Der leise Triumphator

– Dirk Nowitzki sucht im Moment des Sieges die Einsamkeit – „Das Team hat mich getragen“

Berlin/Miami (dapd). Als die Schlusssirene durch die Arena dröhnte, trat Dirk Nowitzki die Flucht an. Ohne eine Hand zu schütteln, ohne auch nur einem Teamkollegen in die Augen gesehen zu haben, kletterte der 2,13-Riese über die Begrenzung am Spielfeldrand und stapfte hastigen Schrittes in Richtung Kabine. Kurz bevor er dort ankam, erhaschte die Kamera noch einen Blick in sein Gesicht, es war bis über die Nase unter dem hochgezogenen Trikot verborgen.

Im Moment seines größten Triumphes suchte der deutsche Basketball-Superstar die Einsamkeit. Sein überhasteter Rückzug hätte auch der schmachvolle Abgang eines Verlierers sein können, doch da oben auf dem Videowürfel stand eindeutig: Dallas 105. Und: Miami 95.

Am frühen Pfingstmontagmorgen, als in Deutschland um Viertel vor fünf langsam die Sonne auftauchte, war Dirk Nowitzki angekommen. Eine Woche vor seinem 32. Geburtstag ist der Mann aus Würzburg mit seinem Team, den Dallas Mavericks, Meister in der stärksten Basketball-Liga der Welt. Als anerkannt wertvollster Spieler seiner Mannschaft. Er reiht sich damit ein in die Reihe der größten deutschen Sport-Ikonen. Nowitzki hat nun den Titel, für den er, wie er immer wieder betonte, einzig und allein noch auf dem Parkett stand.

„Dirk Nowitzki ist einer der Größten, die dieses Spiel je gespielt haben, und das hat er heute Abend bestätigt“, sagte sein Trainer Rick Carlisle, der 1986 als Spieler der Boston Celtics und nun als Coach der Mavericks NBA-Meister wurde.

Nowitzki, der die Finalserie gegen die Miami Heat trotz Handverletzung und fiebriger Erkältung dominiert hat und vor allem in den Schlussvierteln groß aufspielte, legte, als er zur Übergabe der Larry-O’Brien-Trophäe wieder aus den Katakomben aufgetaucht war, die für ihn typische Bescheidenheit an den Tag. Er widmete den Pokal seinen Mitspielern und den Fans. „Die Mavs-Nation verdient diesen Titel, sie waren so großartig zu uns im vergangenen Jahr.“

„Das Team hat mich getragen“

Nowitzkis Abend, der im Konfettiregen endete, begann holprig. In der ersten Spielhälfte traf er nur einen von zwölf Würfen aus dem Feld, zusammen mit einem Freiwurf kam Nowitzki damit in den ersten 24 Minuten auf die für ihn indiskutable Ausbeute von drei Pünktchen. „Heute bin ich nicht in meinen Rhythmus gekommen, aber das Team hat mich getragen“, sagte Nowitzki auf dem Siegerpodest.

Nach dem Seitenwechsel war Nowitzki noch entschlossener als zuvor, den Korberfolg zu erzwingen, und verwandelte direkt seinen ersten Wurf. Auch von weiteren Fehlwürfen ließ er sich nicht beeindrucken und traf Mitte des dritten Viertels auch zum ersten Mal von jenseits der Dreipunktelinie.

In der Pause vor dem Schlussviertel, in das die Mavericks mit neun Punkten Vorsprung gingen, meldete sich das deutsche Grüppchen der Nowitzki-Fans zu Wort, das den Weg in die American Airlines Arena von Miami gefunden hatte. „Und wir holen den Pokal, Halleluja“, sangen sie in sicherer Siegesgewissheit. Dallas blieb in Führung. Doch alle warteten gespannt auf die Schlussoffensive der Heat. Sie kam nie.

Auch weil Nowitzki seine zehn Punkte im letzten Viertel vorzugsweise dann einstreute, wenn die Führung der Mavericks unter zehn Zähler zu sacken drohte. Eine Dominanz, wie sie Nowitzki in der Schlussphase von Spiel zwei und vier gezeigt hatte, war in der sechsten Partie gegen die verunsicherten Heat-Stars, die sich nie berappelten, schlicht nicht nötig.

Nowitzki konnte sich auf seine Kollegen verlassen

Als es darauf ankam, konnte sich Dirk Nowitzki auf sein Team verlassen. Auf das Team, das er mit seinen unglaublichen Leistungen erst in diese Situation geführt hatte. „Alle Kritiker haben nur davon geredet, was er nicht kann“, sagte Jason Terry, mit 27 Punkten bester Werfer der Mavericks, über Nowitzkis Rolle. „Aber all die vorherigen Jahre waren nichts im Vergleich zu diesem. Wie er das Team in diesem Jahr getragen hat, war einfach phänomenal.“

Verlass auf die Kollegen war zum Beispiel nach Nowitzkis Ballverlust beim Stand von 94:87, den Tyson Chandler und Jason Kidd sofort in der Defensive ausbügelten. Bei der folgenden Auszeit nickten sich Forward Shawn Marion und Nowitzki mit entschlossenem Blick zu und berührten sich mit den Fäusten. Die Zeichen standen auf Sieg.

Nowitzki gönnte sich nur eine kleine Jubelgeste

Nach einem Fehlwurf von Dwyane Wade traf Nowitzki 29 Sekunden vor dem Ende mit einem Korbleger zur endgültigen Entscheidung. Die rechte Faust geballt nach oben gestreckt, mehr Jubelgeste gönnte sich der Kapitän der Mavericks nicht. Als das Spiel noch einmal unterbrochen war, legte Nowitzki beide Hände auf den Kopf und starrte mit riesigen Augen dem sicheren Sieg ins Auge, reglos, fassungslos.

Fünf Jahre nach der schmachvollen Finalniederlage in sechs Spielen gegen die Miami Heat haben diesmal die Mavericks nach zweimaligem Rückstand (0:1 und 1:2) das Glück auf ihre Seite gerissen. Mit enormer Willenskraft, die sich in Dirk Nowitzki personifiziert hat. In dem Mann, der in den Playoffs gegen alle Widrigkeiten 28 Punkte pro Spiel erzielt hat. In dem Mann, der erst einmal mit sich alleine sein wollte. Als alles vorbei war, um Viertel vor fünf, als in Deutschland der Morgen kam.