Der letzte Herrscher

– Zinedine Zidane war ein Magier am Ball mit dem Hang zum archaischen Zorn. Am Samstag wird der Franzose 40 Jahre alt

Donezk (dapd). Es war das Gesicht, das all das spiegelte, was diesen Spieler ausmachte: Die Wangenknochen, scharf geschnitten wie Freistöße, geschwungen der Mund wie seine Wege im Herzen des Spiels. Adleraugen unter tiefen Brauen. Ein fast indianischer Blick reiner Entschlossenheit. Am Faszinierendsten aber der ewige Schweißtropfen am Kinn des Zinedine Zidane. Er tropfte und tropfte, so beharrlich wie dieser stolze Mann Fußball spielte. Als wolle er für jede Minute, die er auf dem Platz stand, ein Gramm seiner selbst opfern.

Am Samstag wird Zinedine Zidane, der Magier, 40 Jahre alt. Am gleichen Tag spielt Frankreich im EM-Viertelfinale in Donezk gegen Spanien. Zidane ist heute passenderweise als Sportdirektor bei Real Madrid tätig, dem Verein, bei dem er seine Karriere beendete. Und auch wenn sein ältester Sohn Enzo mit 17 Jahren erfolgreich in Reals Jugend spielt, so ist ein neuer Zizou dennoch weit und breit nicht zu sehen – weder bei den Franzosen noch anderswo.

Den Tropfen an Zidanes Kinn konnte man am besten immer dann beobachten, wenn er sich den Ball zurechtgelegt hatte, vor einem direkten Freistoß, einem entscheidenden Elfmeter, einer Ecke. Dann konnte man Zidane tief ins Gesicht schauen, wie er kurz innehielt, einen Tropfen vielleicht, oder zwei – ehe er den Ball wieder in Umlauf brachte.

Der alte Zehner, der unumschränkte Herrscher über den Raum zwischen Abwehr und Angriff, wie Zidane einer war – er ist seit dessen Abtritt abgeschafft worden. Als hätten die Trainer ihm, dem letzten Vertreter seiner Art, die höchste Ehre erweisen wollen, so wie Basketball- und Eishockey-Teams die Rückennummern legendärer Spieler nicht mehr vergeben. Als wollte der Fußball sagen: Nach Zidane kann es keine Zehn mehr geben.

Zidane war der letzte Spielmacher der alten Generation, nicht wenige sagen: der beste. Er nahm die Bälle in Empfang, schirmte sie ab, verteilte sie unermüdlich – und sparte sich die größten Momente für die wichtigsten Spiele auf. Für das WM-Finale 1998, in dem er Frankreich doppelt ins Glück köpfte. Für das Champions-League-Finale gegen Bayer Leverkusen 2002, als ihm einer seiner großartigsten Treffer gelang. Für Spiele wie das Auftaktmatch der EM 2004 gegen England, das er mit einem grandiosen Freistoß und einem todsicheren Elfmeter ganz alleine in der Nachspielzeit drehte. Zur WM in Deutschland kehrte er dann noch einmal zurück, dominanter denn je.

Die Künstler Douglas Gordon und Philippe Parreno haben Zidane einmal bei einem Ligaspiel mit Real Madrid mit 17 Kameras aufgenommen und daraus einen Kinofilm gemacht. Ein 90-minütiges Meisterwerk, das Zidanes Eleganz und seiner Geschmeidigkeit huldigt. Doch auch hier, wie später im Finale von Berlin, dekonstruiert das Genie mit einem Platzverweis kurz vor Schluss den eigenen Mythos.

Zur Faszination Zidane gehört eben auch dieser unberechenbare Wechsel zwischen absoluter Ruhe und extremer Impulsivität. Für sein letztes Spiel im Trikot von Real Madrid ließ der Mann aus Marseille seine ganze Familie kommen: seine Brüder, seine Schwester, Frau und Kinder. Als er sie beim Verlassen des Bernabeu mit stummer Geste grüßte, weinten sie alle. Einige Wochen später beleidigte Marco Materazzi seine Schwester, und Zidane streckte ihn nieder. Hinterher bemitleidete kaum einer den Provokateur, für Zidanes brutale Reaktion hatten dagegen nicht wenige Verständnis. Selbst in diesem grotesken Moment archaischen Zorns schien er seinen Stolz, seine Würde zu wahren.

Sechs Jahre später: Frankreich gegen Spanien. Ein Sieg der Franzosen wäre ihr erster in einer K.o.-Runde seit dem WM-Halbfinale 2006. Fast unnötig zu erwähnen, dass es Zinedine Zidane war, der damals den Siegtreffer gegen Portugal schoss.