Stell dir vor, es ist Derby…

– Hertha gegen Union, die Rivalität lebt in der vierten Liga fort – im ganz Kleinen. Ein Ortsbesuch

Es sind wirklich viele Polizisten da. Sehr viele Polizisten. Wannen, die am Falkplatz stehen. Wannen, die vor der Haupttribüne stehen. Wannen, die quer im Weg stehen. Ja, sogar: Ein Wasserwerfer. An allen Einlasstoren: Schwarze Uniformen über Schutzpolstern. Derbykleidung.

Hertha gegen Union. Charlottenburg gegen Köpenick am Mauerpark. Hat doch was, oder? Auch wenn es, hier in der vierten Liga, nur das kleine Derby ist, das der U23-Teams, „der Zweeten“, wie die Leute auf der Tribüne sagen.

Ein sind wirklich ein paar Fans gekommen. Vielleicht nicht so viele wie Polizisten, aber immerhin. Die Minuten vor dem Anpfiff. Zeit des Pop. Lana del Rey spielt Videospiele, Lykke Li folgt Flüssen. Hier folgt man den Blauen oder den Roten. Unten knippern zwei Hertha-Fans ein Banner an den Zaun. „Supporters U23“ steht drauf. Nach wenigen Sekunden nehmen die beiden es wieder ab. Dann hängen sie es falsch herum wieder auf. Die Schrift steht nun auf dem Kopf. Vielleicht ein Statement. Man wüsste gerne, wofür.

Der Stadionsprecher verliest die Aufstellungen. Applaus bei Herthas Nummer 30: „Andreas, Zecke, Neuendorf!“ Der Altmeister sitzt auf der Bank. Kann aber jederzeit kommen. Eine 37 Jahre alte Kampfansage.

Es plätschert dann so ein bisschen dahin. Irgendwann: Freistoß Hertha. „Ronnyyyyyy!“, brüllt einer los. „Ronnyyyyyy!“, antworten ein paar andere. Gelächter. Wer weiß, wo der Brasilianer gerade ist, hier ist er natürlich nicht. Union macht kurz darauf das 1:0. Wichtiger Treffer im Abstiegskampf. „Cottbus hat schon gegen Halberstadt verloren“, sagt einer auf der Tribüne.

Foul, ein Roter am Boden. „Scheiß Unioner!“, ruft ein Glatzkopf. „Hau ihm auf die Fresse!“ Kann man sehr gut hören im ziemlich leeren Jahnsportpark. „Genau! Immer ruff!“, antwortet ein Unioner. Gelächter. Gut zu wissen: Keiner nimmt hier irgendwen ernst.

Und dann ist Ronny plötzlich doch da. Unten am Zaun. Das Trikot mit der Nummer 12 spannt. Ronnys Körper ist eher birnenförmig. Ronny hat einen Rucksack dabei, daraus holt er Schal um Schal und knotet sie sich an die Unterarme. Irgendwann hat er an jedem mindestens fünf. Halbzeitpfiff. Ronny klatscht.

Pausen-Unterhaltung auf dem Klo: „Ey, nicht vordrängeln!“ – „Jaja, okay.“ – „Ehrlich, das ist U23. Hier fällste uff.“

Union ist auch danach besser, Herthas Abwehr ist weiter desolat, bald steht es 2:0. Ein alter Mann mit Arcor-Kappe ruft: „Wir steigen auf und ihr bleibt hier!“ Stille. Dann ruft er: „Wir fahren nach Bayern und ihr nach Ingolstadt!“ Ronny wedelt mit einem Deutsche-Bahn-Fähnchen. Er ist nur von hinten zu sehen. Aber er sieht traurig aus. Wie einer eben, der an einem Donnerstagabend in einem leeren Stadion sitzt und mit einem Deutsche-Bahn-Fähnchen wedelt.

Andreas Neuendorf zieht sich die Trainingsjacke aus. Es ist jetzt Zecke-Zeit. Er steht schon auf der Tartanbahn, da fällt das 3:0. Zecke streicht sich über den Scheitel. Er weiß, er ist keine Kampfansage mehr, er ist jetzt nur noch eine Durchhalteparole.

Sagt ein Vater zu seinem Sohn: „Wären wir mal lieber nach nebenan gegangen.“ Nebenan, in der Schmeling-Halle, spielen gerade die Berlin Recycling Volleys. Da ist immer was los. Klatschpappen und alles. Hier singen jetzt 50 Mann: „Eisern Berlin!“ Eine vorbei laufende Polizistin beschwert sich über den Kaffeepreis. Rechts starten die Maschinen vom Flughafen Tegel in den Abendhimmel. Links steht ein Baukran. Vielleicht, denkt man sich, kriegt jede Stadt dann doch die Derbys, die sie verdient.

Vater und Sohn packen ihre blau-weißen Schals in die Tasche und gehen nach Hause. Das Spiel ist aus. Die Fans wollen noch abklatschen. Man kann sie zählen. Es sind genau sieben. Die Spieler huschen schnell vorbei. Nur Zecke bleibt länger stehen. Er unterhält sich mit den Jungs vom verkehrten Banner. Ein paar Meter weiter steht Ronny. Er hat seine Hand durch den Zaun gestreckt und wartet geduldig.

Mit Herz und Seele ins Endspiel

– Manchesters Klubs City und United spielen den Titel aus – das wichtigste Derby seit langem

Berlin/Manchester (dapd). Um zu begreifen, was dieses Spiel bedeutet, genügt eine Zahl: 1968. In diesem Jahr nämlich ging es bei einem Manchester-Derby letztmals für beide Klubs um die Meisterschaft. Damals gewann Manchester City 3:1 bei United und holte am Ende den Titel in England. Torschützenkönig wurde dafür United-Profi George Best. Der legendäre Best, Held des Rasens und der Trinkhallen, ist lange tot. Und Manchester City träumt seit 44 Jahren von der nächsten Meisterschaft.

„Es ist das bedeutsamste Derby seit Jahrzehnten“, sagt Uwe Rösler. „Die Spannung kann nicht übertroffen werden, in der Stadt und in England.“ Rösler, ehemaliger Bundesliga-Profi, der von 1994 bis 1998 als Stürmer bei City Kultstatus erworben hat, siedelt dieses Aufeinandertreffen selbst höher an als den spanischen Clasico. „Hier kämpfen zwei Mannschaften aus der gleichen Stadt drei Spiele vor Schluss um die Meisterschaft“, sagt er der dapd. „Das gibt es wohl sonst nirgends auf der Welt. Mehr geht nicht.“

Tatsächlich kommt die Begegnung, die am Montag (21.00 Uhr) im Etihad Stadium von City stattfindet, einem Endspiel um die englische Meisterschaft gleich. Nur zwei Spieltage verbleiben danach. Mit einem Sieg kann City den alten Rivalen aufgrund der besseren Tordifferenz überholen. Die lange gehegte Sehnsucht nach dem Titel wäre dann ganz kurz vor der Erfüllung.

Die Fieberkurve, die zu Röslers Zeiten Ende der Neunzigerjahre, als City erst in die zweite, dann in die dritte Liga abstieg und United die beste Mannschaft Europas war, so eklatant auseinandergeklafft war, nähert sich seit 2008 wieder rasant an. Damals übernahm die Abu Dhabi United Group City für 250 Millionen Euro – und holte für jede Menge Geld jede Menge schillernde Stars wie Sergio Aguero, Carlos Tevez und Mario Balotelli. Der FA-Cup-Sieg im vergangenen Jahr war erster Lohn für die horrenden Ausgaben.

In dieser Saison schien zunächst City der Meisterschaft sicher entgegenzusteuern, 6:1 gewann das Team von Roberto Mancini im Oktober das Hinspiel im Old Trafford. Das Geld der Scheichs schoss viele Tore. Dann kam United wieder groß auf, schien schon so gut wie durch – und verschenkte in den letzten drei Spielen plötzlich fünf Punkte. „Nach unserer Niederlage gegen Arsenal war ich schon davon ausgegangen, dass alles vorbei ist“, sagte City-Verteidiger Pablo Zabaleta, der vor seinem 150. Einsatz für seinen Klub steht.

„Wir haben City die Initiative übergeben, keine Frage“, erklärte Alex Ferguson vor seinem 45. Manchester-Derby als Coach von United. Die Partie sei nun ein „Entscheidungsspiel um den Titel“. Sein Kollege Roberto Mancini, der Balotelli wohl fürs Derby begnadigen wird, wiegelte dagegen ab. Für die Fans sei es vielleicht das Match des Jahres. „Aber für uns ist es nur ein weiteres Spiel. Und danach kommen noch zwei weitere, harte Partien.“

Konter Ferguson: „Roberto will den Druck von seinen Spielern nehmen. Das wird uns nicht beeinflussen.“ Auf Unentschieden wolle man jedenfalls nicht spielen. Schon alleine um die Schmach des Hinspiels wiedergutzumachen, der schlimmsten Niederlage von Fergusons 26-jähriger Amtszeit. Derby-Niederlagen taten dem ehrgeizigen Schotten immer schon besonders weh. In seiner Frühzeit als United-Coach kam er 1989 mit 1:5 bei City unter die Räder. Zuhause marschierte er direkt ins Bett. Seiner Frau, so erzählte er, konnte er vor Schock und Schmerz kaum erklären, was passiert war.

Michael Owens Treffer zum 4:3 in der Nachspielzeit 2009, Wayne Rooneys Fallrückzieher im vergangenen Jahr – auch diesmal wird das Manchester-Derby wieder seine Geschichten erzählen. Alles hat sich schließlich nicht geändert mit der Ankunft der reichen Herren aus der Wüste. „Manchester City ist Manchester City. Es ist ein Verein der arbeitenden Bevölkerung“, sagt Uwe Rösler. Der Verein sei zwar nun zum Global Player aufgestiegen. „Aber ‚heart and soul‘, die Stadt, die Fans, das ist alles geblieben.“

Hellblau ist die Hoffnung

– Miroslav Klose will beim Römer Derby am Sonntag unbedingt spielen – Bei Lazio ist er aufgeblüht

Berlin (dapd). Dabei sein ist alles. Wie gut das passt. Die Gründer von Lazio Rom schenkten Miroslav Kloses Klub vor 111 Jahren das Hellblau der griechischen Nationalflagge, als Referenz an die olympische Bewegung. Dabei sein ist alles, auch für Klose, der seinen Knieproblemen zum Trotz am Sonntag unbedingt Fußball spielen will. Dann trifft Lazio auf den ewigen Stadtrivalen AS. Für den deutschen Nationalstürmer wäre es das erste ganz große Highlight seit seiner Alpenüberquerung im Sommer.

Klose will dabei sein. Immer. „Für mich war es wichtig, in einer Mannschaft gebraucht zu werden“, sagte er unlängst als Erklärung für seinen Wechsel von Bayern München in die Serie A der „Rheinpfalz“, die dort erscheint, wo sie Klose immer noch am liebsten haben, den Pfälzer Bub aus Kusel.

Bei Lazio Rom wird Klose gebraucht. Immer. Trainer Edoardo Reja hat ihn bislang stets von Anfang an gebracht. Der Deutsche dankt es ihm. Drei von sieben Lazio-Toren hat Klose in der Liga erzielt – und auch in der Europa League bislang bei jedem Einsatz getroffen. Fünf Pflichtspieltreffer – dafür brauchte er bei den Bayern zuletzt ein ganzes Jahr. Weil man ihm dort das Gefühl gab, nicht gebraucht zu werden. Eingewechselt wurde er, irgendwo in der Grauzone zwischen 63. und 83. Minute. Nichts für einen wie Klose.

Denn bloß dabei zu sein, reicht ihm natürlich nicht. Er will laufen, kämpfen, treffen, den sprichwörtlichen Unterschied machen. Wenn man sieht, wie sich Klose im hellblauen Jersey über den Platz bewegt, aufrecht, explosiv, gefährlich, und das vergleicht mit dem gebeugten, schon abwesenden Klose, der in seinem vorerst letzten Bundesliga-Spiel das leere Tor aus Meterweite verfehlte – dann will man nicht glauben, dass das derselbe Fußballspieler ist.

„Das Spiel des Jahres für die Stadt“

An der Seite von Sturmpartner Djibril Cisse blüht Klose auf, aber auch ohne ihn, wie im Europa-League-Spiel bei Sporting Lissabon, als er zur Halbzeit plangemäß für den Franzosen ausgewechselt wurde, vorher aber schnell noch sein Törchen machte.

Nun also das Römer Derby. Die weinrote Roma hat die letzten fünf gewonnen. „Es ist das Spiel des Jahres für die Stadt“, sagt Thomas Berthold, AS-Spieler von 1989 bis 1991. „Mit einem Derbysieg kannst du alles wieder gut machen, du kannst mit einem Spiel die ganze Saison retten.“

Zu retten gilt es für die zwei Erzfeinde neben der Herrschaft über die Stadt einstweilen auch den Kontakt nach oben. Beide Klubs stehen nach durchwachsenem Start drei Punkte hinter Tabellenführer Juventus.

Berthold weiß, dass nichts die Gemüter der Römer so bewegt wie dieses Spiel. Er hat es selbst erfahren, am intensivsten kurz vor der Fußball-WM 1990. Die Roma gewann damals das Derby mit 1:0, Lazio beendete die Partie mit acht Feldspielern. Schon während des Spiels, für das man ausnahmsweise ins Stadio Flaminio auswich, weil das Olympiastadion umgebaut wurde, hätten die Anhänger die riesigen Plexiglasscheiben zwischen den Blocks mit Steinen und anderem Werkzeug abgetragen, erinnert sich Berthold: „So schnell wie wir war wahrscheinlich noch nie eine Mannschaft nach dem Schlusspfiff vom Platz.“

„Er hat super eingeschlagen“

Die Serie A verfolgt Berthold noch immer genau – wie auch Kloses Werdegang in Italien: „Er hat super eingeschlagen, ich freue mich sehr für ihn. Er ist ein toller Stürmer, ein toller Profi, Rom wird ihm generell guttun, das mildere Klima, die fantastische Lebensqualität.“ Kein Zweifel: Der 33 Jahre alte Klose hat diese Luftveränderung gebraucht.

Und wenn es mit einem Einsatz am Sonntag klappt, dann ist nicht auszuschließen, dass ein Deutscher mal wieder ein Römer Derby entscheidet. So wie vor 21 Jahren, als in der 30. Minute ein gewisser Rudi Völler den Siegtreffer für die Roma erzielte.