I got the love!

– Der bemerkenswerte Soulsänger Charles Bradley gibt ein bemerkenswertes Konzert

Die Meute wird langsam ungeduldig. An die 200 Menschen quetschen sich in den engen Kellerraum, hier im „Fluxbau“ am Spreeufer nahe der Oberbaumbrücke. Draußen gluckert dunkel der Fluss, und Charles Bradley lässt auf sich warten. Nervöses Klatschen. Pfiffe. Ungeduld. Das Publikum: Jung, vielleicht Mitte, Ende zwanzig. Große Brillen, enge Hosen, knallroter Lippenstift bei den Frauen. Ein paar Afros. Und Mützen. Viele Mützen. Und Ungeduld. Es soll doch bitteschön pünktlich losgehen, selbst wenn der Eintritt frei ist.

Für einen Platz auf der Gästeliste musste man nur dem Radiosender FluxFM eine Email geschrieben haben. „Ja, ich will dabei sein, wenn Charles Bradley sein neues Album vorstellt“ oder so ähnlich. Die Antwort kam postwendend. Die, die nun dabei sind, sind sicher auch neugierig geworden auf Bradleys Geschichte, die keine gewöhnliche ist. 64 Jahre ist er schon alt, aber erst seit zehn Jahren Profi-Musiker. Vorher war er einige Jahre James-Brown-Double, Künstlername „Black Velvet“, davor Koch, davor Obdachloser. Jahrzehntelang war der Soulsänger Charles Bradly einer von vielen armen, schwarzen Amerikanern.

Bradley kommt nun auf die Bühne, grauer Rolli, Silberkettchen, funkelnder Ring. Die Menge johlt. „The Screaming Eagle of Soul“ nennen sie ihn, und der Adler schreit, kreischt gleich los mit einer Stimme, die einen packt wie mit Klauen. Mächtig, rauchig. B.B. King auf zwei Packungen Filterlosen.

Nach dem ersten Song die freundliche Bitte, doch das Echo vom Mikro zu nehmen. Völlig logisch: Dieser Mann braucht keine technische Hilfe. In jeden Ton legt er sein Leben. „I believe in your love“, singt er, mit halb geschlossenen Augen und schmerzvoll verzerrtem Gesicht. „I got the love“, singt er, „strictly reserved for you and me.“ Simple, scheinbar naive Botschaften, vorgetragen mit unbändiger Energie, jede Note ein Bekenntnis.

Dass dieser Abend überhaupt möglich ist, scheint Bradley ehrlich zu erstaunen, immer noch und immer wieder. Er will sich rechtfertigen: „Wisst ihr, ich spiele euch hier nichts vor“, sagt er zwischen zwei Songs. „Manche tun das. Aber ich habe es alles selbst erlebt.“ Die Monate auf der Straße, die zu Jahren werden. Den Tod seines Bruders, erschossen vom eigenen Neffen. Die Zeit des Zweifelns, des Versteckens. Erst jetzt, im Alter, lebt er sie aus, seine Liebe zur Musik, sein Gesangstalent, das er jahrzehntelang verheimlicht hat vor allen Fremden. Und 50 Jahre, nachdem ihn seine Schwester zu seinem ersten Konzert mitgenommen hat, James Brown natürlich, steht er vor diesen ganzen jungen Berlinern mit ihren Schlumpfmützen und sagt: „Ich bin euch unglaublich dankbar. Dafür dass ich hier sein darf. Ich danke euch dafür, dass ihr mit mir durch den Sturm gegangen seid!“

Einer hat ein Fenster geöffnet. Der Geruch des Flusses steigt in den Raum. „Ich fühle mich wie Otis Redding“, sagt Charles Bradley, „wie er da unten am Dock saß.“

Bradley singt seine neuen Soul-Balladen, sechs, sieben Stück, er schleudert sie in den Raum, begleitet nur von einer Akustik-Gitarre und zarter Perkussion. Längst schon ist das kein Gig mehr, es ist eine Messe.

„Why is it so hard to make it in America?“ In einem der eindrücklichsten Songs stellt Bradley die Frage seines Lebens: Warum nur ist es so schwer, es in Amerika zu etwas zu bringen? „In Germany too!“, ruft einer aus der Menge, aber das klingt sofort falsch, fast wie eine Frechheit. Ist das Leben hier schwer, für junge, weiße Mittelklasse-Deutsche? Schwerer als drüben?

Bradley aber reagiert sanft: „Ja, du hast recht, Bruder“, sagt er, „die Leute haben es heute überall auf der Welt schwer. Weil es so schwer ist, auf die Seele zu hören.“ Die Menge raunt zustimmend. Und dann singt Charles Bradley davon, wie einfach es eigentlich sein sollte, es in dem Land zu schaffen, aus dem er stammt. Und singt die Zeile, die er selbst widerlegt hat: „Looks like nothing’s gonna change.“

Das Erstaunlichste aber kommt nach den Songs. Die letzten Akkorde sind kaum verklungen, da steigt Bradley hinunter zu seinem Publikum. Er beginnt, die Leute zu umarmen. Er will, so scheint es, wirklich jedem persönlich danken. Fängt vorne an, arbeitet sich nach hinten durch. Dutzende Umarmungen, jede einzelne fest und lange. Und die Menschen stehen schier Schlange, lächeln ihn mit großen Augen an, strecken ihre Arme aus, hier, mich auch! Sie reißen sich darum, diesen Mann zu drücken. Als hofften sie, dass etwas von seiner Zuversicht, seiner weisen Ruhe auf sie abperlt. Smartphones erleuchten den Raum. Bradley ist fast ganz hinten angelangt. Ein besonderer Moment, nicht nur für ihn, man spürt das. Die große Sehnsucht der Twentysomethings nach ein bisschen Nähe. Woher kommt die, wieso bricht sie jetzt so unvermittelt hervor? Die Seele kann man nicht liken, vielleicht ist es das.