Stadien, Straßen und Hunde

– Wie sich die Ukraine auf die Fußball-EM vorbereitet

Berlin (dapd). In Lwiw wurde vorletzte Woche das letzte der vier ukrainischen EM-Stadien eröffnet. Für den feierlichen Anlass hatten die Veranstalter eine Perle der westlichen Kultur verpflichtet: Die amerikanische Popbardin Anastacia schmetterte ihre größten Hits.

Die Blickrichtung geht gen Westen, sieben Monate vor dem Fußball-Großereignis Europameisterschaft, das die Ukraine zusammen mit Polen ausrichtet. „Es ist ein geopolitisches Projekt“, sagt der ukrainische Turnierdirektor Markijan Lubkiwski, und weist daraufhin, er sehe das schon als früherer Diplomat so: „Ich vergleiche die Rolle der UEFA mit der EU, sie bringt uns näher an Europa.“

Die Offiziellen machen keinen Hehl daraus, dass die Co-Organisation des weltweit zweitgrößten Fußball-Events eine Herkules-Aufgabe ist. „Es ist relativ einfach, eine EM in gut entwickelten Ländern wie Österreich oder der Schweiz zu organisieren“, sagt Lubkiwski. „Für uns ist es eine doppelte Aufgabe. Wir müssen uns auch in vielen Bereichen des öffentlichen Lebens ändern.“

Endlich positive Schlagzeilen nach „Verfehlungen“

Sieben Monate vor Turnierbeginn haben die Ukrainer mit der Fertigstellung aller Arenen den wichtigsten Teil der EM-Projekte geschafft – anders als die Polen, die immer noch am Nationalstadion von Warschau werkeln. Das nimmt man weiter östlich gerne zur Kenntnis.

Die Ukraine sorgt endlich einmal für positive Schlagzeilen. In den vergangenen Monaten waren neben den schleppenden Baumaßnahmen hauptsächlich die marodierenden Hooligan-Horden und die bestialische Tötung von Straßenhunden Thema in westlichen Medien. „Wir kämpfen gegen viele Vorurteile, die entstanden sind, ohne dass die Leute selber da waren“, sagt UEFA-Cheforganisator Martin Kallen.

Der Schweizer gibt jedoch offen zu, dass es „Verfehlungen“ gab beim Thema Straßenhunde. Tierschutzverbände hatten darauf hingewiesen, dass streunende Hunde teilweise in mobilen Krematorien lebendig verbrannt würden. Die UEFA hatte ursprünglich die Ukrainer in dieser Frage unterstützt, sogar einen „kleineren Geldbetrag“ überwiesen, wie Kallen sagt. Nur die Art und Weise, wie das Hundeproblem dann vor Ort in Angriff genommen wurde, war dann gar nicht im Sinne des Ausrichters – jede Menge schlechte PR die Folge. Die UEFA habe sich mit allen vier Bürgermeistern und der ukrainischen Regierung in Verbindung gesetzt. „Wir haben auf das Problem hingewiesen, mehr steht nicht in unserer Macht“, sagt Kallen.

Mit manchem muss sich Kallen einfach abfinden. Zum Beispiel damit, dass die Autobahn-Projekte wegen Staats- und Wirtschaftskrise gar nicht erst begonnen wurden. Der EURO-Tourist bereist die Ukraine daher auf „vierspurigen Schnellstraßen“, die lediglich einen neuen Belag bekommen. Die Tausende Kilometer in die östlichen Städte Donezk und Charkiw werden die Fans ohnehin fliegen müssen. Landebahnen und neue Terminals sollen rechtzeitig fertig werden.

„Hooligans werden kein Problem sein“

Kallen muss auch darauf vertrauen, dass hinter den guten Worten mehr steckt als eine Beschwichtigungstaktik. „Hooligans werden kein Problem sein in den ukrainischen Stadien“, sagt etwa Turnierdirektor Lubkiwski. Natürlich gebe es Rivalitäten zwischen den Klubs, „aber wenn es um die Unterstützung der Nationalmannschaft geht, ist die Stimmung freundlich.“ Und wenn doch Übeltäter im kommenden Sommer auf der Bildfläche erscheinen sollten, beinhalte das ab 1. Januar gültige neue Gesetz alles Nötige. „Wir werden bereit sein, falls Hooligans auftauchen.“

In der verbleibenden Zeit wird vor allem „operativ“ getestet. Neu ist in der Ukraine zum Beispiel das hierzulande längst gängige Sicherheitssystem mit privaten Ordnern im Stadion, man sammelt gerade erste Erfahrungen: Bei den Eröffnungsfeiern in Kiew und Lwiw, und nun auch beim Länderspiel gegen Deutschland am Freitag (20.45 Uhr).

Bei manchem können die Organisatoren dann aber wirklich nichts machen. „Wir brauchen ein bisschen Glück mit der Auslosung“, sagt Kallen. Am 2. Dezember in Kiew stellt sich heraus, wie attraktiv die Anreise für die Fangruppen wird. Das benachbarte Russland in einer der beiden Gruppen in der Ukraine, die Deutschland-Gruppe in Polen, Schweden in der Danziger Gruppe C – das wäre Kallens Traumszenario. Dann werden die Fans in Scharen kommen, aus dem Osten wie aus dem Westen.

Polen baut

– Zu Besuch in den vier EM-Städten: Danzig, Warschau, Posen, Breslau und zurück

Kurz vor der Landung in Danzig taucht im winzigen Fenster der Propellermaschine ein gold-glänzendes Raumschiff auf, das auf halbem Weg zwischen Altstadt und Weichselmündung auf freiem Feld gelandet ist. In diesem bernsteinfarbenen Ufo wird nächsten Sommer Fußball gespielt. Die Vorboten der Fußball-Europameisterschaft sind bereits da. Was ist mit dem Rest? Die Erkundung des EM-Gastgeberlandes Polen führt in fünf Tagen durch vier Städte: Danzig, Warschau, Posen, Breslau und zurück. Polen im Schnelldurchgang.

Bereits vom Flugzeug also schaut man herab auf das riesige Bauvorhaben namens Euro 2012. Während das Danziger Stadion schon fertig ist, sind die Autobahnzubringer gut sichtbar noch aus Sand statt Asphalt, kilometerlang. Die lästige Westler-Frage nach dem Wann-denn-endlich hören die Verantwortlichen gar nicht gerne. Ja, natürlich würden die Schnellstraßenstücke fertig, sagt Andrzej Bojanowski, der Stellvertretende Bürgermeister von Danzig. „Im Frühjahr“, präzisiert er auf Nachfrage. Ebenso das neue Terminal des Flughafens. Bojanowski ist sehr stolz auf das, was ihm und seinen Landsleuten ins Haus steht, und daraus wird schnell eine ruppige Verteidigungshaltung. Schon ist er beim Fußballdorf Klagenfurt, Austragungsort der letzten EM. Bojanowski sagt: „Nichts Böses gegen Klagenfurt, aber wir wollen den Leuten zeigen, dass Danzig mit seiner tausendjährigen Tradition eben kein Klagenfurt ist.“

Damit die UEFA-Familie happy ist

Die südliche Umgehungsstraße werde die Transportfrage lösen, fügt er dann noch knapp hinzu. „Umgehungsstraße“, das ist, wie im Laufe der Reise festzustellen sein wird, das Zauberwort, das noch jeder Verantwortliche in den Mund nimmt. Manch einer hat den Zungenbrecher sogar auf Deutsch einstudiert. Die EM-Macher haben die Umgehungsstraße als Codewort für die leidige Pflichterfüllung achselzuckend akzeptiert – sie bauen sie, damit die UEFA-Familie happy ist, auch wenn es jahrzehntelang ohne sie ging.

Und bis sie fertig ist, sperrt die Polizei bei Groß-Events wie dem Länderspiel Polen-Deutschland die Arena-Umgebung einfach großflächig für den Autoverkehr ab. Was in diesem Fall zur unschönen Folge hat, dass der Bus nach der Partie für die sechs Kilometer ins Danziger Zentrum anderthalb Stunden braucht.

Westeuropäische Maßstäbe taugen nicht für dieses Land, das noch zernarbt ist vom Erbe des Sozialismus. Außerhalb der hübsch bunt sanierten Altstädte schießen direkt neben zerfallenden Plattenbauten spiegelglatte Hoteltürme in den Himmel. Die baulichen Extreme der beiden Wirtschaftssysteme leben in feindlicher Koexistenz.

Im Schlagschatten von Stalins Ruhm

Den Warschauern hat Josef Stalin seinen Ruhm in 230 Meter hohem Sandstein hinterlassen. Der Kulturpalast, um den herum im kommenden Sommer die offizielle Fanzone entstehen wird, ist der grau grüßende Orientierungspunkt für alle Ortsunkundigen. In seinem protzigen Schlagschatten steckt das Taxi im zähen Abendverkehr. Der Fahrer ist Fußballfan, am Armaturenbrett baumelt ein Anhänger von Legia Warschau. Englisch spricht er praktisch keins. Dennoch der Versuch: Freut er sich auf die EM? Um Gottes willen, sagt er, ohne Wörter zu benutzen, formt einfach seine rechte Hand zur Pistole und drückt an der Schläfe ab. Nein! Urlaub! Kreta. Ägypten. Er zeigt auf die Autoschlangen jenseits der Windschutzscheibe. Wie soll das alles nächsten Sommer werden?

Am Warschauer Stadion, das in polnisches Weiß-Rot gewandet ist, wird noch eifrig gewerkelt. Über 2000 Arbeiter sind mit der Fertigstellung beschäftigt. Mit dem Eröffnungstermin Anfang September hat es nicht geklappt. Ende November ist der neue Fixpunkt. Das Dach, eine Regenschirm-Konstruktion wie in Frankfurt (es waren die gleichen Architekten am Werk), ist schon fertig. Vergleichbares wie in Athen 2004, wo die olympischen Schwimmer schlussendlich unter freiem Himmel ihre Bahnen zogen, droht hier wohl nicht.

Auch in Posen wird rings um das Städtische Stadion im Vorort Grunwald noch mächtig gehämmert. Die nächste Straßenkreuzung ist halb gesperrt, Baulöcher klaffen im Asphalt. Im Innern der Arena, die einem gigantischen Käfer ähnelt, deuten die gastgebenden Fanvertreter auf zwei Ecken, in denen die blauen Sitzschalen noch auf provisorische Stahlrohrkonstruktionen geschraubt sind. „Unser Stadion ist fertig für die EM und nicht fertig für die EM“, sagen die Fans und zwinkern vergnügt.

Breslau wird im Eiltempo umbraust

In Breslau ist sie dann wieder mal Thema, die unvermeidliche Umgehungsstraße, jene Lösung allen Übels, Antwort auf alle Fragen. 30 Kilometer ist sie hier lang – und schon fertig, teilt die Dame von der Stadtverwaltung stolz mit. Seit einer Woche können die Breslauer ihre Stadt im Eiltempo umbrausen. Mit dem Boxkampf Klitschko-Adamek wird die örtliche Arena am Abend eingeweiht, die mit ihren engen, steilen Rängen und dem gewellten Dach von innen einer riesigen Turnhalle gleicht. Die Außenhaut wird zum Kampf mit bunten Bildern bestrahlt, was wirklich schön aussieht. Anders als die Baucontainer, die sich noch im Dreck der Stadionumgebung stapeln.

Tags darauf aber in der Altstadt, im warmen Licht des Spätnachmittags, das sich im Gold des Bierglases bricht, vergisst der Besucher allen Dreck und Schlamm und findet Polen einfach wunderschön. Ja, genau hier, denkt man sich, auf dem Breslauer Marktplatz und dem angrenzenden Blumenmarkt, wird sie dann pulsieren, die schönste aller polnischen Fanzonen. Inmitten der vielen hübschen bunten Häuser, hinter denen sich am Horizont die grauen Plattenbauten verlieren.

Und noch weiter dahinter, unweit der Umgehungsstraße, da wird dann im Sommer Fußball gespielt.

(dapd)