Das große Missverständnis

– DFB und Fans entfremden sich immer mehr – neue Eskalationen drohen

Berlin (dapd). Vor einem Jahr hatten sie noch an einem Tisch gesessen, am Dienstag sprachen sie auf zwei streng getrennten Podien. Schon rein optisch wurde die Diskrepanz deutlich: Im Berliner Hotel Intercontinental saßen die Vertreter von Fußballverbänden und Politik in ihren dunklen Anzügen, kurz zuvor hatten im Hotel Palace eine Ecke weiter die kunterbunt gekleideten Fanvertreter zu einer etwas chaotischen Gegenveranstaltung geladen. Im Sommer 2011 haben sich die beiden Seiten noch scheinbar konstruktiv ausgetauscht. Im Sommer 2012 reden sie aneinander vorbei.

DFB-Präsident Wolfgang Niersbach sagte nun „Gewalt und Pyrotechnik“ auf den Rängen der deutschen Arenen den Kampf an und formulierte eine „Null-Toleranz-Politik“, die künftig beherzigt werden soll. Fanverteter, die hinterher von einem „Schlag ins Gesicht“ sprachen, hatten schon vorher kritisiert, dass sie nicht eingeladen worden waren zum Sicherheitsgipfel von DFB, Innenpolitik und den drei Profiligen. „Wir sind diejenigen, die am nächsten dran sind an der Kurve, wir erreichen diese Leute“, hieß es von der Organisation ProFans.

DFB und DFL aber setzen nach zahlreichen Vorfällen in und um die Stadien in den letzten Monaten nicht mehr auf den Dialog. Das Wort kam nur in einem Nebensatz von Ligaboss Reinhard Rauball vor, in der offiziellen Pressemitteilung versteckt es sich im allerletzten Statement. Stattdessen wird die Leine straff angezogen. Stadionverbote sollen bald wieder für fünf statt wie seit 2007 nur für drei Jahre ausgesprochen werden, „bei ganz schweren Fällen sind sogar zehn Jahre geplant“, sagte Rauball. Welche Vergehen gemeint sind, müsse noch „festgelegt werden“.

Doch werden verschärfte Sanktionen die Gewaltproblematik beheben können? Wird das strikte Verbot von Pyrotechnik, das von offizieller Seite bekräftigt wurde, die Feuer in den Kurven löschen?

Nein, findet Harald Olschok vom Bundesverband der Sicherheitswirtschaft (BDSW): Davon auszugehen, dass die Anhebung der Stadionverbotsdauer eine große Wirkung habe, sei „naiv“, sagt Olschok der dapd. „Um es populistisch zu sagen: Durch die Einführung der Todesstrafe verhindere ich keine Morde.“ Nein, findet auch Rene Lau von der AG Fananwälte. „Mit Stadionverboten bekommt man keine Befriedung hin. Das meiste passiert ohnehin außerhalb der Stadien“, sagt er der dapd. Die Fanprojekte der Klubs erhielten „keinen Cent mehr“ als bislang, stattdessen sei das eingetreten, was von Fanseite befürchtet worden sei: „Repressalien und verschärfte Bestimmungen“, sagt Lau. „Es herrscht Resignation bei den Fans, teils auch Wut.“

Diese Stimmung war schon vor der Bekanntgabe der Sicherheitsmaßnahmen greifbar gewesen. Mit auf dem Podium saß in Jannis Busse einer, der vor einem Jahr noch mit den DFB-Sicherheitsbeauftragten über Pilotprojekte zur Legalisierung von Pyrotechnik verhandelt hatte. Zu Saisonbeginn kündigte der DFB die Gespräche plötzlich auf, nach der mit wildem Bengalo-Einsatz begleiteten Randale beim Pokalspiel Dortmund-Dresden im Oktober formulierte der Verband schließlich ein klares „Nein“ zur Pyrotechnik.

„Man hat uns abgefertigt“, sagt Busse. Folge: Es brannte umso mehr auf den Rängen. Fananwalt Lau hofft, dass es nun nicht zu vermehrter Gewalt kommt. „Aber die Fans werden ihrem Ärger Luft machen, mit Transparenten und Choreografien.“

Die Zukunftsprognose zeichnet sich dunkel. Am Freitag beginnt mit dem Spiel der Traditionsklubs Arminia Bielefeld und Alemannia Aachen bereits die Drittliga-Saison. Die Stimmung auf den Stehplätzen dürfte nicht ruhiger werden. Zusätzlich zu notorisch gewaltbereiten Gruppen kommt eine wachsende Zahl verbitterter Ultras, die sich von den Verbänden vor den Kopf gestoßen fühlen.

Der DFB hat allein in den vergangenen zwei Monaten 20-mal Klubs für Bengalo-Einsatz, Platzstürme und Gewalt bestraft. Die Rekordmarke von über einer Million Euro an Strafgeldern aus dem vergangenen Jahr wird 2012 erneut übertroffen werden. Die von vielerlei Seite angemahnte „Versachlichung“ der Problematik, etwa der Differenzierung der Platzstürme in Düsseldorf und Karlsruhe, in ihrer Motivation völlig unterschiedlich, findet derweil nicht statt. Man spricht eben nicht mehr miteinander.