Stell dir vor, es ist Derby…

– Hertha gegen Union, die Rivalität lebt in der vierten Liga fort – im ganz Kleinen. Ein Ortsbesuch

Es sind wirklich viele Polizisten da. Sehr viele Polizisten. Wannen, die am Falkplatz stehen. Wannen, die vor der Haupttribüne stehen. Wannen, die quer im Weg stehen. Ja, sogar: Ein Wasserwerfer. An allen Einlasstoren: Schwarze Uniformen über Schutzpolstern. Derbykleidung.

Hertha gegen Union. Charlottenburg gegen Köpenick am Mauerpark. Hat doch was, oder? Auch wenn es, hier in der vierten Liga, nur das kleine Derby ist, das der U23-Teams, „der Zweeten“, wie die Leute auf der Tribüne sagen.

Ein sind wirklich ein paar Fans gekommen. Vielleicht nicht so viele wie Polizisten, aber immerhin. Die Minuten vor dem Anpfiff. Zeit des Pop. Lana del Rey spielt Videospiele, Lykke Li folgt Flüssen. Hier folgt man den Blauen oder den Roten. Unten knippern zwei Hertha-Fans ein Banner an den Zaun. „Supporters U23“ steht drauf. Nach wenigen Sekunden nehmen die beiden es wieder ab. Dann hängen sie es falsch herum wieder auf. Die Schrift steht nun auf dem Kopf. Vielleicht ein Statement. Man wüsste gerne, wofür.

Der Stadionsprecher verliest die Aufstellungen. Applaus bei Herthas Nummer 30: „Andreas, Zecke, Neuendorf!“ Der Altmeister sitzt auf der Bank. Kann aber jederzeit kommen. Eine 37 Jahre alte Kampfansage.

Es plätschert dann so ein bisschen dahin. Irgendwann: Freistoß Hertha. „Ronnyyyyyy!“, brüllt einer los. „Ronnyyyyyy!“, antworten ein paar andere. Gelächter. Wer weiß, wo der Brasilianer gerade ist, hier ist er natürlich nicht. Union macht kurz darauf das 1:0. Wichtiger Treffer im Abstiegskampf. „Cottbus hat schon gegen Halberstadt verloren“, sagt einer auf der Tribüne.

Foul, ein Roter am Boden. „Scheiß Unioner!“, ruft ein Glatzkopf. „Hau ihm auf die Fresse!“ Kann man sehr gut hören im ziemlich leeren Jahnsportpark. „Genau! Immer ruff!“, antwortet ein Unioner. Gelächter. Gut zu wissen: Keiner nimmt hier irgendwen ernst.

Und dann ist Ronny plötzlich doch da. Unten am Zaun. Das Trikot mit der Nummer 12 spannt. Ronnys Körper ist eher birnenförmig. Ronny hat einen Rucksack dabei, daraus holt er Schal um Schal und knotet sie sich an die Unterarme. Irgendwann hat er an jedem mindestens fünf. Halbzeitpfiff. Ronny klatscht.

Pausen-Unterhaltung auf dem Klo: „Ey, nicht vordrängeln!“ – „Jaja, okay.“ – „Ehrlich, das ist U23. Hier fällste uff.“

Union ist auch danach besser, Herthas Abwehr ist weiter desolat, bald steht es 2:0. Ein alter Mann mit Arcor-Kappe ruft: „Wir steigen auf und ihr bleibt hier!“ Stille. Dann ruft er: „Wir fahren nach Bayern und ihr nach Ingolstadt!“ Ronny wedelt mit einem Deutsche-Bahn-Fähnchen. Er ist nur von hinten zu sehen. Aber er sieht traurig aus. Wie einer eben, der an einem Donnerstagabend in einem leeren Stadion sitzt und mit einem Deutsche-Bahn-Fähnchen wedelt.

Andreas Neuendorf zieht sich die Trainingsjacke aus. Es ist jetzt Zecke-Zeit. Er steht schon auf der Tartanbahn, da fällt das 3:0. Zecke streicht sich über den Scheitel. Er weiß, er ist keine Kampfansage mehr, er ist jetzt nur noch eine Durchhalteparole.

Sagt ein Vater zu seinem Sohn: „Wären wir mal lieber nach nebenan gegangen.“ Nebenan, in der Schmeling-Halle, spielen gerade die Berlin Recycling Volleys. Da ist immer was los. Klatschpappen und alles. Hier singen jetzt 50 Mann: „Eisern Berlin!“ Eine vorbei laufende Polizistin beschwert sich über den Kaffeepreis. Rechts starten die Maschinen vom Flughafen Tegel in den Abendhimmel. Links steht ein Baukran. Vielleicht, denkt man sich, kriegt jede Stadt dann doch die Derbys, die sie verdient.

Vater und Sohn packen ihre blau-weißen Schals in die Tasche und gehen nach Hause. Das Spiel ist aus. Die Fans wollen noch abklatschen. Man kann sie zählen. Es sind genau sieben. Die Spieler huschen schnell vorbei. Nur Zecke bleibt länger stehen. Er unterhält sich mit den Jungs vom verkehrten Banner. Ein paar Meter weiter steht Ronny. Er hat seine Hand durch den Zaun gestreckt und wartet geduldig.

Das Ballett der Bäuche

– Ein Besuch beim Altherren-Fußballturnier in der Schmeling-Halle

Es ist immer das Gleiche mit den Fußballern. Sie wollen einfach nicht altern. Klar ist das eine oder andere Bäuchlein zu entdecken, bei Guido Buchwald etwa oder Peter Wynhoff, aber die Bewegungsabläufe sind die selben. Vielleicht will man aber in den Ex-Profis, die unter dem Namen eines Stromanbieters und dem Motto „Fußball-Legenden live erleben“ am Samstag in der Max-Schmeling-Halle aufdribbelten, auch nur die Panini-Helden von einst wiedererkennen.

Und so mag Jörg „Ali“ Albertz zwar ein paar Falten mehr im Gesicht haben, er ist aber immer noch das gleiche rothaarige Kraftpaket, das in den Stadien zwischen Glasgow und Gladbach den Freistoßhammer auspackte.

Damit das Deja-vu perfekt wird, ist auch die Musik altbekannt und altbewährt. Vom Band singen Opus „Live is life“ und Altkanzler Gerhard Schröder fordert unaufhörlich eine Flasche Bier. Auch hier also: Das gleiche Lied.

Hertha und Union sind natürlich am Start, zugereist sind außerdem der spätere Turniersieger Bayer Leverkusen, Borussia Mönchengladbach, der VfB Stuttgart und Real Madrid. Eine hochkarätige Mannschaft aus dem Ausland dabei zu haben, die auch einen gepflegten Ball spielen könne, sei wichtig, sagt Bernd Schultz, der als Präsident des Berliner Fußball-Verbands offizieller Veranstalter ist. Bis 1997, als die goldene Zeit des Hallenfußballs mit der letzten Austragung des DFB-Hallenmasters endete, fand Jahr für Jahr auch das Turnier in der Deutschlandhalle statt. Dann wurde die Winterpause kürzer, und die Klubs hatten keine Zeit mehr für Qualifikationsturniere, in denen sie zwischen Oldenburg und Karlsruhe, Schwerin und Krefeld den wertvollen Punkten hinterherhetzten.

Nun, 16 Jahre später, stehen die gleichen Fußballer im Rampenlicht. Immer noch, immer wieder. In der zum dritten Mal nacheinander ausverkauften Halle. Und die Delegation des spanischen Rekordmeisters nimmt die Sache wirklich ernst, sie begeht vorab den Kunstrasen mit einer Akribie, als stünde die alles entscheidende Meisterschafts-Partie an. „Die Mischung aus Show und Sport findet Geschmack“, sagt Schultz. Und Dariusz Wosz, Prototyp der Zaubermaus, pflichtet bei. „Klar ist auch Ehrgeiz dabei“, sagt der heutige Bochumer A-Jugend-Coach, „aber nicht mit aller Macht. Ich hab’ ja keinen Bock, mich zu verletzen!“ Mit Wosz im Team: Ante Covic, Pal Dardai, die Schmidt-Brüder und der ewig bissige Andreas Neuendorf. „Zecke! Zecke!“, schreit der Hertha-Block.

Das Derby zwischen Hertha und Union gibt es gleich zweimal

Union-Keeper Oskar Kosche hat derweil andere Probleme: „Ich bin froh, wenn ich am Leben bleibe“, sagt er. Und lacht. „Die Devise heißt: Kontrollierter Einsatz. Aber blamieren will sich auch keiner.“ Genau das aber passiert ihm dann – ausgerechnet im Derby. Beim bitteren 4:8 in der Vorrunde muss Kosche in der ersten Hälfte gleich fünfmal den Ball aus dem Netz fischen. Wosz spielt ganz groß auf, schießt vier wunderschöne Tore. „Oh, wie ist das schön!“, singt der Hertha-Block und tanzt zur Atzenmusik. Allerdings revanchieren sich die Köpenicker später beim 3:2-Sieg im Spiel um Platz drei.

Nach schleppendem Beginn geht es endlich etwas höher her auf dem Kunstrasen, immer wieder knallt der Ball ins Netz oder ans Aluminium. „Mann, was für Scharfschützen“, urteilt Leverkusens Mike Rietpietsch, gespielt genervt, und Stefan Beinlich nickt. Bei Real Madrid gehört der prominenteste Name Michel Salgado. Die Haare sind noch so lang und blond wie eh und je, die Begrüßung von Gladbachs Oliver Neuville herzlich. Man kennt sich, aus dem Champions-League-Finale 2002.

„Legenden, das ist immer ein großes Wort, aber der Bedarf an hochqualifiziertem Hallenfußball ist auf jeden Fall vorhanden“, sagt BFV-Präsident Schultz. „Die Hallenatmosphäre, der Kontakt zu den Spielern“ seien beliebt bei den Leuten. Die Fans kommen ihren Lieblingen so nahe wie selten. Bernd Schneider, noch so eine Zaubermaus, schreibt lässig Autogramme, während ihm der Schweiß übers Gesicht rinnt und der obligate Brilli im Licht der Scheinwerfer funkelt wie wild.

Schon eine gute Stunde vor Beginn sind sie die Gleimstraße heruntergeströmt, Herthaner und Unioner. Letztere haben lange gute Laune. „Alte Försterei“-Rufe. Man fühlt sich wie zuhause. Es ist in erster Linie eine Berliner Veranstaltung, selbst Leverkusen hat ja in Stefan „Paule“ Beinlich und Carsten Ramelow zwei ehemalige Berliner mitgebracht. Beim erstmaligen Teilnehmer VfB Stuttgart ist neben Weltmeister „Diego“ Buchwald in Krassimir Balakow immerhin ein beziehungsweise zwei Schenkel des legendären magischen Dreiecks von einst gekommen. Fredi Bobic hat kurzfristig abgesagt, und Giovane Elber, nun, der ist mittlerweile Rinderzüchter in seiner Heimat Brasilien. (Tagesspiegel Sport)

Irgendwann, da war es Liebe

– Hertha vor der Relegation: Ein Treffen mit Ex-Stürmer Karl-Heinz Granitza an der Wiege des Vereins

Berlin (dapd). Wer versuchen will, den Fußballverein Hertha BSC zu verstehen, der muss dahin gehen, wo er herkommt. Dahin, wo es wehtut. Berlin, Ortsteil Wedding. Gesundbrunnen, Ecke Behmstraße. Hier, wo die Spielkasinos blinken und die Kampfhunde knurren, wo ein gigantisches Einkaufszentrum jede Aussicht nimmt, da ist dieser Klub ursprünglich zu Hause. Wedding, Paradies der Proletarier. Zweihundert Meter von hier stand bis zum Abriss 1974 Herthas Stadion, die „Plumpe“. Hertha spielt nun im Olympiastadion im feinen Charlottenburg.

Von damals übriggeblieben ist die ehemalige Vereinsgaststätte, der „Bierbrunnen an der Plumpe“. Eine dieser Kneipen, vor denen einem schon der abgestandene Kippengeruch entgegenkommt, bei dem man sich immer fragt, ob es eher muffiger Rauch oder rauchiger Muff ist. Es ist eine dieser Kneipen, in denen mittags um zwei schon mächtig was los ist. Ein Mann mit rotem Gesicht und eine aschfahle Frau spielen Billard, die runde Theke ist schon recht ordentlich besetzt. Man trinkt hier sein Bier aus Tulpengläsern.

Karl-Heinz Granitza sitzt an einem Tisch in der Ecke. Über ihm: Herthas letzte Meistermannschaft von 1931. Neben dem Team ein Betreuer mit riesiger Schiebermütze, Lederkoffer in der Hand. Granitza trinkt wie alle aus der Tulpe. „Fassbrause“, sagt er gleich als Erstes. Fassbrause! Ein Ur-Berliner Getränk. Granitza, der in den goldenen Siebzigern für Hertha 34 Bundesliga-Tore geschossen hat, könnte man für einen dieser Ur-Berliner halten. Er ist zwar im Ruhrgebiet aufgewachsen, aber Hertha ist seine Heimat. Und der 60-Jährige besitzt die wichtigste Eigenschaft des Berliners: Er kann ganz vorzüglich motzen.

„Was waren wir früher für eine unglaubliche Heimmannschaft“, sagt er. „Und heute?“ Granitza gibt sich die Antwort selbst. „Heute ist es den Spielern doch größtenteils scheißegal, ob sie zu Hause oder auswärts spielen. Die werden erst nach der Karriere merken, wie stolz sie hätten sein sollen, in diesem Stadion zu spielen.“

Das macht ihn jetzt echt wütend. Am Donnerstag kommt Fortuna Düsseldorf zum Relegations-Hinspiel, und daheim hat Hertha erst vier Spiele gewonnen diese Saison. „Vier Spiele!“, ruft Granitza. Die Leute am Tresen würden schon gucken, wenn nicht Andrea Berg so laut aus der Jukebox schlagern würde. Granitza schiebt seine Brille die Nasenwurzel hoch, er ringt um Worte und schaut aus dem Fenster.

„Irgendwann, da war es Liebe“, schallt es durch den Raum, „vielleicht sogar ein bisschen mehr“. Das Billard-Pärchen schunkelt ein bisschen. „Meine heimliche Liebe war immer Hertha BSC“, sagt Granitza leise. „Wenn die mich nicht damals hätten verkaufen müssen, ich wäre nie weggegangen.“ 1979 wechselt der Stürmer in die USA, für 1,2 Millionen Dollar, wie er sagt. Bei Chicago Sting wird er zum Soccer-Helden, den Hall-of-Fame-Ring trägt er stolz an der rechten Hand. Erst 1990 kehrt er zurück nach Berlin, zu seiner Liebe Hertha. Aber ein Leben mit dieser Liebe war noch nie ein einfaches.

Granitza sagt: „Michael Preetz hat so viele Fehler gemacht, dass es beängstigend ist, dass wir noch die Relegation erreicht haben.“ Er schüttelt den Kopf. „31 Punkte! Was ein Glück, dass der Kölsche Klüngel noch schlimmer war als wir.“ Jetzt ist er bei seinem Thema: Herthas Führungsschwäche. Präsident Werner Gegenbauer und Manager Michael Preetz. „Alleinherrscher“ nennt er die beiden, Gegenbauer auch noch einen „Diktator“: „Es kann doch nicht so weitergehen, die beiden Sonnenkönige können doch nicht ewig so weiter wurschteln. Die müssen so ein Feuer kriegen auf der Jahreshauptversammlung.“

Der 29. Mai soll der Tag seines alten Teamkameraden Michael Sziedat werden. Der war lange Herthas Rekordspieler in der ersten Liga, bis ihn vor zwei Jahren der Ungar Pal Dardai überholte. Sziedat kandidiert am 29. für den Hertha-Vorstand. „Es wäre eine Farce“, sagt Granitza, „wenn die Fans diesen Ur-Berliner nicht mit 99,9 oder 100 Prozent in den Vorstand wählen würden.“

Granitza hofft dann auch auf einen Job im Hertha-Umfeld. Welchen genau, sagt er nicht. Das Problem ist nur: Fußballfans haben ein wahnsinnig kurzes Gedächtnis. Rettet sich Hertha also noch, wird es Ende Mai wohl nicht mal ein Strohfeuer geben.

„Glaub mir, ich sterbe nicht noch mal“, schallt es durch die Kneipe. „Du, ich brauch dich nicht.“ Andrea Berg klingt jetzt wie ein drohender Hertha-Fan. Der zweite Abstieg in zwei Jahren… und dann?

Nein, sagt Granitza, und schüttelt energisch den Kopf. „Ich glaube wieder dran.“ Der 3:1-Sieg gegen Hoffenheim am letzten Spieltag, „das war das schönste Erlebnis der ganzen Saison“, sagt er. „Es wird ein fantastisches Gefühl sein, am Donnerstag ins Stadion zu gehen.“

Eigentlich aber hat Karl-Heinz Granitza die Hoffnung nie aufgegeben. In seinem kleinen Blog, in dem er regelmäßig über Hertha schreibt, hat er in den Vorschauen noch nie auf Niederlage getippt. Hinterher schrieb er dann Sätze wie „Hertha quält seine Fans“. Und nun, nach einem Jahr Quälerei, hat der Fußballgott als Zugabe verfügt: Zweimal 90 Minuten, vielleicht mehr. Gespielt wird, bis einer weint.

„Ich glaube, die Spieler haben den Schuss gehört“, sagt Granitza. Die Musik ist verstummt, seine Worte hallen im Schankraum wider, es ist jetzt mucksmäuschenstill im Bierbrunnen. Die Leute gucken. Granitza schaut sich um, dann verabschiedet er sich. Als er weg ist, sagt einer am Tresen: „Naja, der Granitza. Vor Weihnachten hat von denen keiner wat jesagt. Und jetzt kommse aus allen Ecken.“

Zwei für eine Woche

– Die Hertha-Interimstrainer Rene Tretschok und Ante Covic sollen den Stimmungsumschwung schaffen

Berlin (dapd). Vor dem Dienstagmorgentraining begrüßte die Profis des Bundesligisten Hertha BSC ein neuer Vorgesetzter. Mal wieder. Rene Tretschok leitete nach Michael Skibbes Demission erstmals die Übungseinheit – zusammen mit seinem Assistenten Ante Covic. Die beiden Interimstrainer sollen die Zeit überbrücken, bis Michael Preetz einen neuen Chefcoach gefunden hat. Und, wenn möglich, bitteschön auch noch einen Stimmungsumschwung schaffen in der Mannschaft, die sich am Wochenende beim 0:5 in Stuttgart, der fünften Niederlage im fünften Spiel 2012, bereits aufzulösen schien. Am Samstag kommt Borussia Dortmund nach Berlin.

Es gibt zweifellos dankbarere Aufgaben, aber Tretschok und Covic, beide ehemalige Hertha-Spieler und seit vielen Jahren im Klub, wollen das Beste daraus machen. Die Rollenverteilung ergibt sich dabei schon aus dem gegensätzlichen Naturell von Interimschef Tretschok, 43 Jahre alt, der 85 Mal für Hertha in der Bundesliga spielte, und des 36 Jahre alten Covic, 62 Erstligaspiele als Aktiver. Schon beim „sieben gegen drei“ zum Warmwerden ist das zu sehen. Die Sonne ist gerade herausgekommen, etwas Milde liegt in der Luft, die Hertha-Profis genießen den Augenblick ein bisschen zu sehr. „Bewegen! Raus aus dem Schatten!“, ruft Covic den Spielern zu, die gleich ein bisschen eifriger zur Sache gehen im Hütchenquadrat.

Tretschok dagegen sieht dem Treiben vorzugsweise reglos zu, einen Fuß auf den Ball gestützt. Ein Denkmal in Daunenjacke. Covic ist hinterher heiser, er bringt es noch einmal mit schelmischem Lächeln für die Journalisten auf den Punkt: „Ich bin von Hause aus ein lockerer Typ. Rene ist die Respektsperson.“

Vielleicht ist genau das ja die heilsame Mischung für die unter dem farblosen Skibbe zuletzt lust- und disziplinlosen Spieler.

Laut wie beim Käfigkick

Als die Hütchen abgeräumt sind und das Ein-Wochen-Duo zehn gegen zehn spielen lässt, ist es dann tatsächlich so laut wie sonst nur beim Käfigkick in den Berliner Randbezirken. Alles brüllt, feuert an, will den Ball. Nur die Südamerikaner Ramos, Raffael und Ronny traben stumm übers Feld, die Sprache eben, tun aber sonst ebenfalls eifrig mit – Ronny drischt den Ball einmal fast wütend in den Winkel.

Mit den Dreien habe er gleich die ersten Einzelgespräche anberaumt, sagt Tretschok, inklusive Übersetzer. Bis Samstag will er möglichst mit allen Spielern reden. Viel Zeit ist nicht, Tretschok weiß das, fünf Einheiten stehen ihm an vier Tagen zur Verfügung, um irgendwie irgendwas zu verändern in den Köpfen der Profis. „Wir verlangen von den Jungs nichts, was sie nicht können. Wir wollen nur wachrufen, was sie können“, sagt Tretschok und das klingt leichter, als es in Wirklichkeit wohl ist. „In der Hinrunde haben wir ja das Potenzial im spielerischen Bereich gesehen.“

Vielleicht erzählen Tretschok und Covic ihren Jungs ja auch ein bisschen von früher, zum Beispiel wie der junge Covic sein erstes Bundesligator erzielt hat, damals gegen den BVB im Olympiastadion. Tretschok seinerseits hat mit Dortmund zwei Meisterschaften und die Champions League gewonnen. Alles Schnee von gestern: „Ich bin Herthaner, alles andere interessiert mich nicht.“

Im Gegenteil: „Wir sind dabei, Borussia Dortmund auseinanderzunehmen“, sagt Tretschok. Damit meint er allerdings dann doch lediglich die akribischen Analysen des Gegners. So viel Realismus muss sein.

Schnee, der auf Zaudern fällt

– Erste Halbzeit schlecht, zweite Halbzeit gut – am Ende zieht der HSV vorbei

Berlin (dapd). Nur wenige Minuten nach dem Abpfiff der Bundesliga-Partie zwischen Hertha BSC und dem Hamburger SV schien es, als wollte der dafür Zuständige einen schützenden, weißen Mantel über das zuvor Gesehene legen. Es fing kräftig an zu schneien. Mit reichlich Verspätung fiel er, Flocke um Flocke, dieser erste Schnee des Winters, Ende Januar. Ähnlich lange wie der Winter auf seinen Schnee warten die Berliner Fans nun schon auf ein Erfolgserlebnis ihrer Mannschaft. Die hatte am Samstag versucht, das neunte Heimspiel der laufenden Bundesliga-Saison zu gewinnen. Zum siebten Mal klappte das aber nicht, die Anzeigetafel wies einen 2:1-Auswärtserfolg des HSV aus.

Warum dem so war, darüber waren sich die Beteiligten einig. „Ganz desolat“, hatte Trainer Michael Skibbe sein Team gesehen – in der ersten Halbzeit. Was seine Mannschaft sich da zusammengespielt habe, sagte Skibbe weiter, sei „weit unter Bundesliga-Schnitt“ gewesen. Will heißen: Bestenfalls zweitklassig. Darüber sei zu reden, grollte der bislang glücklose Nachfolger des kurz vor der Winterpause offiziell nicht aus sportlichen Gründen entlassenen Markus Babbel.

Das Reden erledigte Skibbe vor dem Auslaufen am Sonntag. „Ich habe der Mannschaft etwas ins Büchlein geschrieben bezüglich der ersten Halbzeit“, sagte der Coach nur, deutete die Gesprächsinhalte dann aber immerhin an: Dazu zählte er die „große Lethargie“ und den „fehlenden Mut, Fußball spielen zu wollen“.

Seine Spieler widersprachen nicht. „Desolat“ nannte Andreas Ottl die ersten 45 Minuten, sein Kollege Fabian Lustenberger hatte mit „nicht gut“ noch die mildeste Formulierung parat. 0:2 hatten die Berliner zur Pause zurückgelegen, nach einem ersten Durchgang, bei dem sie ihre Zurückhaltung im Zweikampf nur durch die eigene Ideenlosigkeit im Spiel nach vorne übertrafen. „Wir haben keine Zweikämpfe gewinnen können, weil wir zu passiv gespielt und unsaubere Pässe gespielt haben“, befand Skibbe.

Hertha in den ersten 45 Minuten, das war ein Team, das den Ernst der Lage offenkundig völlig verkannte. Und sich einen absolut verdienten Zweitore-Rückstand einhandelte gegen einen Gegner, der nach der 1:5-Klatsche gegen Dortmund vor Wochenfrist sehr wohl auch seine zögerlichen Momente hatte. Hinterher freuten sich die Hamburger, dass es ihnen so einfach gemacht worden war: „Wir wollten offensiv auftreten, das haben wir auch getan. Unser Plan ist voll aufgegangen“, sagte Heiko Westermann. „Der Unterschied zu Dortmund war: Wir haben Fußball gespielt“, sagte Marcell Jansen, der das 1:0 erzielte. „Wenn ich viele Bälle bekomme, kann ich meine Stärken auch ausspielen.“ Viele Bälle bekam er, wie auch der sehr agile Rückkehrer Mladen Petric, dem kurz vor dem Halbzeitpfiff das zweite HSV-Tor gelang. „Wir wollen euch kämpfen sehen!“, hatten die Berliner Fans schon nach einer halben Stunde in die Eiseskälte gebrüllt.

Umso schlechter verdaulich wurde das alles für sie, weil sie dann doch noch die andere, bessere Seite der Hertha vorgeführt bekamen. Doch obwohl die Berliner in der zweiten Hälfte mit zunehmender Vehemenz das Tor ihrer Gäste bestürmten, gelang ihnen nicht mehr als Lasoggas Anschlusstreffer.

Zwischenzeitlich hatte man fast das Gefühl, die Hertha-Profis hätten vor dem Spiel beim Sportwettenanbieter ihres Vertrauens eine entsprechende Handicap-Wette abgeschlossen. Wenn dem so war, schauten sie ihrem Geld allesamt hinterher. Am Ende stand nur die nächste Heimniederlage und der ernüchternde Fakt, dass die Berliner nun auch offiziell die schlechteste Heimmannschaft der Bundesliga sind. Der FC Augsburg schob sich mit dem Punktgewinn gegen den 1. FC Kaiserslautern in dieser Wertung vorbei. Und auch in der Gesamtwertung wird der Boden nach unten immer dünner. Zwei Punkte sind es noch bis zum 16. Platz.

Zudem bricht Skibbe das verteidigende Personal weg: Innenverteidiger Christoph Janker fällt mit Jochbeinbruch sechs Wochen aus, Andre Mijatovic, für Janker erst ins Spiel gekommen, und Rechtsverteidiger Christian Lell fehlen beide in einer Woche gegen Hannover jeweils nach fünfter Gelber Karte. Zumindest bei Roman Hubnik, der mit dickem Knieverband in die Kabine gehumpelt war, gab es Entwarnung: Nur eine Prellung, am Dienstag soll er wieder trainieren.

Skibbe weiß, dass seine Improvisationskunst gefragt ist: „Für die kommende Woche wird es schwierig, einen Defensivverband aufzustellen, der in der Bundesliga das Tor auch mal dichthalten kann.“ Das jedoch dürfte die Grundvoraussetzung dafür sein, dass nach trainerübergreifenden acht Spielen ohne Sieg mal wieder drei Punkte in der Hauptstadt bleiben. Bis zum Frühling sollten sie damit nicht warten.

Ein Fan wird zum Staatsfeind

– 50 Jahre Mauerbau: Ein Hertha-Fan aus Ost-Berlin reiste seinem Team im Ostblock hinterher

Berlin (dapd). Zum Glück herrscht Westwind an diesem späten Augusttag im Jahr 1961. Haushoch überragen die steilen Tribünen der „Plumpe“ die S-Bahn-Gleise. Der Wind trägt die Geräusche des Fußballs herüber vom alten Hertha-Stadion am Gesundbrunnen in Wedding zur nahen Norwegerstraße im Berliner Stadtteil Prenzlauer Berg. Dort steht Helmut Klopfleisch, 13 Jahre alt, und lauscht. Er hört das Raunen und Klatschen der Menschen, die sich auf dem Zauberberg türmen und auf dem Uhrenberg, jenen berühmten Steilrängen unter den riesigen Reklametafeln, die stets voll sind, wenn Hertha BSC spielt.

Beim letzten Mal war Helmut Klopfleisch da noch mitten drin. Nun aber steht er jenseits der Gleise und starrt traurig über den frisch abgerollten Stacheldraht. Hertha spielt jetzt in einer unerreichbaren Welt.

„Motor, Aktivist – schon die Namen waren albern“

Das DDR-Regime mauert den Westteil der Stadt ein, und einem 13-jährigen Hertha-Fan aus Pankow bleibt nur noch der Radiobericht des Westberliner Senders RIAS 1. Helmut Klopfleisch presst sich den kleinen Mikki-Empfänger dichter ans Ohr und lauscht seinem Lieblingsreporter Udo Hartwig.

Der Blick des Hertha-Fans aus dem Osten bleibt westwärts gerichtet. Klopfleisch will sich seine Liebe nicht verbieten lassen. Über die DDR-Betriebssportgruppen kann er nur lachen. „Motor, Aktivist – alleine die Namen waren ja albern“, sagt er heute. Mit dem System DDR wird er nicht warm. „Ich merkte schon in der Schule, wie wir angelogen wurden, was uns da für ein Quatsch erzählt wurde“, sagt Klopfleisch.

Doch die allabendlichen Sportnachrichten im Westradio reichen ihm bald nicht mehr. Er will dabei sein. Helmut Klopfleisch beginnt, zu Spielen von Hertha BSC im Ostblock zu reisen, zu Europacupspielen und auch zu belanglosen Freundschafts-Kicks. Aus einem blauen FDJ-Hemd und einem weißen Bettlaken näht ihm seine Mutter eine Fahne. Rings um die Spiele kommt er mit Fans, Spielern und Trainern ins Gespräch.

Wodka aus Zahnputzbechern

Auch das westdeutsche Nationalteam hat es ihm angetan. 1971 fährt er zum EM-Qualifikationsspiel nach Warschau und überreicht dem aus Dresden stammenden Bundestrainer Helmut Schön einen Berliner Bären, als Glücksbringer und Zeichen für die Einheit der Stadt. Zusammen mit Schön, dessen Assistenten Jupp Derwall und Masseur Erich Deuser stößt er im Hotelzimmer mit polnischem Wodka aus Zahnputzbechern auf die deutsch-deutsche Freundschaft an.

Bald ist Klopfleisch im BRD-Fußball bekannt wie ein bunter Hund – und er hat beste Beziehungen. Eines Tages steht Bayern-Präsident Fritz Scherer in der Wohnung der Klopfleischs in Berlin-Weißensee – unter dem Rolli ein signiertes Originaltrikot von Karl-Heinz Rummenigge, dem Idol von Klopfleischs Sohn. „Er hat sich gleich im Flur entblättert“, erinnert sich der Vater lachend. Klopfleischs rege Westkontakte bleiben auch der Stasi nicht verborgen. Bei der Ausreise wird sein Wagen bis auf die Karosserie zerlegt, seine Fahne schmuggelt er mit verölten Ersatzteilen über die Staatsgrenze.

In den 80er-Jahren wird die Lage ernst. Der Fußballfan wird zum Staatsfeind. Er verliert seinen Job als Elektriker. Vor Spielen von Westmannschaften im Ostblock wird er vorsorglich verhaftet und verhört, er erhält einen sogenannten „PM-12“-Ausweis, „wie Sexualstraftäter und andere Schwerverbrecher“, sagt er. Helmut Klopfleisch ist offiziell geächtet, weil er Fußballfan ist.

„Ich wollte einfach meine Freiheit“

Als auch seine Familie von den Behörden offensichtlich benachteiligt wird, stellt er 1986 einen Ausreiseantrag. „Solange es nur um mich ging, konnte ich es aushalten“, sagt er. Seinen 15-jährigen Sohn hat bereits die Stasi umgarnt und versucht, zum Bespitzeln des eigenen Vaters anzustiften. „Es ging mir nicht um Apfelsinen oder Bananen“, sagt Klopfleisch, „ich wollte einfach meine Freiheit.“

Sein Ausreiseantrag wird bewilligt – Ende Juni 1989. Noch am gleichen Abend müssen die Klopfleischs die DDR verlassen. Nicht einmal zur Beerdigung seiner Mutter, die wenige Tage später stirbt, darf er zurück in das Land, das sich eingemauert hat.

Nach der Wende erfüllt sich Helmut Klopfleisch den Traum von der Freiheit. 1990 Italien, 1994 USA, 1996 England – zusammen mit der Nationalmannschaft bereist er die westliche Welt. Fotos zeigen ihn mit Berti Vogts, Boris Becker und beim Golfen mit Franz Beckenbauer.

In der Plumpe aber war er nie wieder. Herthas altes Stadion ist längst abgerissen. 50 Jahre nachdem der kleine Helmut traurig hinüber in den Westen blickte, ragen dort keine Zauberberge mehr auf. Der Fußball ist verzogen. Die neuen Mieter sind hinter der glatten Fassade eines Neubaukomplexes verborgen. Nur die alten Pappeln sind noch da und wiegen sich langsam im Westwind.

Kuschelrock bei Hertha

– Der Punkrocker Campino von den Toten Hosen gönnt Hertha heute gegen seine Düsseldorfer einen Punkt – er ist mit Trainer Babbel eng befreundet.

Berlin (Tsp) – Einen solchen Anruf bekommt man nicht alle Tage. Selbst als Frontmann der Toten Hosen nicht. „Hier ist der Babbel-Markus“, hörte Campino die Stimme auf seinem Anrufbeantworter sagen, „ich habe ja bisher bei den Bayern gespielt, das hat dir bestimmt nicht so gefallen.“ Campino wurde neugierig. Was kam jetzt? „Naja, nun bin ich bei deinem Lieblingsverein. Wenn du magst, komm mich doch mal besuchen!“ Ende der Nachricht.

„Er hatte meine Nummer von Thomas Linke bekommen“, erklärt Campino die Kontaktaufnahme des damaligen Fußballprofis, der gerade zum FC Liverpool gewechselt war – seit jeher der erklärte Lieblingsverein des Düsseldorfer Punkrockers.

Er rief zurück, die beiden verabredeten sich in Liverpool. „Es ist eine wirkliche Freundschaft daraus geworden, wir haben uns auf Anhieb verstanden“, sagt Campino. „Mich hat unheimlich beeindruckt, wie geradeheraus Markus ist. Mir war sofort klar, warum er in England so beliebt war.“

Ehrliche Fußballer mögen sie auf der Insel. Und Ehrlichkeit schätzen der Musiker und der Fußballspieler auch aneinander. Über die Zeit, als Babbel an einer schweren Nervenkrankheit litt, sagt Campino: „Das ist in Freundschaften ein guter Moment, sich zu zeigen, dass es um mehr geht als um oberflächliches Geplänkel.“ Ansonsten verbinde die beiden eine „völlig normale Freundschaft“, man redet natürlich auch viel über Musik und Fußball, „das sind ja unsere Spezialthemen“. Wobei, sagt Campino, dessen Zweitverein Fortuna Düsseldorf ist, „wir sind uns bei der Musik in vielen Dingen näher als in manchen Fußballfragen“.

Womit wir beim Thema wären. Heute (13.30 Uhr) trifft Hertha BSC nämlich auf Fortuna Düsseldorf. Für Campino ist das „die schwierigste Begegnung der Saison“. Zum einen, weil er nicht selbst im Stadion sein kann, sondern im Tonstudio festsitzt. Zum anderen, weil sich der 48-Jährige eigentlich zweiteilen müsste. „Für mich ist völlig klar, dass ich mit dem Verein sympathisiere, bei dem Markus beschäftigt ist“, sagt er.

Doch das läuft natürlich auch gegen die eigene Liebe zur Fortuna aus seiner Heimatstadt. Campino versucht es mit einem Verweis auf das Hinspiel, das Hertha am zweiten Spieltag 2:1 in Düsseldorf gewann: „Fortuna hat alles getan, um Hertha einen guten Start zu ermöglichen. In Düsseldorf sähe man das als Zeichen des Respekts, wenn Hertha jetzt etwas zurückgeben würde.“

Einfach ist das alles aber nicht. Das Interesse für die Hertha ist bei dem Rheinländer, der in Berlin eine Wohnung hat und dessen Sohn in der Hauptstadt lebt, sprunghaft gestiegen, seit sein Freund Babbel im vergangenen Sommer den Vertrag als Cheftrainer beim Bundesliga-Absteiger unterschrieb. „Man kann den Verein als Fan ja nicht wechseln“, sagt Campino. „Aber das ändert nichts daran, dass ich nicht genauso mitfiebere und leide mit den Jungs.“ Herthas Auswärtsspiele verfolge er vor dem Liveticker, sagt er. Seinen Sohn nimmt er mittlerweile ins Olympiastadion mit. „Das ist ein helles Kerlchen“, sagt der Vater, „er ist völlig ohne meinen Einfluss überzeugter Liverpool-Fan und Hertha-Sympathisant.“ Das sei ohnehin kein großes Dilemma, fügt er lachend hinzu, weil die beiden Klubs ja auf absehbare Zeit erst einmal nicht mehr gegeneinander spielen würden.

Bei aller derzeitigen Sympathie für die Blau-Weißen ist aber klar: Eine neue Hertha-Hymne wird es aus der Feder des Toten-Hosen-Sängers nicht geben. „Das kann niemand von mir verlangen“, sagt er mit Verweis auf seine Treue zum FC Liverpool. „Nur für die würde ich was schreiben – aber die haben ja schon genug gute Lieder.“

Mit Markus Babbel trifft er sich, wann immer es der volle Terminplan der beiden eben zulässt. Ursprünglich wollte Campino dem Neu-Berliner auch das Nachtleben der Stadt näher bringen. Daraus ist bislang nicht viel geworden. „Ich erlebe den Markus hier in Berlin als sehr, sehr konzentriert auf seinen Job“, sagt der Musiker. „Alles, was mit einer großen Sause zu tun hat, müssen wir auf den Zeitpunkt verschieben, wenn der Aufstieg gesichert ist.“ Das liege auch daran, dass bei den Berliner Medien „die Lunte kurz“ sei. „Es herrscht ein unwahrscheinlicher Druck auf allen Beschäftigten. Ich finde das eher hinderlich.“

Vor dem Heimspiel gegen Düsseldorf lastet der Druck aber nicht nur auf Babbel und seiner Mannschaft. Für eine der beiden Seiten will sich Fortuna-Fan Campino aber nicht entscheiden. „Mit einem Unentschieden könnte ich ganz gut leben“, sagt er ausweichend, „wenn dadurch das Thema Aufstieg für Hertha nicht negativ beeinflusst wird.“ Sein Tipp? „Ein 2:2 oder 3:3 wäre für die Leute natürlich super.“ Sein gutes Verhältnis zu Herthas Trainer aber, das steht fest, wird unter dem Ergebnis sicher nicht leiden. „Eine Freundschaft ist eine intensivere Sache“, sagt Campino, „das hat mit einem Verein gar nichts zu tun.“

Beten für den Klassenerhalt

– Hertha BSC ist abgeschlagen Tabellenletzter der Fußball-Bundesliga. Was liegt da näher als die Bitte nach göttlichem Beistand? Ein Gottesdienstbesuch in der Vereinskapelle. (ZEIT online)

„Für die Spieler von Hertha BSC: dass sie sich in Zukunft noch mehr zutrauen mögen, als sie das bisher vielleicht taten. Wir bitten dich, erhöre uns.“ Vor den letzten Worten hebt Gregor Bellin den Blick und die 35 Gottesdienstbesucher stimmen mit ein. Dass Bellin diese spezielle Fürbitte spricht, hat einen Grund: Der ökumenische Wortgottesdienst, den der katholische Diakon zusammen mit dem protestantischen Prälat Bernhard Felmberg leitet, findet nicht in einer herkömmlichen Gemeinde statt, sondern im Berliner Olympiastadion. Vor jedem Heimspiel kommen in der kleinen Kapelle Fußballfans zusammen, um gemeinsam zu singen und zu beten. Natürlich auch für Hertha.

Hertha BSC, das derzeit größte Sorgenkind des Berliner Sports, hat die Gebete nötig. Selbst die Leiden Hiobs scheinen erträglicher als das, was die Mannschaft den Zuschauern und sich selbst in der ersten Hälfte der Saison zugemutet hat. Tabellenletzter mit großem Rückstand.

Schließen die christlichen Fans deshalb die Hertha besonders in ihr Gebet mit ein? „Klar“, sagt ein Besucher des Gottesdienstes, „das macht wohl jeder von uns.“ Als Fußballfan sei es für ihn „eine tolle Sache“, dass er vor dem Spiel seine Gedanken an Gott wenden und direkt danach das Geschehen auf dem Rasen verfolgen könne. „Die Gemeinschaft ist wichtig, in der Gemeinde genauso wie unter uns Fans“, fügt Thorsten Heinrich hinzu. Er ist Mitglied im Fanclub „Totale Offensive“ und besucht die Messe regelmäßig mit anderen Mitgliedern der Spandauer Josuagemeinde. Auf der Website der gläubigen Hertha-Fans ist der Christenfisch abgebildet – in Weiß auf blauem Grund. Darunter findet sich der Leitspruch „Gegen den Strom“.

Gegen den Strom schwimmen auch die Spieler des besten Fußballvereins der Hauptstadt in der Rückrunde, eigentlich kann nur noch ein mittelgroßes Wunder dem Verein aus dem Keller helfen. In seiner Predigt greift Prälat Felmberg die Kellermetapher auf. „Jesus Christus ruft uns zu: Euer Herz erschrecke nicht!“, zitiert er die Jahreslosung, um dann die verfahrene Situation der Berliner Fußballer mit scheinbar aussichtslosen Lebenslagen zu vergleichen, in die der Lichtstrahl Gottes dennoch hereinscheint. „Stufe für Stufe können wir uns daran emporziehen“, ruft Felmberg mit fester Stimme der kleinen Gemeinde zu. Nach der Predigt erklingt Ein feste Burg ist unser Gott, die Nummer 362 aus dem Gotteslob.

An den Lichtstrahl Gottes zu glauben fällt in diesen bitterkalten Wintertagen den Hertha-Anhängern schwer. Explizit für Punktgewinne ihrer Mannschaft beten die Kapellenbesucher aber nicht, wie sie sagen, „sondern eher dafür, dass die Spieler von Verletzungen verschont bleiben und neue Kraft und Motivation schöpfen“, sagt Heinrich. „Das Leben geht weiter, auch wenn Hertha absteigt“, ergänzt ein anderer Besucher.

„Ich bete nicht für Hertha-Siege“, sagt auch Diakon Bellin. „Den Fußballgott, wie Rudi Assauer ihn einmal beschrieben hat, gibt es für mich nicht, ich habe einen anderen Gottesbegriff.“ Schon seit vier Jahrzehnten pilgert Bellin mit den Massen ins Olympiastadion, die meiste Zeit davon als Fan, seit anderthalb Jahren auch in offizieller Funktion als Geistlicher. An den Zusammenkünften im Namen Gottes vor dem Spiel fasziniert ihn der Querschnitt aus allen Schichten. „Es kommen Leute von der Ehrentribüne genau so wie aus der Ostkurve“, schwärmt er. „Das finden Sie in keiner normalen Gemeinde.“

Unmittelbar vor Spielbeginn stellt sich Bellin an den Ausgang der Katakomben, um den Spielern noch einmal in die Augen zu schauen, dem einen oder anderen Mut zuzusprechen. Je entschlossener die Herthaner dem Diakon Bellin in die Augen sehen, desto ruhiger kann der Fan Bellin die 90 Minuten angehen. „Die Körpersprache sagt sehr viel aus.“

Glaubensgemeinschaft Hertha mit Diakon Gregor Bellin
© Hertha BSC

Glaubensgemeinschaft Hertha mit Diakon Gregor Bellin

Bei aller Leidenschaft ist die Grenzziehung zwischen Fan-Sein und Geistlichkeit klar. „Im blauweißen Ornat werden Sie mich nicht sehen“, sagt Bellin. Religion und Fußball, das ist für ihn eine natürliche Verbindung. „Ich war ja sowieso bei jedem Heimspiel im Stadion.“ Seit der Saison 2008/09 eben nicht mehr in der Ostkurve, sondern auf der Haupttribüne – „wegen der kurzen Wege“, wie er sagt. Das kirchliche Angebot im Stadion besteht für alle Fans. Zwischen vierzig und sechzig Leuten kämen im Schnitt. Einmal sei so viel los gewesen, dass zwei Gottesdienste hintereinander abgehalten wurden. Dass jetzt, in der größten sportlichen Krise, mehr Leute kämen, will Bellin dagegen nicht bestätigen.

„Meine Kumpels stehen immer noch da drüben“, fügt der Fünfzigjährige mit einer Handbewegung auf die Ostkurve hinzu, wo der harte Kern des Berliner Anhangs gegen die klirrende Kälte anhüpft. Die Mannschaft quält sich zu einem 0:0 gegen Borussia Mönchengladbach. Obwohl Bellin vor dem Spiel entschlossene Blicke bei den Herthanern gesehen haben will, ist auf dem Platz kein Elan zu erkennen.

In der Halbzeit flitzt Gregor Bellin schnell nach oben in die Ehrenloge, schüttelt ein paar Hände, isst eine Currywurst. Am gleichen Stehtisch lässt es sich Otto Schily schmecken. Viele, die mit Hertha zu tun haben, kennen Bellin, begrüßen ihn mit einem freundschaftlichen Händedruck, auch zwei Gottesdienstbesucher von vorhin sieht der Diakon hier oben wieder.

Der Kontakt zu Spielern und Funktionären des Clubs sei sehr gut: „Wir werden vom Verein sehr stark unterstützt.“ Dazu gehört unter anderem die Ausstattung der Geistlichen mit Arbeitskarten, die den reibungslosen Zugang zu allen Stadionbereichen garantieren. Eine Mitarbeiterin der Geschäftsstelle bringt die Kapellenbesucher hinunter in den geschützten Bereich zwischen „Players Lounge“ und Pressezone.

Schon fünf Minuten vor dem Schlusspfiff eilt Bellin hinunter, zusammen mit Prälat Felmberg steht er Spalier für die enttäuschten Kicker. Die meisten gehen mit versteinerter Miene an den Geistlichen vorbei, die beide einen Hertha-Schal um den Hals hängen haben – es könnte fast eine Stola sein. Während die bekanntesten Gesichter noch von den Medien ausgefragt werden, hält Bellin ein kleines Schwätzchen mit dem Hertha-Präsidenten Werner Gegenbauer.

Mit ein paar Spielern verabreden sich die beiden für ein kurzes Gebet in der Kapelle. „Akutseelsorge“ nennt Felmberg das, es ginge oft schlicht um eine „emotionale Entlastung“. Nach praktisch jedem Spiel nähmen drei, vier Spieler und Betreuer das Angebot wahr. Bellin erzählt auch die Geschichte eines ehemaligen Hertha-Spielers, der sich vor einer Partie eine Segnung durch den Diakon erbat. Als der dies im nächsten Spiel versäumte und sich der Profi prompt verletzte, ging es nicht mehr ohne Kreuzzeichen vor dem Anpfiff. „Da verbindet sich teils auch Aberglaube mit Gottvertrauen“, sagt Bellin.

Dass die Sportler fest an etwas glauben, scheint wichtiger als die Frage, woran genau. Auch das berühmteste Bild, das in der Kapelle entstand, beantwortet die Frage nicht. Das preisgekrönte Foto wurde vor dem Weltmeisterschaftsfinale 2006 aufgenommen und zeigt den italienischen Spieler Gianluca Zambrotta, der in Spielkleidung und mit einem Ball unter dem Arm auf einem der schlichten Hocker sitzt und andächtig zum Altar blickt. Wofür er gebetet hat, weiß Bellin nicht. „Aber das Ergebnis ist bekannt.“