballspielern über ernste Dinge zu reden, sie lernen auf diesem Niveau schon in der Jugend zu reden, ohne etwas zu sagen. Aber um Politik muss es nun mal gehen, heißt doch schon das Stadion nach Adem Jashari, dem ehemaligen UCK-Kommandeur, hier verehrt als Kriegsheld, als Märtyrer. Das Stadion liegt am Ufer des Ibar und seine Sitze sind grün.

»Politik spielt für uns Sportler keine Rolle«, sagt Enis Alushi gleich zu Beginn. »Aber wir wissen, dass es viel Politik gab in den letzten Jahren, damit wir überhaupt auf dem Platz stehen dürfen.«

Auch für Alushi ist es eine Heimkehr, wie Alban Muja ist er in Mitrovica geboren, am 22. Dezember 1985. Hier steht das Haus, in dem er aufwuchs, bis zu dem Tag knapp acht Jahre später, als die Eltern über Nacht die Koffer packten und aufbrachen in das große Land, das Hoffnung versprach, auf nach Deutschland, »hier werden wir doch nicht mehr glücklich«.

Das Haus, in dem Enis Alushi aufwuchs, gibt es nicht mehr, jedenfalls nicht für ihn, es liegt auf der serbischen Seite. »Bis heute dürfen wir die alte Wohnung nicht betreten«, sagt er. Die Serben im Norden erkennen die Regierung in Pristina nicht an, sie wollen autonom sein oder, besser noch, zu Serbien gehören, vor der Ibar-Brücke stehen auch am Spieltag ein paar Panzerfahrzeuge, »Carabinieri« steht auf den Seiten. »Ich erinnere mich an meine Schulfreunde«, sagt Enis Alushi. »Ab dem Tag habe ich sie nie wiedergesehen. Es war eine gemischte Schule, ich hatte auch mit Serben zu tun, natürlich, als Kind ist man ja kein Politiker.«

Die sind natürlich heute da, die Politiker, das haben sie sich nicht nehmen lassen, die Präsidentin und der Premierminister, selbst zum Abschlusstraining ist Hashim Thaci ja bereits gekommen, das auf einem fleckigen Platz direkt neben dem Braunkohlekraftwerk stattfand, das ganz Kosovo versorgt und dessen Produktivität man dort auch auf den Lippen schmecken kann. »Ihr seid unser Stolz«, hat Thaci zu den Spielern gesagt. »Ihr seid unsere Zukunft, willkommen zu Hause.« – »Ist das erbärmlich«, hat einer der lokalen Fotografen gesagt. »Naja, bald sind Wahlen.«

Die Realität ist hier oft noch dunkler als der Qualm des Kraftwerks, das Land lebt von der internationalen Gemeinschaft, von den Geldsendungen der Exil-Kosovaren, eine halbe Million leben alleine in Deutschland und der Schweiz, und von den EU-Fördergeldern, rund 70 Millionen Euro jährlich. Auf dem Korruptionsindex von Transparency International steht Kosovo derweil auf Platz 111 von 175, zusammen mit Äthiopien und Tansania. Schlimmer ist da nur, überhaupt nicht aufzutauchen in einem Ranking, denn während Haiti als stolzer 79. der FIFA-Rangliste anreist, sucht man die Kosovaren dort noch vergeblich.

»Ich musste überhaupt nicht überlegen«, hat Enis Alushi gesagt. »Ich wusste schon, wenn die Anfrage kommt, würde ich ja sagen.« Und nun läuft er da unten über den tiefen Rasen, die Stutzen schon voller Matsch, eben hat er nach einem schier aussichtslosen Ball gegrätscht, kurz vor der Auslinie, und ihn noch bekommen, und jetzt macht Enis Alushi, die Nummer fünf des Kosovo, linkes Mittelfeld, eins, zwei, drei, vier Übersteiger und die 17.000 Kosovaren werden wieder laut, die ersten Minuten des Spiels haben sie noch ziemlich still im Regen gestanden, es ist ja für alle das erste Mal.

»Kosova! Kosova!«, rufen sie nun, und hinter der gegenüberliegenden Fankurve sieht man die Hügel von Nord-Mitrovica, an den Hängen stehen Häuser aus rotem Backstein, und rechts ist das Wahrzeichen der Stadt zu sehen, die riesige Steinlore aus Beton, denn hier, in den Minen von Trepca, lagern Blei, Zink, Silber, Gold, Nickel, Bodenschätze, die Jugoslawien einst reich gemacht haben, damals, als noch mit voller Kapazität gearbeitet wurde, die Minen liegen genau an der Grenze zwischen dem Norden und dem Süden.

»Vielleicht ist es ein kleines Zeichen an andere Nationen«, hat Enis Alushi gesagt, kurz vor dem Mittagessen, »an die, die uns immer noch nicht akzeptieren wollen. Dass wir nicht aufgeben, dass wir unsere Akzeptanz haben wollen und gerade an diesem Ort unser Debüt feiern.«

»Mitrovica war multi-ethnisch«, sagt Alban. »12 bis 15 Prozent waren Nicht-Albaner. Eine Teilung in Nord und Süd gab es nicht, das Wort existierte nicht mal in unserem Vokabular.«

Auf einer Ibar-Brücke, über die er damals täglich ging, fand er statt, der Moment, an dem Alban merkte, dass etwas in eine völlig falsche Richtung läuft. Auf dem Heimweg, nachts, hielten ihn drei Polizisten an. »Woher kommst du so spät«, fragten sie, und Alban Muja entschuldigte sich, sein Serbisch sei nicht so gut. Da schlug ihm der Polizist mit der flachen Hand ins Gesicht. »Sieh zu, dass dein Serbisch besser wird bis zum nächsten Mal«, sagten sie, dann ließen sie ihn laufen.

Die Worte sind alle noch da. »Künstler, male ein Porträt von mir!«, sagte der Befehlshaber zu Albans Vater. »Oder … du weißt schon. Befehl ist Befehl.« Und der Vater, im Klassenzimmer der Schule, die nun ein Internierungslager war, malte das Bild, Kreide auf Schultafel, ein schönes Porträt, und er wurde nicht zu den vier Männern gestellt, die verschwanden für immer. »Ich habe meinen Vater gar nicht wiedererkannt«, sagt Alban, »20 Kilogramm hatte er verloren in der Zeit in der Schule. Ich habe so viel gelernt in diesen Monaten, den ersten sechs Monaten des Jahres 1999. Ich habe gelernt, wie stark ein Mann sein kann, stärker als ein Stein.«

»18 Jahre war ich, aber sie hielten mich für 16«, sagt er. »Meine Eltern hatten mir noch die Haare kurz geschnitten, am Tag vorher, damit ich jünger aussah. Alle Männer sortierten sie aus, von 18 bis 55 Jahren, aber nicht mich, nicht mich.«
»Duam fitoru!«, ruft Alban jetzt zusammen mit den anderen 17 000, die Zigarette im Mundwinkel. »Duam fitoru!« Wir wollen einen Sieg! Er steht halb in einer Pfütze, das Leder seiner Halbschuhe saugt sich voll, aber das Team des Kosovo reißt die Leute jetzt mit, es wird immer stärker gegen Ende der ersten Halbzeit. Die Haitianer, deren rote Trikots ihnen kalt um die Körper schlackern, kommen kaum noch aus der eigenen Hälfte. Aber auch die beste Chance, ein schneller Gegenstoß, eingeleitet von Alushi, hereingegeben von Bunjaku, führt nicht zu einem Tor, das Bein eines Abwehrspielers ist irgendwie noch dazwischen. »Huuuuuuu!«, machen die Zuschauer.

Halbzeit. Die Polizisten auf der Tartanbahn, Gesicht zur Kurve, stehen schweigend da, manche lächeln. In der Reihe vor Alban hat ein Vater den Arm um seinen Sohn gelegt, er ist vielleicht zehn, elf Jahre alt. Vater und Sohn haben beide blaue Kosovo-Kappen auf, die wurden in der Innenstadt verkauft und vor dem Stadion. Der Vater lässt ein Foto machen. Vorne auf beiden Kappen sind sechs Sterne und der gelbe Umriss des Landes. »Geschichte wird nur einmal geschrieben!«, ruft einer von hinten, als die elf Weißen wieder rauskommen. »Ja«, sagt Alban und dreht sich zu ihm um, »aber Geografie ein paar Mal.« Dann freut er sich und zündet sich noch eine Zigarette an.

Dabei ist das Spiel nicht mal hier, im Kosovo selbst, unumstritten. Es gebe nur eine Kombëtare, sagen manche, nur eine Nationalmannschaft, und das sei die albanische. Einige Fans sind lieber nach Tirana gefahren, wo Albanien am Abend gegen Malta spielt. »Albanien ist auch immer mein Team gewesen«, sagt Alban, »aber Kosovo als Mannschaft zu haben ist noch bewegender.«

Für Albanien wird Alban Meha später ein Traumtor schießen, auch er ist in Mitrovica geboren, auch er spielt in Deutschland, beim SC Paderborn. Nein, keiner der albanischen Nationalspieler ist gekommen zu diesem historischen Spiel, auch Xherdan Shaqiri und die anderen Kosovaren aus der Schweizer Nati nicht. Die WM steht bald an, ihre Karrieren sind immer schon fernab der Heimat verlaufen. Und eine kosovarische Flagge im Wembley-Stadion zu schwenken, ist nun mal deutlich einfacher, als ein ganzes Leben aufzugeben für eine Mannschaft, deren Zukunft in den gelben Sternen steht. Absolut verständlich, sagen die einen. Dann sollen sie nicht so tun, die anderen.

Den Leuten im Stadiumi Olimpik Adem Jashari ist es in diesem Moment egal, der Regen hat aufgehört, die Mannschaft des Kosovo gibt eine gute Figur ab, sie kämpft um jeden Ball, kaum eine Rückennummer ist noch zu sehen von all dem Matsch, nur ein Tor will irgendwie nicht fallen. Aber hat nicht Haiti letztes Jahr auch unentschieden gegen das große Italien gespielt? La Ola rollt über die alten Steintribünen. »Kosova! Kampion!«

»Vielleicht«, hat Enis Alushi in seinem Hotelzimmer gesagt, »werden Shaqiri und die anderen, wenn sie sich das Spiel anschauen, ein bisschen neidisch auf uns sein.«

Er hat ein Haus gebaut, für seine Familie, auf dem Grundstück, das ihm seine Großmutter überlassen hat. Es liegt auf der anderen Seite der Brücke, in einer der wenigen ethnisch durchmischten Nachbarschaften. »Das Haus ist bezugsfertig«, sagt Enis Alushi. »Jetzt habe ich hier wieder ein Heim, und ich benutze die Brücke noch.«

Man kann sein Glück nicht immer erzwingen, man braucht Geduld, als kleines Land und als Fußballteam. Und so ist vielleicht dieses torlose Unentschieden, das sich die kosovarische Nationalmannschaft am Ende in ihrem ersten offiziellen Spiel erkämpft und, ja, auch erspielt hat, dann doch das korrekte Ergebnis. Sie haben ihren Willen gezeigt, sie haben die Leute begeistert, ein bisschen zumindest, aber die Zukunft braucht Zeit. Sie müssen sich gedulden.

Alban Muja geht in der drängenden Menge voran, seinen zusammengefalteten Regenschirm über dem Kopf schwenkend wie ein Touristen-Guide, »European Union« steht auf dem Schirm, aber das sieht man jetzt nicht mehr. »Wäre besser gewesen, wenn es nicht geregnet hätte«, sagt er, »aber was soll’s. Schnell nach Hause, dann schaffen wir noch die zweite Halbzeit von Albanien.«