Du genialer Zaubermensch

Es war schweinekalt im Stade de France, vielleicht null Grad, vielleicht weniger. Ich konnte mir selbst beim Atmen zusehen. Doch was sich gekleidet hatte wie ein dunkler Winterabend, fühlte sich ganz anders an. Denn da unten im gleißenden Licht machtest Du Dinge, die selbst verhärmte Männerherzen erglühen lassen.

Und ja, ich schäme mich meiner Gefühle nicht: auch mein dunkles Herz wurde licht.

Özil – oder darf ich: Mesut! – was haben wir, was habe ich Dich vermisst in all den Jahren vor, nunja, Dir. Ich wusste es nicht mal. Lange Zeit, eigentlich ewig, hatten die Franzosen ja zum Beispiel Zidane, und der führte alle vor, wie er wollte. Immer und immer wieder. Auch uns.

Es gab da mal ein Spiel auf Schalke, 0:3 ging das aus, glaube ich – nicht so wichtig, denn viel eindrücklicher als das Ergebnis war das Gefühl der Demütigung, so grausam, diese Schmach durch Zizous Pirouetten, und die Befürchtung, nein, die Gewissheit, dass der deutsche Rumpelfußball niemals einen solch großen Meister hervorbringen würde.

Und jetzt, Mesut, jetzt dieser magische Abend von Paris. Dieses Raunen der Fans, Deutsche wie Franzosen, wenn Du den Ball berührtest! Dieser Hackentrick in der ersten Hälfte, mit links hinter dem Standbein entlang, oh, ich habe alles genau sehen können von meinem kalten Sitz hoch oben unterm Dach!

Um mich herum jauchzten kaum verhohlen Männer mittleren Alters über Deine Richtungsänderungen, die Körpertäuschungen, die kleinen Demütigungen – mitunter löffelst Du den Ball ja wie ein Klümpchen Kaviar – und dann diese Pässe wie der vor Khediras 2:1, Pässe wie eine straffe Gitarrensaite, nie im Ton vergriffen.

Wer ist noch Referenz für Dich an solchen Abenden? Wem, außer Messi und vielleicht Ronaldo, musst Du Dich überhaupt noch unterordnen in der weltweiten Hitliste der Techniker?

Dabei wirkst Du in Deinen Bewegungen zunächst immer so, als habest Du Dich nur von Deinem großen Bruder zu einem Spiel im Käfig überreden lassen. Na gut, ich mach dann auch mal mit. Schleppenden Schrittes, den Oberkörper gebeugt, ziehst Du scheinbar gleichgültig Deine Kreise.

Aber dann, dann, oh, wehe dem, der sich davon täuschen lässt, dann eine blitzschnelle Aktion, ein kurzer Sprint, ein Haken oder eben eines dieser blitzgescheiten, zauberhaft schnurstracken Zuspiele.

Nein, wirklich, ich kann es nicht anders sagen: Es is‘ so schön, dass es Dich gibt! Denn Mesut, Du genialer Zaubermensch, wir haben Dich lange, viel, oh, allzu lang vermisst. (11FREUNDE.de)

Das große Missverständnis

– DFB und Fans entfremden sich immer mehr – neue Eskalationen drohen

Berlin (dapd). Vor einem Jahr hatten sie noch an einem Tisch gesessen, am Dienstag sprachen sie auf zwei streng getrennten Podien. Schon rein optisch wurde die Diskrepanz deutlich: Im Berliner Hotel Intercontinental saßen die Vertreter von Fußballverbänden und Politik in ihren dunklen Anzügen, kurz zuvor hatten im Hotel Palace eine Ecke weiter die kunterbunt gekleideten Fanvertreter zu einer etwas chaotischen Gegenveranstaltung geladen. Im Sommer 2011 haben sich die beiden Seiten noch scheinbar konstruktiv ausgetauscht. Im Sommer 2012 reden sie aneinander vorbei.

DFB-Präsident Wolfgang Niersbach sagte nun „Gewalt und Pyrotechnik“ auf den Rängen der deutschen Arenen den Kampf an und formulierte eine „Null-Toleranz-Politik“, die künftig beherzigt werden soll. Fanverteter, die hinterher von einem „Schlag ins Gesicht“ sprachen, hatten schon vorher kritisiert, dass sie nicht eingeladen worden waren zum Sicherheitsgipfel von DFB, Innenpolitik und den drei Profiligen. „Wir sind diejenigen, die am nächsten dran sind an der Kurve, wir erreichen diese Leute“, hieß es von der Organisation ProFans.

DFB und DFL aber setzen nach zahlreichen Vorfällen in und um die Stadien in den letzten Monaten nicht mehr auf den Dialog. Das Wort kam nur in einem Nebensatz von Ligaboss Reinhard Rauball vor, in der offiziellen Pressemitteilung versteckt es sich im allerletzten Statement. Stattdessen wird die Leine straff angezogen. Stadionverbote sollen bald wieder für fünf statt wie seit 2007 nur für drei Jahre ausgesprochen werden, „bei ganz schweren Fällen sind sogar zehn Jahre geplant“, sagte Rauball. Welche Vergehen gemeint sind, müsse noch „festgelegt werden“.

Doch werden verschärfte Sanktionen die Gewaltproblematik beheben können? Wird das strikte Verbot von Pyrotechnik, das von offizieller Seite bekräftigt wurde, die Feuer in den Kurven löschen?

Nein, findet Harald Olschok vom Bundesverband der Sicherheitswirtschaft (BDSW): Davon auszugehen, dass die Anhebung der Stadionverbotsdauer eine große Wirkung habe, sei „naiv“, sagt Olschok der dapd. „Um es populistisch zu sagen: Durch die Einführung der Todesstrafe verhindere ich keine Morde.“ Nein, findet auch Rene Lau von der AG Fananwälte. „Mit Stadionverboten bekommt man keine Befriedung hin. Das meiste passiert ohnehin außerhalb der Stadien“, sagt er der dapd. Die Fanprojekte der Klubs erhielten „keinen Cent mehr“ als bislang, stattdessen sei das eingetreten, was von Fanseite befürchtet worden sei: „Repressalien und verschärfte Bestimmungen“, sagt Lau. „Es herrscht Resignation bei den Fans, teils auch Wut.“

Diese Stimmung war schon vor der Bekanntgabe der Sicherheitsmaßnahmen greifbar gewesen. Mit auf dem Podium saß in Jannis Busse einer, der vor einem Jahr noch mit den DFB-Sicherheitsbeauftragten über Pilotprojekte zur Legalisierung von Pyrotechnik verhandelt hatte. Zu Saisonbeginn kündigte der DFB die Gespräche plötzlich auf, nach der mit wildem Bengalo-Einsatz begleiteten Randale beim Pokalspiel Dortmund-Dresden im Oktober formulierte der Verband schließlich ein klares „Nein“ zur Pyrotechnik.

„Man hat uns abgefertigt“, sagt Busse. Folge: Es brannte umso mehr auf den Rängen. Fananwalt Lau hofft, dass es nun nicht zu vermehrter Gewalt kommt. „Aber die Fans werden ihrem Ärger Luft machen, mit Transparenten und Choreografien.“

Die Zukunftsprognose zeichnet sich dunkel. Am Freitag beginnt mit dem Spiel der Traditionsklubs Arminia Bielefeld und Alemannia Aachen bereits die Drittliga-Saison. Die Stimmung auf den Stehplätzen dürfte nicht ruhiger werden. Zusätzlich zu notorisch gewaltbereiten Gruppen kommt eine wachsende Zahl verbitterter Ultras, die sich von den Verbänden vor den Kopf gestoßen fühlen.

Der DFB hat allein in den vergangenen zwei Monaten 20-mal Klubs für Bengalo-Einsatz, Platzstürme und Gewalt bestraft. Die Rekordmarke von über einer Million Euro an Strafgeldern aus dem vergangenen Jahr wird 2012 erneut übertroffen werden. Die von vielerlei Seite angemahnte „Versachlichung“ der Problematik, etwa der Differenzierung der Platzstürme in Düsseldorf und Karlsruhe, in ihrer Motivation völlig unterschiedlich, findet derweil nicht statt. Man spricht eben nicht mehr miteinander.

Hungrig und inspiriert zum Sieg

– Frankreichs Equipe zeigt sich gegen Deutschland in EM-Form

Bremen (dapd). Die erste Halbzeit war noch nicht vorbei, da stimmten die französischen Fans hoch oben im Gästeblock im Bremer Weserstadion bereits zum zweiten Mal an diesem Abend die „Marseillaise“ an. In der a-capella-Version des Hymnenklassikers sangen sie von jenem berühmten Tag des Ruhms, der nun wieder gekommen sei.

Auch nach dem Schlusspfiff konnten die Gäste noch stolz auf sich sein. Auf das Ergebnis (2:1) einerseits, für den 17. der Weltrangliste beim Zweiten Deutschland ein hübscher Sieg der Kategorie „Achtungserfolg“. Mehr noch aber auf die Art und Weise, wie sich die Mannschaft von Laurent Blanc am Mittwochabend präsentiert hatte: Hungrig, lauffreudig und offensiv inspiriert.

„Das Ergebnis hat uns gar nicht interessiert“, sagte Blanc gleich nach dem Spiel, „wir wollten an uns arbeiten und besser werden.“ Genau das versucht Blanc mit seinem Team seit Amtsübernahme nach der WM 2010 – dem absoluten Tiefpunkt der sportlichen Entwicklung und des Verhältnisses zwischen Fans und Nationalelf.

Diese folgte am Mittwoch perfekt der ausgegebenen Chronologie. Vor dem Spiel hatte Blanc nämlich gesagt, es gelte, die ersten 20 Minuten zu überstehen. Dies schafften die Blauen, indem sie die deutsche Behelfsabwehr beim Spielaufbau ständig unter Druck setzten und dadurch Fehler provozierten. Sobald die 20 Minuten überstanden waren, ließ Rechtsverteidiger Mathieu Debuchy sein Gegenüber Dennis Aogo ins Leere laufen, flankte scharf in die Mitte, wo Olivier Giroud zur Führung einschob. Man schrieb die 21. Minute.

Für Debuchy, dem Mann des Abends vom OSC Lille, der auch Frankreichs zweites Tor einleitete, war es dabei erst das dritte Länderspiel – wie auch für Benzema-Ersatz Giroud aus Montpellier. „Wir haben ein perfektes Match gespielt“, befand Debuchy, der dem heillos überforderten Aogo zeigte, was man auf dieser Position auch offensiv so alles anstellen kann – auch wenn ihm das gegen Philipp Lahm sicher nicht in dem Maße gelungen wäre.

Besonders bei der Zusammenstellung des Mittelfelds aber hatte Blanc die richtigen Entscheidungen getroffen. Die offensive Dreierkette bestückte er neben dem unglaublich wendigen 1,67-Meter-Mann Mathieu Valbuena von Olympique Marseille mit seinen prominenten Legionären Samir Nasri und Franck Ribery. Diese drei wirbelten meist zusammen auf engem Raum, mal rechts, mal links, mal zentral. Einzig Ribery, nach Zusammenprall mit Marco Reus auch früh beeinträchtigt, fiel etwas ab. Er sucht im Nationalteam nach wie vor nach der Bayern-Form. Mit einem Pferdekuss schied er zur Halbzeit aus.

„Wir haben versucht, möglichst hoch zu stehen, um die deutsche Offensive nicht entfalten zu lassen – das hat geklappt“, sagte Blanc, der für seine Verhältnisse fast schon emotional wurde: „Ich habe das Spiel sehr genossen, es war wirklich toll.“ Der Auftritt wäre einer der besten unter seiner Regie gewesen.

Blancs Umbau und Neuausrichtung der sportlich wie moralisch desaströsen WM-Mannschaft scheint immer besser zu gelingen – sie ist nun seit 18 Spielen ungeschlagen. Blanc setzt neben einigen erfahrenen Leuten wie Eric Abidal (32) und Philippe Mexes (29) auf den Hunger der Jungen. Patrice Evra, einer der Rädelsführer der Rebellion von Südafrika, saß derweil 90 Minuten auf der Bank.

Noch gibt es – natürlich – auch Steigerungsbedarf, das zeigte sich im zweiten Teil der ersten Hälfte, als Deutschland mit schnellen Kombinationen die Viererkette ein paar Mal überwand. Auch ihre Anfälligkeit für Standardsituationen haben die Franzosen noch nicht abgelegt. Man muss sie also nicht gleich zum „Mitfavoriten“ für die EM machen wie Joachim Löw schon vor dem Spiel. Nur unterschätzen sollte man die neu inspirierten Blau-Weiß-Roten in keinem Fall.

Wem die Stunde mehrfach schlägt

– Deutsche U21 siegt locker mit 8:0 in San Marino und übt sich in Understatement

Berlin/Serravalle (dapd). Die Glocken läuteten so schön am Montagabend gegen zehn nach acht in der stolzen Republik San Marino. Ihr klarer Klang schallte durch das Stadio Olimpico von Serravalle, das mit 7.000 Plätzen wohl das kleinste Olympiastadion der Welt ist. Noch dauerte das mehrstimmige Konzert an, da klingelte es auch schon anderweitig.

Die deutsche U21-Nationalmannschaft ließ sich vom Gebimmel nicht beirren: Peniel Mlapa von der TSG Hoffenheim hatte mit zwei schnellen Treffern bereits nach fünf Minuten die Vorentscheidung in dieser Partie herausgeschossen, als die Glocken verstummten und sich eine gespenstische Stille über Serravalle legte. „So einen Start hatte ich noch in einem Wettbewerbsspiel“, wunderte sich der eifrige Torschütze, der später noch ein drittes Erfolgserlebnis feiern durfte.

Schwer als Pflichtspiel zu erkennen

Nun war dieser Kick in der fortan stillen Nacht von San Marino für Uneingeweihte auch schwer als Pflichtspiel zu erkennen. Rund 500 Zuschauer verloren sich auf den Rängen, die Geräuschkulisse glich ebenso wie das Geschehen auf dem Rasen einem Vergleich zu Testzwecken zwischen, sagen wir: einem Bundesligisten und einer Regionalliga-Mannschaft.

„San Marino hat sich ausschließlich auf die Defensive konzentriert“, stellte DFB-Kapitän Tony Jantschke korrekt fest. Mit nicht immer fairen Mitteln versuchten die Fußball-Amateure aus dem Zwergenstaat, wenigstens das größte Unheil zu verhindern. Und so durften sie sich nach 90 Minuten zumindest über einen kleinen Erfolg freuen: Einen neuen Rekordsieg feierte die Elf von Rainer Adrion beim 8:0 (5:0) nicht – dazu fehlten vier Treffer.

Adrion wusste das Gesehene dann auch richtig einzuordnen: „Die Tabelle sieht zwar gut aus, aber wir haben als einzige Mannschaft schon zwei Mal gegen San Marino gespielt“, sagte er und verwies auf größere Prüfungen in den Auswärtsspielen in Griechenland und auf Zypern.

„Weiter Weg bis zur EM“

Nun sollten auch diese Spiele für die technisch und körperlich sehr gut ausgebildete deutsche Nachwuchs-Auswahl machbar sein, schließlich ist sie mit fünf Siegen aus fünf Spielen sowie 23:1 Toren bislang nur so durch die Qualifikation für die EM 2013 gepflügt. Eine ähnlich souveräne Bilanz bislang wie das „große“ Team von Joachim Löw. Und selbst das Understatement sitzt schon: „Wir wissen auch, dass es noch ein weiter Weg bis zur EM ist“, sagte etwa Mlapa. Doch auch er wird wissen, dass alles andere als der Gruppensieg bei dieser Ausgangslage nicht mehr vermittelbar ist.

Sehr zufrieden über die 90-minütige Trainingseinheit vom Montag dürften auch die Vereinstrainer sein. Mlapa (noch kein Saisontor für Hoffenheim) nutzte ebenso wie Doppeltorschütze Alexander Esswein, der für den 1. FC Nürnberg bisher einmal traf, die Gelegenheit, ihr Gespür für Pflichtspieltore zu üben. Und auch der achtfach überwundene Torwart Mattia Manzaroli freut sich wohl auf die Rückkehr zu seinem Klub. Für den AC Juvenes/Dogana musste er zuletzt nur einmal den Ball aus dem Netz holen.

„Viele mit meinen Anlagen gab es nicht“

– Yildiray Bastürk entschied sich, für die Türkei zu spielen – auch weil der DFB sich nicht für ihn interessierte

Berlin (dapd). Yildiray Bastürk, 1978 im westfälischen Herne geboren, absolvierte insgesamt 49 Länderspiele für die Türkei und wurde mit dem Heimatland seiner Eltern WM-Dritter 2002. Im Gespräch mit dapd-Korrespondent Johannes Ehrmann erklärt der 249-malige Bundesligaspieler, warum er nie für Deutschland auflief und spricht über die Unterschiede zwischen der Situation vor zehn Jahren und heute.

dapd: Der türkische Europa-Scout Erdal Keser betont immer wieder, dass die Entscheidung für eine Nationalmannschaft eine Herzensangelegenheit sein sollte. War es das für Sie damals?

Bastürk: Zu meiner Zeit war alles ja noch ein bisschen anders als heute, Spieler mit Migrationshintergrund gab es ja praktisch gar keine. Außerdem habe ich sehr früh, nämlich bei der U16, angefangen, für die Türkei zu spielen. Dann noch den Verband zu wechseln, war damals schwieriger als heute.

dapd: Hat sich der DFB nicht für Sie interessiert?

Bastürk: Erst anderthalb Jahre später, als ich 18 war. Ich spielte in der Westfalen-Auswahl und wurde rings um ein Länderspiel in Duisburg gefragt, ob ich Lust hätte, für Deutschland zu spielen.

dapd: Aber Sie hatten keine?

Bastürk: Ich hatte einfach schon einige Turniere mit den türkischen Spielern zusammen gespielt und viel Spaß mit der türkischen Mannschaft gehabt, von daher war die Sache schon erledigt für mich.

dapd: Wie war denn der erste Kontakt zum türkischen Verband zustande gekommen?

Bastürk: Das ging von mir aus. Ich habe meinen Jugendleiter bei Wattenscheid 09 gefragt, ob es die Möglichkeit gibt, den Kontakt zum türkischen Verband herzustellen. Zufällig war nur eine Woche später ein Sichtungslehrgang für 14- bis 17-Jährige in München. Der Jugendleiter fuhr mich und einen Mitspieler hin. Ich habe zwei Spiele gemacht, am Ende wurden vier oder fünf von sechzig Teilnehmern ausgewählt. Ich war dabei.

dapd: Kaum zu glauben, dass Ihre Nationalmannschaftskarriere auf eine persönliche Initiative zurückging.

Bastürk: Damals waren die Türkei aber auch Deutschland noch bei weitem nicht auf dem Stand wie heute, was die Sichtung betrifft.

dapd: Welchen Einfluss haben Ihre Eltern genommen?

Bastürk: Die haben sich eigentlich völlig rausgehalten, weil sie auch gar nichts von Fußball verstehen. Mein Bruder hatte Einfluss, aber es war meine eigene Entscheidung.

dapd: Das erste Länderspiel bestritten Sie als 19-Jähriger 1998 gegen Albanien, dann aber hatten Sie drei Jahre keinen Einsatz mehr für die A-Auswahl.

Bastürk: Ja, das stimmt. In der Türkei dachte man sich wohl, komm, den laden wir ein, dann haben wir ihn auf der sicheren Seite. Mustafa Denizli hat mich damals berufen, ich habe aber, glaube ich, nur zwei oder drei Minuten gespielt. Danach wurde ich dann zwei, drei Jahre lang in der türkischen U21 eingesetzt.

dapd: Hätten Sie sich auch eine Karriere im DFB-Trikot zugetraut?

Bastürk: Auf jeden Fall. Sehen Sie, ich habe ja mit 22 schon mit Bayer Leverkusen in der Champions League gespielt, mit 23 habe ich an der WM teilgenommen. Ich denke schon, dass ich auch in Deutschland meine Chance gehabt hätte, so viele Spieler mit meinen Anlagen gab es ja damals nicht.

dapd: Vor zehn Jahren herrschte in Deutschland im Gegensatz zu heute ein großer Mangel an kreativen Mittelfeldspielern.

Bastürk: Jürgen Klinsmann sagte später einmal, dass ein Mann wie ich der deutschen Mannschaft gut getan hätte. Aber die Zeiten waren eben andere, wie ich schon sagte. Spieler mit Migrationshintergrund gab es kaum im deutschen Team. Das fing ja gerade erst an, mit Gerald Asamoah zum Beispiel.

dapd: Rückblickend haben Sie vieles richtig gemacht mit Ihrer Entscheidung. 2002 wurden Sie sensationell WM-Dritter mit der Türkei. Ihre schönste Erinnerung der Karriere?

Bastürk: Das Jahr 2002 allgemein, die Saison mit Leverkusen und dann die WM mit der Türkei. Schon als wir uns nach fast 50 Jahren das erste Mal wieder qualifiziert hatten, war die Euphorie sehr groß. Die WM war ein großartiges Turnier mit einer großartigen Mannschaft: Hakan Sükür, Ilhan Mansiz, Bülent Korkmaz. Wenn Sie heute durch die Türkei fahren und die Leute nach der besten türkischen Mannschaft fragen, werden sehr viele das Team von 2002 nennen. Vergleichbar war die Begeisterung nur noch 2008 während der EM.

dapd: Da schied die Türkei erst im Halbfinale aus – gegen Deutschland. Sie waren nicht dabei, weil Fatih Terim Sie vor dem Turnier aus dem Kader strich.

Bastürk: Das war eine negative Erfahrung, die mich sehr lange begleitet hat und mich manchmal immer noch belastet. Das war der tiefste Punkt meiner Karriere, eine große Enttäuschung. Ich konnte die Entscheidung wie viele andere nicht nachvollziehen. Aber so ist der Fußball, man kann nicht nur Höhen haben.

dapd: Nuri Sahin, die Altintops, jetzt Ömer Toprak – nach Ihnen haben sich zahlreiche Deutsch-Türken für die türkische Auswahl entschieden. Manche sagen, das sei unfair gegenüber dem deutschen Verband und den Klubs, die sie für viel Geld ausgebildet haben.

Bastürk: Ich kann das verstehen, wenn man so viel in einen Spieler investiert hat. Aber auch die andere Seite ist für mich nachvollziehbar. Ich weiß nicht, ob Ömer Toprak eine Perspektive in der deutschen Nationalmannschaft gehabt hätte oder nicht. Das kann ich nicht beurteilen. Jeder Spieler ist selbst verantwortlich für seine Entscheidung. Wie gesagt, ich verstehe beide Seiten.

Zwischen den Kulturen

– Erdal Keser sichtet deutsch-türkische Nachwuchsspieler für den türkischen Verband

Berlin (dapd). Der Mann aus Hagen hat klare Vorstellungen. „Wir suchen derzeit vor allem Abwehrspieler und defensive Mittelfeldspieler“, sagt Erdal Keser. „Spielmacher haben wir in der Türkei mehr als genug.“ Keser, 50 Jahre alt, in Deutschland aufgewachsen, ehemaliger Bundesligaspieler für Borussia Dortmund, leitet das Europa-Büro des türkischen Fußballverbands in Köln. Keser ist die Schnittstelle zwischen den Kulturen. Wer in Europa jung ist, ambitioniert Fußball spielt und türkische Wurzeln hat, der wird früher oder später mit ihm Bekanntschaft machen. Eher früher.

Natürlich habe er auch schon bei den WM-Stars der deutschen U17 angeklopft, sagt Keser. Die haben im Juli sogar die Ballkünstler aus Brasilien ausgezaubert, sind in Mexiko auf begeisternde Art Dritter geworden. Die Protagonisten hießen unter anderem: Samed Yesil, Robin Yalcin, Okan Aydin, Levent Aycicek oder Emre Can. Insgesamt acht Kinder türkischer Eltern kombinierten sich durch die Abwehrreihen, erzielten Traumtor auf Traumtor. Eine goldene Generation.

„Lagebesprechung“ mit den Familien

Keser ist natürlich schon viel früher auf sie aufmerksam geworden als die deutsche Öffentlichkeit – und auch auf sie zugegangen. Ein Jahr vor dem Turnier etwa war das, sagt er. „Ich nehme dann den Kontakt zu dem Spieler selber auf oder zur Familie, wir treffen uns zu einer Art erster Lagebesprechung“, erklärt Keser mit ruhiger Stimme und leichtem Ruhrgebiets-Einschlag. In diesem Fall sei es dabei geblieben: „Sie haben gesagt, dass sie zurzeit glücklich sind. Ich habe ihnen dann noch viel Glück gewünscht, das war’s.“

Doch ganz so harmlos verläuft die Hatz nach den Talenten nicht immer. Im Sommer gerieten Keser und DFB-Sportdirektor Matthias Sammer öffentlich aneinander, nachdem Keser angekündigt hatte, dass einige der U17-Spieler schon für die Türkei zugesagt hätten. Namen nannte er keine. Kapitän Can und Yesil bekannten sich nach dem Turnier dazu, ihren Weg beim DFB gehen zu wollen.

Für die Spieler ist es auch eine strategische Entscheidung. Der Weg in die türkische Auswahl ist tendenziell der leichtere. Und verpokert hat man sich schnell. Serdar Tasci etwa spielt in Joachim Löws Planungen keine Rolle mehr, kann aber, selbst wenn er wollte, nicht mehr zum türkischen Verband wechseln, weil er bereits im deutschen Trikot Pflichtspiel-Einsätze absolviert hat.

Die hohe Konkurrenz auf der deutschen Innenverteidigerposition mag auch in den Überlegungen von Ömer Toprak eine Rolle gespielt haben, der sich als bislang letzter Deutsch-Türke für das Heimatland seiner Eltern entschieden hat und am Freitag sein Debüt geben könnte. Nuri Sahin, die Altintop-Brüder, Mehmet Ekici, Gökhan Töre, Tunay Torun, Hakan Balta – die Reihe der in Deutschland ausgebildeten Nationalspieler, die mit Stern und Halbmond auf der Brust auflaufen, ist lang und wird länger.

Die Eltern bevorzugen meist die Türkei

Dass die Mehrzahl der 25 ihm unterstellten Europa-Scouts in Deutschland nach Talenten sucht, verhehlt Keser nicht, schließlich leben hier 2,5 Millionen Menschen mit türkischen Wurzeln. „Benelux, Österreich, Schweiz“, dies seien die Länder, die danach folgten, sagt Keser.

Die Eltern, die meist noch starke Bindungen in ihre alte Heimat haben, würden die türkische Lösung in der Regel bevorzugen. Doch das sei oft nicht entscheidend. „Wissen Sie, das sind ja alles mündige Jugendliche mittlerweile“, sagt Keser. „Da sagen die Eltern schon ab 14, 15, dass ich das mit ihrem Sohn selber abmachen soll.“

Größere Eingewöhnungsschwierigkeiten hätten die in Deutschland geborenen und aufgewachsenen türkischen Nationalspieler nicht, sagt Keser: „Wenn sie kein Türkisch sprechen, was wir auch schon hatten, dann wird eben Englisch oder Deutsch gesprochen.“

Und wenn Keser weiterhin erfolgreich arbeitet, könnte Deutsch schon bald die inoffizielle Amtssprache der türkischen Nationalelf werden.

Rauchzeichen in der Kurve

– Ultras und DFB verhandeln um Legalisierung von Pyrotechnik – derzeit gibt es einen Waffenstillstand

Berlin (dapd). Die Grafiker der Kampagne haben für das Logo jenes Farbschema ausgewählt, in das sich die Ultra-Bewegung gezwängt sieht: schwarz und weiß. Drei junge Männer, Kappe, Kapuze, Fanschal, halten drei Fackeln in die Höhe, deren Flammen sich zu einem gemeinsamen, großen Feuer umschlingen. Darunter das Motto: „Pyrotechnik legalisieren, Emotionen respektieren.“

Vereinstreue, Choreografien, Dauersupport auf der guten Seite, Gewaltbereitschaft, Kritikunfähigkeit und eben auch gefährliche Zündelei auf der anderen. Das sind die Attribute, die in der Bewertung dieser bis ins Extreme treuen Fans meist gegeneinander gestellt werden. Die Zwischentöne sind kompliziert.

Die deutschen Ultras haben sich für den komplizierten Weg entschieden. 56 der notorisch rivalisierenden Fangruppen sind gemeinsam losmarschiert im Herbst 2010. Auf der „Fandemo“ in Berlin im Oktober hatten sie sich schon ein bisschen beschnuppert, danach formierte sich das Bündnis, das sich vorgenommen hat, die Verwendung von Bengalischen Feuern aus der kriminellen Ecke zu holen.

Erster Bundesligaspieler hat sich solidarisiert

Über 100 Fanvereinigungen haben sich bereits solidarisiert, auch sechs Fußballklubs unterstützen die Aktion, darunter Zweitligist Dynamo Dresden. In der vergangenen Woche bekannte sich Mathias Abel vom 1. FC Kaiserslautern als erster Profi zur Initiative. „Pyrotechnik beflügelt die Mannschaft und die einzelnen Spieler. Kontrolliert kann es eine sinnvolle Sache sein“, sagte Abel.

Die Ultras haben es bis an den Verhandlungstisch mit dem DFB geschafft, schon das darf als Erfolg gelten. Denn der Verband vertrat in den letzten Jahren eine Politik der geringen Toleranz gegenüber Zündlern, denen im schlimmsten Fall Stadionverbote und Zivilklagen drohten. „Dass wir so schnell mit dem DFB zusammensitzen würden, hätten wir ehrlich gesagt nicht erwartet“, sagt Jannis Busse, ein Sprecher der Initiative von den Ultras Hannover, der dapd Nachrichtenagentur.

Zwei Treffen fanden nach dapd-Informationen bereits statt, beide in der DFB-Zentrale in Frankfurt am Main, das erste kurz vor dem Ende der vergangenen Saison, das zweite Anfang Juli. Zunächst ging es um gegenseitiges Beschnuppern, dann um einen konkreten Fahrplan.

Heraus kam zunächst ein Waffenstillstand. An den ersten drei Spieltagen verzichten die Ultras auf Pyro-Aktionen – als Zeichen des guten Willens. „Noch ist nichts erreicht, im Gegenzug haben wir dem DFB natürlich noch nicht die Freigabe von Pyrotechnik abgerungen“, sagt Jannis Busse. Doch die Ultras hoffen, dass der Verband, wenn die Kurven tatsächlich rauch- und böllerfrei bleiben, grünes Licht für den nächsten Schritt gibt. Der könnte so aussehen, dass Verein, Ordnungsamt und Fans eine „lokale Genehmigungspraxis“ erarbeiten. Es geht darum, wann und wo Pyrotechnik erlaubt wird, zum Beispiel in bestimmten Bereichen der Kurve vor dem Spiel.

„Paar Sturköppe, die von nichts abrücken“

Es wäre eine kleine Revolution in der Fankurve. „Nach jahrelangem Nicht-Verhältnis und Missverständnissen zwischen DFB und Ultras ist das jetzt ein Schritt in die richtige Richtung“, sagt Busse.

Der Ende August scheidende DFB-Sicherheitsbeauftragte Helmut Spahn war auf dapd-Anfrage in dieser Woche nicht zu erreichen. Auf Fanseite bekam man den Eindruck, dass der DFB von der geschickten Verhandlungsführung bei den beiden Treffen überrascht war. „Sie dachten wohl, da kommen ein paar Sturköppe, die von nichts abrücken wollen“, sagt ein Gesprächsteilnehmer.

Doch es gibt Entgegenkommen von den Fans: „Schluss mit Böllern, Kanonenschlägen und sonstigen Knallkörpern“, sagen sie. Vor den Gesprächen hatte Spahn unmissverständlich klargemacht, dass die Sicherheit der Zuschauer „oberste Priorität“ hat. Denn der weite Begriff der Pyrotechnik umfasst nicht nur schön und bunt qualmenden Rauch. Einige verstehen darunter auch das Detonieren von hochgefährlichen „Polenböllern“, im Ausland gefertigter Feuerwerkskörper mit höchster Sprengkraft.

Dass sich die „Initiative Pyrotechnik“ von diesen Krachern distanziert, ändert nichts an der latenten Gefahr. „Ganz unabhängig von einer Legalisierung kann immer etwas passieren“, sagt Jannis Busse. Erst am 34. Spieltag der vergangenen Saison schmiss ein Fan in der Kaiserslauterer Westkurve einen Böller in die Menge, es gab mehrere Verletzte.

Eine Fankurve sei kein Puppentheater, sagt einer der Unterstützer der Kampagne. Nicht jeder lasse sich von den Ultras was sagen. Alle Beteiligten wissen: Passieren kann immer was. Denn neben guten Vorsätzen gibt es auch bösen Willen.

Rauchzeichen in der Kurve

– Der Einsatz von Pyrotechnik in den Fankurven wird hart bestraft. Nun wollen 55 deutsche Ultra-Gruppierungen eine legale Lösung erstreiten – der DFB setzt sich erstmals mit ihnen an einen Tisch.

Berlin (Tsp) – Als die Glocken läuteten, fing es an zu rauchen. Und als ein paar Sekunden später die ersten Riffs des Hardrock-Klassikers „Hell’s Bells“ aus den Boxen fetzten, zog bereits dicker weißer Qualm über den Gästeblock am Hamburger Millerntor. Der weiß gefrorene Rasen erschien in einer surrealen Tönung aus Feuer, Rauch und Flutlicht.

„Wir wollten zeigen, dass es nicht gleich Schwerverletzte geben muss, wenn Bengalos abgebrannt werden“, sagt Christian von der Lauterer Ultragruppierung „Pfalz Inferno“. Die Aktion der FCK-Fans zum Spiel ihrer Mannschaft beim FC St. Pauli war nur eine von vielen der letzten Wochen – auch an diesem Wochenende in Berlin waren bei Hallenturnieren wieder Transparente pro Pyrotechnik zu sehen.

Die deutschen Ultras, jene Fans also, die sich als harter Kern der Fankurven und Zentrum des Supports sehen, machen mobil. 55 Ultragruppen aus dem ganzen Land haben die Kampagne „Pyrotechnik legalisieren – Emotionen respektieren“ ins Leben gerufen. Sie wollen künftig auf den Rängen ganz legal Bengalos und Rauchtöpfe zünden dürfen. Dafür distanzieren sie sich in ihrem offiziellen Statement von „Böllern, Kanonenschlägen und sonstigen Knallkörpern“ wie Leuchtspurmunition und stellen klar: „Pyrotechnik gehört in die Hand, auf keinen Fall in die Luft und nach Möglichkeit nicht auf den Boden.“

Über 60 Fangruppen haben sich seit Beginn solidarisiert, Drittligist Dynamo Dresden unterstützt die Bemühungen der Fans als erster Profiverein. Der Schulterschluss der Fans quer durch die Vereinsszenen hat bereits das erste Ziel erreicht und eine Diskussion um Pyrotechnik in den Stadien losgetreten. Nun hat also auch der deutsche Fußball eine Rauchdebatte. Das vielleicht Erstaunlichste: Der Deutsche Fußball-Bund (DFB) hat Gesprächsbereitschaft signalisiert. Helmut Spahn, seit Ende 2006 DFB-Sicherheitsbeauftragter und Hauptabteilungsleiter Prävention und Sicherheit, will sich in den kommenden Wochen mit den Fans an einen Tisch setzen. „Es sieht alles danach aus, dass wir uns bald treffen“, sagte Spahn. In der Vergangenheit hatte sich der Dialog zwischen Offiziellen und Fußballfans meist auf das Aussprechen von Sanktionen beschränkt. Noch Mitte September war der Chemnitzer FC am Verbandsveto gescheitert, obwohl eine geplante Pyro-Show beim Spiel gegen den VfB Lübeck von den örtlichen Behörden bereits genehmigt worden war. Der Antrag sei zu kurzfristig eingetroffen, teilte der DFB mit.

Doch nun ist Bewegung in die Sache gekommen. Die rivalisierenden Ultragruppen sind sich bei der Fandemo am 9. Oktober in Berlin näher gekommen. „Das war der erste große Schritt in Richtung Zusammenarbeit“, sagt Fossa von den „Harlekins Berlin“. Die Ultragruppe von Hertha BSC gehört zu den Erstunterzeichnern der Pyro-Erklärung – ebenso wie die „Hammerhearts“ und das „Wuhlesyndikat“ des Stadtrivalen 1. FC Union. Auf der Website der „Harlekins“ prangt ein Foto der Kaiserslauterer Westkurve mit zig brennenden Bengalos. „Für uns ein absolutes Sinnbild für die Entwicklung der Pyrotechnik in Deutschland“, sagt Fossa. „In den Neunzigern wurde auch bei praktisch jedem Hertha-Spiel gezündet.“ Bengalos und Rauchtöpfe sind für ihn „ein klassisches Stilmittel“ der Kurve.

Das ist die eine Seite. Auf der anderen Seite sind zahlreiche Vorfälle aus den letzten Jahren zu nennen, bei denen Pyrotechnik außer Kontrolle geraten ist. Bilder, die Zuschauer und Verbände empört haben, wie die vom EM-Qualifikationsspiel aus Genua, als Vermummte aus dem serbischen Block qualmende Fackeln aufs Spielfeld warfen, Bilder von gestandenen Spielern, die weinten wie kleine Kinder. Die Ultras stemmen sich auch gegen ihren eigenen Ruf, der durch die gefährlichen Zündeleien gelitten hat. Auch in Deutschland. Ende Februar 2010 beispielsweise erlitten mehrere Menschen beim Bundesligaspiel des VfL Bochum gegen den 1. FC Nürnberg schwere Verbrennungen, als im Gästeblock mit Magnesiumpulver hantiert wurde. „Das hat mit einer geilen Pyro-Show nichts zu tun, sondern ist nur extrem gefährlich“, sagt Christian vom „Pfalz Inferno“.

Doch unter den Ultras herrscht noch lange kein Konsens. Einige wichtige Gruppen beteiligen sich nicht an der Initiative; aus Frankfurt am Main etwa, wo die Szene enormen Zulauf hat, kommt keine Solidarität. „Viele Gruppen beschäftigen sich mit Nebensächlichkeiten“, kritisiert Fossa von den „Harlekins“. „Es geht nur noch um Gewalt, Außendarstellung, Posen, Selbstdarstellung, darum, wer die Härtesten oder Gefährlichsten sind.“ Das gehe am ursprünglichen Ultragedanken „weit vorbei“, demzufolge der Blick sich nur auf die eigene Kurve richten solle. Dass selbst am gemeinsamen Aktionswochenende aus einigen Kurven Kanonenschläge flogen, wirft die Frage auf: Lässt sich kontrolliertes Abbrennen überhaupt praktisch umsetzen? Und wie lässt sich verhindern, dass der mühsam erkämpfte Verhandlungserfolg – wenn er zustande kommt – mit Böllerwürfen oder Leuchtraketen wieder aufs Spiel gesetzt wird? „Eine Fankurve ist kein Puppentheater, über dem man sitzt und alle nach den Fäden tanzen lässt“, gibt Fossa zu, „nicht jeder lässt sich von der Ultragruppe was sagen.“ Es werde auch darum gehen, die Kurve zu sensibilisieren und hinter der Initiative zu versammeln. „Da wird sich die Kraft und die Stärke der aktuellen Bewegung zeigen.“ Bei Hertha bemühe sich beispielsweise der „Förderkreis Ostkurve“ um eine bessere Kommunikation zwischen den Fangruppen.

„Es wäre schade, wenn einzelne Chaoten unsere Arbeit zunichte machen“, sagt auch Christian vom „Pfalz Inferno“, der „Aufklärungsarbeit bei den anderen Fans“ fordert. Wenn Fossa von Pyrotechnik redet, fällt oft das Wort „Leidenschaft“. Auch darum werde es gehen. Denn eine allzu sterile Lösung kann man sich auf Ultraseite nicht recht vorstellen. „Leidenschaft ist definitiv nur im Block möglich“, erklärt das Mitglied der „Harlekins“. „Sich stur vor die Kurve zu stellen, ein Bengalo hochzuhalten und es dann in einen Eimer zu packen, hat wenig mit Leidenschaft zu tun.“

Beispielhaft ist die Entwicklung in Chemnitz, wo der Dialog zwischen Fans und Behörden bereits genehmigte Pyro-Aktionen möglich gemacht hat. „Die Erfahrungen sind durchweg positiv“, sagt Kay Herrmann, Leiter des Chemnitzer Fanprojekts. Schon dass die Ultras mit der Polizei zusammenarbeiteten, sieht er als gute Entwicklung. Planen die Fans des Viertligisten für ein Spiel eine Bengalo-Aktion, erstellen Fans, Verein, Polizei, Ordnungsamt, Fanprojekt und Fanbeauftragte ein Konzept. Weil die Stadien in der Bundesliga um ein Vielfaches größer sind, sieht Kay Herrmann die Lösung in einer „lokalen Genehmigungspraxis“, bei der die örtlichen Behörden entscheiden, was wo zugelassen wird.

In Österreich gibt es bereits eine landesweite Lösung. Seit dieser Saison dürfen dort in designierten Bereichen in den Kurven bengalische Feuer abgebrannt werden – das Resultat einer Faninitiative. „Das ist fast die Optimallösung, die man hier in Deutschland erreichen könnte“, sagt Fossa, der hofft, dass es von Seiten des DFB „nicht bei Lippenbekenntnissen bleibt“. Sicherheitschef Helmut Spahn gibt der Sicherheit der Zuschauer „oberste Priorität“, kündigte aber an, „ohne Vorbehalte und ergebnisoffen“ in die Diskussion gehen zu wollen. Sonst wäre es am Ende auch allzu viel Rauch um nichts gewesen.

Allen Zweiflern zum Trotz

– Miroslav Klose spielt zum 100. Mal für Deutschland

(Tsp) – „Hallo, ich bin Miro.“ Wie er einem so gegenüber steht, dieser schmächtige Mensch mit den großen Augen, ist er der verlegene Nachbar von nebenan. Kurz darauf, am mächtigen Konferenztisch, droht er in seiner Daunenweste zu versinken, wirkt noch kleiner als bei der Hymne direkt neben Per Mertesacker. Miroslav Klose sitzt in einem schmucken Raum an der Säbener Straße und erzählt. Es ist Mitte März, München kalt und regnerisch. Und Fußballdeutschland setzt keinen Pfifferling auf den Torschützenkönig der letzten WM. Für den FC Bayern hat er kaum gespielt und noch seltener getroffen. Wie soll uns so einer in Südafrika weiterhelfen?

„Ich wusste immer, was ich kann“, sagt Klose in leisem, aber bestimmten Ton.

„Und auch“, wie er hinzufügt, „dass ich mich überall durchsetzen kann.“ Blaubach, Homburg, Kaiserslautern, Bremen, München – die Karrierestationen des Spätberufenen, der nie in einer Jugendnationalmannschaft gespielt hat. Einmal kommt sein Trainer am ersten Abend eines Lehrgangs ins Zimmer und bittet Klose darum, die Sachen zu packen: „Am besten, du suchst dir einen gescheiten Beruf“, lautet seine Empfehlung. Klose schaffte es doch ins Profigeschäft, die Zweifler aber blieben: Klose, der Mann, der Ailton nicht ersetzen kann, der nie gegen einen Großen trifft, der ewige Zauderer und Zögerer vor dem Tor. Klose ist im Grunde ein ewig Verkannter, und er weiß das auch.

Die Geschichte mit dem Salto erzählt auch etwas über Zweifel und Ehrgeiz. Wie kam Klose also zu seinem speziellen Torjubel? „Durch eine Wette“, sagt er. Als er noch ein unbekannter Amateurkicker bei der SG Blaubach-Diedelkopf war, Bezirksliga Westpfalz, habe ein Mannschaftskamerad seine Tore stets so bejubelt. „Wenn ich mein erstes Bundesligator mache“, sagt Klose eines Tages zu ihm, „mache ich auch einen Salto“. Die Reaktion? „Alle haben sich kaputt gelacht – natürlich.“ Weil sie ihm weder das Kunststück noch das Zeug zum Bundesligaspieler zugetraut hätten. „Ich habe noch ein paar Jahre Zeit, bis dahin habe ich mir den schon beigebracht“, gibt Klose nur zurück. Und fängt an, den Salto zu trainieren. Mittlerweile hat er ihn in allen großen Stadien Europas gezeigt.

Steiler und rasanter hätte der Aufstieg von der siebten Liga in die Nationalelf kaum verlaufen können. Klose schaffte ihn zwischen 1998 und 2001. Nach dem Training mit den FCK-Amateuren schaute er immer bei den Profis zu. „Ich ging mit dem Gefühl nach Hause: So ein großer Sprung ist das gar nicht mehr“, sagt Klose rückblickend.

Im März 2001, knapp ein Jahr nach dem Bundesliga-Debüt, bestreitet er sein erstes von bisher 99 Länderspielen. Mit leuchtenden Augen erzählt Klose von seiner DFB-Premiere: mühselige WM-Qualifikation gegen Albanien in Leverkusen. Eine Viertelstunde vor Schluss eingewechselt, trifft der damals 22-Jährige zwei Minuten vor Schluss zum 2:1-Sieg. „Carsten Jancker schüttelte mich so durch, dass mir erst mal schwarz vor Augen wurde“, lacht Klose.

Carsten Jancker – ein Name wie aus einer anderen Zeit. Bei der WM 2002 sank Janckers Stern. Der von Klose ging mit fünf Toren auf.