Der Tag, an dem der FC Bayern starb

– Rückblick: Finale dahoam (11FREUNDE.de)

Der Tag, an dem der FC Bayern starb, war traumhaft schön. Kaum ein Wölkchen trübte den tiefblauen Himmel über dem Englischen Garten, die Menschen saßen auf Bänken in der Sonne, sie redeten, und bisweilen sangen sie auch. Bierkrüge klirrten, die grünen Blätter der Bäume rauschten sanft im Wind. Weißbierwetter.

Nur der Flaschensammler störte kurz die Idylle, ein abgerissener Afrikaner mit Dreadlocks und kaputter Hose, einen riesigen Müllsack auf dem Buckel. »Drogba!«, murmelte er vor sich hin. »Yes, yes. Watch Drogba!« Wie bitte, was? »He’s dangerous! Yes, yes, he is!« Kaum einer nahm Notiz von dem Mann, nur hin und wieder drehte sich jemand um, mit einem müden Lächeln, mit dem man einem kleinen Kind begegnet, das gerade behauptet hat, es werde später Astronaut, ein Lächeln für Betrunkene und Geisteskranke.

Der Flaschensammler hatte sie offenkundig nicht mehr alle. Drogba? Chelsea? Nein, die Engländer waren in diesem superhappy Sommerfest nur geduldete Gäste, sie waren die bunten Wimpelchen am Zaun, die eifrigen Kellner, die den bierseligen Bayern den schäumenden Krug direkt an den Tisch servierten. Chelsea, der Treppenwitz dieses Endspiels. Im Viertelfinale schon draußen, im Halbfinale auf groteske Art siegreich gegen den großen FC Barcelona. Statt Messi, Iniesta und Xavi war also eine bessere Altherrentruppe nach München gereist. Perfekt, danke, läuft. Dachte ich, dachten alle.

München feierte rein in dieses Champions-League-Finale, ab mittags. Brezen, Sonne, mia san Bier. Und ich, der die Bayern nie gemocht hatte, tauchte ein in die allgemeine Glückseligkeit, bestellte mir eine Halbe, strich mir den Schaum aus dem Bart und freute mich auf das, was da kommen mochte. Nur auf dem Weg hinunter in die U-Bahn, Station »Universität«, kam er mir noch einmal in den Sinn, nur ganz kurz, der gemeine Satz: Was wäre wenn?

»My time is now«, stand da, auf der Werbetafel neben einer Abbildung von Didier Drogba.

Stunden später. Ecke für Chelsea. Die erste. Für Bayern hat Kroos schon gefühlt 20 reingebracht, ungefährlich allesamt, aber was soll’s? Es steht 1:0 für die Bayern, 1:0 für München, für die Party.

And now goal. Was David Luiz im Vorbeilaufen dem völlig fertigen Bastian Schweinsteiger steckte, war bei uns auf der Tribüne nur ein bitterböses Unken. Und dann: Goal. Kopfball. Drogba. So absurd und gleichzeitig so folgerichtig, dass mir in dem Moment nicht mal der Flaschensammler einfiel. Mir fiel, wie allen, in diesem Moment überhaupt nichts mehr ein. Außer Schweinsteiger. Der war schon in der 65., 70. Minute mit pumpendem Oberkörper an der Seitenlinie gewesen, hatte gierig getrunken, der Körper völlig kaputt, der Wille machte ihn funktionieren. Was macht Schweinsteiger? Er kämpft. Mit sich, gegen sich.

Dann Verlängerung. Dann Elfmeter. Drogba foult, Robben schießt. Schweinsteiger sieht nicht hin. Die falsche Seite der Arena jubelt. Schweinsteiger wird von seinem Torwart hochgerissen, er scheint lange zu brauchen, bis der Wille wieder stärker ist als der Körper. Ich beobachte jetzt nur noch ihn. Und Drogba. Ringkampf der verlorenen Seelen. Drogba stolziert in den Pausen auf und ab, vor sich hin murmelnd, wie ein Voodoopriester, wie in Trance. Und Schweinsteiger spielt eine grandiose zweite Verlängerungshälfte, dies hier ist sein größtes Spiel, zweifellos. Dann kommt das Elfmeterschießen. Und Schweinsteiger. Und Drogba. Und dann ist es vorbei, das Spiel, das Bastian Schweinsteiger dreimal verlieren und Didier Drogba dreimal gewinnen musste, ehe es endlich entschieden war.

Die Stimmung in der Stadt zu beschreiben, danach, ist unmöglich. Beerdigungen sind schöner. Später, schon weit nach Mitternacht, eine winzige, traurige Kneipe an der Schleißheimer Straße. Erbarmungswürdige Gesellschaft. Gramgebeugte Bayern-Trikots am Tresen. Trotz Musik und Geplauder: Totenstille. Und ich, der Bayern-Hasser, der sich 1999 noch gefreut hatte, dass die Bayern einen drauf bekommen hatten, wollte am liebsten hingehen und sie trösten und ihnen sagen: Es tut mir Leid, für heute – und für damals. Das habt ihr nicht verdient. Sowas hat keiner verdient.

Aber in Momenten wie diesem gibt es nichts zu sagen.

Ich zahlte mein Bier und ging langsam nach Hause.