Feinde fürs Leben

– Derbys bringen das Schlimmste und Schönste des Sports hervor – „Chaos, dazu sind sie da“

Berlin (dapd). Miroslav Klose ist unsterblich. Aus einem ganz einfachen Grund: Nicht als WM-Torschützenkönig oder Mann, der bald Gerd Müller abgelöst haben wird. Sondern als der Stürmer, der Lazio Rom zur Stadtherrschaft geschossen hat. Mit seinem Siegtor in der Nachspielzeit des Derbys gegen AS hat sich der Deutsche, den sie nun liebevoll „il panzer“ nennen, im Oktober auf ewig die Herzen der Laziali gesichert.

Fußball-Derbys befördern die Extreme dieses Sports an die Oberfläche. Bei Derbys werden Helden gemacht, doch die schönste Nebensache der Welt kann genauso schnell zur schlimmen Hauptsache werden. Bleiben wir zunächst in Rom: Im April 2010, Lazio verlor 1:2, gab es böse Ausschreitungen auf den Rängen – und nach dem Schlusspfiff auch wildes Geschubse auf dem Platz. Ein internationaler Live-Kommentator ordnete das Geschehen lakonisch ein: „Und natürlich endet das Derby im Chaos. Dafür sind sie da.“

Chaos und Gewalt, die ewigen Begleiterscheinungen dieser allzu oft als Ventil aller möglicher reellen oder längst verblichenen Feindschaften dienenden Spiele. „Knietief in Katholikenblut“ waten beispielsweise die Anhänger der Glasgow Rangers dem „Old Firm“, dem legendären Match gegen Celtic, entgegen. Diese Zeile jedenfalls schmettern die Fans des Protestanten-Klubs in der martialischen Hymne „The Billy Boys“ ihren besten Feinden in Grün-Weiß entgegen. Konfessioneller Hass, der selbst die UEFA auf den Plan rief.

In Griechenland nutzen Fans von Panathinaikos Athen und Rivalen wie Olympiakos Piräus oder AEK Athen selbst Frauen-Volleyballspiele, um aufeinander einzuhauen und zu -stechen. Im polnischen Krakau gab es erst Anfang des Jahres einen Toten bei Auseinandersetzungen zwischen Wisla und Cracovia.

Wann ist ein Derby ein Derby?

Nicht nur Zerstörungswut, auch Kreativität entsteht in diesen Extremsituationen. Das zeigt das Beispiel der Dortmunder Fans, die einst tatsächlich ein Flugzeug anmieteten, um damit ein Transparent mit der Aufschrift „Ein Leben lang keine Schale in der Hand“ durch den Himmel über der Schalker Arena zu ziehen.

Doch wann ist ein Derby ein Derby? Wichtigstes Kriterium ist zunächst die örtliche Nähe der beiden Klubs, auch wenn es hier gewichtige Ausnahmen gibt: Über 600 Kilometer fahren die Mannschaften von Real Madrid und FC Barcelona zu den Auswärtspartien des spanischen „Clasico“, der sich vor allem aus kulturellen und politischen Gegensätzen aus der Franco-Zeit speist.

Besonders nah sind sich dagegen die Teilnehmer des Merseyside-Derbys, der FC Liverpool und der FC Everton, deren Vereinsgelände weniger als eine englische Meile auseinanderliegen.

Neunzig Minuten Klassenkampf

Ebenso oft werden soziale Differenzen zwischen den Klubs bemüht. Beim „Superclasico“ von Buenos Aires zwischen den proletarischen Boca Juniors und dem reichen River Plate tobt in regelmäßigem Abstand also 90-minütiger Klassenkampf. Inwiefern dieses einmal kultivierte Bild überhaupt noch gültig ist, spielt keine Rolle. Derbys leben eben hauptsächlich von der Tradition, die Jahr um Jahr erneuert wird.

Auf dem und abseits des Spielfelds geht es daher auch um spektakuläre Aktionen, die allen unvergesslich bleiben. In diese Kategorie fällt sicherlich der geisteskranke Coup der Fans von Inter Mailand, die es 2001 zum Derby gegen den AC fertigbrachten, eine ganze Vespa in den Block zu schmuggeln und den Motorroller in den Unterrang purzeln zu lassen.

Während es an der Echtheit von Duellen wie AC gegen Inter nichts zu deuteln gibt, existieren jedoch auch Derbys, die eigentlich gar keine sind. Das Zweitligaspiel des FSV Frankfurt gegen die Eintracht Ende August (Endstand 0:4) erregte die Gemüter kaum. Die wahren Konkurrenten in der Region sehen die Eintracht-Fans dann doch eher in Offenbach oder Kaiserslautern. Die TSG Hoffenheim schließlich hat mangels Historie in den oberen Ligen überhaupt noch keine Derby-Erfahrung. Auch Feindschaft muss man sich eben erst erarbeiten.

Dehämm ist jetzt woanders

– Miroslav Kloses Wechsel ist seine erste persönliche Niederlage – Großes Ziel EM 2012

Diejenigen, die bei Miroslav Kloses letztem Auftritt im Trikot des FC Bayern symbolträchtigen Szenen auf der Spur waren, mussten nicht lange suchen. Blumen gab es schon mal keine. Weil zu diesem Zeitpunkt offiziell noch nicht feststand, ob Klose den Verein verlassen oder doch noch ein Jahr bei den Bayern dranhängen würde, wurde der Nationalspieler im Gegensatz zu Thomas Kraft, Andreas Ottl und Hamit Altintop vor dem Bundesligaspiel gegen den VfB Stuttgart nicht mit einem Dankes-Sträußchen verabschiedet. Und auch ein versöhnliches Ende seiner schlimmen Saison war Klose nicht vergönnt. In einem fast absurden Torversuch schaffte er es, den Ball aus kürzester Distanz über den Kasten zu heben.

Nun nimmt Klose durch die Hintertür Abschied. Irgendwie passt das zu dem Mann, der immer schon die leisen Töne bevorzugte. Passend auch deswegen, weil Verein und Fans in den vier Jahren nie richtig warm geworden sind mit Klose. Und Klose umgekehrt auch nicht mit dem FC Bayern. Nach zwei passablen ersten Jahren in München hat Klose die Erwartungen seines Arbeitgebers seit der EM 2008 im Grunde durchgehend enttäuscht. Seit Oktober 2010 stand er nur noch drei Mal in der Bayern-Startelf, in 45 Einsätzen seit der EURO traf er nur vier Mal.

Nun gehören schwache Phasen zu Kloses Karriere wie der Salto, den er sich zu Jugendzeiten für eine Wette mit einem Teamkollegen selbst beibrachte. Immer wieder zählten die Experten mit wachsender Häme die Minuten, die seit dem letzten Klose-Tor schon wieder vergangen waren. Und diesmal hat sich Klose wohl zu lange auf einen seiner größten Vorzüge verlassen: Dass er es entgegen allen Kritikern noch einmal schaffen würde. So wie bei der WM 2010, bei der Klose es fertigbrachte, mit vier Toren tatsächlich eins mehr zu erzielen als in der gesamten Bundesliga-Saison zuvor. Und wie bereits im September 2008, als Klose nach längerer Krise plötzlich drei Mal gegen Finnland traf. „Ich weiß, was ich kann“, pflegt Klose immer dann zu sagen, wenn die negativen Schlagzeilen wieder einmal über ihm hereinbrechen. „Ich weiß, was ich kann.“ Immer wieder. Und am Ende hatte er damit immer Recht behalten.

Doch bei den Bayern konnte Klose noch so fest daran glauben, was er konnte, Louis van Gaals Geduld war deutlich begrenzter als die des Bundestrainers. Was zur Folge hatte, dass Klose im WM-Jahr 2010 bei zwölf Länderspielen, aber nur zehn Bundesligaspielen in der Startelf stand. Zehn Toren im Nationalmannschaftstrikot standen nur drei Liga-Treffer für die Bayern gegenüber. Der Abschied vom FC Bayern ist, wenn man so will, die erste wirkliche Niederlage für den unverwüstlichen Klose.

Klose hat stets betont, dass sein letztes großes Ziel der Titel bei der EM 2012 ist, die in seinem Geburtsland Polen stattfindet. Dass sein großer Rivale Mario Gomez zumindest in der Nationalmannschaft keine Konkurrenz für ihn war, darauf hatte sich Klose lange Zeit verlassen können. Doch Gomez hat nicht nur 28 Bundesliga-Tore erzielt, er hat auch seit der WM in acht Länderspielen sieben Mal getroffen – und sein ganz persönliches Nationalmannschafts-Trauma beim Spiel in Wien am vergangenen Freitag auch symbolisch weggeküsst.

Klose muss aber in der Saison 2011/12 bei einem Verein mit möglichst gutem Namen spielen und regelmäßig treffen, um seinen großen Traum von der EURO 2012 in seinem Geburtsland nicht nur von der DFB-Ersatzbank zu erleben. Seit zwei Jahren wird Klose in jeder Transferperiode ein Vereinswechsel nahegelegt. Doch erst jetzt sind der 109-fache Nationalspieler und sein Berater zu der Erkenntnis gelangt, dass Klose in München nicht mehr glücklich wird.

Nun also Italien, der Traum der Deutschen. Den Fürther Ludwig Janda zog es 1949 als ersten deutschen Fußballer über die Alpen. Der Stürmer wechselte für 50.000 Mark zum AC Florenz. Schnellinger, Haller, Briegel, Matthäus, Brehme, Klinsmann, Völler – die Liste der Deutschen in der Serie A ist lang. Der erfolgreichste unter ihnen, DFB-Manager Oliver Bierhoff, der zwischen 1991 und 2003 in 220 Spielen in den ersten beiden Ligen Italiens in 320 Spielen 150 Tore schoss, hatte in dieser Woche noch einmal deutlich gemacht, dass der DFB bei der EM nur auf Spieler setze, die in ihren Vereinen regelmäßig spielen. Ein unmissverständliches Zeichen an Klose, dem die Bayern nur noch einen sehr leistungsbezogenen Vertrag angeboten hatten.

Und so geht der „Pfälzer Bub“ auf seine alten Profi-Tage doch noch mal ins Ausland. Wer ihn im „Sommermärchen“ beim Friseurbesuch verschüchtert Englisch hat sprechen hören, mag kaum glauben, dass sich der Mann aus dem 5000-Seelen-Städtchen Kusel in so fremder Umgebung wohlfühlen wird. Doch für sein großes Ziel, Polska 2012, wird Klose nun sogar seinem großen Idol Fritz Walter untreu. „Dehämm“ ist für Klose jetzt in Rom.

Allen Zweiflern zum Trotz

– Miroslav Klose spielt zum 100. Mal für Deutschland

(Tsp) – „Hallo, ich bin Miro.“ Wie er einem so gegenüber steht, dieser schmächtige Mensch mit den großen Augen, ist er der verlegene Nachbar von nebenan. Kurz darauf, am mächtigen Konferenztisch, droht er in seiner Daunenweste zu versinken, wirkt noch kleiner als bei der Hymne direkt neben Per Mertesacker. Miroslav Klose sitzt in einem schmucken Raum an der Säbener Straße und erzählt. Es ist Mitte März, München kalt und regnerisch. Und Fußballdeutschland setzt keinen Pfifferling auf den Torschützenkönig der letzten WM. Für den FC Bayern hat er kaum gespielt und noch seltener getroffen. Wie soll uns so einer in Südafrika weiterhelfen?

„Ich wusste immer, was ich kann“, sagt Klose in leisem, aber bestimmten Ton.

„Und auch“, wie er hinzufügt, „dass ich mich überall durchsetzen kann.“ Blaubach, Homburg, Kaiserslautern, Bremen, München – die Karrierestationen des Spätberufenen, der nie in einer Jugendnationalmannschaft gespielt hat. Einmal kommt sein Trainer am ersten Abend eines Lehrgangs ins Zimmer und bittet Klose darum, die Sachen zu packen: „Am besten, du suchst dir einen gescheiten Beruf“, lautet seine Empfehlung. Klose schaffte es doch ins Profigeschäft, die Zweifler aber blieben: Klose, der Mann, der Ailton nicht ersetzen kann, der nie gegen einen Großen trifft, der ewige Zauderer und Zögerer vor dem Tor. Klose ist im Grunde ein ewig Verkannter, und er weiß das auch.

Die Geschichte mit dem Salto erzählt auch etwas über Zweifel und Ehrgeiz. Wie kam Klose also zu seinem speziellen Torjubel? „Durch eine Wette“, sagt er. Als er noch ein unbekannter Amateurkicker bei der SG Blaubach-Diedelkopf war, Bezirksliga Westpfalz, habe ein Mannschaftskamerad seine Tore stets so bejubelt. „Wenn ich mein erstes Bundesligator mache“, sagt Klose eines Tages zu ihm, „mache ich auch einen Salto“. Die Reaktion? „Alle haben sich kaputt gelacht – natürlich.“ Weil sie ihm weder das Kunststück noch das Zeug zum Bundesligaspieler zugetraut hätten. „Ich habe noch ein paar Jahre Zeit, bis dahin habe ich mir den schon beigebracht“, gibt Klose nur zurück. Und fängt an, den Salto zu trainieren. Mittlerweile hat er ihn in allen großen Stadien Europas gezeigt.

Steiler und rasanter hätte der Aufstieg von der siebten Liga in die Nationalelf kaum verlaufen können. Klose schaffte ihn zwischen 1998 und 2001. Nach dem Training mit den FCK-Amateuren schaute er immer bei den Profis zu. „Ich ging mit dem Gefühl nach Hause: So ein großer Sprung ist das gar nicht mehr“, sagt Klose rückblickend.

Im März 2001, knapp ein Jahr nach dem Bundesliga-Debüt, bestreitet er sein erstes von bisher 99 Länderspielen. Mit leuchtenden Augen erzählt Klose von seiner DFB-Premiere: mühselige WM-Qualifikation gegen Albanien in Leverkusen. Eine Viertelstunde vor Schluss eingewechselt, trifft der damals 22-Jährige zwei Minuten vor Schluss zum 2:1-Sieg. „Carsten Jancker schüttelte mich so durch, dass mir erst mal schwarz vor Augen wurde“, lacht Klose.

Carsten Jancker – ein Name wie aus einer anderen Zeit. Bei der WM 2002 sank Janckers Stern. Der von Klose ging mit fünf Toren auf.