»Händel hätte gesagt: Gut für dich!«

– In Wembley erklingt sie zum 21. Mal vor einem Finale: Die Champions-League-Hymne. Komponiert hat sie einst der Engländer Tony Britten. Ein Gespräch über die Kraft der Klassik, schwierige Textfindung und die Angst des Stefan Effenberg (11FREUNDE #139)

Tony Britten, 1992 beauftragte die UEFA Sie damit, eine Hymne für einen neuen, sonderbaren Wettbewerb namens Champions League zu komponieren. Hatten Sie mit Fußball damals überhaupt was am Hut?
Nicht wirklich. Ich war wenn überhaupt eher an Rugby interessiert. Über die Jahre habe ich dann aber doch einige Spiele gesehen, vor allem natürlich in der Champions League. Und was soll ich sagen: Sie sind die Besten. (lacht)

Welche Anforderungen stellte die UEFA an Sie?
Sie wollten definitiv etwas Klassisches. Etwas, das genügend Schwere hat. Und keinen Solisten. Damals waren die »Drei Tenöre« gerade sehr angesagt. Es war also schnell klar, dass es eine Art Choral werden würde. Aber es sollte auch nicht so klassisch sein, dass ein Massenpublikum wie beim Fußball abgeschreckt wird.

Die Basis für die Hymne bildete schließlich Georg Friedrich Händels Stück „Zadok the Priest“ von 1727.
Von Händel habe ich nur die aufsteigenden Streicher zu Beginn genommen – anders als das einige böse Zungen später behauptet haben. Mit den hohen Trompeten, die dann einsetzen, gab ich dem Stück einen ganz eigenen Sound. Die Musik war ziemlich schnell fertig, das ist eigentlich immer ein gutes Zeichen.

Und der Text?
Der dauerte etwas länger. Am Anfang hatten wir nur die Kernbotschaft: Es ging um die Besten der Besten. Eine Liga für sich. Also erstellte ich eine endlos lange Liste mit Superlativen, die ging über mehrere Seiten! (lacht) Die einzelnen Phrasen ließ ich mir wörtlich in die anderen UEFA-Sprachen übersetzen, ins Deutsche und Französische. Daraus bastelte ich dann den Text.

Einige Passagen, speziell die beiden Strophen, klingen für Muttersprachler ziemlich hölzern. Beispielsweise wenn es um »eine große sportliche Veranstaltung« geht.
Das haben mir damals schon die Übersetzer gesagt. Mir war das bewusst. Am Ende ist die musikalische Funktion der Worte aber mindestens genau so wichtig wie ihre Bedeutung. Am Ende musste ich die Musik entscheiden lassen.

Wie lange dauerte es von der ersten Idee bis zur Fertigstellung?
Nicht sehr lange, das war eine Sache von Wochen, höchstens ein paar Monaten. Die meiste Zeit haben wir dafür gebraucht, all die verschiedenen Versionen vorzubereiten. Vor 20 Jahren forderte noch fast jeder Fernsehsender eine andere Tontechnik. Die einen wollten Dolby, die anderen Stereo, die Russen wollten sogar noch Mono haben. Ich musste einen Mitarbeiter nur dafür einstellen, am Schluss stapelten sich im Studio meterhoch die Kassetten.

Händels Originalstück ist bis heute fester Bestandteil jeder englischen Krönungszeremonie. Gibt es da Parallelen zu einem Champions-League-Endspiel?
Die offensichtliche Ähnlichkeit ist: Es sind beides sehr strikt organisierte Feiern. Das erfordert Monate der Vorbereitung, egal ob bei einer Krönung oder einem Finale. Die Musik muss stimmen, jedes Element muss stimmen. Und es muss am Ende mühelos wirken.

Sie sind auch studierter Dirigent. Haben Sie Ihre Hymne je live aufführen können?
Oh ja. Unvergesslich war das Finale von Bayern gegen Valencia, im San Siro. Wir bekamen nach endlosen, typisch italienischen Verhandlungen die Erlaubnis, mit dem Chor der Mailänder Scala zu arbeiten. Das Stadion war brechend voll. Die UEFA-Offiziellen hatten große Angst, dass uns keiner zuhören würde. Ich stand mitten auf dem Rasen, die Spieler waren schon da. Direkt neben mir stand… Wer war nochmal Bayerns großer Raufbold damals? Stefan…

… Effenberg?
Genau der. Er stand vielleicht anderthalb Meter von mir entfernt. Und wissen Sie was: Selbst der sah richtig ängstlich aus, ganz blass. Als das Orchester-Playback begann, konnte ich überhaupt nichts hören, so laut war es. Gottseidank fiel das auch den Tonleuten auf, die drehten die Musik noch ein bisschen lauter. Der Chor musste einen halben Takt überspringen und wir bekamen gerade noch den Einsatz.

Ein Auftritt vor 75.000 Zuschauern. Einer ihrer größten Momente als Musiker?
Ja. Es war so wild und verrückt und großartig. Das Erlebnis für all die Fans im Stadion und die Millionen am Fernseher noch steigern zu können, war wirklich ein sehr schönes Gefühl.

Wenn Sie Ihre Hymne mit drei Adjektiven beschreiben müssten, welche wären das?
Das ist schwer. Mal sehen… Also: Erhebend. (kurze Pause) Zugänglich. Und… (längere Pause) sagen wir: inspirierend. Ich will nicht vermessen klingen, aber diesen Zweck soll sie erfüllen.

Warum funktioniert klassische Musik in diesem Fall besser als ein moderner Jingle?
Weil sie zeitlos ist. Sie ist eine Sprache, die die Leute verstehen. Wenn Sie einen zeitgenössischen Song schreiben, Pop, Rock, House, dann wird der in einem Jahr veraltet sein. Als die Champions League überall bekannt geworden war, forderten die Sender moderne Versionen der Hymne. Wir gingen also wieder ins Studio und nahmen eine Rock-and-Roll-Version auf, eine Funk-Version und eine Disco-Version. Da waren gute Sachen dabei. Aber keiner wollte sie am Ende haben. Alle entschieden sich für die Urfassung.

Haben Sie mal Beschwerden von Verfechtern der Hochkultur bekommen, weil Sie Händel missbraucht haben?
Wenn es sie gab, dann nicht direkt an mich. Ich finde auch, dass man aufpassen muss, Klassik nicht billiger zu machen, durch schlechte Sänger etwa. Aber ich habe überhaupt keinen Zweifel, dass Georg Friedrich Händel gesagt hätte: Oh, gut für dich, mein Junge!

Erhalten Sie eigentlich auch im 21. Jahr noch Tantiemen, wenn die Hymne gespielt wird?
Ja, von der UEFA. Die übertragenden Sender bezahlen ja horrende Summen. Das bisschen, das für mich abfällt, nehme ich also keinem weg. Ich bin kein Millionär, doch es geht mir gut. Aber von dem, was die Fußballprofis kriegen, kann ich nur träumen.

Der Tag, an dem der FC Bayern starb

– Rückblick: Finale dahoam (11FREUNDE.de)

Der Tag, an dem der FC Bayern starb, war traumhaft schön. Kaum ein Wölkchen trübte den tiefblauen Himmel über dem Englischen Garten, die Menschen saßen auf Bänken in der Sonne, sie redeten, und bisweilen sangen sie auch. Bierkrüge klirrten, die grünen Blätter der Bäume rauschten sanft im Wind. Weißbierwetter.

Nur der Flaschensammler störte kurz die Idylle, ein abgerissener Afrikaner mit Dreadlocks und kaputter Hose, einen riesigen Müllsack auf dem Buckel. »Drogba!«, murmelte er vor sich hin. »Yes, yes. Watch Drogba!« Wie bitte, was? »He’s dangerous! Yes, yes, he is!« Kaum einer nahm Notiz von dem Mann, nur hin und wieder drehte sich jemand um, mit einem müden Lächeln, mit dem man einem kleinen Kind begegnet, das gerade behauptet hat, es werde später Astronaut, ein Lächeln für Betrunkene und Geisteskranke.

Der Flaschensammler hatte sie offenkundig nicht mehr alle. Drogba? Chelsea? Nein, die Engländer waren in diesem superhappy Sommerfest nur geduldete Gäste, sie waren die bunten Wimpelchen am Zaun, die eifrigen Kellner, die den bierseligen Bayern den schäumenden Krug direkt an den Tisch servierten. Chelsea, der Treppenwitz dieses Endspiels. Im Viertelfinale schon draußen, im Halbfinale auf groteske Art siegreich gegen den großen FC Barcelona. Statt Messi, Iniesta und Xavi war also eine bessere Altherrentruppe nach München gereist. Perfekt, danke, läuft. Dachte ich, dachten alle.

München feierte rein in dieses Champions-League-Finale, ab mittags. Brezen, Sonne, mia san Bier. Und ich, der die Bayern nie gemocht hatte, tauchte ein in die allgemeine Glückseligkeit, bestellte mir eine Halbe, strich mir den Schaum aus dem Bart und freute mich auf das, was da kommen mochte. Nur auf dem Weg hinunter in die U-Bahn, Station »Universität«, kam er mir noch einmal in den Sinn, nur ganz kurz, der gemeine Satz: Was wäre wenn?

»My time is now«, stand da, auf der Werbetafel neben einer Abbildung von Didier Drogba.

Stunden später. Ecke für Chelsea. Die erste. Für Bayern hat Kroos schon gefühlt 20 reingebracht, ungefährlich allesamt, aber was soll’s? Es steht 1:0 für die Bayern, 1:0 für München, für die Party.

And now goal. Was David Luiz im Vorbeilaufen dem völlig fertigen Bastian Schweinsteiger steckte, war bei uns auf der Tribüne nur ein bitterböses Unken. Und dann: Goal. Kopfball. Drogba. So absurd und gleichzeitig so folgerichtig, dass mir in dem Moment nicht mal der Flaschensammler einfiel. Mir fiel, wie allen, in diesem Moment überhaupt nichts mehr ein. Außer Schweinsteiger. Der war schon in der 65., 70. Minute mit pumpendem Oberkörper an der Seitenlinie gewesen, hatte gierig getrunken, der Körper völlig kaputt, der Wille machte ihn funktionieren. Was macht Schweinsteiger? Er kämpft. Mit sich, gegen sich.

Dann Verlängerung. Dann Elfmeter. Drogba foult, Robben schießt. Schweinsteiger sieht nicht hin. Die falsche Seite der Arena jubelt. Schweinsteiger wird von seinem Torwart hochgerissen, er scheint lange zu brauchen, bis der Wille wieder stärker ist als der Körper. Ich beobachte jetzt nur noch ihn. Und Drogba. Ringkampf der verlorenen Seelen. Drogba stolziert in den Pausen auf und ab, vor sich hin murmelnd, wie ein Voodoopriester, wie in Trance. Und Schweinsteiger spielt eine grandiose zweite Verlängerungshälfte, dies hier ist sein größtes Spiel, zweifellos. Dann kommt das Elfmeterschießen. Und Schweinsteiger. Und Drogba. Und dann ist es vorbei, das Spiel, das Bastian Schweinsteiger dreimal verlieren und Didier Drogba dreimal gewinnen musste, ehe es endlich entschieden war.

Die Stimmung in der Stadt zu beschreiben, danach, ist unmöglich. Beerdigungen sind schöner. Später, schon weit nach Mitternacht, eine winzige, traurige Kneipe an der Schleißheimer Straße. Erbarmungswürdige Gesellschaft. Gramgebeugte Bayern-Trikots am Tresen. Trotz Musik und Geplauder: Totenstille. Und ich, der Bayern-Hasser, der sich 1999 noch gefreut hatte, dass die Bayern einen drauf bekommen hatten, wollte am liebsten hingehen und sie trösten und ihnen sagen: Es tut mir Leid, für heute – und für damals. Das habt ihr nicht verdient. Sowas hat keiner verdient.

Aber in Momenten wie diesem gibt es nichts zu sagen.

Ich zahlte mein Bier und ging langsam nach Hause.

Die Wiege des Wunderkinds

– Schalkes Gegner Olympiakos Piräus im Porträt

Berlin/Piräus (dapd). Marko Pantelic scheint im hohen Alter doch noch angekommen zu sein. Nach elf Klubwechseln binnen 13 Jahren geht der Ex-Herthaner bereits in seine dritte Saison bei Olympiakos Piräus. Und dass er es noch immer drauf hat, bewies der 34-Jährige im vergangenen Jahr: Da hat er in 18 Pflichtspieleinsätzen 16 Tore erzielt, ehe ein Knöchelbruch seine Saison bereits im Februar beendete.

Auf den Serben, der weder auf noch neben dem Platz einfach ist, werden die Schalker aufpassen müssen, falls er denn am Dienstag zum Einsatz kommt. Vielleicht übernimmt diese Aufgabe ja Kyriakos Papadopoulos, der Ende 2007, drei Monate vor seinem 16. Geburtstag, für den Verein aus der Athener Hafenvorstadt als Profi debütierte. Auf die Rückkehr des Wunderkindes, das sich seit dem Wechsel in den Ruhrpott explosionsartig entwickelt hat, sind sie alle extrem gespannt.

Das berüchtigte Karaiskakis-Stadion wird aber auch so brodeln, so wie es das immer tut, wenn die Rot-Weißen ein Heimspiel austragen. Deren Stärke daheim hat im Vorjahr Borussia Dortmund bei der 1:3-Niederlage in der Gruppenphase erleben dürfen.

Während die Offensive, die der argentinische Spielmacher Ariel Ibagaza auch mit 35 Jahren noch ansprechend anleitet, höheren Ansprüchen genügt, steht dies bei der neu formierten Abwehr noch nicht fest. Nach dem Abgang von Routinier Olof Mellberg und dem Kreuzbandriss von Nationalverteidiger Avraam Papadopoulos bei der EM könnte die Defensive eher die Schwachstelle sein.

Mit dem Erreichen der Gruppenphase und den damit einhergehenden garantierten Millionen-Einnahmen hat der schwer verschuldete Verein das alljährlich wichtigste Ziel bereits erreicht. Mit bis zu 200 Millionen Euro soll der 39-fache griechische Meister in der Kreide stehen, doch der schwerreiche Präsident Marinakis, der auch dem Ligaverband vorsitzt, regiert mit schützender Hand. Im Vorjahr schafften die Griechen als Dritte noch vor dem BVB immerhin das Überwintern in Europa – in Anbetracht der Gegner auch in diesem Jahr praktisch das Maximalziel.

Blau im Herzen

– Unter Roberto Di Matteo hat Chelsea tatsächlich die Champions League gewonnen – ob er bleibt, ist unklar

München (dapd). Roberto Di Matteo sieht eigentlich immer aus, als würde er lächeln. Das muss wohl an der Form seiner Mundwinkel liegen. Selbst nach Thomas Müllers vermeintlichem Siegtor für den FC Bayern sah Di Matteo nicht verdrossen aus. Vielleicht glaubte er ja immer noch dran. Wie dem auch sei: Viel später in dieser Samstagnacht, im Pressesaal der Münchner Arena, da strahlte der Interimstrainer des FC Chelsea über das ganze Gesicht.

„Es fühlt sich wirklich großartig an, das muss ich sagen“, sagte Di Matteo und schaute in die Runde. Der in der Schweiz aufgewachsene Italiener hat mit dem neuen Champions-League-Sieger FC Chelsea eine ungewöhnliche Reise hinter sich. Als er Anfang März den Job seines entlassenen Chefs Andre Villas-Boas übernahm, waren die Londoner in der Champions League so gut wie draußen – nach einem 1:3 beim SSC Neapel, das auch ein 0:5 oder 0:6 hätte sein können. Weil Ashley Cole aber auf der Linie klärte (für Di Matteo und auch Didier Drogba der Wendepunkt der Saison), gab es immerhin noch eine kleine Chance im Rückspiel. Chelsea gewann in einer dramatischen Begegnung 4:1 nach Verlängerung. Dann kam Barcelona, zwei Abwehrschlachten, die Chelsea irgendwie überstand, dann München. „Der Fußball und das Leben sind manchmal unvorhersehbar und verrückt. Kein Mensch hätte das vor drei Monaten vorhergesagt“, sagte Di Matteo.

Das Herz dieses Mannes ist blau. Sechs Jahre, von 1996 bis 2002, spielte er an der Stamford Bridge, gewann zweimal den FA-Cup und 1998 den Europapokal der Pokalsieger. Auch danach hörte Di Matteo nie auf, sich als Teil des Ganzen zu fühlen. „Vor vier Jahren haben wir eine sehr schmerzhafte Erfahrung gemacht“, erzählt er über das verlorene Champions-League-Finale von Moskau. Nur war er da gar nicht dabei, sondern saß zu Hause vor dem Fernseher, als Fan.

Vielleicht brauchte es einen wie ihn, um die alte Garde wiederzubeleben. Lampard, Terry und Drogba, denen man viel vorwerfen kann, aber nicht, dass sie sich nicht für das blaue Trikot zerreißen. Unter Di Matteo blühten sie noch einmal auf, spät und unverhofft, vielleicht weil der junge Coach sie anders als sein Vorgänger einfach machen ließ und spielen ließ, wann und wie sie wollten. „Das Herz und die Leidenschaft, die diese Spieler gerade in diesem Wettbewerb an den Tag gelegt haben, waren immens“, lobte Di Matteo artig – ebenso wie er Villas-Boas lobte, der „das Fundament gebaut“ habe. Aber natürlich war nach dessen Abgang alles anders.

Zum Beispiel die Taktik. Di Matteo ließ wieder einen Stil zu, der nicht schön war, aber den auf Ballbesitz orientierten Teams wie Barca und auch Bayern den letzten Nerv raubte. Teils zu zehnt im eigenen Strafraum, bei so gut wie jedem Schuss der Münchner mit einem Fuß oder anderem Körperteil dazwischen. Kritik an seiner Mauertaktik wischte er auch nach dem Endspiel in München vom Tisch: „Man muss immer versuchen, das Beste aus dem zu machen, was man hat.“ Das immerhin hat Roberto Di Matteo eindrucksvoll geschafft.

Wie es nun aber weitergeht mit dem lächelnden Coach, ist trotz des Titelgewinns völlig unklar. Er selbst will sich partout nicht äußern: „Was auch immer der Verein entscheidet, werde ich respektieren.“ Di Matteo weiß, dass es nur einen gibt, der darüber befinden kann: Roman Abramowitsch, Klubeigner, Geldgeber, Mr. Chelsea. Und was der nun vorhat, wird abzuwarten sein. Jetzt, da der Heilige Gral geborgen ist, am Ende einer der seltsamsten Reisen, die der Fußball seit langem gesehen hat.

Drei Schritte ins Glück

– In seinem wohl letzten Spiel verhilft Didier Drogba seiner Chelsea-Generation doch noch zum größten Titel

München (dapd). Drei Schritte nahm Didier Drogba Anlauf zum Glück, penibel genau abgezählt, wie immer. Drei entschlossene Schritte nach hinten, zwei minimale Tippelschritte zur Seite. Dann wurde Drogba ganz ruhig, ganz langsam hob er den Blick, während Manuel Neuer vor diesem entscheidenden Elfmeter auf der Linie auf und ab hüpfte, als sei er ein betrunkener Clown. Mit einem Ruck unterband Drogba diese Ablenkungen, lief an und schoss den Ball über das linke Standbein hinweg unhaltbar ins Netz – wie einen Trainingsschuss.

Didier Drogba, Stürmer des FC Chelsea seit acht Jahren, hatte in diesem Moment seine Mission erfüllt. In seinem möglicherweise letzten Spiel hatte er dem Klub aus London den ersten, so heiß ersehnten und lange verfolgten Champions-League-Sieg beschert. Und so einfach in Richtung China – wie spekuliert wird – wollen die Klubverantwortlichen den Stürmer, dessen Vertrag Ende dieses Monats ausläuft, nicht ziehen lassen. Chelseas Vorstandsvorsitzender Bruce Buck kündigte an, Vertragsgespräche mit Drogba „lieber früher als später“ aufzunehmen. Noch in der kommenden Woche, erklärte Buck weiter, werde man sich mit dem Berater von Drogba zusammensetzen.

Der Triumph im Elfmeterschießen gegen den FC Bayern hat eine Milliarde Euro von Klubeigner Roman Abramowitsch gekostet – und die ganze Willenskraft von Didier Drogba. „Ich bin seit acht Jahren hier. Wir waren immer so dicht dran und doch so weit davon entfernt“, sagte Drogba weit nach Mitternacht vor den verbliebenen Journalisten. „Jetzt haben wir diesen Pokal. Er geht an die Stamford Bridge.“

Mit 34 Jahren hat Didier Drogba es doch noch geschafft – und mit ihm die alten Gefährten Frank Lampard und John Terry. „Frank, JT oder Carlo Cudicini – sie haben uns gezeigt, wie man ein Chelsea-Spieler wird“, sagte Drogba rückblickend. Dreimal hatte Drogbas Generation seit seiner Ankunft in London 2004 im Halbfinale gestanden, München war ihr zweites Finale. 2008 waren sie an einem Elfmeter des diesmal zum Zuschauen verdammten Terry gescheitert, diesmal scheiterten die Bayern.

„Moskau war eine sehr schwierige Erfahrung, aber heute haben wir es geschafft, sie zu verändern“, sagte Drogba. Wie schon in den Halbfinalspielen gegen den FC Barcelona war der einzige Stürmer in Chelseas Riegelsystem schier omnipräsent. Er musste es sein bei der bayrischen Dominanz. So klärte er zahlreiche der zahlreichen Bayern-Ecken am Fünfmeterraum, warf sich mit unzähmbarer Willenskraft in jedes noch so aussichtslose Luftduell. Selbst Thomas Müllers spätes Führungstor in der 83. Minute konnte Drogbas Mission nicht erschüttern. Fünf Minuten später wuchtete er acht Jahre enttäuschte Hoffnung in die Eckstoßflanke von Juan Mata – die erste und einzige des Spiels.

„Ich wollte, dass Chelsea lacht“, sagte Drogba hinterher schlicht, doch beinahe hätte er die Spieler und Fans in Blau zum Weinen gebracht. Weil aber Arjen Robben die Hauptrolle des Abends nach Drogbas übereifrigem Foul an Franck Ribery nicht übernehmen konnte, weil Petr Cech dessen Elfmeter hielt – daher liefen die Dinge weiterhin in die Richtung des Mannes mit der Nummer 11.

In den immer kürzer werdenden Pausen zwischen den Spielabschnitten lief der, statt sich massieren zu lassen, auf und ab, kaum behelligt von seinen Teamkollegen, sprach sich selbst sichtbar Mut zu, sah immer wieder ehrfurchtsvoll hinauf, am Dach der Arena vorbei in die Unendlichkeit.

Dann kam das Elfmeterschießen, in dem Olic und Schweinsteiger zu ihrem Unglück dafür sorgten, dass Drogba den Schlusspunkt setzen konnte. „Oh, mein Gott“, schien er noch zu sagen, bevor ihn seine Mitspieler umrissen und unter sich begruben.

„Ich war zuversichtlich, bevor ich ihn schoss“, sagte Drogba. „Aber ich hatte auch im Kopf, was beim Afrika-Cup passiert war.“ Drogba kennt die andere Seite, er hat zweimal dort gestanden, im Dunkel: Im Februar vergab er den Titel gegen Außenseiter Sambia vom Punkt, 2006 verschoss er seinen Elfmeter im Endspiel gegen Ägypten.

Nicht lange nach seinem wohl letzten erfolgreichen Torschuss für Chelsea schritt Didier Drogba also zu den Bayern in den Mittelkreis, er umarmte Schweinsteiger und Ribery, sprach ihnen etwas Trost zu. Am längsten hielt er Arjen Robben im Arm, den Untröstlichen, der bitterlich an seiner Schulter weinte.

Effizienz im Londoner Regen

– Didier Drogba und der FC Chelsea hebeln das System Barcelona aus

Berlin/London (dapd). Man muss die Feste feiern, wie sie fallen. Die vielen strahlenden Gesichter, herzlichen Umarmungen und in die Luft gereckten Jubelfäuste am späten Mittwoch an der Londoner Stamford Bridge waren nur allzu verständlich. Denn: Der FC Chelsea hat den FC Barcelona in der Champions League geschlagen. Das hat, auch wenn es nur das Halbfinal-Hinspiel war, für sich genommen fast historischen Wert. Der FC Barcelona verliert nämlich wirklich nicht allzu häufig. Es war dies im 57. Pflichtspiel der Saison die erst dritte Niederlage für die Mannschaft von Pep Guardiola, die eine schier beängstigende Aura der Effizienz umschwebt.

13 von 16 möglichen Titeln haben sich die katalanischen Nimmersatts zuletzt einverleibt. Doch weil an diesem wunderbar verregneten Fußballabend der FC Chelsea eine ganz andere Art von Effizienz zur Schau stellte und in Person von Didier Drogba aus der einzig wahren Chance einen 1:0-Sieg formte, ist nun die Titelverteidigung in Europa für Barca zumindest ein bisschen in Gefahr.

Torwart Petr Cech konnte die Zutaten der kleinen Sensation fix benennen: „mentale Stärke, etwas Glück – und auch ein paar Paraden des Torhüters.“ Wobei er die wichtigste Ingredienz völlig unterschlug: Einen Stürmer vom Format Drogba. Der bullige Angreifer füllte im 9-0-1-System von Roberto Di Matteo die Rolle des Alleinunterhalters im Angriff in Perfektion aus, ruderte zu Dutzenden Kopfbällen hoch in den Regenschleier, wetzte allen langen Bällen hinterher, und hatte er den Ball einmal am Fuß, war er meist nur mit dem Mittel zu stoppen, das Guardiola seinen Spieler eigentlich verboten hat: Dem Foul. Bei allen Gelegenheiten verschleppte Drogba zudem das mörderische Barca-Tempo, wie ein in die Jahre gekommener Boxer, der immer wieder klammert.

„Drogba war vorne ganz alleine, wir haben alle großartig gearbeitet“, sagte John Terry. „Wir wussten, dass wir unsere Chance bekommen würden, und Didier war zur richtigen Zeit am richtigen Ort“, sagte Di Matteo. In der Nachspielzeit der ersten Hälfte schob der Mann von der Elfenbeinküste den einzigen nennenswerten Gegenstoß der Londoner eiskalt ein.

Barcelona auf der anderen Seite scheiterte trotz guter bis sehr guter Möglichkeiten am Grundkonzept des Fußballs, dem Toreschießen. Wie schon im Hinspiel beim AC Mailand wollte der ersehnte Auswärtstreffer nicht fallen, auch nicht in der dritten Minute der Nachspielzeit, als Pedros Flachschuss nur den Pfosten küsste. Betrachter mit Sinn für geschichtliche Quervergleiche argumentierten alsbald, dies sei die ausgleichende Gerechtigkeit für den späten und äußerst glücklichen Ausgleichstreffer durch Andres Iniesta an gleicher Stelle vor drei Jahren gewesen. Wegen dieses Treffers war der FC Chelsea damals im Halbfinale gescheitert.

Diesmal musste Guardiola dem FC Chelsea gratulieren, zum Teilerfolg. „Wir hatten mehr Ballbesitz, aber das bedeutet nichts, damit gewinnst du keine Spiele. Sie waren uns heute in der Luft überlegen und waren physisch stärker.“ Manchmal reichen für einen Sieg also: 28 Prozent Ballbesitz, ein Torschuss und 100 Prozent britischer Kampfgeist.

Die Arithmetik fürs Rückspiel im Camp Nou fiel den Beteiligten nicht ganz so leicht. „Fifty-fifty“, wog Cech die Chancen ab, korrigierte diese Prognose nach wenigen Sekunden aber auf „60:40 für Barcelona, weil sie zu Hause spielen“. Dort haben die Mannen von Guardiola in den vergangenen beiden Champions-League-Spielen immerhin zehn Tore zustande gebracht. Chelsea braucht also kommenden Dienstag gleich das nächste mittelgroße Fußballwunder für die Endspielteilnahme.

Mehr David gegen Goliath geht nicht

– APOEL Nikosia empfängt Real Madrid im Champions-League-Viertelfinale

Berlin/Nikosia (dapd). Der Tüchtige wird manchmal nicht mit Glück belohnt. Alle, nur bitte nicht Barcelona oder Real, hatte Gustavo Manduca noch gesagt an diesem freudetrunkenen Achtelfinal-Abend vor drei Wochen, „die will doch keiner.“ Aber jetzt muss APOEL Nikosia da eben durch. Real Madrid kommt nach Zypern, am Dienstag (20.45 Uhr) steigt im GSP-Stadion in der Hauptstadt der Mittelmeerinsel das Viertelfinal-Hinspiel in der Champions League.

Das ist, unterm Strich, ja dann doch eine ziemlich feine Sache.

„Das ist der Gipfel der Klubgeschichte“, präzisiert der Vereinssprecher, der auf den klangvollen Namen Panikos Hatziliasis hört. Der Name seines Arbeitgebers war bis vor dieser Saison eher weniger klangvoll, ja, es war sogar ein klassischer No-Name.

Und jetzt Real. Mehr David gegen Goliath geht ja schon gar nicht mehr zu diesem Zeitpunkt, da Europas Spitze auf acht Teams zusammengeschmolzen ist. APOEL gegen Real, das ist: 15 Millionen gegen 500 Millionen Euro Marktwert. Oder auch: UEFA-Ranglistenplatz 62 (vor der Saison 125) gegen fünf. Und weil’s so schön ist: Nikosias Goalgetter Manduca wird vom Internetportal transfermarkt.de auf 1,1 Millionen Euro taxiert. Sein Pendant Cristiano Ronaldo holte Real einst für 94 Millionen.

Natürlich ist auch das Stadion von echtem Davidformat. Nicht mal 23.000 Menschen passen rein, in diesen Hexenkessel ohne Deckel. Aber, hätten sie seit Bekanntgabe der Auslosung fix das Bernabeu-Stadion mit all seinen 80.000 Schalensitzen dekonstruiert und auf Zypern wieder aufgebaut, sie hätten es auch vollgemacht.

Auch so wird wieder einiges los sein. Zyprer haben heißes Blut. Ein paar Mittelgroße haben das schon zu spüren bekommen, Zenit St. Petersburg (1:2), der FC Porto (auch 1:2) und zuletzt im Achtelfinale Olympique Lyon (3:4 nach Elfmeterschießen). „Wir sind ein kleiner Klub in Europa, aber wir haben ein großes Herz“, sagt der serbische Trainer Ivan Jovanovic. Seine Spieler wollen nun den ersten ganz dicken Brocken versetzen – ein paar Zentimeter, das würde ja schon reichen. Vielleicht ein Unentschieden, so wie es ZSKA Moskau unlängst geschafft hat. Die Russen haben in der Nachspielzeit noch das 1:1 erzielt gegen die zugegebenermaßen da schon etwas verträumten Königskinder aus Spanien.

Und was am Montag aus Madrid hervordrang, klang durchaus nach ein bisschen mehr als den üblichen Anstandsgesten. „Wir können da kein lockeres Spielchen hinlegen. Wir haben großen Respekt vor APOEL, weil sie eine gute Gruppenphase hingelegt haben“, sagte Sami Khedira. Auch der sonst so selbstbewusste Real-Coach Jose Mourinho geht davon aus, „dass uns diese Mannschaft vor eine harte Aufgabe stellen wird“.

Dabei hatten sich die Madrider am vergangenen Wochenende nach zuvor zwei Unentschieden mit einem standesgemäßen 5:1 gegen San Sebastian warmgeschossen. 95 Tore hat dieser fulminante Angriff alleine in der Liga erzielt, 35 davon Ronaldo. Noch Fragen? Lieber nicht. APOEL begnügte sich dagegen mit einem 0:0 im Stadtduell gegen Omonia. Kräfte sparen vor dem ungleichen Zweikampf.

Die atemlose Nacht von London

– Das Duell zwischen Chelsea und Neapel hat einen Sieger: den Fußball

Berlin/London (dapd). Ezequiel Lavezzi spannte seinen Körper, er ging ins Hohlkreuz, reckte und streckte seinen Kopf so weit wie möglich nach oben. Dennoch sauste die scharfe Flanke ein paar Zentimeter über seine Haarwurzel hinweg und ins Aus. Der SSC Neapel und nicht der FC Chelsea hätte im Viertelfinale der Champions League gestanden, hätte, ja hätte nur der Argentinier in dieser 87. Minute das 2:3 aus Sicht seines Teams geköpft. Allein, einen Vorwurf konnte man ihm wirklich nicht machen. Ezequiel Lavezzi misst nur 1,73 Meter.

Der SSC Neapel wollte wie Lavezzi über sich hinaus wachsen bei dieser 1:4-Niederlage nach Verlängerung an der Stamford Bridge. Das Problem war nur, das taten die Gastgeber auch. Dabei heraus kam ein unvergesslicher Europapokalabend, mit allem, was diesen Wettbewerb und diesen Sport ausmacht.

Es war ein Spiel, das den Zuschauern zunehmend den Atem nahm, weil es einer Dramaturgie folgte, die sich immer rasanter beschleunigte. „Einige der Spieler konnten am Ende nicht mal mehr rennen, weil sie Krämpfe hatten“, sagte Chelseas Interimstrainer Roberto Di Matteo, der seine Bilanz auf drei Siege aus drei Spielen erhöhte. „Aber sie haben einfach weitergekämpft. Alle waren unglaublich.“ Auch sein Kollege Walter Mazzarri war „stolz“ auf seine Spieler. Wer kann das nach einer 1:4-Niederlage schon sagen?

Aber der Endstand gab nur unzureichend wider, was da auf dem Platz abgelaufen war. Zunächst einmal machten die Gäste genau da weiter, wo sie beim fulminanten 3:1-Heimsieg vor drei Wochen aufgehört hatten. Als die Anfangsviertelstunde beendet war, hatte Chelseas Torhüter Petr Cech bereits dreimal retten müssen, und Edinson Cavani hatte wütend die Bande malträtiert, nachdem er aus spitzem Winkel nur das Außennetz traf. „Wir hatten wahrscheinlich heute mehr Chancen als im Hinspiel“, sagte Mazzarri, „wir haben nur nicht so oft getroffen“.

Nach überstandenem Schrecken der Anfangsphase erinnerte sich der FC Chelsea daran, was er ist: ein englischer Fußballklub. Schließlich ging es darum, als letzter Landesvertreter im Wettbewerb zu bleiben. Chelsea kämpfte sich also zurück ins Spiel. Didier Drogba wuchtete in der 28. Minute eine Ramires-Flanke aus dem Halbfeld zum 1:0 ins Netz und entblößte erstmals Neapels fatale Schwäche bei hohen Bällen. Chelsea machte nun das Spiel, Neapel konterte.

Die Anfangsviertelstunde der zweiten Hälfte war wie die der ersten, nur noch atemloser. Diesmal war es Terry, der einen hohen Ball mit dem Kopf zum 2:0 für die Gastgeber ins Tor hämmerte. Damit wäre Chelsea im Viertelfinale gewesen. Bis acht Minuten später Gökhan Inler seinerseits alle Kraft zusammennahm und ein wunderschönes Dropkick-Tor aus 17 Metern erzielte und Neapel wieder ins Rennen brachte. Chelsea brauchte nun plötzlich ein Tor, Neapels zu Tausenden angereiste Fans sangen und hüpften schon mal. Bis Frank Lampard, der dritte der alten Londoner Garde, vom Elfmeterpunkt das 3:1 gelang. Mit einem hammerharten Schuss, natürlich. Damit war das Hinspiel-Ergebnis egalisiert.

Beide Mannschaften warfen nun alles hinein. Das nächste Tor würde entscheiden, und jeder wollte der sein, der es erzielt. Jede Taktik wurde aufgegeben. Neapels Mittelstürmer Cavani lief Chelseas Mittelstürmer Fernando Torres am eigenen Sechzehner ab. Abwehrspieler David Luiz schnappte sich den Ball vor dem eigenen Tor mit tollkühner Grätsche, lief und lief bis vors gegnerische Tor, wo ihm ein Neapolitaner mit einer tollkühnen Grätsche wieder den Ball wegnahm. Es spielten nun also diese 20 Feldspieler etwas, das dem Konzept des „totalen Fußballs“ ziemlich nahe kam. Jeder machte alles.

Und der deutsche Schiedsrichter Felix Brych machte genau das richtige: Er vergaß seine Herkunft und ließ diese Fußballschlacht einfach laufen. Böses oder grob Unfaires war ohnehin kaum dabei.

Der entscheidende Treffer in der Verlängerung gelang dann dem FC Chelsea – durch Branislav Ivanovic, einem Verteidiger. Wenn ihn zuvor der kleine Lavezzi mit dem Kopf erzielt hätte, mal ehrlich, wen hätte das an diesem Abend eigentlich noch verwundert?

Mit Ailton an die Spitze

– APOEL Nikosia überrascht Europas Elite – Erster vor Zenit und Porto

Berlin/Nikosia (dapd). Zuhause sind sie schon lange eine Macht. Ihr Name hallt klangvoll wider, von Paphos bis Famagusta. 21 Mal schon haben die Fußballer von Apoel Nikosia die zyprische Meisterschaft gewonnen, und es könnte gut sein, dass im Sommer Titel Nummer 22 dazukommt. Doch vielleicht brechen sie noch ein, die Spieler von Trainer Ivan Jovanovic, denn sie leisten derzeit geradezu Unglaubliches als Gruppenerster in der Champions League und tun dies unter Umständen auch im kommenden Frühjahr noch – das wiederum wäre neu.

Am Dienstag haben sie den Europa-League-Sieger FC Porto geschlagen, auf ganz wunderbare Weise. In der 89. Minute hatte Portos Superheld Hulk per Elfmeter den lange erwarteten Ausgleich für den Favoriten erzielt. Doch dann ließen die lässigen Portugiesen die flinken Zyprer noch einmal kontern, und Gustavo Manduca vollendete einen messerscharfen Konter zum Siegtreffer. „Das ist sicherlich einer der wichtigsten Momente in der Geschichte dieses Teams“, sagte Coach Jovanovic. APOEL Nikosia ist nach vier Spielen Spitzenreiter der Gruppe G. Mit acht Punkten knapp vor Zenit St. Petersburg (7) und dem FC Porto (4). „Das ist wirklich ein historisches Resultat für den Klub“, sagte Jovanovic.

Umgeben von 22.000 Verrückten

Keiner hatte sie auf dem Zettel, natürlich nicht. Nikosia? Zypern? Wie soll man als europäisches Spitzenteam die Reise auf die ferne Insel auch ernst nehmen? Ein kurzer Trip in die Sonne, verziert mit drei Punkten und einer hübschen Prämie. Mehr nicht. Und plötzlich ist man von 22.000 Verrückten umgeben.

„Sie haben gezeigt, dass sie zu den besten Fans der Welt gehören“, schwärmte Manduca. „Sie haben uns 90 Minuten lang nach vorne getrieben, gesungen und daran geglaubt, und sie haben uns das spüren lassen.“ Nach dem Schlusspfiff tanzten die kanariengelben APOEL-Spieler dann zusammen mit ihrem treuen Anhang.

Schlüssel zum Fußballwunder Marke „Gallisches Dorf“ ist zum einen eine gesunde Selbsteinschätzung: „Wir wissen wer wir sind, wir kennen unsere Gegner, wir haben großen Respekt vor Porto, Zenit, Schachtjor“, sagte Jovanovic (was bei besagten Gegnern umgekehrt nicht unbedingt der Fall sein dürfte). „Wir haben viel Selbstvertrauen und gehen in diese Spiele, um zu zeigen, zu was wir fähig sind.“

Zum anderen ist der athletische Fußballklub der Hellenen aus Lefkosia, kurz: APOEL, auf fast erschreckende Weise effizient: Zwei Torschüsse reichten zum 2:1-Sieg gegen Porto. Vorne hilft nicht der liebe Gott, sondern einer, dessen Name für Spektakel spricht: Ailton. Der Namensvetter des ehemaligen Bundesliga-„Kugelblitzes“ ist Brasilianer, 27 Jahre alt, war vorher beim FC Kopenhagen, davor in Schweden. In diesem Jahr kommt er bislang auf sieben Tore in neun Champions-League-Einsätzen, Qualifikation mitgerechnet. „Wir haben viel geleistet, um unsere Punkte zu holen. Wir verdienen es, hier zu sein. Wir haben große Qualität als Team gezeigt“, stellte Ailton fest.

Gegen Wisla schon so gut wie draußen

Dabei schien es vorbei zu sein, bevor es anfing: Im Qualifikations-Playoff gegen Wisla Krakau waren die athletischen Hellenen nach dem 0:1 im Hinspiel und beim Stand von 2:1 im Rematch ausgeschieden, als Ailton, wer sonst, in der 87. Minute das Tor zum großen Geld aufstieß. In der Gruppenphase folgen die Ergebnisse bislang der goldenen Regel: 2:1 zuhause, 1:1 auswärts. Wenn das so weiter geht, steht dem Achtelfinale nichts mehr im Wege – es ist ohnehin nur noch ein Sieg aus den letzten beiden Spielen nötig.

Der nächste Gegner aber könnte für das Ensemble der Brasilianer, Portugiesen und Zyprer der schwerste sein. Am 23. November geht es in St. Petersburg gegen Väterchen Frost. Für das kommende Ligaspiel am Samstag sind dagegen erst einmal wohlige 20 Grad und Sonnenschein angesagt. Der Gegner heißt übrigens Nea Salamis und kommt aus Famagusta.