Polen baut

– Zu Besuch in den vier EM-Städten: Danzig, Warschau, Posen, Breslau und zurück

Kurz vor der Landung in Danzig taucht im winzigen Fenster der Propellermaschine ein gold-glänzendes Raumschiff auf, das auf halbem Weg zwischen Altstadt und Weichselmündung auf freiem Feld gelandet ist. In diesem bernsteinfarbenen Ufo wird nächsten Sommer Fußball gespielt. Die Vorboten der Fußball-Europameisterschaft sind bereits da. Was ist mit dem Rest? Die Erkundung des EM-Gastgeberlandes Polen führt in fünf Tagen durch vier Städte: Danzig, Warschau, Posen, Breslau und zurück. Polen im Schnelldurchgang.

Bereits vom Flugzeug also schaut man herab auf das riesige Bauvorhaben namens Euro 2012. Während das Danziger Stadion schon fertig ist, sind die Autobahnzubringer gut sichtbar noch aus Sand statt Asphalt, kilometerlang. Die lästige Westler-Frage nach dem Wann-denn-endlich hören die Verantwortlichen gar nicht gerne. Ja, natürlich würden die Schnellstraßenstücke fertig, sagt Andrzej Bojanowski, der Stellvertretende Bürgermeister von Danzig. „Im Frühjahr“, präzisiert er auf Nachfrage. Ebenso das neue Terminal des Flughafens. Bojanowski ist sehr stolz auf das, was ihm und seinen Landsleuten ins Haus steht, und daraus wird schnell eine ruppige Verteidigungshaltung. Schon ist er beim Fußballdorf Klagenfurt, Austragungsort der letzten EM. Bojanowski sagt: „Nichts Böses gegen Klagenfurt, aber wir wollen den Leuten zeigen, dass Danzig mit seiner tausendjährigen Tradition eben kein Klagenfurt ist.“

Damit die UEFA-Familie happy ist

Die südliche Umgehungsstraße werde die Transportfrage lösen, fügt er dann noch knapp hinzu. „Umgehungsstraße“, das ist, wie im Laufe der Reise festzustellen sein wird, das Zauberwort, das noch jeder Verantwortliche in den Mund nimmt. Manch einer hat den Zungenbrecher sogar auf Deutsch einstudiert. Die EM-Macher haben die Umgehungsstraße als Codewort für die leidige Pflichterfüllung achselzuckend akzeptiert – sie bauen sie, damit die UEFA-Familie happy ist, auch wenn es jahrzehntelang ohne sie ging.

Und bis sie fertig ist, sperrt die Polizei bei Groß-Events wie dem Länderspiel Polen-Deutschland die Arena-Umgebung einfach großflächig für den Autoverkehr ab. Was in diesem Fall zur unschönen Folge hat, dass der Bus nach der Partie für die sechs Kilometer ins Danziger Zentrum anderthalb Stunden braucht.

Westeuropäische Maßstäbe taugen nicht für dieses Land, das noch zernarbt ist vom Erbe des Sozialismus. Außerhalb der hübsch bunt sanierten Altstädte schießen direkt neben zerfallenden Plattenbauten spiegelglatte Hoteltürme in den Himmel. Die baulichen Extreme der beiden Wirtschaftssysteme leben in feindlicher Koexistenz.

Im Schlagschatten von Stalins Ruhm

Den Warschauern hat Josef Stalin seinen Ruhm in 230 Meter hohem Sandstein hinterlassen. Der Kulturpalast, um den herum im kommenden Sommer die offizielle Fanzone entstehen wird, ist der grau grüßende Orientierungspunkt für alle Ortsunkundigen. In seinem protzigen Schlagschatten steckt das Taxi im zähen Abendverkehr. Der Fahrer ist Fußballfan, am Armaturenbrett baumelt ein Anhänger von Legia Warschau. Englisch spricht er praktisch keins. Dennoch der Versuch: Freut er sich auf die EM? Um Gottes willen, sagt er, ohne Wörter zu benutzen, formt einfach seine rechte Hand zur Pistole und drückt an der Schläfe ab. Nein! Urlaub! Kreta. Ägypten. Er zeigt auf die Autoschlangen jenseits der Windschutzscheibe. Wie soll das alles nächsten Sommer werden?

Am Warschauer Stadion, das in polnisches Weiß-Rot gewandet ist, wird noch eifrig gewerkelt. Über 2000 Arbeiter sind mit der Fertigstellung beschäftigt. Mit dem Eröffnungstermin Anfang September hat es nicht geklappt. Ende November ist der neue Fixpunkt. Das Dach, eine Regenschirm-Konstruktion wie in Frankfurt (es waren die gleichen Architekten am Werk), ist schon fertig. Vergleichbares wie in Athen 2004, wo die olympischen Schwimmer schlussendlich unter freiem Himmel ihre Bahnen zogen, droht hier wohl nicht.

Auch in Posen wird rings um das Städtische Stadion im Vorort Grunwald noch mächtig gehämmert. Die nächste Straßenkreuzung ist halb gesperrt, Baulöcher klaffen im Asphalt. Im Innern der Arena, die einem gigantischen Käfer ähnelt, deuten die gastgebenden Fanvertreter auf zwei Ecken, in denen die blauen Sitzschalen noch auf provisorische Stahlrohrkonstruktionen geschraubt sind. „Unser Stadion ist fertig für die EM und nicht fertig für die EM“, sagen die Fans und zwinkern vergnügt.

Breslau wird im Eiltempo umbraust

In Breslau ist sie dann wieder mal Thema, die unvermeidliche Umgehungsstraße, jene Lösung allen Übels, Antwort auf alle Fragen. 30 Kilometer ist sie hier lang – und schon fertig, teilt die Dame von der Stadtverwaltung stolz mit. Seit einer Woche können die Breslauer ihre Stadt im Eiltempo umbrausen. Mit dem Boxkampf Klitschko-Adamek wird die örtliche Arena am Abend eingeweiht, die mit ihren engen, steilen Rängen und dem gewellten Dach von innen einer riesigen Turnhalle gleicht. Die Außenhaut wird zum Kampf mit bunten Bildern bestrahlt, was wirklich schön aussieht. Anders als die Baucontainer, die sich noch im Dreck der Stadionumgebung stapeln.

Tags darauf aber in der Altstadt, im warmen Licht des Spätnachmittags, das sich im Gold des Bierglases bricht, vergisst der Besucher allen Dreck und Schlamm und findet Polen einfach wunderschön. Ja, genau hier, denkt man sich, auf dem Breslauer Marktplatz und dem angrenzenden Blumenmarkt, wird sie dann pulsieren, die schönste aller polnischen Fanzonen. Inmitten der vielen hübschen bunten Häuser, hinter denen sich am Horizont die grauen Plattenbauten verlieren.

Und noch weiter dahinter, unweit der Umgehungsstraße, da wird dann im Sommer Fußball gespielt.

(dapd)

Groß frisst klein

– Witali Klitschko entledigt sich in Tomasz Adamek eines weiteren Herausforderers

Breslau (dapd). Hinterher war es fast noch am beschwerlichsten. Als sein Bruder Wladimir gerade behände über die Ringseile sprang, ging der Ältere der Klitschko-Brüder der Fron des Siegers nach: Noch ein Interview musste gegeben, für weitere Fotos posiert werden. Vielleicht wirkte das Bohei danach für die Außenstehenden auch deshalb so anstrengend, weil vorher alles so leicht dahergekommen war. Das Resultat: Witali Klitschko ist weiterhin Schwergewichtsweltmeister nach Version des World Boxing Council (WBC). Auch Tomasz Adamek, der tapfere, aber schlussendlich chancenlose Herausforderer aus Polen, konnte die Dominanz der Gebrüder aus Kiew nicht ansatzweise gefährden.

In der zehnten Runde eines sehr einseitigen Kampfes hatte der Ringrichter den Liebling der im brandneuen Breslauer EM-Stadion anwesenden Massen mit einem energischen Armwischen aus dem Gefecht genommen. Genug war genug.

„Ich war überrascht über sein starkes Kinn“, sagte Klitschko, und das war anerkennend gemeint. In der Tat war die wichtigste und für den Polen beste Nachricht des Abends : Tomasz Adamek ging es nach knapp dreißig mitunter recht schmerzvollen Minuten gut, rein gesundheitlich betrachtet. „Ich bin ein Krieger, ich wollte bis zum Ende kämpfen“, sagte der stolze Pole nach dem Fight. „Ich muss meinen Stolz herunterschlucken.“ Er fühle sich gut, abgesehen von den Schwellungen und Fleischwunden: „Ich werde leben und gesund sein.“

Weggewischt wie eine lästige Fliege

Welch Kontrast bot dennoch der gepeinigte Herausforderer zu dem frisch geduscht und unbeleckt auftretenden Klitschko. „Guten Morgen zusammen“, flötete der alte und neue Champion am frühestmöglichen Sonntag der Presse entgegen. Witali Klitschko trat auf in der selbstbewusst-fröhlichen Art eines Kämpfers, der zuvor einen weiteren vermeintlichen Konkurrenten weggewischt hatte wie eine lästige Fliege. Klitschko hatte weite Strecken des Kampfes so bestritten, wie es einem jeder Boxtrainer von der ersten Stunde an auszureden versucht: Die Handschuhe unter Hüfthöhe pendelnd, Angriffe des Gegners lieber mit Reflexen statt mit deckenden Händen abwehrend.

Es war dies genug des Aufwands, weil der 34-jährige Ex-Weltmeister im Halbschwer- und Cruisergewicht, zwölf Kilo leichter, zwölf Zentimeter weniger Reichweite, schlicht nicht die körperlichen Voraussetzungen mitbrachte, um den Koloss von Kiew zu gefährden. „Es reicht eben nicht, zu viel zu essen“, sagte Klitschko, und das war wohl väterlich, vielleicht sogar gut gemeint. „Tomasz ist der beste Boxer der Welt, nur nicht im Schwergewicht. Es war ein Fehler von ihm, ins Schwergewicht zu wechseln.“

Dass jedoch das Falsche das Richtige sein kann, wenn man haushoch überlegen ist, bestätigte der Coach des Champions: „Es war Witalis bester Kampf seit seinem Comeback“, sagte Klitschkos Trainer Fritz Sdunek, der die gute Beinarbeit und Schnelligkeit seines Schützlings herausstellte.

Die Großen verspeisen die Kleinen

Nur einmal witterten die 44.000 Weiß-Roten rings um den Ring die Sensation, als nämlich Klitschko in der achten Runde plötzlich zu Boden ging. „Ich bin Tomasz auf den Fuß getreten, deshalb habe ich die Balance verloren“, erklärte der 40 Jahre alte Weltmeister. Ringrichter Massimo Barrovecchio aus Italien zählte ihn folgerichtig nicht an. Die polnischen Fans aber setzten zu einem letzten Ausbruch der Euphorie an. Und auch wenn Trainer Sdunek hinterher beteuerte, er sei für einen Moment geschockt gewesen, und auch wenn das Stadion in diesem Moment der Unachtsamkeit etwas witterte, was nie in der Luft lag, entwickelte sich der Kampf doch nach dem altbekannten Gesetz, wonach die Großen die Kleinen verspeisen. Kurz nach Klitschkos Tauchgang gellten Pfiffe durch die Arena, weil Adamek wehrlos in den Seilen hing und Barrovecchio den rechten Zeitpunkt für einen Abbruch zu verpassen drohte.

„Keiner weiß, was im Ring passiert“, sagte Klitschko zwar. „In jeder Runde kann einer den Fight mit einem Schlag beenden.“ Am Samstagabend jedoch gab es nur einen, der Entscheidendes zu leisten imstande war. Und das war nicht Tomasz Adamek.

Und so hatte am Ende Lukas Podolski Recht behalten. Der kölnisch-polnische Fußballprofi und erklärte Adamek-Fan hatte sich im offiziellen Begleitheft des Kampfes mit einem seiner eigenen, unvergessenen Bonmots zitieren lassen, das da lautete: „Manchmal gewinnt der Bessere.“