Sein Kampf

– Serdar Somuncu bearbeitet als zorniger Gegenpapst das System von innen – ein großer Künstler und brillanter Redner

Die allerersten waren die Ossis. Die ersten offiziellen Opfer des Hasspredigers, aus einer Laune heraus. Serdar Somuncu erzählt von dem Urlaubstag in Italien vor bald 20 Jahren, an dem er im Auto sitzend urplötzlich zu einer minutenlangen Tirade gegen die reisefreudigen Ostdeutschen ansetzt, die neuerdings den Westlern die Straßen verstopfen. Pointe à la Somuncu: „Meine Freundin hat sich fast vollgekotzt vor Lachen.“

Man darf das jetzt, bitte, nicht falsch verstehen. Plumpe Stammtisch-Hetze ist ja genau das, was der 44-Jährige nicht im Sinn hat, auch wenn ihm das mitunter vorgeworfen wird, von denen, die ihn nicht verstehen. Oder nicht verstehen wollen. Nein, hinter dem beißenden Spott gegen Minderheiten – Türken, Juden, Nazis, Schwule, Schwarze, Behinderte, egal – steckt bei Somuncu eine programmatische Provokation, die so viel mehr ist als die Laune eines gelangweilten Urlaubers.

Mit seinen kommentierten Lesungen von Hitlers „Mein Kampf“ wurde der gelernte Musiker und Theaterschauspieler ab Mitte der 90er Jahre einem breiteren Publikum bekannt, Zehntausende Kilometer Autobahn, unermüdliche Grassroots-Schufterei, insgesamt fast 1.500 Abende. Eigentlich ist es Somuncu selbst, der den großen Kampf führt.

Wogegen aber kämpft er?

„Es geht um Selbstbestimmung und Freiheit“, antwortet Somuncu mit feinem Lächeln. Er ist gerade mit dem Auto von Münster nach Berlin gefahren, er sollte erschöpft sein. Er sagt, hellwach: „Es geht um die Frage: Wie geht das moderne Individuum mit den Möglichkeiten um, sich selbst zu bestimmen? Oder leben wir doch noch in Diktaturen, obwohl wir denken, wir hätten alle Möglichkeiten, frei zu sein?“

Wer nur die Kunstfigur Somuncu kennt, den geifernden „Hassprediger“, der sich neuerdings gar als „Hassias“ zum diktatorischen Anführer seiner eigenen Pseudo-Religion aufgeschwungen hat, der mag von solch akademischen Ausführungen irritiert sein. Aber natürlich ist auch längst die Person hinter der Maske, der echte Somuncu, der breiten Öffentlichkeit bekannt. Seit Jahren taucht Somuncu, in Istanbul geboren, in Deutschland aufgewachsen, immer wieder in den deutschen Talkshows auf, bei Markus Lanz und Anne Will, meist zum Thema Integration. Dort besticht er mit rhetorischer Brillanz und scharfer Argumentation. Das Ziel aber ist das gleiche: Die Diktatur bekämpfen, egal wie man sie im Einzelfall nennen will, Bigotterie, politische Korrektheit oder Kapitalismus.

„Political correctness ist doch nichts anderes als versteckte Intoleranz“, so steht es im Begleittext des gerade erschienenen „Hasstaments“, der verschriftlichten Internet-Tiradenshow „Hatenight“. Indem er, als Künstler, Witze über Behinderte mache, sagt Somuncu, schließe er sie doch als erster überhaupt endlich ein in den Kreis der „Normalen“. Die ständigen Grenzüberschreitungen sind dabei keinesfalls sich selbst genug. „Es geht nicht darum, den Judenwitz zu machen, damit er stattfindet“, sagt Somuncu. „Es geht darum, den Judenwitz zu entmystifizieren davon, dass er nicht stattfinden darf.“

Somuncu entlarvt auch die Inkonsequenz des modernen Menschen, unser aller Inkonsequenz. Beschimpft die „saturierten Ökos, die den ganzen Tag Bionade saufen und nicht wissen, dass die längst von Dr. Oetker gekauft ist“. Fragt, warum alle bei Brüderle aufschreien, aber Dieter Bohlen in der DSDS-Jury alle sexistischen Zoten durchgehen lassen. Warum wir von Freiheit träumen und uns von Facebook auf Schritt und Tritt verfolgen lassen. Er selbst schließt sich ausdrücklich ein in diese Zerrissenheit. „Ich bin auch bei Facebook“, sagt Somuncu.

Er sprengt Konventionen, Genres und Erwartungen, mit Vorsatz, immer wieder. Alle drei, vier Jahre häutet er sich, er startet dann einen neuen Abschnitt, ein neues Programm, das gleichzeitig auf allem vorherigen aufbaut, auf der Entwicklung, die der Künstler zusammen mit seinem Publikum durchgemacht hat. Denn natürlich ist es kein Zufall, dass Somuncu nach „Mein Kampf“ und Goebbels‘ Sportpalast-Rede dann irgendwann die „Bild-Zeitung“ auf der Bühne seziert.

Auch gegen sich selbst setzt der Künstler immer wieder die Kreissäge an, die wir aus dem „Hatenight“-Logo kennen: „Ich muss mein Klischee immer wieder zerstören“, sagt er. Mit seiner Vergangenheit als Fernseh-Comedian im Quatsch Comedy Club und Co. hat er gebrochen. Nachdem er sich dem großen TV-Mechanismus unterworfen hatte, aus Neugier und natürlich auch wegen des Geldes, wurde er von der Maschine wieder ausgespuckt, weil er, ganz Somuncu, auch dort aus dem Rahmen fallen wollte.

Somuncu macht seitdem wieder das, was er am besten kann: Provokation durch Kunst, aber mit Unterbau. Denn ohne die zweite Ebene, den persönlichen Bildungsauftrag, wäre all das Geschimpfe und Tabugebreche ja sinnlos. „Ich will die Leute herausfordern, selbst zu denken an einem Theaterabend.“ Überforderung statt Unterforderung, Somuncus Ansatz basiert auch auf dem unerschütterlichen Glauben an die Neugier der Menschen. Schon dafür müsste man ihm einen Preis verleihen.

Mit fast 45 nun füllt Somuncu an zwei Abenden in Folge die Columbiahalle, ohne ein einziges Werbeplakat. Er ist in gewisser Weise angekommen, einerseits. Was er natürlich so nie unterschreiben würde. Er sagt, er sei Punk geblieben, obwohl er jetzt Pop ist. Darauf ist er stolz.

Andererseits fallen ihm mit zunehmender Karrieredauer die Häutungen immer schwerer. All die Rollen, die er gespielt hat, die Erwartungshaltung der Leute, die muss er immer wieder beiseite schieben, um sich treu zu bleiben. Somuncu hält kurz inne, dann sagt er: „Manchmal wünsche ich mir, wieder ein weißes Blatt sein zu können, ein Programm zu machen, bei dem es keine Rolle spielt, wer ich bin oder woher ich komme.“ Und dann lächelt Serdar Somuncu wieder sein feines Lächeln. Weil er weiß, dass das unmöglich ist. Selbst für einen wie ihn.