37 Sekunden Ruhm

– Mateja Kezman, einst Europas größtes Talent, kehrt zurück auf die große Bühne

Berlin (dapd). Der Junge mit der Nummer 20 steht an der Kreidelinie, die Hände in die Hüfte gestemmt. Er soll jetzt kommen, für den großen Predrag Mijatovic, der sich gerade eben mit einem Hackentrick von diesem Spiel verabschiedet hat. Jetzt sprintet der hibbelige 21-Jährige hinauf aufs Feld, das die Welt bedeutet, für ihn und Millionen kleiner Jungs wie ihn. Norwegen gegen Jugoslawien, Europameisterschaft, und er darf mitmachen. Keine Minute später schleicht Mateja Kezman vom Platz, mit einem Rekord, der ihn zum Gespött der Leute machen wird.

15 Minuten lang wird jeder von uns weltberühmt sein, prophezeite Andy Warhol. Mateja Kezman nahm sich nicht so viel Zeit. 37 Sekunden nur, überspitzt formuliert, dauerte seine Weltkarriere. 37 Sekunden, das sind: Ein Ballgewinn, ein Sprint, eine verunglückte Flanke, ein weiterer Sprint und dann diese beidbeinige Grätsche gegen Erik Mykland, genau vor Schiedsrichter Hugh Dallas. Mykland schreit, dass man es bis oben auf die Tribüne hört. Und Dallas zieht sofort Rot.

Für 14 Millionen zu PSV

Seitdem kennen alle Statistik-Freaks Kezmans Namen: Schnellster Platzverweis bei einer EM-Endrunde. Aus heutiger Sicht wirkt der Blackout des blassen Jungen wie ein Mahnruf. Wie ein Vorzeichen auf die unerfüllten Versprechen seiner Karriere. Doch natürlich ist das Unsinn. Der Stern des Jungen aus Belgrad geht in diesem Sommer vor elf Jahren gerade auf. Nach dem Turnier in Belgien und Holland wechselt er für 14 Millionen Euro von Partizan zum PSV Eindhoven. „Wir waren schon lange an ihm dran. Er ist schnell, agil, stark am Ball, schließt gut ab und legt für andere auf“, rechnet Coach Eric Gerets die Vorzüge seines Neuzugangs vor.

PSV, das Sprungbrett der grandiosen Stümer: Romario, Ronaldo, van Nistelrooy. Und jetzt Kezman. Das Sternchen wird hier zum Kometen. Wie sie alle wird er Torschützenkönig, in vier Jahren drei Mal, Kezman schießt in der Ehrendivision in 122 Spielen sagenhafte 105 Tore. Und klopft sagenhaft große Sprüche. „Ich bin Kezman“, sagt er, „nicht Romario oder van Nistelrooy“. Die Vergleiche mit der Vergangenheit seien ihm lästig, sagt er. „In zwei Jahren“, fügt er hinzu, „will ich in Italien sein“. In der Tat wollen ihn bald die ganz Großen. Mateja Kezman entscheidet sich 2004 schließlich für England, für den FC Chelsea.

Und dann fängt er an abzublättern, der Ruhm des Mateja Kezman, Stück um Stück. Bei den Londonern kommt er nicht an Didier Drogba und Eidur Gudjohnsen vorbei, erzielt in der Liga nur vier Tore. Nach einem Jahr geht er nach Spanien, zu Atletico Madrid. Nur ein weiteres Jahr später zu Fenerbahce in die Türkei. Tore schießt er kaum noch. Es geht abwärts, die Namen werden kleiner. Es kommen die Leihen, Kezman wird zur Fußball-Ware: Fenerbahce leiht ihn nach zwei durchwachsenen Jahren nach Paris aus, von PSG wird er wiederum zu Zenit St. Petersburg ausgeliehen, und im November 2010 ist Mateja Kezman, 31 Jahre alt, vertragslos. Strandgut des Fußballs.

Deja-vu auf Schalke

Einmal noch hat er sein Land, das mittlerweile Serbien heißt, in der Zwischenzeit verzückt: Im Oktober 2005 hat er die Serben zur WM in Deutschland geschossen, mit seinem 1:0 gegen Bosnien-Herzegowina. Doch die WM endet tragisch, mit einem Deja-vu. Es ist das zweite Gruppenspiel, Schalke der Schauplatz, Argentinien der Gegner. In der 65. Minute, es steht 0:3, rauscht Kezman im Mittelfeld mit einem brutalen Scherenschlag in Javier Mascherano, der Ball längst weg, das Spiel noch länger entschieden. Der Schiedsrichter heißt diesmal Roberto Rosetti, und wie Dallas sechs Jahre zuvor zögert er keine Sekunde. Rot. Als die Zuschauer Kezman mit Pfiffen vom Feld geleiten, klatscht der ironisch Beifall. Hilflose Geste des Trotzigen. Bis heute bestreitet er kein weiteres Länderspiel.

Bei den Weißrussen von BATE Borissow steht Mateja Kezman, mittlerweile 32 Jahre alt, nach einem viermonatigen Zwischenspiel in Hongkong nun unter Vertrag. Und kehrt mit dem Spiel gegen Titelverteidiger FC Barcelona, seinem 48. Champions-League-Einsatz, am Mittwoch zurück auf Europas ganz große Bühne. Er freue sich sehr, wird Kezman auf der UEFA-Webseite zitiert. „Es wird extrem interessant, gegen die Meister aus Spanien, Italien und der Tschechischen Republik zu spielen.“ Die neue Demut eines Mannes, dem einst der Vergleich mit den Größten lästig war. Ich bin Kezman, sagte er, überzeugt, mehr als 37 Sekunden Ruhm erteilt bekommen zu haben.