Das große Missverständnis

– DFB und Fans entfremden sich immer mehr – neue Eskalationen drohen

Berlin (dapd). Vor einem Jahr hatten sie noch an einem Tisch gesessen, am Dienstag sprachen sie auf zwei streng getrennten Podien. Schon rein optisch wurde die Diskrepanz deutlich: Im Berliner Hotel Intercontinental saßen die Vertreter von Fußballverbänden und Politik in ihren dunklen Anzügen, kurz zuvor hatten im Hotel Palace eine Ecke weiter die kunterbunt gekleideten Fanvertreter zu einer etwas chaotischen Gegenveranstaltung geladen. Im Sommer 2011 haben sich die beiden Seiten noch scheinbar konstruktiv ausgetauscht. Im Sommer 2012 reden sie aneinander vorbei.

DFB-Präsident Wolfgang Niersbach sagte nun „Gewalt und Pyrotechnik“ auf den Rängen der deutschen Arenen den Kampf an und formulierte eine „Null-Toleranz-Politik“, die künftig beherzigt werden soll. Fanverteter, die hinterher von einem „Schlag ins Gesicht“ sprachen, hatten schon vorher kritisiert, dass sie nicht eingeladen worden waren zum Sicherheitsgipfel von DFB, Innenpolitik und den drei Profiligen. „Wir sind diejenigen, die am nächsten dran sind an der Kurve, wir erreichen diese Leute“, hieß es von der Organisation ProFans.

DFB und DFL aber setzen nach zahlreichen Vorfällen in und um die Stadien in den letzten Monaten nicht mehr auf den Dialog. Das Wort kam nur in einem Nebensatz von Ligaboss Reinhard Rauball vor, in der offiziellen Pressemitteilung versteckt es sich im allerletzten Statement. Stattdessen wird die Leine straff angezogen. Stadionverbote sollen bald wieder für fünf statt wie seit 2007 nur für drei Jahre ausgesprochen werden, „bei ganz schweren Fällen sind sogar zehn Jahre geplant“, sagte Rauball. Welche Vergehen gemeint sind, müsse noch „festgelegt werden“.

Doch werden verschärfte Sanktionen die Gewaltproblematik beheben können? Wird das strikte Verbot von Pyrotechnik, das von offizieller Seite bekräftigt wurde, die Feuer in den Kurven löschen?

Nein, findet Harald Olschok vom Bundesverband der Sicherheitswirtschaft (BDSW): Davon auszugehen, dass die Anhebung der Stadionverbotsdauer eine große Wirkung habe, sei „naiv“, sagt Olschok der dapd. „Um es populistisch zu sagen: Durch die Einführung der Todesstrafe verhindere ich keine Morde.“ Nein, findet auch Rene Lau von der AG Fananwälte. „Mit Stadionverboten bekommt man keine Befriedung hin. Das meiste passiert ohnehin außerhalb der Stadien“, sagt er der dapd. Die Fanprojekte der Klubs erhielten „keinen Cent mehr“ als bislang, stattdessen sei das eingetreten, was von Fanseite befürchtet worden sei: „Repressalien und verschärfte Bestimmungen“, sagt Lau. „Es herrscht Resignation bei den Fans, teils auch Wut.“

Diese Stimmung war schon vor der Bekanntgabe der Sicherheitsmaßnahmen greifbar gewesen. Mit auf dem Podium saß in Jannis Busse einer, der vor einem Jahr noch mit den DFB-Sicherheitsbeauftragten über Pilotprojekte zur Legalisierung von Pyrotechnik verhandelt hatte. Zu Saisonbeginn kündigte der DFB die Gespräche plötzlich auf, nach der mit wildem Bengalo-Einsatz begleiteten Randale beim Pokalspiel Dortmund-Dresden im Oktober formulierte der Verband schließlich ein klares „Nein“ zur Pyrotechnik.

„Man hat uns abgefertigt“, sagt Busse. Folge: Es brannte umso mehr auf den Rängen. Fananwalt Lau hofft, dass es nun nicht zu vermehrter Gewalt kommt. „Aber die Fans werden ihrem Ärger Luft machen, mit Transparenten und Choreografien.“

Die Zukunftsprognose zeichnet sich dunkel. Am Freitag beginnt mit dem Spiel der Traditionsklubs Arminia Bielefeld und Alemannia Aachen bereits die Drittliga-Saison. Die Stimmung auf den Stehplätzen dürfte nicht ruhiger werden. Zusätzlich zu notorisch gewaltbereiten Gruppen kommt eine wachsende Zahl verbitterter Ultras, die sich von den Verbänden vor den Kopf gestoßen fühlen.

Der DFB hat allein in den vergangenen zwei Monaten 20-mal Klubs für Bengalo-Einsatz, Platzstürme und Gewalt bestraft. Die Rekordmarke von über einer Million Euro an Strafgeldern aus dem vergangenen Jahr wird 2012 erneut übertroffen werden. Die von vielerlei Seite angemahnte „Versachlichung“ der Problematik, etwa der Differenzierung der Platzstürme in Düsseldorf und Karlsruhe, in ihrer Motivation völlig unterschiedlich, findet derweil nicht statt. Man spricht eben nicht mehr miteinander.

Die Toten und die Folgen

– Waren ägyptische Ausschreitungen politisches Kalkül?

Berlin/Kairo (dapd). Zurückgeblieben ist ein Schlachtfeld: Zertrümmerte, blutverschmierte Sitze, aus den Angeln gerissene Sicherheitstore, einsame Kleidungsstücke auf der Laufbahn. Die Bilder, die internationale Fernsehsender am Tag danach aus dem Fußballstadion der ägyptischen Hafenstadt Port Said verbreiten, zeigen die erschütternde Ruhe nach der Katastrophe.

Das Spitzenspiel der ägyptischen Liga hat einen Kriegsschauplatz produziert. 74 Menschen verloren am Mittwochabend nach der Partie des heimischen Klubs Al-Masri gegen Al-Ahly Kairo ihr Leben, mehr als 200 wurden verletzt. Ägyptens erfolgreichster Fußballer formuliert am Tag danach die spontane Schlussfolgerung vieler seiner Landsleute: „Es hatte auf keinen Fall etwas mit Fußball zu tun, sagt Hany Ramzy der dapd.

Ramzy hat 125 Mal für sein Land gespielt, Al-Ahly Kairo ist sein Stammverein. „Das war vorher geplant“, sagt er am Tag danach. „Das Stadion war voll, es war ein wichtiges Spiel. Es war ein guter Anlass, etwas Schlimmes zu tun.“

Schon in der Nacht von Mittwoch auf Donnerstag war die Beileidskundgebung von Hunderten Menschen vor dem Vereinsgelände von Al-Ahly in einen lautstarken Protest gegen den regierenden Militärrat umgeschlagen.

Auch Experten führen mögliche Szenarien mit politischem Hintergrund an. Eines davon besagt, die Sicherheitskräfte hätten die Krawalle absichtlich geschehen lassen, um die Bedeutung der Polizei in der derzeit angespannten Lage hervorzuheben. Ein anderes, dass der Militärrat bewusst wenige Polizisten eingesetzt habe, um die Ultras von Al-Ahly zu provozieren und deren Glaubwürdigkeit öffentlich weiter zu diskreditieren. „Keine dieser Annahmen ist völlig an den Haaren herbei gezogen“, schreibt James M. Dorsey in einem Beitrag bei ForeignPolicy.com. Dorsey ist Universitätsprofessor in Singapur und betreibt das Blog „The Turbulent World of Middle East Soccer“.

Für Dorsey stellt die offenbar geplante Tragödie vom Mittwoch einen Wendepunkt seit dem Sturz von Präsident Husni Mubarak dar. Sie werde „militante, extrem politisierte, gewaltbereite Fangruppen weiter isolieren und die Rufe nach Recht und Ordnung verstärken“, schreibt der Experte.

Speziell die Ultras von Al-Ahly haben aus ihrer Unterstützung für die Revolution im Frühjahr 2011 keinen Hehl gemacht. In einem Interview mit dem „11Freunde“-Magazin rühmte sich ihr Sprecher, seine Gruppe sei während der Mubarak-Diktatur „die einzige wirklich existierende Opposition junger Ägypter“ gewesen. Bei den Protesten rings um den Kairoer Tahrir-Platz gingen die Ultras geschlossen und durch jahrelange Auseinandersetzungen mit der Polizei geübt gegen die Sicherheitskräfte vor. „Das war ein Krieg, und wir haben ihn gewonnen“, bilanziert der Sprecher der „Ultras Ahlawy“ in dem Interview aus dem April 2011.

Ist der tödliche Platzsturm also ein indirekter Angriff auf diese mächtige Fanbewegung gewesen, die auch nach Mubaraks Sturz für die Ziele der Revolution auf die Straße ging? Beobachter rechnen zumindest damit, dass die „Law & Order“-Befürworter nun Rückenwind bekommen – und die Fans an Einfluss verlieren.

Fest steht jedenfalls, dass der von den Ultras schon für gewonnen erklärte Krieg weitergeht – der Mittwoch war sein bislang traurigster Tag.

„Welchen Grund hat man, Menschen zu töten?“

– Hany Ramzy über die Ausschreitungen in Port Said: „Es hatte auf keinen Fall etwas mit Fußball zu tun.“

Berlin/Kairo (dapd). Der ehemalige ägyptische Nationalmannschaftskapitän Hany Ramzy geht nach den Ausschreitungen in Port Said mit 74 Toten von einer vorbereiteten Aktion aus. „Das Spiel ging 3:1 für Al-Masri aus. Welchen Grund hat man, nach einem Sieg aufs Feld zu rennen und Menschen zu töten?“, sagte der ehemalige Bundesliga-Profi der Nachrichtenagentur dapd in einem Telefongespräch. „Das war vorher geplant. Das Stadion war voll, es war ein wichtiges Spiel. Es war ein guter Anlass, etwas Schlimmes zu tun“, sagte Ramzy weiter.

Augenzeugen hatten nach der Gewalt am Mittwochabend kritisiert, die im Stadion anwesenden Sicherheitskräfte hätten nicht entschlossen eingegriffen. Ultras von Al-Ahly waren zahlreich und gut organisiert an den Demonstrationen und Straßenschlachten rings um den Kairoer Tahrir-Platz Anfang 2011 beteiligt gewesen.

Ramzy sagte, er wisse nicht, wer für die schlimmen Ausschreitungen am Mittwoch verantwortlich gewesen sei. „Ich weiß nur: Es hatte auf keinen Fall etwas mit Fußball zu tun. Aber wer hat das getan? Das ist das große Fragezeichen“, sagte Ramzy, der das Spiel in Kairo am Fernseher verfolgte. „Die Atmosphäre ist sehr seltsam. Jeder spricht über das, was gestern Abend passiert ist.“ Ramzy zeigte sich fassungslos über das junge Alter der 74 Menschen, die bei den Ausschreitungen ihr Leben ließen: „Die Toten sind fast alle zwischen 15 und 20 Jahre alt. 90 Prozent sind unter 20 Jahre alt. Wer wird dafür bezahlen?“, sagte Ramzy der dapd.

Ursprünglich habe er das Spiel zwischen Al-Masri und Al-Ahly am Mittwochabend im Stadion von Port Said verfolgen wollen, sagte der 44 Jahre alte Ex-Profi, der derzeit die ägyptische U23-Mannschaft als Trainer auf Olympia in London vorbereitet. Nur wegen einer Erkrankung seines Sohnes sei er in Kairo geblieben. Vier seiner Spieler hätten im Kader der beiden Teams gestanden, drei beim Gastgeber Al-Masri, einer bei Al-Ahly. Erst nach Stunden habe er sie telefonisch erreicht. „Die Spieler von Al-Ahly waren drei Stunden nach dem Spiel in der Kabine eingesperrt. Es gab Panik. Dann kam ein Militärflugzeug und hat sie zurück nach Kairo geflogen.“

Wie es sportpolitisch weitergehe, sei unklar, sagte Ramzy. Denkbar sei, dass die gesamte restliche Fußballsaison der ägyptischen Liga wegen der schlechten Sicherheitslage abgesagt werde. „Das wäre ein großes Problem für unsere Olympia-Vorbereitung“, sagte Ramzy.

Ramzy, der zwischen 1994 und 2005 insgesamt 228 Bundesligaspiele für Bremen und Kaiserslautern absolvierte, spielte als Jugendlicher und als Jungprofi bei Al-Ahly Kairo.

Das Ultra-Jahr

– Gewalt-Eskalationen stellen den harten Kern der Fanszene vor eine Zerreißprobe

Berlin (dapd). Es war nur eine vermeintlich kleine Ungenauigkeit. Ein Nürnberger Hooligan sei am Kölner Hauptbahnhof vor einen einfahrenden ICE gestoßen worden und habe dabei einen Arm verloren, berichteten zahlreiche Medien Mitte November. Dass es sich bei dem Schwerverletzten nicht um einen „Hooligan“ handelte, sondern um das Mitglied einer Nürnberger Ultra-Gruppierung, stellte am Montag darauf Nürnbergs Sportvorstand Martin Bader klar, einer der höchsten Vereinsverantwortlichen. „Pauschale Vorverurteilungen helfen niemandem weiter“, erklärte Bader und forderte, bei der Debatte um Gewalt im Fußball zu mehr Sachlichkeit zurückzukehren.

Der Herbst 2011 war, auch über Verwechslungen mit Hooligans hinaus, keine gute Zeit für die deutschen Ultras. Zunächst scheiterte die Initiative zur Legalisierung von Pyrotechnik, dann eskalierte das Verhältnis mit den Ordnungskräften. Ein Böllerwurf beim Drittliga-Derby Osnabrück gegen Münster verletzte mehrere Polizisten, teils schwer. Schließlich randalierten mitgereiste Dresdner beim DFB-Pokalspiel in Dortmund, unterlegt mit Feuern im Block. Unter anderen Umständen lediglich zwei schlimme Einzelfälle, so aber Symptome des Gewaltproblems der Kurven in deutschen Stadien. In Dortmund konnte ein großes TV-Publikum zur Primetime zusehen. Pyrotechnik und Gewalt waren nun eins. Und Ultras waren eben Hooligans.

„Die einzige Überschneidung zwischen Hooligans und Ultras ist, dass einige Ultra-Gruppen Gewalt tolerieren, zum Beispiel zur Verteidigung. Gewalt auszuüben, ist aber keinesfalls Bedingung, um Mitglied zu sein. Für die Hooligans war und ist Gewalt das zentrale Element“, erklärt dagegen Fanforscher Jonas Gabler, der mit „Die Ultras“ eine viel beachtete wissenschaftliche Arbeit zum Thema verfasst hat. Die Vermengung der Begriffe führt er vor allem auf Unwissenheit zurück. „Ultra ist ein relativ junger Begriff. Wer ihn zum ersten Mal hört, ordnet ihn in die extreme Ecke ein, was vom Wortstamm her sogar stimmt“, sagt Gabler.

Dabei gehe es diesen Fans eigentlich primär um anderes: „Ein Ultra ist ein extremer Fan, der sich sehr mit seinem Verein identifiziert. Das übergeordnete Ziel ist ein möglichst guter Support, laut und abwechslungsreich. Der Ultra will seine Gruppe, seinen Verein und seine Stadt repräsentieren“, erklärt Gabler. Verhaltensweisen wie „Revierverteidigung“ und „Autonomiestreben“ würden sich meist anschließen. „In letzter Zeit gab es natürlich auch einige Vorfälle, bei denen Gewalt von Fangruppen ausging.“

Die Szene ist heterogen, was auch die kritische Einschätzung eines Berliner Ultras belegt: „Viele Gruppen beschäftigen sich mit Nebensächlichkeiten. Es geht nur noch um Gewalt, Außendarstellung, Posen, Selbstdarstellung, darum, wer die Härtesten oder Gefährlichsten sind.“ Das ständige Image-Gehabe gehe jedoch am eigentlichen, nach innen gerichteten Ultra-Gedanken weit vorbei.

Die Ultra-Bewegung steht derzeit vor einer Zerreißprobe. Dabei hatte das Jahr 2011 hoffnungsvoll begonnen. Im Januar übergab die Initiative „Pyrotechnik legalisieren – Emotionen respektieren“ ihre Verhandlungsvorschläge an den damaligen DFB-Sicherheitsbeauftragten Helmut Spahn. Über 100 Ultra-Gruppierungen hatten sich zusammen getan, sich von gefährlichen Böllern und fliegenden Bengalos distanziert. Nach zwei Treffen im Mai und Juli wollte der Verband plötzlich nichts mehr von eventuellen Zugeständnissen wissen, Verhandlungspartner Spahn, der „ergebnisoffene Diskussionen“ angekündigt und auch geführt hatte, war mittlerweile beruflich nach Doha gewechselt.

Das abrupte Ende des Dialogs findet Jonas Gabler „auf jeden Fall verwunderlich“, weil sich der DFB auf Gespräche eingelassen habe und Gesprächsnotizen besagen würden, „dass es schon konkrete Abmachungen gab, die im Nachhinein negiert wurden“.

Die Initiatoren waren verbittert. „Alles, was wir geglaubt hatten, erreicht zu haben, war ja letztendlich das Papier nicht wert, auf dem es stand“, bilanzierte Sprecher Jannis Busse, ein Ultra von Hannover 96. Die gemäßigten Stimmen innerhalb der Bewegung wurden nun übertönt. Ein Teil der Kurven reagierte durch vermehrtes Abbrennen, was wiederum Ordner und Polizei verstärkt auf den Plan rief. Pfefferspray-Einsatz in Hannovers Kurve, Bremer Fans, die einschreitende Ordner in Hoffenheim attackierten – auf beiden Seiten war man nun nicht mehr zimperlich. „Ich finde das sehr bedauerlich und von beiden Seiten sehr unglücklich“, sagt der Anwalt der Kampagne, Benjamin Hirsch. „Bei dem Phänomen der Ultras haben wir es mit einem sehr sensiblen Gebilde zu tun, das teilweise ein sehr großes Problem mit Institutionen hat. Man sieht jetzt, was für Probleme auch in diesem ganzen Umfeld schlummern. Man hat die einmalige Chance gehabt, einige der bedeutendsten Ultraszenen unter einen Hut zu bekommen“, sagt Hirsch.

Jonas Gabler spricht von „einer Art Machtspielchen, das die Polizei annimmt. Die Eskalation spitzt sich zu.“ Und so ist der Ausblick düster. 2011 sollte das Jahr der Ultras werden. Und es wurde es auch, nur auf eine ganz andere Art als gewünscht. 2012, hofft Gabler, könnten beide Seiten dennoch zum Dialog zurückfinden. Auch aufseiten der Ultras gebe es nicht wenige, die trotz der Enttäuschung über die Pyro-Initiative erkennen würden, dass sich nur mit Gesprächen etwas erreichen ließe. Außerdem sei Pyrotechnik nicht das einzige Thema, über das man wieder in den Dialog treten könne. Beim Fankongress im Januar sieht Gabler eine Chance. Erwartet werden auch Vertreter des DFB.

Wenn das Kartenhaus zerfällt

– Oberligist BFC Dynamo steht nach der Fan-Gewalt unter „Schockstarre“ – Polizei bemängelt Absprachen

Berlin (dapd). Am Tag danach lag eine unwirkliche Friedlichkeit über dem Verein. Ein knuffiger Plüsch-Teddybär im Vereinsshirt wurde auf der Webseite des BFC Dynamo zum Verkauf angeboten, die vier Flutlichtgiraffen des Jahnsportparks trotzten still und eisern dem Berliner Nieselregen. „Das größte Gut des Vereins sind seine Fans“, hat ein BFC-Fan über seine Webseite geschrieben. Am Samstagabend hat sich dieses Gut in die größte Last verwandelt.

Um die 100 Randalierer hatten nach dem Pokalspiel gegen den 1. FC Kaiserslautern den Gästeblock gestürmt und wahllos um sich geschlagen. Verletzte gab es nicht nur unter den Lauterer Fans. „Es ist ein Schlag ins Gesicht für alle, die in letzter Zeit an der Vereinsarbeit beteiligt waren“, sagte der Fanbeauftragte Rainer Lüdtke der dapd am Sonntag. „Man merkt bei allen eine Schockstarre. Ich persönlich dachte, wir sind viel weiter.“

„Gesichter, die ich nie zuvor gesehen habe“

Lüdtke, ser seit 14 Jahren ehrenamtlicher Fanbeauftragter von Dynamo ist, sucht nach der Katastrophe nach Gründen. Es bleiben vor allem viele Fragezeichen stehen. „Das waren Gesichter, die ich nie zuvor gesehen habe. Leute in BFC-Klamotten, die ich gar nicht kenne“, sagt Lüdtke über die Gewalttäter. „Ich habe auf einem Foto gesehen, dass mehrere auf einen einschlugen. Das sind Sachen, die ich seit zehn Jahren nicht bei uns gesehen habe.“ Lüdtke wähnte den BFC Dynamo auf dem Weg in eine bessere Zukunft.

Trügerische Hoffnung: Schon sehr lange hatte es kein Spiel mehr gegeben mit so vielen Gästefans. Rund 2.000 sollen es gewesen sein. Die insgesamt über 10.100 Besucher waren eine neue Rekordkulisse für Dynamo bei einem Heimspiel nach der Wende. Das Gastspiel des Bundesligisten war offenbar eine attraktive Plattform, um auch Leute anzulocken, „sogenannte BFC-ler“, wie Lüdtke sie nennt, die mehr auf Krawall als auf Fußball aus waren.

„Es waren zwischen 250 und 300 Personen, die Krach gesucht haben“, teilte die Berliner Polizei auf dapd-Anfrage am Sonntag mit. Wie ein Teil von ihnen praktisch ungestört von der Gegengeraden durch leere Blöcke hinüber zum Gästebereich gelangen konnte, dahinter steht ein weiteres Fragezeichen. Laut Lüdtke ist ein ungefähr ein Meter hohes Rolltor am Ende der Gegengeraden nach Schlusspfiff nicht ausreichend mit Ordnern besetzt gewesen. „Wenn die ersten auf dem Weg sind, ist es wie ein Kartenhaus, das zusammenfällt. Es gibt dann die Mitläufer“, sagt Lüdtke.

Polizei: „Wir standen vor verschlossenen Toren“

Die Polizei bestätigte, dass der Durchbruch des Fans auf ein Verschulden der Ordner zurückzuführen war. Eine Auswertung habe ergeben, „dass Maßnahmen des Ordnerdienstes, teilweise entgegen vorheriger Absprachen mit der Polizei, zu den Problemen geführt bzw. den Verlauf begünstigt haben“, hieß es in einer Mitteilung. Dies habe der für die Ordner Verantwortliche eingeräumt.

Warum aber bei einer als „Risikospiel“ eingestuften Partie nicht von vornherein Beamte zwischen den Gästen aus Kaiserslautern und den berüchtigten BFC-Fans platziert waren, ist zumindest verwunderlich. Generell sei zunächst der vereinseigene Ordnungsdienst für die Lage im Stadion verantwortlich, sagte die Polizei. „Erst wenn es zu Straftaten kommt, schreiten wir ein.“ In diesem Fall zu spät. Im Lauterer Block war bereits Panik ausgebrochen.

Die Schadensfälle konnte die Polizei am Sonntag genau beziffern: 18 verletzte Polizisten, zwei im Krankenhaus Behandelte, Strafverfahren gegen 50 Personen. Der Schaden am ohnehin ramponierten Image des Vereins lässt sich schwerer bemessen. Rainer Lüdtke überlegt, sein Amt aufzugeben: „Irgendwann fehlt die Kraft.“

Am frühen Sonntagnachmittag war dann auf der offiziellen Internetpräsenz des BFC Dynamo nichts weiter als ein ausführlicher Entschuldigungsbrief an den Bundesligisten zu lesen. Wo morgens noch der Teddy lächelte, stand nun: „Leider, leider endete ein schönes Spiel mit einer zu 99 Prozent friedlichen Kulisse in einem Albtraum.“ An ruhigen Schlaf ist in nächster Zeit wohl weder für die Vereinsverantwortlichen noch für die Opfer zu denken.

„Ich hatte große Angst“

– Der frühere Bundesligaprofi Hany Ramzy über den Umsturz in Ägypten und Hoffnung durch Fußball

Hany Ramzy, Ägypten ist seit Tagen im Ausnahmezustand. Wie haben Sie die Proteste erlebt?

Die letzte Woche war sehr schwierig, für jeden hier. Wir wussten nicht, was der nächste Tag bringen würde. Die Armee war auf den Straßen, Häftlinge sind aus den Gefängnissen entkommen. Als das alles losging, habe ich meiner Frau und meinen Kindern ein Flugticket nach Italien gekauft. Seitdem sind sie da.

Wie sah der Alltag in Kairo aus?

Jede Nacht, von sechs Uhr abends bis fünf Uhr morgens, war ich mit den Nachbarn draußen auf der Straße, um auf meine Familie und mein Haus aufzupassen. Es gab ja keine Polizei, keine Sicherheit.

Jeder hatte eine Art Waffe in der Hand, um Diebe abzuschrecken. Eine kleine Pistole, einen Knüppel oder ein Messer.

Was hatten Sie dabei?

Ich hatte so einen elektrischen Stab. (lacht). Naja, es ging vor allem darum, dass man sich selbst sicherer fühlte. Wir mussten ja die Arbeit der Polizei übernehmen, wir hielten Autos an und kontrollierten Ausweise. Meine Mutter und meine Schwester waren oben im Haus und konnten nicht schlafen, weil sie Angst hatten, dass mir etwas passiert. Auch ich hatte große Angst.

Gab es Probleme in Ihrer Nachbarschaft?

Bei uns blieb es zum Glück ruhig, es gab keine Schießereien wie anderswo. Ich lebe nahe dem Flughafen, das ist ein gutes Stück vom Tahrir-Platz entfernt.

Sie sind Trainer der ägyptischen U-23-Auswahl. Konnten Sie tagsüber überhaupt mit Ihren Spielern trainieren?

Die Liga pausiert – wahrscheinlich bis Ende Februar. Erst seit einer knappen Woche trainieren die Klubs überhaupt wieder einmal am Tag. Ich spreche jeden Tag mit den Trainern und meinen Spielern, ich frage, wie es ihnen geht, wie die Bedingungen sind. An ein Trainingslager war bislang nicht zu denken. Hoffentlich geht das nächste Woche, denn wir haben am 25. März unser erstes wichtiges Qualifikationsspiel für die Olympischen Spiele 2012 – in Kairo gegen Botswana.

Nun ist Mubarak zurückgetreten. Wie hat das die Atmosphäre im Land verändert?

Als der Präsident am Freitag seinen Rücktritt bekannt geben ließ, sind alle auf die Straßen geströmt und haben angefangen zu feiern. Es ist eine Stimmung, als hätten wir den Afrika-Cup gewonnen. Aber es geht auch um die Zukunft. Sie liegt jetzt in den Händen der Armee.

Haben Sie Hoffnung oder Sorge für die Zukunft?

Ich bin Optimist, deswegen habe ich Hoffnung. Ägypten braucht Demokratie und Freiheit. Wir sind kein Armeestaat, deshalb muss die Macht schnell an eine neue Kraft übergehen. Jetzt geht es um eine ruhige Zukunft. Auch für den Fußball. Wir wollen unbedingt zu den Olympischen Spielen. Das ist ein großer Traum. Das letzte Mal waren wir 1992 dabei.

Kann der Fußball den Ägyptern helfen, in den Alltag zurückzukehren?

Die Leute wollen Normalität, sie wollen wieder jeden Tag zur Arbeit gehen. Und sie wollen Fußball schauen. Fußball ist sehr, sehr wichtig für die Ägypter. Das Interesse besonders an der Nationalmannschaft ist riesig. In den letzten sechs Jahren haben wir ja drei Mal den Afrika-Cup gewonnen. Wenn Ägypten spielt, sind immer mindestens 70 000 im Stadion.